Читать книгу Gefahr im Anzug - Gabriele Matzner - Страница 9

HÖFLICHKEITSBESUCH

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Grete stößt den schnarchenden Alfred energisch aus dem Schlaf.

»Na geh«, dreht der seinen rundlichen Leib auf die andere Seite, »gerade habe ich so schön geträumt, von meinem Dossier und wie der Botschafter über meine Leistungen staunt und diese Neidhammel in Wien zerspringen.«

»Wir müssen auf, die Woche beginnt, die Pflicht ruft«, mahnt die Gemahlin und schwingt ihren zur Fülle neigenden Leib behände Richtung Bad.

Alfred wälzt sich ächzend wieder herum und überlegt: Dieser Ferdinand ist ein lieber Kerl, aber wird er dichthalten? Was würde der Botschafter sagen, wenn er erfährt, was vorgefallen ist? Aber wer weiß, ob man Jean-Pierre je findet? Viele verschwinden in diesem Kanal für immer, in den Rachen hungriger Fische oder gieriger Krokodile. Oder die Bagger schaufeln sie mit dem Müll auf eine Deponie und dort verrottet alles in null Komma nichts.

Grete kehrt schnaubend zurück: »Ich habe schon in aller Früh mit dieser maulfaulen und unfähigen Hauswirtschafterin Ärger, und du verdünnst dich jeden Morgen in den Garten, statt dass du einmal ein Machtwort sprichst«, muffelt sie.

»Du erinnerst dich«, richtet sich Alfred auf, tastet nach seiner Brille auf dem Nachtkästchen und wirft ihr einen verwundeten Blick zu, »dass erst vor Kurzem wieder so eine stinkige Leiche bei uns am Kanal lag. Oder denk an die, die letzte Woche jemand des Nachts über die Mauer zu uns gehievt hat?« Grete erinnert sich mit Schaudern. »Was wäre wohl gewesen, wenn ich sie nicht gefunden und gleich über die Mauer zurückbefördert hätte?«, triumphiert er, schlüpft in seine Velour-Schlapfen und fixiert eine Eidechse, die ihn reglos vom Fensterbrett aus anstarrt.

»Aber die Nachbarn schubsen sie ja immer gleich zurück«, erhitzt sich Grete, »es wäre besser, sie gleich in den Kanal zu werfen.«

»Da hast du natürlich recht«, gibt Alfred zu und brummt: »Wenn die Wächter etwas taugen würden, müsste ich mich nicht immer selbst darum kümmern. Wir ernähren sie und ihre Brut, mit der sie in diesen Hütten an den Mauern hausen, und was tun die außer zu schlafen?«

Grete knurrt: »Vielleicht sollten wir diese Pygmäen anheuern, die halten auf den Bäumen Wache und schießen Einbrecher lautlos mit Giftladungen ab. Das machen einige Nachbarn und die Einbrecher trauen sich nicht auf solche Grundstücke.« Alfred tippt sich auf die Stirn und trollt sich Richtung Badezimmer.

Kaum sitzen sie am Frühstückstisch, ertönen Sirenen. Durch die vergitterten Fenster des Zimmers blinkt Blaulicht.

»Die Polizei, so früh am Morgen?«, macht Alfred große Augen. Unmöglich kann die Leiche schon gefunden worden sein, es ist doch erst Montag. Oder haben die Ordnungshüter von der nächtlichen Aktion auf unserem Grundstück erfahren?

»Schönen guten Tag, darf ich eintreten?«, fragt der schlanke, sportlich wirkende Uniformierte und verneigt sich höflich. Alfred bedeutet ihm huldvoll, Platz zu nehmen, doch der junge Mann bleibt nahe der Tür stehen. »Ich bin Ober-Sergeant Ibina Kibara«, stellt sich der Unbekannte vor. »Der Nachfolger von …«, er nennt seinen notorisch korrupten Vorgänger. »Ich bin jetzt für dieses Revier zuständig und möchte meine Schützlinge kennenlernen.«

Als ältester Sohn einer kinderreichen Beamtenfamilie aus dem Norden des Landes hat Kibara früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen und den Dienst am Vaterland zu pflegen. Sein Gang durch die von Geist und Zucht der früheren Kolonialherren geprägten einheimischen Bildungsstätten hat ihm den Respekt vor der eigenen Kultur nicht rauben können. Mit Beharrlichkeit hat er Auslandsstudien absolviert und seine Kenntnisse mehrerer europäischer Sprachen sowie die Fürsprache eines nur minder korrupten verwandten früheren Innenministers haben ihm zu Stellung und Aufstieg bei der Polizei verholfen.

»Sehr erfreut«, behauptet Alfred und stellt erleichtert fest, dass es sich nur um einen Höflichkeitsbesuch handelt.

»Ich werde mein Bestes tun, dass hier alles in Ordnung ist«, versichert der Neue, »schließlich wohnen hier Diplomaten und die Regierung will ihnen ausreichenden Schutz bieten.«

»Wunderbar«, beteuert Alfred, »darf ich Ihnen etwas anbieten?«

»Vielen Dank«, erwidert der neue Oberschutzmann und stampft dabei kaum merklich von einem großen Fuß auf den anderen, »aber ich bin im Dienst. Im Übrigen nehme ich nie etwas an«, fügt er mit Nachdruck hinzu. Seine ungewöhnlich hellen Augen glänzen dabei auf undefinierbare Weise. Ungläubig glotzt ihn Alfred an. »Gibt es Probleme, die Ihnen hier zu schaffen machen?« Mit diesen Worten zückt Kibara tatkräftig seinen Tablet-Computer.

»Ja, der Müll sollte rascher entfernt werden, sonst fängt es an zu stinken und es sammelt sich allerhand Getier an, Ratten, Katzen, Affen«, mischt sich Grete ein.

»Stimmt«, ergänzt der Handelsdelegierte energisch, »das Gelärme ist oft sehr störend, vor allem wenn man hohe Persönlichkeiten zu Besuch hat, Sie können sich denken, was die dann weitererzählen.«

Kibara lässt sich sein Befremden nicht anmerken. »Ich werde das an die zuständigen Stellen weitermelden«, versichert er freundlich. »Das wird künftig besser klappen«, behauptet er wider besseres Wissen. »Haben Sie sonst noch Wünsche?«

»Der Verkehr, die ständigen Staus, das ist für uns sehr belastend«, klagt Alfred.

»Ich weiß«, seufzt Kibara. »das ist auch für uns ein Problem. Wir können oft nicht rechtzeitig dort sein, wo etwas Schlimmes passiert oder etwas gefunden wird, das auf ein Verbrechen schließen lässt. So entgeht uns leider manches.« Alfred verbirgt seine Erleichterung mühelos. »Aber, wenn es sich bei dem Opfer um einen Ausländer handelt«, richtet Kibara seine schlaksige Figur energisch auf, »tun wir wirklich alles, um Verbrechen aufzuklären. Schließlich geht es um unseren guten Ruf.«

»Das ist sehr beruhigend«, lügt Alfred, geleitet Kibara zur Tür und wünscht viel Erfolg.

»Musstest du so übertreiben?«, wendet er sich danach an Grete, die genüsslich an einem in Kakao getunkten Croissant saugt. »Affen gibt es hier doch gar keine.«

»Doch«, behauptet sie grinsend, »am Wochenmarkt gibt es sie gehäutet zu kaufen, also muss es sie geben; abgesehen von denen in Wien, die glauben, dass wir hier die verschimmelten Amtsmöbel reparieren lassen können«, fügt sie erbittert hinzu.

Alfred schlürft seinen Milchkaffee aus und zwinkert der Gemahlin zu: »Vielleicht sollten wir den Besuchern aus Wien einmal Affenfleisch servieren«, schlägt er listig vor. Entschlossen stellt er die Tasse nieder: »Die Sorge um den ramponierten internationalen Ruf seines Landes wird diesem Neuling übrigens die Lust nehmen, sich um Dinge zu kümmern, die ihn nichts angehen, wie Tote im Kanal.«

Sie lächeln einander vertraulich zu.

Gefahr im Anzug

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