Читать книгу Gefahr im Anzug - Gabriele Matzner - Страница 7
ALLEIN ZU HAUS
ОглавлениеFrüher als erhofft und ziemlich angeschlagen erwacht Ferdinand am nächsten Morgen vom einsetzenden Brummen der Klimaanlage. Sinnend sitzt er im Bett und spürt die aufsteigende Hitze, die sich durch die Ritzen der hölzernen Klappjalousien in dem Haus verbreitet, das für einige Jahre sein Zuhause sein wird.
Notdürftig hat er sich einquartiert. Viel mehr als ein Bett und ein paar Teppiche und Stühle aus dem Amtsinventar ist nicht vorhanden. Seine eigenen Möbel und sonstige persönliche Habe schaukeln noch irgendwo die Atlantikküste hinunter.
Ferdinands Blick erfasst den schimmelig funkelnden Amtsteppich in seinem Schlafgemach: Der ist den Skorpionen sicher zu feucht. Die bevorzugen die trockene Wärme meiner Schlapfen. Aller Anfang ist eben schwer, ermuntert er sich. In ein paar Wochen wird sicher alles an seinem Platz sein und ich werde mich wohlfühlen. So schön und geräumig wie in der Amtsvilla des Handelsdelegierten mit den alten Palmen und gigantischen Gummibäumen habe ich es hier aber nicht, auch wenn dort der Verputz vergilbt und Gitter und Beschläge verrosten, wie üblich in den Tropen. Die Wirtschaftskammer hat eben für Residenzen mehr Geld als das Außenamt. Aber diese Bilder!, schüttelt es Ferdinand bei der Erinnerung an die von Grete selbst gemalten Blumen mit an Gummibärchen gemahnenden Farben! Womöglich will sie, dass ich eine Ausstellung für sie mache.
Ferdinands Gedanken schweifen weiter durch den Vortag. Mit dem Handelsdelegierten ist sicher gut Kirschen essen oder Mangos, wie sie hier wachsen. Mama wäre mit diesem Reichtum an Früchten und frischem Gemüse sehr zufrieden. Immer ist sie auf meine Gesundheit und ausgewogene Ernährung bedacht. Auf meine Linie sollte ich ohnedies achten, dieser Pyjama spannt schon. Aber in diesem Klima kann er auch geschrumpft sein.
Im Badezimmerspiegel blickt ihm sein bubenhaftes rundes Gesicht treuherzig entgegen. Ach, ich werde es schon schaffen, lächelt er sich zu. Von Alfreds Selbstbewusstsein, Tatendrang und Ortskenntnissen werde ich mich inspirieren lassen. Bewundernswert, was der nicht alles tun will, damit die dürftigen Exporte aus der fernen Heimat sich demnächst vervielfachen! Bis in die obskursten Winkel des weiten und unwegsamen Landes hat er schon Betriebe und Bürgermeister aufgespürt und erklärt, was oder wo Österreich überhaupt ist. Denn schon lange hat man hier in Wo-sama-Damia nichts mehr von diesem Land gehört, seitdem das, was sich Entwicklungshilfe nannte, praktisch eingestellt wurde und sich wohlweislich kaum ein österreichischer Politiker mehr blicken lässt. Knapp an einer Lebensmittelvergiftung, einem Schlangenbiss und einem Zusammenstoß mit einem Lastesel ist Alfred bei seinen Erkundigungsreisen quer durch das Land vorbeigeschrammt, hat er leicht prahlerisch erzählt. Ferdinand ist voll der Bewunderung: Dieser Handelsdelegierte ist einer, der sich was traut! Vielleicht übertreibt er auch ein wenig, begackert Eier, die er erst legen muss, aber das gehört wohl zum Geschäft.
Es fallen ihm Berichte ein, die die väterliche Exzellenz mit mühsam kaschierter Wut am Familientisch von der Front der Kleinkriege zu geben pflegte, die er an diversen Dienstorten unermüdlich mit dem jeweiligen Handelsdelegierten ausgetragen hatte. Dabei hatte der Wüterich nicht selten zur Unterstreichung seiner kämpferischen Potenz ein unschuldiges Glas vom Tisch gefegt und die erschrockene Kinderschar schlussendlich in die Flucht getrieben. Schon wieder, hämmerte er beispielsweise auf die unschuldige Stoffserviette ein, hat dieser … – es folgte ein für Ohren botschafterlicher Kinder unpassender Ausdruck – hinter meinem Rücken einem Minister geschrieben, einem Minister! Da hört sich der Spaß auf, hatte der Vater angekündigt, der kommt noch in meine Gasse!
Was an einer Gasse schlecht sein sollte, selbst wenn es die väterliche war, habe ich damals nicht verstanden, später dann schon. Als ich selbst in diese Gasse kam. Da wurde mir auch klar, dass der Vater alles verstanden hat, nur keinen Spaß. Ein bisschen leid tut er mir schon, der Papa, vor allem seitdem er niemanden mehr herumkommandieren kann. Denn kaum hatte er ein Schlachtfeld erhobenen Hauptes verlassen, lauerte schon an der nächsten Biegung der vermeintlich geschlagene Feind schadenfreudig mit neuer Munition, etwa einer Einladung der lokalen Regierung, die nur er bekommen hatte. Lass dir ja nichts von denen bieten, hatte ihm der Alte geraten, im Grunde sind sie alle auf uns neidig, weil sie keine echten Diplomaten sind, auch wenn sie jetzt Diplomatenpässe haben, sie sind nur Handelsreisende. Dieses Wort hatte er immer wie ausgespuckt. Alfred wird keinen Grund haben, auf mich als Diplomat neidig zu sein, beschließt Ferdinand. Hoffentlich sieht Grete das auch so, Frauen sind ja oft ehrgeiziger und kämpferischer als die Männer, über die sie wachen.
Anregend und erholsam ist der Tag beim Handelsdelegierten gewesen. Und dann das! Wie ein Stück Treibholz hat er den Toten weggestoßen! Wieder einmal habe ich mich nicht durchsetzen können. Aber warten wir ab. Jetzt kann ich noch nicht um meine Einberufung ersuchen, das würde keinen guten Eindruck machen.
Ferdinand kramt in einem der im Schlafzimmer in Reih und Glied liegenden Koffer nach frischen Socken. Wollsocken? Brauche ich die in den Tropen? Habe ich das eingepackt oder war das Mama? Mit den durchfeuchteten Wollsocken in der Hand und Mama im Sinn überlegt er: Was würde sie zu dem Toten sagen? Womöglich ist er ein Auslandsösterreicher?, kommt ihm ein Gedanke. Das wäre natürlich viel Arbeit für die Botschaft, aber ich könnte mich bewähren. Der Minister würde vielleicht auf mich aufmerksam! Ihn habe ich bisher nur aus der Ferne oder im Fernsehen gesehen. Früher haben Außenminister die neu aufgenommenen Jung-Diplomaten empfangen, hat Papa erzählt. Aber diese gemütlichen Zeiten sind längst vorbei. Heute verschanzen sich Minister hinter Dutzenden Parteisekretären und PR-Agenten und selbst Sektionschefs haben es schwer, zu ihnen vorzudringen.
Aber Österreicher gibt es doch hier kaum zwei Dutzend, schiebt er den Gedanken beiseite, dass der Tote ein Auslandsösterreicher sein könnte. Außerdem, wer weiß, was den Zeitungsleuten bei uns einfällt, wenn es doch ein Österreicher ist? Womöglich lassen sie einen Tsunami der üblichen Diplomatenbeschimpfungen vom Stapel oder treiben das Ministerbüro mit dummen Fragen vor sich her und es hagelt parlamentarische Anfragen und Krisensitzungen in der Zentrale. Und wir an der Botschaft kommen überhaupt zu keiner vernünftigen Arbeit mehr.
Sein Blick fällt auf die Flecken strahlend blauen Himmels, die zwischen den Palmenwedeln vor dem Schlafzimmerfenster durchschimmern. Gut, dass heute Sonntag ist und Alfred mich auf den Ausflug zum Strand bei den Lagunen mitnimmt. Aber sollte ich nicht vorher in die Kirche gehen? Wie die meisten österreichischen Diplomaten ist Ferdinand katholisch fromm erzogen und geblieben. Ihr Diplomaten hättet alle besser Pfarrer werden sollen, hat ein Jugendfreund einmal gestichelt, als der mediengerecht langsame Tod eines Papstes im Amt eine Art Staatstrauer auslöste. Mit leicht schlechtem Gewissen beschließt Ferdinand, statt des Kirchenbesuchs ein Stoßgebet zu verrichten, in das er den Toten vom Kanal einbezieht.
In der noch frischen Morgenluft auf der Veranda löffelt er sein importiertes Müsli mit leicht ranziger Milch. Ein Grüppchen Graupapageien lässt sich frech auf der Balustrade nieder und beäugt ihn und sein Müsli. Ferdinand zwinkert ihnen zu. Das Hauspersonal würde sie jetzt wohl polternd verscheuchen. Gut, dass ich wenigstens einmal in der Woche allein bin, ohne diese Dienerschaft. Natürlich braucht man sie, vor allem wenn man Junggeselle ist und besonders in solchen Ländern, sagt Mama immer. Aber diese Einheimischen beobachten alles und tratschen es weiter. Bald weiß das ganze diplomatische Corps, dass man säuft oder gerne in der Nase bohrt. Und wenn sie dem lokalen Geheimdienst berichten müssen, erfinden sie alles Mögliche, nur um sich wichtig zu machen. In Nullkommanichts hat man den Ruf eines Homosexuellen oder Homophoben, eines Sittenstrolchs oder was auch immer.
In der ansteigenden Hitze stellt Ferdinand für die Gefiederten eine Schale Müsli auf den vom Wetter und Vorgängern in Mitleidenschaft gezogenen Verandatisch und macht sich zu Fuß auf den Weg zur Residenz des Handelsdelegierten. Wäre es nicht schön, wenn ich auch eine eigene Familie hätte? Aber welche Frau könnte mich schon wollen? So wie ich ausschaue, mit dieser beginnenden Glatze, den schlappen Muskeln und dem watschelnden Gang? Und bei meiner Schüchternheit? Bekümmert denkt er an die hektischen Flecken im Gesicht und die Schweißausbrüche an den Händen, die ihn schon beim geringsten Anlass heimsuchen.
Seine Gedanken schweifen in die Vergangenheit, während seine Blicke über die hinter bröckelnden Mauern nistenden mehr oder weniger stattlichen Villen schweifen, die seinen kurzen Gang zu Alfred säumen. Frauen, seufzt er. Da war bisher nicht viel Erlebtes, leider, ein bisschen was an der Uni in Wien. Sybille, dieser Engel, hat gar nicht bemerkt, wie sehr ich sie verehre. Und diese andere, wie hieß sie noch?, hat mich unter Alkohol gesetzt und meine Schwäche ausgenützt. Rückblickend erfassen ihn wohliger Schauer und schlechtes Gewissen. Was würde Mama zu diesem seinem bisher einzigen Sündenfall sagen? Zum Glück weiß sie nicht alles. Bald sollte ich ihr wieder schreiben, beschließt er seinen Rückblick und drückt sachte die Klingel neben dem dezent rostenden Gittertor der Residenz des Handelsmanns.