Читать книгу Gefahr im Anzug - Gabriele Matzner - Страница 11

GESTÄNDNIS

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Ferdinands Schreibtisch ist bis auf zwei Plastikschachteln noch leer. Alles ist so wunderbar übersichtlich hier, denkt er. Gut gelaunt entnimmt er dem Einlauf einige Schriftstücke. Die Kanzlei hat ihm fürsorglich den Dienstbetrieb betreffende Aktenstücke zugedacht, die er überfliegt und der anderen Schachtel, dem Auslauf, überantwortet. Er kramt weiter im Einlauf und zählt ein Dutzend Einladungen zu Besprechungen, Cocktails und Arbeitsessen mit Kollegen, pardon KollegInnen, seines Ranges.

Neugierig wendet er sich dem kleinen Stoß Anfragen aller Art zu. Eine österreichische Firma will Käse exportieren? Das ist etwas für den Handelsdelegierten, vermerkt er auf dem Schriftstück. Ein Österreicher mit »Migrationshintergrund« lädt seinen Onkel aus dem Empfangsstaat nach Wien ein und legt einen Haufen amtlich beglaubigter Bestätigungen über Einkommen und Wohnungsgröße bei. Onkel behauptet der zu sein? Das kann jeder sagen, das will geprüft sein. Ein kinderloses Paar aus St. Pülten will ein schwarzes Waisenkind adoptieren? Aha, also keine dubiose Agentur, die schwarze Säuglinge verschachert. Denen soll geholfen werden. Eine Versicherungsangestellte aus Wien beschwert sich über die Ablehnung des Visums für ihre Urlaubsbekanntschaft? Das kennt man, da ist Vorsicht angebracht.

Jede Beschwerde, jeder Wunsch muss bearbeitet werden, wir sind kundenfreundlich, wie unsere in schneller Abfolge wechselnden Minister diesen missgünstigen Journalisten immer beteuern, denkt Ferdinand. BürgerInnen sind heutzutage KundInnen, also KonsumentInnen, wie im Geschäftsleben, aber eben öffentlicher Dienstleistungen. Früher, zu Papas Zeiten, war das anders, da waren Bürger noch Untertanen. Heute dürfen sie fordern, reklamieren, protestieren. Wohlgefühl ist die Devise.

Ferdinand blättert weiter: Kochrezepte wünscht sich eine alternative Bäuerin aus Tirol? Das wäre etwas für den alternden ehemaligen Entwicklungshelfer, der mit einer Einheimischen und einem halben Dutzend Kindern am Fuße des Mittelgebirges eine armselige Farm betreibt. Ein oberösterreichischer Professor namens Fuchs bietet ein Seminar über artgerechte Hühnerzucht an? Das sollte sich doch machen lassen. Ferdinand lehnt sich zufrieden zurück: Diese Vielfalt von Aufgaben, da kann ich viel lernen!

Viktorias Vogelnestkopf taucht im Türrahmen auf. Sie setzt eine Schale Kaffee auf den Schreibtisch vor ihn. »Brauchen Sie etwas?«, fragt sie. Ihr Lächeln entblößt eine Reihe grau-bräunlicher Zähne.

»Nein, danke. Doch, vielleicht etwas«, fällt es ihm ein.

»Was denn?«, fragt Viktoria und nähert sich bedenklich.

»Kennen Sie einen Weißen mit roten Haaren?«, fragt Ferdinand, etwas zurückrückend.

Viktoria scheint diese unerwartete Frage nicht zu wundern. »Natürlich kenne ich den, das ist Jean-Pierre, der Militärattaché von denen«, nennt sie die eher ehemalige europäische Großmacht Frankreich. Sie freut sich sichtlich, ihr Wissen anbringen zu können: »Was ist mit ihm? Wollen Sie ihn kennenlernen? Das kann ich arrangieren.«

»Im Moment nicht«, bescheidet ihr Ferdinand. »Danke«, schießt er nach. Man soll sich immer bedanken, das kostet nichts und wer weiß, wozu es gut ist. Vater wäre so etwas natürlich nie über die Lippen gekommen, aber wir leben ja jetzt im Zeitalter des neuen »public management«, was immer das ist.

Das muss er also sein, der Tote im Kanal. Der französische Militärattaché wird seit Tagen vermisst. Das hämmern inzwischen auch die Buschtrommeln, von denen es mein listiger Butler haben muss, der es mir heute morgens zum Frühstück ungefragt serviert hat. Und ich weiß, was mit ihm passiert ist! Streng genommen, weiß ich natürlich nicht, was ihm zugestoßen ist, ich weiß nur, dass man ihn nicht mehr lebend finden wird.

Viktoria steht noch immer breitbeinig da und mustert Ferdinand aus grau-grünen Äuglein. Ihn schaudert es: Vielleicht werden die Krokodile Jean-Pierre fressen? Er nestelt an seiner Brille, seine Hände flattern über den Schreibtisch: »Gibt es hier Krokodile? Ich meine, dort wo Diplomaten wohnen oder baden?«

Die PA macht unter ihren mit Schwarzstift gezeichneten Brauen große Augen: »Ein paar wahrscheinlich schon. Warum fragen Sie?«

»Nur so«, dämpft Ferdinand ihre Neugier.

Hemmungslos setzt sie fort: »Vor Kurzem ist der neu angekommene finnische Botschafter beim Baden einfach verschwunden«, weiß sie bedeutungsschwanger zu berichten, »dann haben sie einen anderen geschickt, der wollte ohnehin hier Botschafter werden, wieso, weiß der Geier.« Welcher Geier?, überlegt Ferdinand. Hat der den Botschafter verspeist? »Manche Botschaften halten sich auch ein Dienstkrokodil, neben Wachhunden, zur Abschreckung. Die sind wirksamer als diese verschlafenen Wächter«, setzt Viktoria ihre Belehrungen fort. »Und am Markt liegen Krokodile mit verbundenem Maul herum«, fällt ihr noch ein. »Auf Wunsch hackt man für die Kunden ein Bein oder ein Stück Schwanz ab, eine Delikatesse«, sage ich Ihnen, »nur nicht billig.« Auf Ferdinands entgeisterten Blick ergänzt sie: »Kühlschränke gibt es nicht überall, das Fleisch soll frisch sein. Und Tierschutz kennt man hier kaum. Aber schließlich ist die Art, wie wir in Europa Tiere behandeln, auch nicht gerade vorbildlich.«

»Da haben Sie freilich recht«, gibt Ferdinand zu. Überheblichkeit liegt ihm fern. Gewöhnen muss ich mich an vieles, Verstehen gehört zu meinem Beruf, nicht Verurteilen.

Tagelang geht es Ferdinand durch den Kopf, seitdem er ahnt, ja, weiß, wer und wo der Tote ist: Ich muss das mit der Leiche jemandem sagen. Trotz Klimaanlage und Gelsengitter schläft er schlecht. Das beharrliche Surren der Anlage macht ihn fast wahnsinnig. Wie habe ich nur darauf verzichten können, das Richtige zu tun, nämlich die Polizei zu rufen? Wie gut wäre es, wenn ich mich mit jemand Verständigem und Liebevollem beraten könnte, einer Ehefrau zum Beispiel! Oder vielleicht wüsste Mama Rat? Wahrscheinlich würde sie sich aber nur aufregen. Soll ich es dem Chef sagen? Muss ich das nicht? Er schätzt mich, ich bin sein bester Mann, er ist pflichtbewusst und anständig. Und er bildet sich nichts ein darauf, »Exzellenz« zu sein. Außerdem ist er ein Afrika-Spezialist.

Ferdinand fasst einen Entschluss. Als er die gemächlichen Schritte des Botschafters auf der Stiege erkennt, stürzt er aus seinem Zimmer. Die Exzellenz fächelt sich Luft zu und bittet ihn in sein Büro. Auf leisen Sohlen naht kurzbeinig Helga, die alterslose PA des Chefs. Schon ihr halbes Leben hat sie an österreichischen Botschaften gedient, seit sie in jungen Jahren einem Jungdiplomaten, einem schneidigen Aufschneider, verfallen war, der seinerseits zunächst dem Alkohol und dann auf den Gedanken verfiel, den Bund mit einer resoluten vermögenden Botschafterwitwe der aufopfernd aufdringlichen Anhänglichkeit Helgas vorzuziehen. Aus dieser Periode blieben ihr nur Demut vor dem Schicksal, ein paar verbleichende Fotos, mittlerweile erwachsene Zwillinge und ein fragiles Nervenkostüm. Ihre leicht nach links-vorne gekrümmte Gestalt ist in ein altmodisches dunkelblaues Kostüm gezwängt, die rot lackierten Finger hält sie über der Leibesmitte gefaltet. »Möchten Sie Kaffee?«, murmelt sie verlegen.

»Gerne, und gleich zwei«, bittet Franz, der Botschafter, die Verhuschte mit einem aufmunternden Lächeln.

Der Botschafter hat bereits ein halbes Dutzend Auslandsposten und Minister hinter sich, dank seiner robusten mentalen und moralischen Ausstattung ohne größere Beschädigungen seines Verstandes. Einer schleichenden Ernüchterung konnte er aber über die Jahrzehnte im Dienste des Vaterlands nicht entgehen. Folglich leidet er unter Anfällen von Zynismus, die er aber im Zaum zu halten und vor allem nicht an die Jungen weiterzugeben sucht, schon infolge der unverwüstlichen Reste von Patriotismus, die ihn trotz allem noch nicht verlassen haben. Seinen letzten, nicht gerade prestigiösen Auslandsposten in diesem abgelegenen Land verdankt er seiner Liebe zu Afrika, seinem gebremsten Ehrgeiz und seinem Streben nach Distanz zur Zentrale in Wien.

»Wo brennt’s denn?«, wendet er sich an Ferdinand, trocknet die Hofratsecken über seiner hohen Stirn mit einem rot-weiß-rot gestreiften Taschentuch und tritt an seinen großen Schreibtisch, hinter dem der amtierende Bundespräsident gerahmt staatstragend gütig von der Wand blickt. Aus dem Einlauf schaut der schwarz-weiß gefleckte Kater Felix auf und entblößt gähnend spitze Fangzähne. Seinen vollen Namen, Erzherzog Felix, verdankt er einem monarchistisch gesinnten Vorgänger von Franz, seinen Aufstieg aus den Niederungen des struppigen Gartens in den Rang eines Dienstkaters erster Klasse seinen allseits anerkannten Verdiensten als Schrecken aller Nager.

Ferdinand schießt los. »Du, Herr Botschafter«, beginnt er formgerecht und erzählt die Wahrheit, aber nicht die ganze. Vom Wegstoßen der Leiche sagt er nichts, er will Alfred nicht anschwärzen. Zu schnell sei der Tote beim Grundstück des Handelsdelegierten vorbeigeschwommen, als dass sie ihn hätten herausziehen oder gar mit Sicherheit identifizieren können. »Es könnte dieser vermisste französische Militärattaché gewesen sein, sicher bin ich mir aber nicht.«

Die Exzellenz zwirbelt nachdenklich die weißen Haarbüschel hinter seinen geräumigen Ohren, die ihm das Aussehen eines weisen Uhus verleihen. »Danke, es war richtig, dass du mir das gesagt hast«, beruhigt er den gestressten jungen Kollegen. »Du kannst immer zu mir kommen, wenn etwas ist, und nenne mich bitte Franz, nicht ›Du, Herr Botschafter‹.« Ferdinand lächelt beglückt, widersteht der Versuchung, ehrerbietig den Rückwärtsgang einzulegen, kehrt Franz den Rücken zu und beschwingt und endlich ein wenig von seinem schlechten Gewissen erleichtert in seine kleine Büro-Höhle zurück. Es tut ihm schon seit Kindestagen gut, zu beichten. Jetzt wird sich alles auflösen! Sie werden den Militärattaché, respektive seine Leiche, finden und den oder die Mörder, falls es ein Mord war. Schrecklich! Warum sollte jemand den umbringen?

Zögernd, aber dann doch entschlossen greift der Botschafter mit seiner kurzfmgrigen Hand zum Hörer und bittet Helga, ihn mit einem Bekannten im Außenministerium des Empfangsstaates Wosama-Damia zu verbinden. Dem gibt er einen Tipp, inoffiziell natürlich. Denn offiziell geht ihn die Angelegenheit nichts an, der Tote ist ja kein Österreicher. Daher unterlässt er es auch, den genauen Ort der Sichtung, nämlich das Grundstück des Handelsdelegierten, zu nennen. Sein Mitarbeiter Ferdinand habe eine Leiche, die die des Vermissten sein könnte, im Kanal in der Nobelsiedlung von Dosamada gesichtet. Ebenso vertraulich erfährt die französische Botschaft über das Außenministerium von dieser Sichtung. Die lokale Polizei wird informiert, dass ein Toter, der dem vermissten Militärattaché ähnelte, im Kanal irgendwo im Ausländerviertel gesehen wurde.

Gefahr im Anzug

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