Читать книгу Kinderjahre Kaiser Karls - Gabriele Praschl-Bichler - Страница 13
Erzherzogin Marie Theresia, dritte Ehefrau Erzherzog Carl Ludwigs und Stiefgroßmutter Carls (in den Tagebüchern MTh)
ОглавлениеObwohl der Enkel Carl, der spätere Kaiser Karl, von der zweiten Frau seines Großvaters abstammte, war für ihn Erzherzogin Marie Theresia die »natürliche« Großmutter. »Natürlich« in doppeltem Wortsinn: Er kannte auf väterlicher Seite nur diese eine Großmutter, und sie war ihm und allen Familienmitgliedern eine heitere und unprätentiöse Gesellschafterin, die wie ihr Ehemann Kinder besonders liebte. Weder von ihr noch von Erzherzog Carl Ludwig ist in den Tagebüchern je das Wort Erziehung zu hören, noch haben die beiden je erzieherische Maßnahmen gesetzt. Das Ehepaar zog die Kinder und den Enkel Carl ausschließlich mit Liebe, Umsicht und Verständnis auf und brachte ihnen die wichtigsten Tugenden – Höflichkeit, Nächstenliebe, Pflichtbewusstsein und Benehmen in Gesellschaft – ganz nebenbei bei. Man lebte dieses Verhalten vor und besprach in Ruhe, wenn es galt, sich auf eine neue Situation vorzubereiten. Wenn jemand einmal einen Fehler beging, wurde das in einem Gespräch mit dem Betroffenen alleine geklärt. Es wurde nicht geschimpft, nicht gedroht und es wurde nicht gestraft. Das hauptsächliche Ziel war es, die Kinder auf einen natürlichen Umgang mit Menschen vorzubereiten. Sie sollten lernen, auch in schwierigen Situationen ruhig und freundlich zu bleiben und den Menschen ihrer Umwelt entgegenkommend und heiter zu begegnen. Ein positiver, lebensfroher Gesichtsausdruck erleichterte jedem Gegenüber die Annäherung.
Zu den größten Stärken Erzherzogin Marie Theresias zählten Ausdauer und Liebe bei der Pflege kranker Menschen, wobei sie keinen Unterschied zwischen eigenen Kindern, Stiefkindern, Ehemann, Mutter oder Geschwistern machte. Nächtelang wachte sie an Betten von Kranken und wurde dabei selbst nie krank. Ihre Selbstdisziplin ging so weit, dass sie ein eigenes Leiden – sie litt häufig an starker Migräne – nur dann zuließ, wenn die Zeit und die Umstände es erlaubten.
Innerhalb der Familie benahm sich die temperamentvolle Dame frei und ungekünstelt, sie liebte Sport und jede Bewegung in der freien Natur. Sie hatte zahlreiche Hobbys – Fotografieren und Malen gehörten zu ihren größten Leidenschaften. Ihrer hohen Stellung innerhalb der Kaiserfamilie entsprechend musste auch sie häufig offiziellen Verpflichtungen nachkommen. Nach Kaiserin Elisabeth war sie das ranghöchste weibliche Familienmitglied und hatte wie ihr Mann ständig Audienzen und offizielle Termine, umso mehr, als sich ihre Schwägerin, die Kaiserin, kaum je in Wien aufhielt. Bei diplomatischen Empfängen, bei Bällen, aber auch bei Familiendiners übernahm Erzherzogin Marie Theresia auf Bitten Kaiser Franz Josephs häufig die Rolle der Gastgeberin. Sie war in ihrem Auftreten gleichzeitig majestätisch und einnehmend, aufmerksam, immer eine perfekte Dame und eine interessierte Gesprächspartnerin.
Als ihr Ehemann Erzherzog Carl Ludwig starb, war sie 41 Jahre alt. Zehn Jahre später folgte dem Vater sein Sohn Otto ins Grab. Er war in einer Zeit, in der man weder Vorsorge noch Medikamente kannte, mit einer aggressiven Geschlechtskrankheit6 infiziert worden, an deren Folgen er starb. Für Erzherzogin Marie Theresia war es selbstverständlich, die Pflege des unheilbar kranken Stiefsohnes zu übernehmen. Bis zu seinem Tod im Jahr 1906 wachte sie unermüdlich an seinem Krankenbett.
Innerhalb weniger Jahre sollte Erzherzogin Marie Theresia alle Stiefkinder verlieren: Vier Jahre vor Otto war seine Schwester Margarethe verstorben, 1914 folgte als dritter Franz Ferdinand (er wurde in Sarajewo ermordet), 1919 starb der jüngste Stiefsohn Ferdinand. Nur ihre eigenen Kinder, die Töchter Miana und Elisabeth, überlebten die Mutter. Erzherzogin Marie Theresia starb 1944, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, im Alter von 89 Jahren im Wiener Palais ihres Mannes. Sie war schon lange schwach und bettlägerig gewesen, hielt sich aber für die Hochzeit einer Enkelin mit dem ihr eigenen Willen am Leben. Allerdings nicht, um am Fest teilzunehmen, sondern um die Brautleute nicht an der Hochzeit zu hindern. Ihr Tod hätte sie nach damaligem Brauch um das Trauerjahr verschoben. Als man Erzherzogin Marie Theresia meldete, dass die Trauung vollzogen war, schloss sie nach einem langen und erfüllten Leben die Augen für immer.