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ОглавлениеKapitel 7 – Leon
Melissa Mittwoch. Nachmittag. Sportunterricht.
Heute mit Leichtathletik. Ich bin erleichtert. Ein weiteres Mal. Ich frage mich nur, wie lange noch.
Eva Maria, Helena und ich bilden bei der Aufwärmübung ein Team.
Ich schiele immer wieder zum Fenster, wo letzte Woche die Jungs waren. Doch es ist alles still.
Lukas Ich beobachte sie wieder.
Herr Hofer wiederholt gerade die Buchungssätze. Meine Noten waren bei diesem Thema nie schlecht, daher habe ich kein schlechtes Gewissen, als ich ihn und den Unterricht fast vollständig ausblende.
Ich sehe runter zum Sportplatz, beobachte jede ihrer Bewegungen. Langsam habe ich wirklich das Gefühl, als wäre ich besessen von ihr.
„Lukas! Wenn der Kunde unsere Rechnung begleicht, wie lautet dann der Buchungssatz?“
Prompt werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Herr Hofer kennt mich, er weiß leider ganz genau, wann ich abwesend bin. Ich schaue meinen Lehrer kurz verwirrt an, bin aber schnell wieder bei der Sache.
„Bank an Forderungen. Bank wird im Soll mehr, Forderung wird im Haben weniger. Beide sind Aktivkonten.“
Mein Lehrer ist sichtlich zufrieden. „Sehr gut, Lukas.“
Er schreibt meinen eben gesagten Buchungssatz an die Tafel.
Als er fertig ist, dreht er sich um. „Ihr habt euch jetzt eine Pause verdient. Ich muss schnell etwas erledigen.“
Ehe ich richtig begreife, was er gesagt hat, ist er aus dem Klassenzimmer verschwunden und die anderen Jungs reißen wieder die Fenster auf.
Melissa Ich laufe los, zähle meine Schritte mit, springe genau vor der Linie ab und schwebe kurzzeitig in der Luft.
Als ich lande, kommt sofort meine Lehrerin auf mich zu und misst die Stelle, auf der ich angekommen bin.
„2,40 Meter, ganz okay“, sagt sie nur.
Ich glaube, sie hat schon bemerkt, dass Schulsport nicht wirklich zu meinen Talenten gehört. Ich lache in mich hinein. Schließlich ist das eine Erkenntnis, die ich selbst schon vor Jahren gemacht habe.
Plötzlich höre ich Pfeiftöne aus Richtung der Fenster. Es sind schon wieder die lästigen Jungs aus der 13.
Lukas Ich verstecke mich hinter Markus.
„Warum willst du eigentlich nicht, dass sie dich sieht?“
Ich schlucke. „Ich will nicht mit den Idioten da neben mir gleichgestellt werden“, flüsterte ich Markus zu.
Doch ich bereue mein anscheinend doch nicht so leises Flüstern sofort.
„Wen nennst du hier einen Idioten?“, fragt plötzlich eine Stimme von weiter vorne.
Sie gehört Leon, der sich wie ein stolzer Gockel vor mir aufstellt und die Brust raus drückt, als müsse er mit mir einen Revierkampf veranstalten.
Er hat dunkelbraunes volles Haar, dicke Augenbrauen und einen Dreitagebart. Der Ohrring an seinem linken Ohr rundet sein Aussehen perfekt ab. Perfekt, um der Frauenschwarm der gesamten FOS zu sein. Die Mädchenherzen fliegen gerade so nach ihm.
„Niemanden“, sage ich nur, unbeeindruckt von seiner Aufführung.
„Niemand legt sich mit Leon an, klar? Das bereust du noch!“
Ich balle meine Hände zu Fäusten, reiße mich aber dann zusammen.
„Och, hat da wer Schiss?“, fragt Markus plötzlich gereizt zurück.
„Ja, du, Fuchsfresse“, antwortet Leon und beweist damit sein Niveau.
Er ist vielleicht von außen top, aber von innen eher ein Flopp.
Ich schaue wieder runter zu den Mädels und halte Markus am Arm fest, um ihn davon abzuhalten, etwas Unüberlegtes zu tun. Wir wissen beide, dass ich der Einzige bin, der ihn beleidigen darf.
Leon streicht sich über seine Haare und dreht kurz an seinem Ohrring herum. „Wisst ihr, was ich mache, Jungs?“ Seine Kumpels jubeln ihm entgegen. „Ich werde eine Kleine von da unten klarmachen. Am besten die, die unserem BWR-Streber so viel bedeutet. Oder warum willst du nicht gesehen werden?“
Er grinst mich an, im Glauben, der Überlegene von uns beiden zu sein. Und das nur, wegen seines Aussehens und weil sein Vater Polizist ist.
Meine Zehennägel rollen sich bei dem Gedanken daran auf, dass er meinem Mädchen etwas antun könnte.
Ich muss sie jetzt wohl - besonders in seiner Anwesenheit – ignorieren, wenn ich sie beschützen will.
Melissa Die Fenster der Jungs sind geschlossen, der Sportunterricht zu Ende. Wir gehen in die Umkleidekabinen und haben dann für den Rest des Tages frei.
Es dauert nicht lange, bis ich mit meinen beiden Freundinnen an der Haltestelle stehe. Ich stehe zwischen ihnen und flechte mir meine Haare gerade zu einem neuen Zopf zusammen, da der vorherige beim Sport wieder aufgegangen war. Ich warte auf meinen Bus nach Hause.
Plötzlich schleicht Lukas mit seinem Freund an uns vorbei, aber er würdigt mich keines Blickes.
Hinter ihnen trottet ein hübscher junger Mann her. Er gehört zu den Jungs, die ständig aus dem Fenster brüllen. Und trotz seines attraktiven Aussehens, ist er mir sofort unsympathisch.
Meine Freundinnen wissen ganz genau, was ich gerade denke. Eva Maria hat Helena schon längst über mich und Lukas eingeweiht und ich habe ihnen bereits von gestern erzählt und dass ich seinen Namen jetzt sicher kenne.
Der unbekannte Mann quatscht Lukas von der Seite an und wir drei lauschen gespannt.
„Na, wer ist sie denn? Das Mädchen, das du ständig anstarrst? Meinst du, ich merke das nicht?“
Lukas ignoriert ihn, doch das schüchtert den provokativen Mann nicht ein, ganz im Gegenteil.
Lukas „Na sag schon, Romeo! Wer ist deine Julia? Ist sie aus der Elf? Oder der Zwölf?“
Mir platzt langsam der Kragen und ich antworte ihm schließlich doch. „Oh, hat da etwa jemand Shakespeare gelesen?“
Markus neben mir unterstreicht meinen Satz mit einem breiten Grinsen in seine Richtung. Warum fragt er mich das überhaupt? Nachdem er mich so beobachtet, dachte ich, er kennt meine Angebetete bereits oder will er mich nur aus der Reserve locken? Vor ihr? Doch diesen Triumph gönne ich ihm nicht.
„Lesen? Das ist doch so ein schreckliches Hobby von dir, habe ich recht?“, er fletscht seine makellosen Zähne.
Jetzt schaltet sich Markus ein. „Du bist einfach nur neidisch.“
Leon wendet sich an ihn. „Neidisch? Auf den?“ Er zeigt mit dem Finger auf mich.
Ich zucke nur mit den Schultern und schaue heimlich im Augenwinkel zu dem Mädchen und ihren Freundinnen rüber. Sie schweigen und starren auf die Straße. Ich vermute, dass sie unser Gespräch belauschen.
„Ja, auf den“, antwortet Markus dem von sich selbst eingenommenen Leon.
„Pah! Das ich nicht lache! Ich soll auf den eifersüchtig sein? Den, der seit seiner Geburt solo ist?“ Er schnaubt belustigt.
„Ja. Das zeigt nämlich von Größe im Gegensatz zu einem Kerl, der seit seiner Geburt schon das zehnte Mal wieder Single ist!“, Markus‘ Konter kam ihm schwungvoll über die Lippen und lässt Leon kurzzeitig verstummen.
„Tja, ich bekomme sie eben alle“, antwortet er.
„Und du lässt sie danach fallen wie eine heiße Kartoffel“, mische ich mich schließlich wieder ein.
Jetzt kommt Leon erneut auf mich zu. Er plustert sich vor mir auf, als wäre er kurz davor mich anzuspringen.
„Ich habe eben einen guten Geschmack.“
„Der zu wünschen übrig lässt ...“, sage ich.
„Er wechselt halt andauernd! Neuer Geschmack, neue Frau“, er sieht mich eindringlich an. „Nur bei deiner Kleinen wird es anders.“
Dann dreht er sich um und geht, als hätte er mir nur ein schönes Wochenende gewünscht.
Melissa Je mehr Zeit in diesem Gespräch vergeht, desto tiefer lehne ich mich an die Innenwand des Haltestellenhäuschens. Als Leon schließlich abhaut, bin ich erleichtert.
Wahnsinn! Lukas hatte noch nie eine Freundin und damit also null Erfahrung mit Beziehungen! Genau wie ich! Aber wen meinte Leon mit „deiner Kleinen“?
„Hey Melli, ist das nicht dein Bus?“, reißt mich Helena plötzlich aus meinen Gedanken.
Ich stehe vor Schreck auf und sehe nur noch, wie meine Mitfahrgelegenheit in voller Geschwindigkeit an mir vorbeifährt, ohne die Absicht noch anzuhalten.
Mist! Und jetzt?
Der Stadtbus ist kurz vor ihm abgefahren. Mit Lukas und seinem Kumpel an Bord.
„Der nächste Stadtbus geht in 10 Minuten ...“, sagt Eva Maria.
„... Und der nächste Linienbus nach Eisenthal in zwei Stunden ...“, ergänze ich und seufze.
„Wir begleiten dich in die Stadt und gehen ein Eis essen. Da fährt dein Bus doch auch vorbei, oder?“, schlägt Helena vor.
Ich nicke.
Gesagt, getan. 10 Minuten später sind wir, mit Rädern unter den Füßen, auf dem Weg zur Eisdiele.
Dort angekommen, bestelle ich mir erstmal ein großes Eis mit drei Kugeln: meine Lieblingssorten Schokolade, Vanille und Haselnuss. Meiner Mutter habe ich telefonisch Bescheid gegeben, dass ich mich nach der Schule noch mit meinen Freundinnen treffe. Ich habe schwören müssen, dass ich den nächsten Bus nach Eisenthal nehme. Das hätte ich so oder so gemacht. Natürlich habe ich verschwiegen, dass ich wegen meines Schwarms den Bus verpasst habe.
„Also wenn ihr mich fragt, steht Lukas definitiv auf dich, Melli“, Helena schleckt an ihrer Eiskugel, nachdem sie ihre Meinung kundgetan hat.
Eva Maria nickt. „Das sehe ich ganz genauso. Ihr beide wirkt jedes Mal wie hypnotisiert, wenn ihr auch nur ansatzweise in der Nähe des anderen seid.“
„Ja, kann schon sein“, antworte ich nur. „Aber hey, wie ist das denn eigentlich bei euch? Seid ihr auch verliebt?“, ich versuche unauffällig, das Thema zu wechseln.
Helena grinst mich an. „Also doch! Du gibst es also zu!“
„Was?“
„Na, dass du verliebt bist!“, sagt Helena lachend.
„Ja, bis über beide Ohren“, antworte ich und lache.
Helena und Eva Maria lachen mit. Es ist ein ehrliches und liebevolles Lachen. Ich kann es immer noch kaum glauben, endlich Freundinnen gefunden zu haben.
„Ich hatte mal einen Freund, aber es ist aus zwischen uns“, sagt Helena plötzlich.
„Echt? Wen? Und warum?“, fragt Eva Maria neugierig nach.
„Na ja, nicht so wichtig. Er ist mir fremdgegangen und er ist es nicht wert, auch nur noch ein Wort über ihn zu wechseln.“
Helena war deutlich.
Eva Maria erzählt uns, dass sie einen Freund habe. Er heißt Fabian, studiert bereits und er sei ihre große Liebe. Mehr bekommen wir zunächst nicht aus ihr heraus. Insgeheim bin ich ein wenig eifersüchtig, aber ich freue mich natürlich für sie. Ich kann es kaum erwarten, selber einen Freund zu haben.
„Anderes Thema, seid ihr schon gespannt auf eure Praktikumsstelle?“, sagt Eva Maria plötzlich, nachdem sie uns ein Pärchenfoto gezeigt hat.
Kaum das Thema „Liebe“ abgehakt, ist sie wieder voll und ganz im Leben eines Strebers versunken. Helena und ich haben schon bemerkt, dass Eva Maria unglaublich gerne lernt und fleißig ist. Davon könnten wir uns definitiv eine Scheibe abschneiden.
Aber ihr Freund ist wirklich niedlich und sie sehen auf dem Bild sehr glücklich zusammen aus.
„Ja, ich bin schon sehr gespannt“, antworte ich auf die Frage zum Praktikum.
Meinen Freundinnen ergeht es nicht anders.
Nach einer Stunde und 30 Minuten Quatschen, machen sich beide auf den Heimweg und lassen mich an der Haltestelle neben der Eisdiele zurück.