Читать книгу Mordsschock! - Gaby Hoffmann - Страница 5
Kapitel 2
Оглавление„Wir hängen tierisch!“, kreischte Conny, eine der Grafikerinnen, mir entgegen.
Bevor ich sie leibhaftig sah, entdeckte ich die Spiegelbilder meiner Kollegen an den Glaswänden, die das Großraumbüro einrahmten. Die Psychologie hinter dieser architektonischen Lösung war logisch: Kein Hindernis schottete den freien Blick kreativer Menschen ab, wenn sie ihre Gedanken in die Weite schweifen ließen. Jetzt lümmelten sich diese Künstler alle zwischen Rechnern, Telefonen und Papierbergen auf den Chromtischen und warfen mir vorwurfsvolle Blicke zu, weil ich so spät kam.
Erstaunt über die ungewöhnliche Aufmerksamkeit an meiner Person, blickte ich fragend in die kreative Runde. „Müssen wir nicht heute das Titelbild produzieren?“
„Ach, wirklich?“, äffte mich Achim, ein anderer Grafiker, träge nach. „Nö, lass dir ruhig Zeit! Die Seite muss erst morgen in der Druckerei sein!“
Mir schwante Böses. „Ist Karina etwa noch krank?“
Die Leidensmienen um mich herum bedurften keiner Antwort. Karina war meine Vorgesetzte. Da unser Art-Direktor mit gebrochenem Bein im Krankenhaus lag, zeichnete sie momentan für die Produktion der Titelseite allein verantwortlich. In mir schrillte eine Alarmglocke, meine Körpertemperatur stieg an. Jetzt kam mein Part. Ein Trend musste her, aber subito!
Manchmal geht der Ehrgeiz mit mir durch. Hätte ich in die bewährte Kiste voller Titelgirl-Fotos gegriffen, wäre mein weiteres Leben anders verlaufen. Ich wollte mich aber mit etwas sensationell Neuem beweisen. Nachdem ich vergeblich meine beschränkten Hirnwindungen nach einer bahnbrechenden Idee durchgeknetet hatte, rief ich meine beste Freundin Lila an. Das Unheil nahm seinen Lauf.
„Geschirrhandtücher!“, riet sie.
„Ich will keine Küche einrichten, sondern die Titelseite eines Lifestylemagazins produzieren.“
„Na klar“, entgegnete sie ungeduldig. „Geschirrhandtücher lässig unter den Achselhöhlen verknotet – das kommt an! Megamäßig, sage ich dir.“
Ich stellte mir vor, wie Lila in diesem Moment Daumen und Zeigefinger ihrer rechten Hand in der Luft zu einem Kreis spreizte. Ihr Zeichen für eine nicht zu toppende Sache. Zu meiner Entschuldigung muss ich gestehen, dass ich damals ein bisschen skeptisch war. Aber Lilas Enthusiasmus überzeugte. Normalerweise besitzt meine Freundin eine exzellente Spürnase für Modetrends. Diesmal litt ihr Riechorgan jedoch an Verstopfung.
Eifrig buchte ich einen Fotografen und ein Model für das Titelshooting.
Wendy, das Model, schaute mich irritiert an, als ich sie mit einem Haufen karierter Geschirrhandtücher empfing. „Soll ich mir die etwa um den Bauch binden und hier spülen?“, nuschelte sie durch ihre kesse Zahnlücke.
„Nein, unter die Achselhöhlen!“, befahl ich freundlich, eine Dosis natürliche Autorität in der Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
Wendy hob artig ihre rasierten Achselhöhlen, und eine maulende Stylistin nestelte so lange mit einem der Handtücher an ihrem Waschbrettbody herum, bis die Kreation perfekt saß.
„Come on, work harder!“, feuerte der knipsende Fotograf Wendy an, die sich professionell im geknoteten Geschirrhandtuch mit fliegenden Blondhaaren drehte, wendete, hüpfte, auf den Boden warf, die Beine überkreuzte, in die Luft sprang.
Ich entschied mich für eine Aufnahme, auf der Wendy kniete und einen tiefen Einblick ins Geschirrhandtuch-Dekolleté gewährte. Gar nicht schlecht!, dachte ich stolz.
Dieses Hochgefühl verflog, als ich meine erste Coverproduktion in den Händen hielt. Ein winziges Schild war mir durch die Lappen gegangen. ‚100 Prozent Baumwolle. Waschbar bei 60 Grad‘ prangte unschuldig an Wendys Busen. Während ihrer wilden Verrenkungen musste das Etikett, das die Stylistin mühsam nach innen geklemmt hatte, wieder an die Oberfläche gerutscht sein. Dank der Vergrößerung war es nun deutlich sichtbar.
Meine Reue kam zu spät, der Titel war bereits gedruckt! Ich dachte an einen Last-Minute-Flug, der mich weit weg bringen würde – egal, wohin. Aber das Echo meiner Heldentat war schneller als jeder Überschalljet: Wichtige Inserenten stornierten ihre Anzeigen für die nächste Ausgabe. Ein Magazin mit einem so geschmacklosen Titel war kein geeignetes Werbeumfeld. Die wirtschaftlichen Konsequenzen lagen auf der Hand.
„Warum haben Sie ihr nicht gleich eine Wäscheklammer mit Gebrauchsanleitung in den Ausschnitt geklemmt?“, erkundigte sich unser Herausgeber sarkastisch.
„Sex sells!“, erwiderte ich mit schiefem Lächeln.
Das war zu viel! Der Boss setzte seine getönte CK ab! Ein Skandal! Solange es den Verlag gab, hatte er sich nie ohne diese Gläser gezeigt. Ich zuckte erschrocken zusammen. Froschaugen! Die liefen ihm jetzt über, das verlangte ein Opfer. Ich sprang über die Klinge!
Mühsam beherrscht, steckte ich das Schreiben mit meiner fristlosen Kündigung ein. Nur keine Tränen! Die Fernseher in den WC-Räumen waren das einzig Gute an dem Job, dachte ich trotzig. Mit meiner Coolness war es jedoch nicht weit her. Auf wackeligen Beinen, den Kragen meiner schwarzen Lederjacke so hochgezogen, wie es nur irgendwie ging, schlich ich verklemmt davon. Nur niemandem begegnen!
Edith, die 68er-Rockerbraut vom rotgepolsterten Samtthron im Empfang, rief mir ahnungslos ein lässiges „Bye“ hinterher.
Dann stand ich draußen. Über mir leuchtete die neonfarbene Lichtreklame ‚Hip – Szenemagazine‘.
Ich lief zum Fähranleger, warf mich auf eine eiskalte Bank und heulte dicke Tränen in die schlafende Alster.
Lila öffnete mir die Tür wider Erwarten nicht im geknoteten Geschirrhandtuch, sondern im blau gepunkteten Overall.
Mein Tränenfluss drohte, ihre winzige Wohnung unter Wasser zu setzen.
Sie knutschte mich, ließ meine wüsten Schimpftiraden geduldig über sich ergehen, wischte mir mit einem Taschentuch quer übers verheulte Gesicht und drängte mir irgendein selbstgemixtes Zeug auf. Es schmeckte nach faden Gummibärchen, zischte wie Feuer durch meinen Schlund und betäubte den Schmerz etwas.
„Du musst mir versprechen, alle Geschirrhandtücher, die du hast, zu verbrennen“, ächzte ich mit schwerer Zunge. Mein Magen rebellierte. Instinktiv bereitete ich mich auf einen schnellen Toilettengang vor.
Lila reichte mir einen Spiegel. „Guck mal!“
Ein rot-blau-schwarz-gestreiftes Antlitz mit geschwollenen Augenlidern starrte mich an. Reif für eine komische Zirkusnummer.
„Klasse, oder? Als ob dir einer mit einem Pinsel die Farbe exakt im Gittermuster aufgetragen hat.“
„Du witterst nicht etwa einen Trend“, fragte ich entsetzt und wischte eilig die traurigen Überreste meiner Schminke weg. „Nie mehr höre ich auf dich!“ Ich tobte wie ein dickköpfiges Kind und trampelte zur Bestätigung mit den Füßen auf ihre Kuhfellimitate, die als letzter Schrei überall in der Wohnung auslagen. Sie konkurrierten mit den gleichgemusterten Sesseln, an deren Lehnen Hörner baumelten.
Lila strich sich durch die raspelkurzen, blau getönten Haare und blies den schwarzen Lack ihrer Fingernägel trocken. „Ich kann nichts dafür, wenn dein Chef so out ist. Ich dachte, du arbeitest für ein Szene-Magazin?“
Ich drehte mein Glas zwischen den Fingern und ärgerte mich, dass ich Lila im Grunde nicht mal zum Sündenbock machen konnte. Wie ich es auch wendete – schuldig blieb ich! Mein Selbstmitleid verwandelte sich langsam in Selbstkritik. Und das ist das Schlimmste, was einem passieren kann!
„Ich weiß nicht, was ich machen soll! Ich brauche das Geld! Und Vic schmort weiter bei Sophie. Dabei fetzen die sich gegenseitig die Haare vom Kopf! Immer dreht sich alles nur um die Scheißkohle!“
Lila tat das einzige Vernünftige in dieser Situation: Sie schleifte mich ins Tabaluga, eine unserer Stammkneipen, wo wir mit Jenny, Julian und Hendrik mein Fiasko begossen.
Beim vierten Bier bekam Julian eine Erleuchtung, was bei ihm so gut wie nie passierte. Bedächtig legte er mir einen Arm um die Schulter und rückte minutenlang näher, räusperte sich, öffnete den Mund zum Sprechen, ließ die Zähne zur Probe ein paar Mal kreisen, rollte die Zunge dazwischen und hüstelte. „Also, weißte, hm … Ich glaube, ich hätte da eine Idee. Hm ...“
„Unfassbar!“, unterbrach ihn Lila ungeduldig.
Julian wandte sich Hendrik zu. „Du hast mir doch von deinem Cousin erzählt ...“
Jetzt mischte sich unser schicker Vorzeigeyuppie Hendrik ein: „Ja, das könnte was sein! Mein Cousin ist auch Redakteur. Er hat gerade gekündigt, weil er ins Ausland gehen will. Ruf mal in dem Verlag an, ob die Position frei ist!“
Ich zog einen Flunsch und zickte. „Das war sicher nicht gestern, sondern vor drei Wochen, und die Stelle ist längst wieder besetzt. Mit Papis Töchterlein oder so ähnlich!“
Lila kniff mich in den Arm. „Nun sei nicht so eklig! Du musst jede Chance nutzen!“
Damit hatte sie ohne Zweifel recht, wenn ich die Arbeitsmarktlage realistisch analysierte und an meine langjährige Praktikantenkarriere zurückdachte. „So ’ne abgelegte Secondhandstelle will ich nicht.“ Ich zündete mir eine neue Zigarette an, blies Julian den Rauch ins Gesicht, sodass sich seine spärlichen Blondhärchen weiter lüfteten und die süße Nickelbrille beschlug.
Hendrik beugte sich forsch in meine Richtung, verlor aber seine Spontaneität, da er Opfer meiner Rauchsäule wurde. „Ruf an! Lokalzeitung in Rosenhagen!“, bellte er hustend und fächelte meinen Qualm weg.
Ich fuhr von meinem Hocker hoch und hätte dabei um ein Haar den armen Julian mitgerissen. „Was? Rosenhagen? Was? Lokalzeitung? Lieber schlafe ich unter Brücken!“