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Kapitel 4

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Ich ging mit einem Sack voller Ermahnungen und Ratschlägen von Gundula im Gepäck. Einen wichtigen Tipp hatte sie mir verschwiegen: Nämlich eine lange Unterhose und einen dicken Wollpulli anzuziehen! Die Sitzung wurde in der Aula des hiesigen Gymnasiums abgehalten. Große Bäume und Büsche vor den Fenstern sorgten dafür, dass es hier das ganze Jahr über schattig blieb. Außerdem zog es aus undichten Ritzen wie an der Nordsee. Fröstelnd kauerte ich mich auf dem viel zu kleinen Holzstühlchen zusammen. So mancher Pennäler hatte sich verewigt. ‚Guschi ist ein Arsch, weil er ...‘, stand da zum Beispiel. Ich versuchte, während einer Rede des Bürgerworthalters, der so was wie der Boss der Stadtverordneten war, zu entziffern, warum Guschi ein Arsch war. Es gelang mir nicht.

Ich merkte schnell, dass die heutige Sitzung vor allem dazu diente, die Stadtabgeordneten zu feiern. Gemeinsam durch alle Fraktionen hindurch huldigte und lobte man sich, den Gottesanger aus den Klauen der Sekte befreit und nun der Vaterstadt mit ihren braven Bürgern zur Verfügung gestellt zu haben. Das Publikum, das aus jenen braven Bürgern bestand, jubelte seinen gewählten Vertretern zu. Klar, viele hofften auf ein schönes Grundstück!

Der Bürgermeister Horst Huber rollte wie eine Billardkugel, die von einem unsichtbaren Stoß getrieben wurde, zielsicher zum Rednerpult. Ein dunkler Anzug schmiegte sich als Wurstpelle um seine gedrungenen Figur. Wie eine Wassermelone thronte sein runder Kopf auf dem kurzen Hals. Das Vollponytoupet und der Schnauzbart ließen nur die kleinen braunen Augen frei, um die sich leichte Fältchen ringelten. Ich schätzte Huber auf fünfzig. Offensichtlich ein Mann, der gutes Essen liebte. Seine Bassstimme tönte vollmundig durch die Aula: „Der Bürgermeister selbst war hoch erfreut, als er die freudige Botschaft über das freudige Ereignis zugetragen bekam ...“ Er sprach tatsächlich von sich in der dritten Person! „Schlussendlich siegt immer das Gute – so ist es auch in diesem Fall! Ein jahrelanger Kampf, in dem wir Sozialdemokraten stets im Sinne von Aufrichtigkeit und Tugend gehandelt haben, ist beendet. Sie sehen hier die Sieger zum Wohle unserer Stadt ...“ In diesem Stil palaverte er geschlagene zwanzig Minuten weiter.

Hubers Gegner von der Opposition, Ludwig von Stetten, dürfte innerlich kochen. Er ließ sich nichts anmerken und beschrieb blumig die große gemeinsame Idee aller Fraktionen. Von Herbie wusste ich, dass dieser Ludwig von Stetten seit Jahren vergeblich versuchte, Bürgermeister zu werden. Er scheiterte jedes Mal an den Mehrheitsverhältnissen, die in Rosenhagen stets zuungunsten der Konservativen ausfielen. Repräsentativer wäre von Stetten: schlank, 1,80 Meter groß, blonde Locken, braun gebrannt, dunkelblauer, perfekt sitzender Anzug und mindestens zehn Jahre jünger als Huber. Ein frisches, sympathisches Gesicht mit humorvollen Augen, das die Wähler reihenweise in seinen Bann ziehen müsste.

Jetzt stand wieder einer von Hubers Partei auf, um in den allgemeinen Salmon einzustimmen. Die hagere Gestalt mit dem rötlichen Vollbart hatte ich schon einmal gesehen ... Während er redete, wanderte seine Hand Richtung Hosenschlitz, als überprüfe er, ob sein Stall ordnungsgemäß verschlossen war. Erschrocken stoppte er auf halber Höhe ab, weil ihm offensichtlich eben einfiel, dass er sich nicht vor den Augen des Publikums an den Schritt fassen durfte.

Meine Güte! Ein heftiger Schreck fuhr mir durch die Glieder. Der Stacheldrahtvermieter! Hatte Gundula nicht ständig „Herr Prange“ am Telefon gesäuselt? Daher kannte sie ihn also! Das Glück war mal wieder voll auf meiner Seite!

In der Pause wurde mir ungeahnte Aufmerksamkeit zuteil. Charmant begrüßte mich Ludwig von Stetten. Er machte einen angenehmen Eindruck, wirkte unkompliziert. Anscheinend war es für die hiesigen Politiker wichtig, jeden Journalisten persönlich zu kennen. Nachdem von Stetten auf elegante Weise – „Ich sehe da gerade Herrn Sowieso ...“ – unseren Smalltalk beendet hatte, stand der Nächste aus seinem Gefolge vor meinem Tisch.

„Ken Winter, ich bin der stellvertretende Fraktionsvorsitzende.“ Wieder so ein sonnenbankgebräunter Charming-Boy im konservativem Einheitsanzug, Anfang vierzig, jungenhafter Typ, braune Haare. Wenn er lächelte, bildete sich ein entzückendes Grübchen im Kinn. Er wirkte ein bisschen wie der Barbiepuppen-Mann – seinen für hiesige Verhältnisse extravaganten Vornamen trug er zu Recht! Ich sah lebhafte schwarze Punkte in seinen blauen Augen funkeln, weil sie sich mit meinen genau in einer Höhe befanden. Winter war ein kleiner Mann mit großer Ausstrahlung.

Er lachte mich vom ersten Moment so vertraulich an, dass ich das Gefühl hatte, wir würden uns seit Langem kennen. „Das ist ja für die Rosenhagener Presse eine attraktive Bereicherung. Ich freue mich.“ Worüber er sich freute, blieb offen, aber seine Gestik signalisierte großes Interesse. Nachdem bisher bei mir wenig glatt gelaufen war, schmeichelte es mir. Während der belanglosen Redeschwälle, die seine Kollegen auf dem Podium abfeuerten, lächelte er später ständig in meine Richtung und zwinkerte mir unauffällig zu. Ein Flirt mit einem konservativen Politiker in einer zugigen Schulaula war allerdings das Letzte, das ich erwartet hatte!

Einer von den Grünen schlurfte auf Holzlatschen zum Rednerpult. Als wandelnde Schlaftablette und in ein ausgeleiertes Sweatshirt in verwaschenen Regenbogenfarben sowie eine schlabberige lila Stoffhose gehüllt, faselte er langatmig in breiter Aussprache davon, dass man nun im Allgemeininteresse handle, wenn die Grundstücke ausgeschrieben würden. Endlich hätten auch Randgruppen und sozial Benachteiligte faire Chancen. Wieso, leuchtete mir zwar nicht ein, denn Geld musste ja bezahlt werden, aber Huber gab dem Öko nach einer Weile einen Wink, jetzt endlich das Maul zu halten. Die Grünen hatten wohl nicht viel zu melden. Wenn sie weiter mit Huber regieren wollten, mussten sie sich seinen Genossen unterordnen. Müde sank der Öko wieder auf seinen Stuhl, wo er verstohlen ein herzhaftes Gähnen unterdrückte.

In der abschließenden Einwohnerfragestunde erkundigten sich aufgeregte Bürger nach dem Bewerbungsprozedere. „Gleiche Chancen für alle Rosenhagener“, versicherte ihnen Huber ständig und erntete jedes Mal viel Applaus.

Als er sich zum fünften Mal gnädig lächelnd verbeugte, sprang eine Frau mit kurzen roten Haaren, Anorak und Jeans auf. „Warum müssen wir alles zubetonieren?“, kreischte sie schrill.

Huber und die anderen schauten sie verdutzt an. Mit Kritik hatten sie nicht gerechnet.

„Am Ufer der Tale sind Brut- und Nistplätze des Flussregenpfeifers und der Wasseramsel. Hier gibt es viele Kleinbiotope für Amphibien und Insekten. Wollen Sie diesen Lebewesen ihren letzten Lebensraum wegnehmen?“

„Wir möchten selbstverständlich die Natur erhalten. Es wird eine Zone am Uferrand der Tale ausgewiesen, die nicht bebaut werden darf. Sie können also ganz beruhigt sein, dass die Tiere nicht vertrieben werden.“ Huber sprach sanft, als könne er auf diese Weise die lästige Bürgerin zum Schweigen bringen.

„Ha!“, schrie die Frau. „Haben Sie das gehört? Das können Sie niemandem weismachen. Die Grundstücke werden bis zum Fluss runtergehen, dann machen die Besitzer dort, was sie wollen.“

War Huber ärgerlich, so hatte er sich so gut in der Gewalt, dass man es ihm nicht ansah. „Jeder erhält die Auflage, bis unten heran weder zu bauen noch etwas zu verändern, was der Natur schaden könnte.“

„Sobald da unten erst mal die vielen Leute herumtrampeln, gibt’s für die Tiere keine ruhige Minute mehr. Ich verlange die Ausweisung des Gottesangers zum Naturschutzgebiet! Mein Name ist Hanselmann. Sie werden von mir hören!“ Die militante Frau ließ sich nicht beschwichtigen.

Huber bekam Hilfe von anderer Seite. Mit lauten Buhrufen und Grummeln kommentierten die Bürger Frau Hanselmanns Forderung. „In der Kieskuhle ist genügend Platz für die Vögel!“, rief einer.

„Genau! Und wo bleiben wir Menschen?“, krakeelte ein anderer.

„Eben! Die Großstädter haben unsere Dörfer ringsum zugebaut. Jetzt sind wir Rosenhagener mal am Zug!“, ereiferte sich wieder einer.

Eine Glocke bimmelte, um die erregten Gemüter zu beruhigen. „Ruhe bitte!“, mahnte der Sitzungsvorsitzende.

Frau Hanselmann schlug eine Welle der Feindseligkeit entgegen. Sie stand auf verlorenem Posten. Offensichtlich waren die anderen Einwohner zu heiß auf die begehrten Grundstücke, um sich Gedanken über Naturschutz zu machen. Mit geballter Faust in Richtung Huber und Restpolitiker verließ sie wütend die Aula.

Ich beschloss, ihren kurzen Auftritt in meinem Artikel zu ignorieren, da es sich um eine einzelne Meinung handelte. Der Tenor einer Zeitung sollte die Stimme der Mehrheit sein, so viel war mir klar.

Ken Winter betrat das Podium. Forsch marschierte er zum Rednerpult. Minutenlang sagte er gar nichts, sondern starrte auf das aufgeregt murmelnde Publikum herab. Aber es reichte, dass er einfach nur dastand. Der Tumult, den Frau Hanselmann hinterlassen hatte, flaute ab. Die Leute verstummten. Gespannt schauten sie nach vorne, als erwarteten sie von Ken Winter neue Informationen. Die lieferte er nicht, er wiederholte die positiven Aspekte der Grundstücksbebauung seiner Vorredner. Trotzdem war es etwas anderes! Er stach alle mühelos aus. Endlich verstand ich die Bedeutung des Begriffs ‚Charisma‘. Es war die Art, wie er den Kopf hielt. So hoch, so stolz, als wollte er sagen: Was kostet die Welt? Ich kaufe sie! Oh, leichte Fältchen um Mund und Augen erzählten davon, dass sein Weg nicht immer einfach gewesen war, aber sie verliehen seinem Gesicht genau die richtige Prise von Seriosität. Lachfältchen, weil er versuchte, auch die leichten Seiten des Lebens mitzunehmen? Egal, so wie er den Rücken durchdrückte und dabei jeden Muskel seines Körpers anspannte, glaubte man ihm, über genügend Selbstdisziplin zu verfügen, um jegliche Probleme zu meistern. Und was für eine Stimme! Tiefe, Energie, Weichheit und Erotik klangen in jedem seiner Worte mit. Sie verselbstständigten sich zu Emotionen. Es prickelte. Seine Stimme füllte den Raum, schubste – ohne dass es sich rücksichtslos anfühlte – alle anderen menschlichen Laute weg. Niemand stellte eine Frage oder wagte gar einen Zwischenruf. Auf dem Inhalt lag kein Gewicht.

Ken Winter strahlte diese heitere Gelassenheit aus, die sich die meisten Menschen wünschen. Ob sie angeboren war oder ob er hart dafür trainiert hatte? Seine Augen funkelten, signalisierten Wachheit, was die anderen Politiker abgestumpft erscheinen ließ. Die Hände setzte er beim Reden sparsam ein, nur um ein Anliegen zu nuancieren. Als bildliche Pointe des Gesagten. Ganz anders Huber, der die ganze Zeit wie wild mit den Händen fuchtelte, bis gar nichts mehr wichtig wirkte – er wedelte seine Worte selbst weg. Oder der Grüne, dessen Arme schlaff wie ein welkes Bund Suppenkraut an den Seiten herunterhingen.

In regelmäßigen Abständen huschte ein verschmitzter, lausbübischer Ausdruck über Ken Winters Gesicht, dann lockerte er seine Rede mit einer Anekdote auf. Das Publikum lachte, wenn er es wünschte. Krauste er ernst die Stirn und sprach mahnend, blickten sie ihn betroffen an. Er spielte mit ihren Gefühlen wie ein Zauberer. Ohne dass auf dem Podium Kaninchen aus dem Hut hüpften oder weiße Elefanten durch brennende Reifen sprangen, hingen alle in der Aula an seinen Lippen. Mit Siegerlächeln verließ Ken Winter das Podium. Jeder, der irgendwelche Zweifel an der Bebauung des Gottesangers gehegt hatte oder die Kritik der Hanselmann teilte, war bekehrt!

Nach der Sitzung suchte ein dritter Mann meine Bekanntschaft. Er gehörte ebenfalls zu den Konservativen, war aber jünger als von Stetten und Winter. Eher in meinem Alter. Er verneigte sich leicht. „Meine Verehrung. Wie angenehm, Sie kennenzulernen! Ich heiße Matthias Ehrhardt und freue mich auf eine prospektive Zusammenarbeit.“ Was um Himmels willen meinte er damit? Er sprach langsam, betonte jede Silbe, wählte seine Worte sorgfältig aus – wenn mir der Sinn auch manchmal schleierhaft blieb. Seine Stimme besaß einen angenehmen melodischen Klang – sicher verfügte er über Musikalität. Zuvorkommend holte er mir einen Kaffee, den eine der weiblichen Abgeordneten aus Thermoskannen ausschenkte.

Ehrhardt ging ein wenig vornübergebeugt, als blase ihm eine unsichtbare Windböe hinten ins Genick und er wolle ihr rasch entfliehen. Mit dem Plastikbecher in der Hand verbeugte er sich wieder so höflich vor mir, dass ich mir einbildete, wir befänden uns auf einem adeligen Landsitz und er würde mir eine Tasse Mokka aus Hutschenreuther-Porzellan kredenzen. Vorsichtig blinzelte ich in die Runde, um zu erkunden, ob ich mich in der zugigen Aula aufhielt oder mittlerweile in der Kulisse eines Kitschfilmes aus dem vorigen Jahrhundert. Nur der Handkuss fehlte. Zwar gewöhnungsbedürftig, aber mir gefiel diese Kavaliers- und Gentlemantour auch im 21. Jahrhundert.

Ehrhardt, einen Kopf größer als ich und etwas pummelig, drehte öfter den Kopf in Richtung rechte Schulter. Er besaß offensichtlich nicht wie seine Parteikollegen ein Dauerabo fürs Sonnenstudio. Seine Haut schimmerte normal mitteleuropäisch blass für diese Jahreszeit. Die dunkelblonden Haare trug er zu einem exakten Seitenscheitel aus dem Gesicht gekämmt. Augen, Nase und Mund saßen in perfektem Abstand und Größe zueinander, als hätte Ehrhardt sie extra so hingetrimmt und vor seiner Geburt ein Mustergesicht bestellt. Nur seine zu fülligen Wangen erinnerten ein bisschen an Hamsterbäckchen – gerade das verlieh ihm aber Pep. Perfekte Menschen mit perfekten Manieren sind langweilig.

Sobald ich unbewusst im Gespräch Blickkontakt suchte, senkte er rasch die Augenlider oder fixierte schräg an mir vorbei einen unsichtbaren Punkt an der Wand. Schüchternheit fand ich niedlich. Männliche Verlegenheit erhöht die eigene weibliche Attraktivität! Sie stachelt meine Fantasie an – welche Frau träumt nicht von einem Verehrer, der ihr Gedichte schreibt, weil er zu schüchtern ist, seine Gefühle in Worte zu fassen?

Ehrhardts Verbeugung zum Abschied fiel tiefer aus als die vorangegangenen. „Ich hoffe, Sie demnächst einmal zum Essen einladen zu dürfen. Vielleicht interessiert Sie das ein oder andere Thema für einen Artikel.“

Das klang vielversprechend. Gute Geschichten brauchte ich!

Als ich auf dem Parkplatz in Gedanken bereits bei meinem Text über den Gottesanger weilte, holte mich Ken Winter ein und drückte mir seine Visitenkarte in die Hand. „Wir geben am Wochenende eine kleine interfraktionelle Party bei mir zu Hause. Es wäre nett, wenn Sie auch kämen." Er strahlte. Das runde Grübchen bohrte sich in sein Kinn.

Seine grünen Augen funkelten. Er fixierte mich, stellte die schwarzen Nackenhaare auf, machte einen Buckel und fauchte, weil ich ihn mit einem Besenstiel von der schwarzen Ledercouch verjagte. In der Mitte prangte ein kreisrundes Loch, aus dem die Füllung quoll. Oscars Tageswerk, während ich bei der Arbeit gewesen war. Die Kratzspuren an der Wand und die Blumenerde auf dem hellen Teppich nicht mitgerechnet! Ich fluchte. Die Möbel gehörten mir nicht. Ich hatte die kleine Einzimmerwohnung mit Kochnische, kombiniertem Wohn- und Schlafbereich sowie einem winzigen Badezimmer möbliert gemietet. Den Schaden würde ich ersetzen müssen. Verdammter Kater!

Miauend schlich er zum Kühlschrank und kratzte dort. Bevor er mehr anrichtete, öffnete ich eine Dose Katzenfutter und stellte sie vor ihn hin.

Ich pfefferte meine Stiefel unter den gläsernen Couchtisch, zog den kurzen Rock aus und ließ ihn auf dem Teppich liegen. Dann fischte ich ein Paar dicke Socken neben dem Telefon weg und suchte meine Jogginghose. Sie hing verkehrt herum in einem Buchregal der kackbraunen Schrankwand – echtes Gelsenkirchener Barock. Ächzend warf ich mich auf das Sofa, wo ich auf der Stelle am Leder festklebte. Jetzt ein schönes Wannenbad, das wär‘s – aber leider gab es nur eine winzige Dusche im Bad.

Ein schrilles Klingeln schreckte mich hoch. Das Telefon. Schlagartig vergaß ich Oscars Taten. Es war Vic, meine geliebte kleine Schwester.

„He, Kleine, wie geht’s?“

„Nina, kann ich zu dir kommen?“

„Am Wochenende oder in den Ferien ...“

„Ich will weg!“ Ihre Stimme klang energisch. Ich stellte mir vor, wie sie zur Bekräftigung aufstampfte oder trotzig ihre Baseballkappe auf den Boden feuerte.

„Aber du hast es so gut bei Sophie und Thilo.“

„Thilo ist nie da, und Sophie will mich loswerden.“ Es schmatzte in der Leitung – Vics unvermeidlicher Kaugummi.

„Aber Vic, das stimmt nicht.“ Ganz sicher war ich mir nicht, denn Sophie kam mit Vics wildem Temperament und ihrer Eigenschaft, ständig etwas anzustellen, nicht zurecht. Und mein gutmütiger Schwager Thilo befand sich tatsächlich dauernd auf Geschäftsreisen. Währenddessen flogen dann zwischen meinen beiden Schwestern die Fetzen. „Habt ihr euch wieder gestritten?“

„Ich nicht, nur Sophie.“ Typische Logik von Vic. „Sie hat gesagt, ich würde sie in die Klapsmühle bringen. Von uns beiden sei hier eine zu viel. Habe schon gecheckt, wie sie das meint. Nur, weil ich nicht alt genug bin, um Thilo zu heiraten, bin ich es, die gehen soll.“

Ich unterdrückte einen heimlichen Lacher. Vic hatte in ihrer altklugen Art manchmal einen komischen Hang zur Dramatik. „Was war denn los?“

„Ach, nichts Besonderes. Sie ist ausgerastet, weil ich den Küchenboden nicht gefeudelt habe.“ Zu Sophies Erziehungsmethoden gehörte es, Vic regelmäßig Arbeiten im Haushalt zu übertragen. Sie meinte damit, das Temperament unserer kleinen Schwester zu zügeln.

„Und?“

„Dann ist sie ausgerastet, weil ich den Boden gefeudelt habe.“

„Wie bitte?“

„Jaaa.“ Vic klang genervt. „Ich habe keine Lappen genommen.“

„Sondern?“

„Überm Küchenstuhl hing so’n Teil. Das war schön breit, weich und lang auch. Damit konnte man gut den Boden wischen. Der glänzte hinterher echt toll. Aber diese blöde Kuh hat ihn überhaupt nicht angesehen, die hatte nur ihren komischen Schal im Kopf. Hat rumgebrüllt, ich hätte ihren teuren Paaschiena – oder wie das Ding heißt – versaut.“

Ich biss mir auf die Zähne, um ernst zu bleiben. Ich stellte mir vor, wie Vic mit Sophies kostbarem Pashminaschal den Fußboden feudelte.

Es gelang mir schließlich, meine aufgebrachte kleine Schwester zu besänftigen. Wenn Vic sich ungerecht behandelt fühlte, war das nicht einfach. Zumal ich mir nichts mehr wünschte, als sie tatsächlich zu mir holen zu können. Ich beschloss, ein Sparbuch für sie anzulegen – war selbst gerührt von dem Gedanken.

„Tschüss Kleine, schlaf gut! Du kommst mich bald besuchen.“ Dann fiel mir etwas ein. „Frage Sophie, ob sie einen Teil meiner Erbschaft haben will! Er hat vier Beine und faucht!“

Mordsschock!

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