Читать книгу Die Geschichte von KISS - Gene Simmons - Страница 10
Оглавление5: Nichts zu verlieren
Am 30. Januar 1973 traten KISS zum allerersten Mal auf, und zwar im Coventry, einem zwielichtigen Club in Flushing, Stadtteil Queens, New York.
PAUL SUB (BESITZER DES COVENTRY): Das Coventry öffnete in den frühen Siebzigern. Es lag an der Ecke Queens Boulevard und 47th Street in Queens.
PAUL STANLEY: Es war ursprünglich ein Versammlungsraum der Freimaurer oder der polnischen Veteranen.
PAUL SUB: Der Club hieß zuerst Popcorn Pub und wurde dann nach der englischen Stadt Coventry umbenannt.
PAUL STANLEY: Als wir dort spielten, hieß der Club noch Popcorn, und sie versuchten gerade ihr Image zu ändern. Wir verliehen dem Club eine gewisse New-York-Credibility, die dazu führte, dass auch andere Bands sich trauten, herüberzukommen und dort zu spielen. Nachdem sich einiges über KISS herumgesprochen hatte, kam hauptsächlich ein sehr Hardrock-orientiertes Klientel in den Club. Erst Jahre später fand ich heraus, dass der lange Typ mit der Brille, der uns von weit hinten zusah, Joey Ramone war.
JOEY RAMONE (LEADSÄNGER, RAMONES): Ich war bei ihrer allerersten Show im Coventry dabei. Dort wurden sie auch von Casablanca Records unter Vertrag genommen. KISS und die Ramones sind beide in Queens groß geworden.
MARKY RAMONE (SCHLAGZEUGER, RAMONES): Wir hingen alle in denselben Clubs ab – in Max’s Kansas City oder im Coventry. Wir mochten alle dieselbe Musik – frühes Spector-Zeug, Beatles und The Who. Ihre Musik war geradliniger Rock. Man musste kein am Konservatorium geschulter Musiker sein, um sie zu mögen. Sie hatten einen echt guten Gesangsstil, den sie sehr gut einsetzten.
JOEY RAMONE: Zu diesem Zeitpunkt waren sie die lauteste Band, die ich jemals gehört hatte. Mir gefiel viel von ihrem Zeug. Sie machten Spaß und hatten tolle Songs. Ich sah sie live, als sie gerade anfingen. Sie hatten sich Trockeneis besorgt. Gene hatte einen Totenschädel und gekreuzte Knochen auf seinem Shirt. Das war noch lange bevor sie ihr Image und ihre Show beisammen hatten.
TOMMY RAMONE: Ich sah KISS im Coventry, und es war eine großartige Show. Ich wusste nicht, was ich zu erwarten hatte, aber es war richtig, richtig gut. Mich beeindruckte ihr starker und einzigartiger Sound und wie professionell sie waren. Sie hatten ihre eigenen schnörkellosen, soliden, kurzen und schnellen Songstrukturen, alles sehr kompakt. Ich fand nicht, dass sie wie irgendwer sonst klangen, abgesehen von Slade vielleicht. Slade war einer ihrer Einflüsse, den die Ramones – bis zu einem gewissen Grad – mit ihnen teilten.
ACE FREHLEY: Das Coventry war eine lustige Bude. Damals spielten alle Bands aus der New Yorker Szene in dem Laden – Bands wie die New York Dolls, The Brats und Teenage Lust traten dort auf. Es ging auch ums Sehen und Gesehen-werden, darum, sich mit anderen Musikern auszutauschen. Und natürlich darum, Mädchen kennenzulernen.
JOEY CRISCUOLA: Die Band arbeitete hart daran, ihre Show zu promoten. Sie beklebten ganz Brooklyn, Queens und Manhattan mit Plakaten. Es war eine angesagte Location für ein Konzert. KISS waren stolz darauf, im Coventry zu spielen, weil viele angesagte Bands dort auftraten.
RIK FOX: Alle großen New Yorker Bands kamen über die Queensboro-Bridge, um im Coventry zu spielen. Dieser Club war das Sprungbrett für die aufkeimende New Yorker Szene. Ich war noch in der Highschool und minderjährig, aber ich schaffte es, mir einen gefälschten Ausweis zu besorgen. Als ich reinging, kam ich mir vor, als wäre ich in einem großen Spielzeugladen und hätte die Taschen voller Geld [lacht]. Ich fand eine Welt vor, mit der ich mich identifizieren konnte.
HAROLD C. BLACK (TEENAGE LUST): Das Coventry war einem Club in New York City ähnlicher, als man es in Queens vermutet hätte. Wenn du dir eine Band ansehen wolltest, die deine Eltern furchtbar fanden, dann musstest du ins Coventry.
PAUL SUB: Es war ein großer Club – circa 450 Quadratmeter – und es hatten dort gut 700 Leute Platz. Jeder trat dort auf: KISS, die New York Dolls, die Ramones, Blondie, Sam & Dave, die Dictators und Elephant’s Memory spielten im Coventry. Ich buchte dort zehn Bands die Woche, sowohl lokale Gruppen als auch Bands von außerhalb. Aerosmith waren die Einzigen, die wir ablehnten, weil wir keine 300 Dollar zahlen wollten [lacht]. Die New York Dolls hielten das Coventry am Laufen, sie spielten einmal im Monat, und dann tauchten 700 Leute auf. Sie hatten die meisten Anhänger. Die Dolls halfen mir wirklich dabei, die Miete bezahlen zu können. Alle anderen Bands – von KISS bis hin zu den Ramones – zogen nicht so viele Leute an.
STAN MIESES (AUTOR, NEW YORK DAILY NEWS): 1973 waren die einzigen Clubs, die es außerhalb von Manhattan gab, die langsam aufkeimenden Discos. Das Disco-Phänomen stand noch ganz am Anfang, und zwar in einem Club namens Le Jardin. Das war noch vor dem Studio 54. In den einzelnen Stadtteilen dämmerte die Ära von Saturday Night Fever langsam herauf. Es gab jedenfalls nicht viele Rock-Clubs außerhalb von Manhattan. Das Coventry war so ähnlich wie Kenny’s Castaways in der Bleecker Street im Village. Es sah so aus, als wäre es ein großer Irish Pub gewesen.
JIMI LALUMIA (AUTOR, WORDS & MUSIC): Das Coventry war ein echter Nexus für Rock ’n’ Roll, weil einfach kein Haken an der Sache war. Das Max’s Kansas City stand mit der Warhol-Entourage und der ganzen Glitter/Glam-Rockszene rund um die Dolls und Wayne County in Verbindung. Das Mercer Arts Center in Downtown Manhattan war nicht direkt auf Rock ’n’ Roll hin orientiert, es war ein Kulturzentrum, das sich für Rock ’n’ Roll zur Verfügung stellte, nachdem alle ihre vorangegangen Versuche fehlgeschlagen waren. Das Coventry hingegen nahm jeder als diesen erdigen Rock-Club wahr. Es bot den passenden Rahmen für Rock ’n’ Roll – die perfekte Location für das erste KISS-Konzert.
GENE SIMMONS: Der Club lag in einem trostlosen Industriegebiet. In der Höhe von zwei Stockwerken oberhalb des Gebäudes verlief eine U-Bahnlinie, und als wir spielten, rauschte ein Zug vorbei. Der war ganz schön laut. Die Besitzer waren Kerle, die „ungefähr so redeten“ [imitiert „harte Jungs“].
JOEY CRISCUOLA: Das Coventry hatte schon bessere Zeiten erlebt. Es hat ziemlich gestunken.
SHAYNE HARRIS (SCHLAGZEUGER, LUGER): Das Coventry befand sich in einer irisch und deutsch geprägten Umgebung, drum herum waren lauter Restaurants und Cafés. Die U-Bahn führte direkt daran vorbei – den ganzen Queens Boulevard entlang. Man konnte von dort direkt zum Time Square fahren.
MARK POLOTT (KONZERTBESUCHER, COVENTRY): Die Fassade schmückte ein unauffälliges Schild mit alten englischen Buchstaben. Du hast dein Auto unter der Hochbahntrasse geparkt und bist in den Club spaziert.
ANDY DOBACK (KONZERTBESUCHER, COVENTRY): Üblicherweise kostete der Eintritt zwei oder drei Dollar. Man musste mindestens zwei Getränke konsumieren. Ein Bier kostete einen Dollar. Es gab eine große Jukebox, gefüllt mit allen aktuellen Hits und der Single einer lokalen Band, den Harlots of 42nd Street.
PAUL SUB: Wenn du reinkamst, war die Bar auf der rechten Seite. Ein ganz normaler Gastro-Bereich mit Tischen und Stühlen sowie einer großen Tanzfläche. Im Keller gab es eine Garderobe, in der sich die Bands umzogen.
KEITH WEST (THE BRATS): Es kam zu vielen sexuellen Ausschweifungen im Keller des Coventry. In der Garderobe hingen wir alle ab – die Girls, die Drogen, alles fand da unten statt. All diese heißen Schnecken wurden zwischen den Bands herumgereicht. Du liefst einem Kerl über den Weg, der mit einem Mädchen da war, und sagtest zu ihm: „Hey, mit der hab’ ich schon gevögelt.“ Und die anderen in der Band dachten sich dasselbe [lacht].
RICK RIVETS (THE BRATS): Es war ein viel größerer Club als das CBGB’s oder Max’s, und es hatte eine tolle Akustik. Die Bühne war nicht sehr hoch und die Decke echt niedrig. Wenn man seine Gitarre in die Höhe hob, berührte man mühelos die Decke.
EDDIE SOLAN: Der Club hatte Bühnen auf zwei entgegengesetzten Enden des Raums. So konnte eine Band aufbauen, während die andere gerade spielte. Wenn die eine Band dann ihr Set beendet hatte, konnte die andere sofort loslegen. KISS waren sehr laut, aber nicht ohrenbetäubend. Wir versuchten immer, so laut wie eben nötig zu sein. Über die Anlage hörte man hauptsächlich Gesang und Schlagzeug. Wir versuchten, das Ganze mit den Amps auszupegeln, also war es nicht besonders lärmig. Andere Bands waren dagegen reinster Krach, sodass man ihre Songs gar nicht mehr als solche wahrnehmen konnte. Wir hatten eine kleine Crew, außer mir nur Joey Criscuola – Peters Bruder – und Bobby McAdams. Aber jeder half mit. Paul fuhr den Truck eines Brotlieferanten, der vollgepackt war mit der Ausrüstung der Band [lacht]. Er war randvoll bis unter das Dach.
PETER „MOOSE“ ORECKINTO (ROADIE, PYROTECHNIKER, SOUND-MIXER): Das Coventry war ein typischer, heruntergekommener Laden im Stile des CBGB’s. Es gab keine Anlage, und es hatte einen Besitzer, dem alles egal war – alles, was ihn interessierte, war, seinen verwässerten Alkohol unter die Leute zu bringen.
BILL AUCOIN (MANAGER VON KISS): Es war so etwas wie das finsterste Verlies unter den Rock-Clubs. Es war echt völlig abgefuckt, aber man hatte seine Freiheiten, konnte so laut spielen, wie man wollte.
BINKY PHILIPS: Das Coventry war eine wahre Müllhalde. Das CBGB’s war auch eine, aber mit sehr viel Charakter. Sobald du dort hineingestolpert bist, wusstest du, dass es echt einzigartig war. Es war so daneben, dass es schon wieder passte. Das Coventry hingegen bestand aus zwei Räumen, die schwarz angemalt waren. Es bestand kein Zweifel, dass den Leuten, die den Club betrieben, der Rock ’n’ Roll scheißegal war. Ebenso offensichtlich war, dass die Mafia hier mit von der Partie war. Ob du deine eigenen Songs oder Covers zum Besten gabst, interessierte keine Sau. Die Booking-Politik war so lasch, du bekamst so viele Scheißbands serviert. Es war klar, dass es dort niemanden auch nur einen Furz interessierte. Der Club diente nur zur Geldwäsche.
MARK POLOTT: Der Vibe im Coventry rockte. Es fühlte sich wie Manhattan an. Viele Leute dort waren in denselben Cliquen, die man auch im Max’s Kansas City traf. Es kamen auch viele hübsche Girls, die wiederum die ganzen Rocker anzogen. Es war die Location in Queens, wo man hinging, um zu sehen und um gesehen zu werden. Damals kannte jeder jeden. Die Dolls schafften den Durchbruch und eröffneten den Bands, die nach ihnen kamen, viele Möglichkeiten.
KEITH WEST: Als KISS anfingen, gab es eine kleine Glitter-Szene in New York und ungefähr zehn Bands, die populär waren – die Dolls, die Brats, Eric Emerson & The Magic Tramps, Teenage Lust, Harlots of 42nd Street, Ruby & The Rednecks, die Planets, Luger und Street Punk. Jede Band der New Yorker Glitter-Szene hatte ihre eigenen Gimmicks. KISS trugen diese Kabuki-Schminke, Jayne County war transsexuell, die Dolls liefen herum wie Transvestiten und die Brats standen auf Bands wie die Faces. Alle fuhren auf Glam- und Glitterpop wie The Sweet, David Bowie, T. Rex, Mott the Hoople oder die Raspberries ab. Aber es war Bowie, der die Szene anführte.
HAROLD C. BLACK: Es gab definitiv eine musikalische Rivalität zwischen den lokalen New Yorker Bands. Sie rivalisierten auch wegen diverser Frauen – wer riss sich wen auf und wer war bei wem der Erste?!
MARK POLOTT: KISS hoben sich von den anderen Bands ab. Sie hatten ein gewisses Charisma. In vielerlei Hinsicht gehörten sie gar nicht zur Szene. Sie kultivierten ihren eigenen mysteriösen Vibe. So viele Typen in Bands, die ich kannte, kamen aus Queens. Da waren Paul und Gene von KISS, da gab es die Ramones, Johnny Thunders von den Dolls, Ricky Byrd, der bei Joan Jett & the Blackhearts spielte, die Brats, Murder Inc., Rags und Street Punk.
Angetrieben von ihrem Hunger nach dem großen Erfolg waren die Mitglieder von KISS fest entschlossen, alles zu tun, um ihre Band von Anfang an zu promoten.
PETER CRISS: Ich stand früh auf, um in Brooklyn diese Flyer für unsere Konzerte aufzuhängen. Ace machte dasselbe in der Bronx. Gene hatte einen Bürojob. Er schrieb eine Kurzbeschreibung der Band und konnte für uns Sachen drucken. Wir alle hatten unsere Ressourcen. Es war großartig.
PAUL STANLEY: Abends hängten wir Flyer und Plakate auf, die unsere Gigs bewarben, was insofern interessant ist, als das später zur Norm für Bands wurde.
GENE SIMMONS: Paul kümmerte sich um das Artwork unserer Konzert-Anzeigen, die in der Village Voice abgedruckt wurden.
PAUL STANLEY: Auf einem unserer frühen Flyer war ein nacktes Mädchen abgebildet. Ich wusste, wenn irgendetwas die Aufmerksamkeit auf sich zieht, dann ein nacktes Mädchen. Sex hat sich immer schon gut verkauft, egal ob es um Rock ’n’ Roll oder um Zahnpasta ging. Die Chancen stehen einfach besser für dich, wenn du ein Bild von einem Nackedei in petto hast [lacht]. Ich zeichnete pubertierende Nymphen. Es war lustig, weil die Village Voice – dieses progressive Blatt – mich dazu zwang, dem nackten Girl einen Badeanzug zu verpassen. Und beim zweiten Mal wurde es nachbearbeitet. Es gab ein Plakat, das ich für eine Show im Hotel Diplomat – zusammen mit Street Punk und Luger – machte, und ich entwarf Logos für die beiden anderen Bands, weil ich wollte, dass unsere Konzertposter gut aussahen [lacht].
GENE SIMMONS: Ich war immer das Arschloch, das sich den Hörer griff, um Leute zu nerven, damit wir bekamen, was wir wollten. Auf dem Weg in die City fuhr ich an diesem Club in Queens vorbei. Ich rief den Club an, ließ den Manager kommen und tat dann das, was ich mein ganzes Leben lang gemacht habe: verkaufen. Ich sagte zu ihm: „Wir sind die Band Wicked Lester, und Sie sollten uns buchen, weil wir großartig sind.“ Er buchte uns für drei Tage unter der Woche, wenn sich niemand dorthin verirren würde. Das Geld, das wir einnahmen, deckte gerade mal unsere Kosten für den Truck. Wir hießen damals noch nicht KISS. Am ersten Abend dort änderten wir ihn in KISS. Ace zückte einen Marker und schrieb den Namen auf das Plakat. Wir kamen auf den Namen KISS, als wir eines Tages im Auto saßen.
PAUL STANLEY: Ich fuhr mit Gene und Peter in meinem Plymouth Fury auf dem Long Island Expressway aus der Stadt. Während der Fahrt redeten wir uns über einen Bandnamen die Köpfe heiß.
GENE SIMMONS: Ich schlug „Crimson Harpoon“ und „Fuck“ vor. „Fuck“ hielt ich für genial. Der Name der ersten Platte könnte dann You sein und die zweite könnte It heißen. Die Leute im Publikum würden dann „Fuck, fuck, fuck!“ schreien. Es ist der ultimative Bandname.
PAUL STANLEY: Mir fiel KISS ein. Wenn etwas passt, dann weiß man es. Ich konnte nur den Atem anhalten und zu mir sagen: „Ich hoffe, die Jungs sind so schlau und stellen ihre Egos hintan, denn das ist der passende Name.“
GENE SIMMONS: Sobald ich den Namen hörte, sagte ich: „Das ist es.“ Es machte sofort „klick“ bei mir.
PAUL STANLEY: Es war eine immense Erleichterung für mich, als alle zustimmten, nachdem ich KISS vorgeschlagen hatte.
GENE SIMMONS: Wir diskutierten darüber. Der Name konnte für einen Todeskuss stehen. Es ist auch romantisch und sexy und irgendwie britisch.
PAUL STANLEY: Ich kam auf KISS, weil es wie ein Name klingt, der jedem vertraut ist. Und er ist so universell. Egal wo, jeder kennt das Wort. Sogar damals dachten wir schon international. KISS strahlte von Anfang an eine Magie aus, die wunderbar und stark war. Es gab ultimative Momente in unserer Karriere, und das war definitiv einer davon. Darüber lässt sich nicht streiten. Und nicht nur, weil es mein Vorschlag war, sondern weil der Name einfach passte.
Nachdem man sich auf einen Namen geeinigt hatte, ging es darum, ein einprägsames Logo zu kreieren, welches das Wesen der Gruppe optisch transportieren sollte.
ACE FREHLEY: Ich war schon immer ein Zeichner. Als ich 16 war, sagte mein Vertrauenslehrer zu mir: „Du gehörst nicht in diese Schule. Du solltest eine Kunstschule besuchen, wo dein Talent gefördert wird.“ Meine Stärke sind Logos. Ich entwarf das KISS-Logo in circa drei Minuten. Meine besten Arbeiten sind auch meine schnellsten. Ich zeichnete das KISS-Logo mit einem Filzstift, und Paul verfeinerte es dann mit Tusche. Er hatte immer schon die ruhigeren Hände.
PAUL STANLEY: Ace hatte die Grundidee für das Logo. Ich hielt es für eine tolle Idee, aber für noch nicht ganz ausgereift. Sie in das zu verwandeln, was es schließlich wurde, war mein Beitrag. Ich bastelte mithilfe eines Lineals am Kaffeetisch meiner Eltern daran. Ich verwandelte es in eine Art Auto-Emblem und verfeinerte es für ein Plakat, das einen Auftritt im Hotel Diplomat ankündigte. Wenn man sich die beiden ‚S‘ ansieht, dann fällt auf, dass sie nicht identisch und nicht komplett parallel sind, weil ich sie praktisch freihändig zeichnete. Als wir unseren ersten Plattendeal in der Tasche hatten, rief uns die Grafikabteilung des Labels an und fragte, ob wir wollten, dass sie das korrigieren. Aber es hatte uns bis dahin auch so gute Dienste geleistet. Deswegen behielten wir es bei. Und das ist bis heute unser Logo.
Im Laufe des ersten Jahres durchlief das Make-up der Band eine stete Entwicklung. Paul, Gene, Ace und Peter experimentierten mit ihrem Look und verfeinerten ihn von Gig zu Gig.
GENE SIMMONS: Wir hatten eine Fotosession für Wicked Lester. Ein Freund von Ace schoss ein Foto im Treppenhaus unseres Lofts. Auf diesen frühen Fotos trugen wir noch keine KISS-Schminke. Wir sahen aus wie abgehalfterte Drag-Queens, machten einen auf New York Dolls. Wir mussten uns erst noch auf das Make-up einlassen, obwohl wir eine primitivere Version schon als Trio ausprobiert hatten. Auf dem Foto sieht es aus, als ob ich silberne Haare hätte, aber das war nur ein grauer Farbspray. Wir wussten noch nicht, wer wir waren, aber musikalisch waren wir gut drauf. Auf dem Foto sehen wir wie eine New Yorker Glitter-Band aus. Jeder zog dieses androgyne, schmollmündige Ding, dieses „Sieh mich an, ich bin weder schwul noch hetero“, durch. Als wir dann unseren ersten Auftritt im Coventry hatten, beschlossen wir, uns in KISS umzubenennen. Wir bliesen dieses Foto zu einem ein Meter hohen Plakat auf, und das hing dann in einem Fenster des Clubs.
PETER CRISS: Wir sahen wie vier Typen in Drag-Klamotten aus. Gene sieht aus wie eine Transe, Paul erinnert an eine Hure, und Ace sieht aus wie Shirley MacLaine [lacht]. Wir zogen ihn ständig damit auf.
BOBBY MCADAMS: Zu dieser Zeit trugen Alice Cooper, David Bowie und die Dolls Make-up, aber es war mehr so ein transiges Make-up. Und in ihren Anfangstagen trugen auch KISS so eine Transen-Schminke – tonnenweise roten Lippenstift und Rouge.
PAUL SUB: Die New York Dolls waren eine Drag-Band, die sich schminkte. Als KISS schließlich mit Schminke im Gesicht und Kostümen aufkreuzten, war es für mich nicht sehr überraschend. Aber ihr Look war gänzlich anders als der der Dolls.
GENE SIMMONS: Ich hatte eine unausgegorene Version meines Make-ups für die Show im Coventry aufgelegt. Ich schmierte mir die weiße Farbe ins Gesicht, band meine Haare hoch, trug aber noch keinen schwarzen Lippenstift auf. Das war mein erster Entwurf. Ace hatte diese kleinen explodierenden Gesichtszeichnungen, aber noch keine weiße Grundierung. Paul verzichtete gänzlich auf Schminke, und Peter trug nur Rouge und roten Lippenstift. Ab unserem zweiten Gig trugen wir so eine Art Prototyp des KISS-Make-ups und entwickelten ein Gespür dafür, wer wir sein würden.
ACE FREHLEY: Am ersten Abend im Coventry malte ich mir mit silberner Farbe das Gesicht an. Vor unserem zweiten Gig dachte ich mir: „Das ist langweilig, ich muss mir was Fantasievolleres einfallen lassen.“ Und dann malte ich mir Sterne um meine Augen herum.
PAUL STANLEY: Das Make-up war praktisch immer dasselbe, aber was ich um meine Augen herum zeichnete, veränderte sich fortlaufend.
ACE FREHLEY: Die Leute wissen gar nicht, dass ich Pauls Make-up entworfen habe.
PAUL STANLEY: Ace fiel der Stern ein, und es passte zu mir, weil ich schon als Kind immer gerne Sterne gezeichnet hatte.
GENE SIMMONS: Als wir anfingen, Make-up aufzutragen, trug Paul zwei Sterne – einen um jedes Auge herum. Ich dachte mir, dass es dem viel zu ähnlich war, was Ace im Gesicht trug. Als wir dann zum ersten Mal im Daisy auftraten, ließ Paul einen Stern weg. Ich fragte ihn: „Wo ist der andere Stern hin?“ Und er antwortete: „Ich bin zu faul. Ich will keinen weiteren Stern.“ Mein Schmink-Design war eine Mischung aus Batman und Phantom der Oper. Ich war inspiriert von einem bestimmten Bild von Lon Chaney Sr. als Phantom, das ich im Magazin Famous Monsters of Filmland gesehen hatte, in dem der Schatten richtig hart auf ihn fiel und ihm etwas von einer Fledermaus verlieh. Während der ersten Show im Coventry fielen mir die Haare ins Gesicht und blieben an meiner Schminke haften. Deshalb band ich sie mir nach oben, damit ich freie Sicht behielt. Alle dachten, das wäre eine Anspielung auf Kabuki. Stimmt aber nicht.
PETER CRISS: Wir gingen in uns und wurden dann eben zu diesen Charakteren. Wir wussten, dass Gene schon immer auf Monster abfuhr. Paul war ein echter Rockstar, Ace war definitiv von einem anderen Planeten, und ich war halt eine Katze. Ich bin ein emotionaler Typ, eine unabhängige Person und ein Einzelgänger – in der einen Minute bin ich liebevoll und schmiege mich an dich, in der nächsten kratze ich dir die Augen aus. Wenn Katzen etwas von dir wollen, kommen sie zu dir, damit du sie streichelst. Wenn sie ihre Ruhe haben wollen, kratzen sie dich. Gene sagte: „Shit, du hättest dir keinen passenderen Charakter aussuchen können.“ Ich habe die Einstellung eines Löwen, einer großen Katze – daher kam meine Idee für mein Make-up.
Anzeige in einer Lokalzeitung mit der Ankündigung des ersten KISS-Gigs im Coventry, Queens Mit freundlicher Genehmigung von Brad Estra
Ace, Paul, Gene, und Peter posieren auf der Treppe zu ihrem Loft in der 23rd Street, New York City KISS Catalog Ltd.
Frühes Promofoto von KISS, geschossen auf der Treppe zu ihrem Loft in der 23rd Street, New York City Ken Sharp Collection