Читать книгу Die Geschichte von KISS - Gene Simmons - Страница 8
Оглавление3: Irgendwo in Manhattan
Paul und Gene ließen Wicked Lester hinter sich und arbeiteten an Ideen für eine Gruppe, die die Power von Slade, Humble Pie und The Who zusammen mit den Theatereffekten von Alice Cooper, David Bowie und The Crazy World of Arthur Brown unter einen Hut bringen sollte. Schlagzeuger Peter Criss gab zur gleichen Zeit eine Anzeige im Rolling Stone auf („Erfahrener Rock & Roll-Schlagzeuger sucht Band für softe & harte Musik“), die in der Ausgabe vom 31. August 1972 abgedruckt wurde. Paul und Gene meldeten sich bei ihm; fortan gehörte er zum Grundstock der geplanten Band.
1972 war Criss ein Schlagzeuger auf der Suche nach einer Band. Seine Gruppe Chelsea, die 1970 ein Album auf Decca herausgebracht hatte, hatte sich aufgelöst, und nun kam er gerade mal so über die Runden, indem er in ein paar unbedeutenden Bands in den Kaschemmen rund um NYC auftrat. Dann, mitten in einer Party, die er und seine Frau Lydia gaben, klingelte das Telefon.
PETER CRISS: Gene rief mich an, während eine wilde Party bei mir im Gange war. Wir tranken Mateus-Wein, der damals ziemlich angesagt war. Auf dem Flaschenetikett war eine Katze abgebildet. Gene legte gleich richtig los.
GENE SIMMONS: Ich sagte: „Hi, ich bin Gene Klein. Wir stellen eine Band zusammen, die so wie die englischen Sachen klingen soll.“ Ich begann ihm Fragen zu stellen, und er wiederholte alles laut für die Leute auf seiner Party: „Trägst du einen Bart? Bist du fett? Siehst du gut aus?“
PETER CRISS: „Bin ich gut gekleidet? Habe ich lange Haare?“
GENE SIMMONS: Er hatte diese Rock-’n’-Roll-Arroganz, die mir gefiel, weil du die brauchst, wenn ein sehr steiniger Weg vor dir liegt. Zu dieser Zeit wussten wir schon, dass das Image genau so wichtig war wie die Musik.
PETER CRISS: Und das Coole war, dass ich die neuesten Klamotten aus Samt und Seide im Schrank hatte, da ich gerade aus den Flitterwochen in England und Spanien zurück war. Also fuhr ich mit meinem Bruder Joey runter ins Electric. Ich trug eines meiner coolsten Outfits, goldene Satinhosen und türkisfarbene Stiefel. Ich sah aus, als wäre ich der Bruder von Hendrix. Und dann ging ich an diesen beiden Typen vorbei, die gegen ein Auto lehnten. Sie trugen Mod-Shirts. Ich schenkte ihnen keine Beachtung, sondern ging rein und fragte nach Gene Simmons und Paul Stanley. Als Antwort bekam ich, dass sie draußen stünden. Ich sah aus dem Fenster und dachte mir: „Nein, das können sie nicht sein. Diese Kerle fragen mich, ob ich stylishe Sachen trage?“ Sie sahen ja selbst aus wie Penner [lacht].
PAUL STANLEY: Peter fragte uns, ob wir in der King’s Lounge in Brooklyn vorbeikommen wollten, um eine Band zu sehen, bei der er mitspielte. Er verströmte diesen Vibe, als ob er im Madison Square Garden auftreten würde und nicht in diesem Schuppen in Brooklyn.
PETER CRISS: Wir trafen uns in ihrem Loft, um es mal zu probieren. Als ich bei ihnen eintrudelte, standen da die Drums von jemand anderem. [Sie gehörten Tony Zarrella von Wicked Lester.] Nun, jeder Schlagzeuger weiß, dass man nicht besonders gut auf den Drums von jemand anderem spielt, da es eine sehr persönliche Sache ist. Wenn irgendetwas ein paar Zentimeter abweicht, kann das für einen Schlagzeuger den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Egal, ich spielte jedenfalls lausig, und das zog uns alle runter, weil wir wollten, dass es funktionierte. Ich schlug also vor, es noch einmal mit meinem Schlagzeug zu versuchen – und das war entscheidend. Wir spielten toll.
PAUL STANLEY: Als Peter bei uns vorspielte, war ich nicht wirklich überzeugt. Wir ließen ihn immer wieder kommen, weil er zweifellos etwas hatte. Aber es war kein Selbstläufer. Ich bin mir nicht sicher, ob Peter in puncto Style von Anfang an das war, was wir suchten. Aber mit der Zeit passten wir unsere Songs und unseren Sound ein bisschen an Peter an.
GENE SIMMONS: Er war locker und ein bisschen ungeschliffen, wie zum Beispiel Charlie Watts von den Stones. Peter spielte nicht wie andere Rock-Schlagzeuger. Es erinnerte fast ein bisschen an Big-Band-Swing, aber irgendwie funktionierte es.
PETER CRISS: Ich stand schon immer auf Phil Spector, die Ronettes, frühe Stones, frühes Motown-Zeug wie Marvin Gaye, die Four Tops und andere. Wir waren ein Schmelztiegel von Einflüssen, und so ergab sich etwas, das nicht nur aus einer Richtung kam und abgekupfert klang. Manchmal hört man bei uns Einsprengsel von vielen verschiedenen Stilen, die vor uns kamen. Heute ist es extrem schwer, originell zu sein – vielleicht sogar unmöglich. Man kann nur darauf hoffen, dass man die richtigen Einflüsse kombiniert.
GENE SIMMONS: Als die Beatles populär wurden, war ihre Musik ein Hybrid aus Motown und Chuck Berry, aber sie schüttelten alles gut durch und machten es zu ihrem eigenen Ding. Auch wenn unsere Sachen wie ein Abklatsch von allem aus England und Amerika erscheinen mochten, was uns gefiel, so kam es doch aus unseren Mündern, und wir hatten es uns überlegt. Also war es doch wieder entschieden anders. Wenn man Platten der Beatles hört, so sprühen sie nur so vor Leben. Während englische Bands wie Jethro Tull oder Genesis sich von den Grundlagen des Rock ’n’ Roll verabschiedeten und Black Sabbath sich der Dunkelheit zuwandten, beschlossen wir, uns auf die Sachen zu konzentrieren, die Rock so großartig machten. Für uns waren das aufmunternde, optimistische Aspekte, ein Gefühl in der Art von „Du und ich gegen die Welt“.
ROBERT DUNCAN (CHEFREDAKTEUR BEI CREEM, AUTOR VON KISS, DEM ERSTEN BUCH ÜBER DIE BAND): Little Richard war der Vorfahre von jedem, der jemals „glam“ war. Auch Elvis war nie komplett „macho“. Wenn man sich ihn ansieht – er war definitiv ein femininer Mann. Die Grenzen zwischen den Geschlechtern verschwammen. Alice Cooper verfolgte dieselbe Strategie. In vielerlei Hinsicht war er der Haupteinfluss auf den Look und den Sound von KISS.
Im Herbst 1972 probten Gene, Paul und Peter als Trio, feilten an ihren Fähigkeiten und arbeiteten an unausgereiften Songs in einem heruntergekommenen Loft nahe dem Flatiron Building in der 23rd Street, über einer Bar namens Live Bait. Sie hatten den Namen Wicked Lester noch nicht endgültig verworfen.
GENE SIMMONS: Es wimmelte nur so von Kakerlaken. Es war eine Bruchbude ohne Fenster. Sie kostete 200 Mäuse im Monat, was damals viel Geld war.
PAUL STANLEY: Unser Loft war ein kleiner Raum im dritten Stock. Wir hängten Eierkartons an die Wände, um den Krach zu absorbieren, aber das half nichts. Wir probten unablässig, weil wir nicht wollten, dass die Leute erst sagten: „Oh, sind die schrecklich“, um dann später festzustellen: „Oh, sie sind besser geworden.“ Wir wollten ein gewisses Niveau erreichen, bevor wir uns vor ein zahlendes Publikum stellten. Zu diesem Zeitpunkt waren wir immer noch dabei, das, was wir machten, zu perfektionieren.
RIK FOX (EIN FRÜHER KISS-FAN): Ich bin Teil eines sehr elitären Kreises, der die Entwicklung von KISS tatsächlich von Anfang an verfolgte. Damals ging ich mit Peter Criss’ Schwester Joanne. Ich sah die Band als Dreiergespann im Loft proben. Man konnte die magische Saat beim Aufgehen beobachten. Damals war der Song „Stuck in the Middle with You“ von Stealers Wheel gerade sehr angesagt im Radio. Immer wieder und ohne Vorwarnung begann Paul eine Zeile aus dem Song zu singen: „Clowns to the left of me“, und Gene antwortete: „Jokers to the right“, und dann sangen beide zusammen den Refrain: „Here I am, stuck in the middle with you“. Sie nahmen sich populäre Songs zur Brust und übten ihre Harmonien damit. Ich erinnere mich auch, dass der Name „Jack Bruce“ auf der SVT-Bassbox geschrieben stand.
GENE SIMMONS: Ich kaufte mir eine Bassbox, die mal Jack Bruce von Cream gehört hatte. Sie war ein Symbol dafür, dass es einen Weg auf den Olymp gab, dass der Gipfel nicht unerreichbar war. Ursprünglich wollten wir ein Power-Trio wie The Who oder die Jimi Hendrix Experience sein. Als Trio spielten wir viele Monate lang immer und immer wieder unsere Songs. Wir schrieben viel, probten aber auch andere Sachen wie „Go Now“ von Moody Blues. Wir spielten als Trio für Don Ellis [den stellvertretenden Direktor, für A&R verantwortlich] von Epic Records vor. Wir wollten unser neues Ding präsentieren.
TOM WERMAN (ASSISTENT DES A&R-CHEFS, EPIC RECORDS): Ich begleitete Don Ellis. Nachdem ich schon mit Wicked Lester gearbeitet hatte, waren KISS ein echter Schock, aber ich liebte sie. Ihre Performance war sehr frisch, stark und vital. Ich mochte ihre Theatereffekte. Sie trugen nur weiße Schminke ohne ausgearbeitete Details. Am Ende ihres Sets schüttete Paul uns einen Kübel voll Konfetti entgegen. Für einen Sekundenbruchteil dachten wir, es wäre Wasser, aber zum Glück war es nur Konfetti [lacht]. Es war ein fantastisches Finale. Leider war Don total unbeeindruckt. Ich erinnere mich, dass wir auf die Straße runter gingen und Don fragte: „Was zum Teufel war das eben?“ [lacht] Gar nicht abwertend, sondern einfach verwirrt. Er sagte, dass er es nicht verstünde, aber dasselbe sagte er auch über Lynyrd Skynyrd. „Tolle Band, aber keine Songs.“ Er war ein feiner Kerl, aber er hatte keine Ahnung von Rock ’n’ Roll.
GENE SIMMONS: Unnötig hinzuzufügen, dass Epic absagte.
PAUL STANLEY: Bevor Ace bei uns einstieg, feierten wir Thanksgiving mit Sandwiches und tranken Sherry, um uns warmzuhalten. Es entsprach dem romantischen, idealisierten Bild des hungerleidenden Künstlers. Ich sah es jedenfalls so. Vielleicht halfen mir diese Erinnerungen, durch ein paar der härteren Zeiten zu kommen.
LYDIA CRISS: Sie probten ein paar Monate im Loft, bevor sie auf Ace trafen.
GENE SIMMONS: Ich habe keine Ahnung, warum wir ein Quartett wurden, außer dass die Songs, die wir schrieben, nach einer zweiten Gitarre für Harmonien und Gegenakkorde verlangten.
PAUL STANLEY: Ich wollte kein Leadgitarrist sein. Darin lag zu viel Verantwortung, und ich wollte keine Kompromisse in Bezug auf meine Performance eingehen. Ich wollte mir nicht die Last aufhalsen, Solos schreiben zu müssen. Ich war nicht fähig zu liefern, was ich von einer Leadgitarre erwarte. Also gaben wir eine Anzeige in die Village Voice. [Der Wortlaut dieser Anzeige, die am 14. Dezember erschien: „LEADGITARRIST GESUCHT, Ausstrahlung und Können Voraussetzung. Album kommt bald. Bitte keine Zeitverschwender.“]
BOB KULICK (FREUND UND GITARRIST): Die Village Voice war schon immer das geeignete Medium, um Musiker-Jobs in New York und Umgebung auszuschreiben.
BOBBY MCADAMS (FREUND VON ACE FREHLEY): Ich war Aces bester Freund, seit ich 15 war. Eines Tages im Dezember 1972 brachte ich die Village Voice mit zu Ace – er lebte damals bei seinen Eltern – und vergaß sie dort. Er sah die Anzeige, in der nach einem Gitarristen mit Bühnenpräsenz gesucht wurde.
PETER CRISS: Wir haben wahrscheinlich so an die sechzig Typen vorspielen lassen.
PAUL STANLEY: Es war wirklich eine Freakshow. Wir hatten nonstop Typen da. Jedes erdenkliche Aussehen und Alter war vertreten.
TOM PECK (LEADGITARRIST, DER SICH BEI KISS BEWARB): Ich meldete mich, nachdem ich die Anzeige in der Village Voice gelesen hatte. Damals nahm ich Jazz-Stunden und hörte Procol Harum. Ich kam mit meiner Gibson SG Les Paul und einem alten Marshall-Verstärker, und ich trug meine Schlechtwetter-Montur. Ich erinnere mich an ein paar höhnische Kommentare zu meinem Aussehen, weil es so gar nicht nach Rock ’n’ Roll aussah [lacht], aber mir ging es einfach darum, nicht zu frieren. Zuerst spielten sie mir einen Song vor, nur Gene, Paul und Peter. Dann stieg ich ein und spielte ein Solo. Mein Amp gab den Geist auf. Mir war das so peinlich [lacht]. Ich verhaute das Vorspielen und ruinierte den Verstärker! Sonderlich gut spielte ich nicht. Sie sagten mir, dass ich nicht zu ihnen passen würde, waren dabei aber sehr diplomatisch. Ehrlich gesagt, war mir ihre direkte offene Antwort nicht unrecht. Die meisten Bands sagen, dass sie sich bei dir melden. Und dann hörst du nie wieder von ihnen. Lustig war, dass ich ungefähr ein Jahr später als Roadie für Isis arbeitete, die als Vorgruppe für KISS im Coventry waren. Ich war sehr beeindruckt, wie sehr ihr neuer Gitarrist ihren Sound vorangebracht hatte.
GENE SIMMONS: Da kam ein Kerl, ein Flamenco-Gitarrist, der hatte seine Akustikgitarre dabei und trug einen Poncho. Er spielte Flamenco-Stücke vor, und seine Frau, die er im Schlepptau hatte, schmolz dahin, während er spielte.
PAUL STANLEY: Ein anderer Typ kam rein und behauptete, er wäre ein großer Rockstar in Italien. Er war schrecklich. Er trug diese großen Liebesperlen auf seiner Nehru-Jacke. Er sprach kein Englisch, und seine Frau dolmetschte für ihn. Seine Gitarre stimmte er erst gar nicht. Die meisten Leute, die vorbeikamen, passten einfach nicht. Es kommen immer Leute, die keine Ahnung haben, wer sie eigentlich sind. Ein Typ rief an, der sagte, dass er zwar erst seit zwei Monaten spielte, aber schon fantastisch wäre. Das ist schon mal unmöglich. Aber er war hartnäckig, und so was ist dann schon wieder interessant genug, um es sich mal näher anzusehen. Also kam er zu uns, stöpselte seine Gitarre ein, und nachdem er gespielt hatte, fragte er: „Und, wie war ich?“ Und ich antwortete: „Als ob du erst vor zwei Monaten angefangen hättest zu spielen.“ [lacht] Aber es kamen auch ein paar Jungs, die ziemlich gut waren. Wir einigten uns sogar auf einen, aber nachdem wir ihm erklärt hatten, dass er bei uns Make-up auflegen müsste, wollte er nicht mehr kommen.
ACE FREHLEY: Meine Mom fuhr mich zum Vorspielen. Wir transportierten meinen 50-Watt-Marshall-Amp von der Bronx aus im großen Cadillac meiner Familie. Ich war von so einem Rauschgefühl befallen, dass ich versehentlich einen orangen und einen roten Sneaker anzog. Bevor ich zu ihnen raufging, kippte ich schnell zwei Dosen Bier, um locker zu werden. Als ich eintrat, waren da Bob Kulick, der Bruder von Bruce – echt schräg, wenn ich jetzt darüber nachdenke [Bobs Bruder Bruce stieg 1984 bei KISS als Leadgitarrist ein].
BOB KULICK: Ich kreuzte in diesem dunklen, schmuddeligen Loft auf, um vorzuspielen. Sie hörten sich an, als ob sie es ernst meinten. Sie nannten auch Led Zeppelin als Einfluss, was mich aufhorchen ließ. Als riesiger Zeppelin-Fan wusste ich, dass dieser Job etwas für mich wäre. Ich spielte mit der Band und ich fand, dass es echt gut klappte. Ich merkte, dass sie sich dachten: „Wow, der Typ hat echt was drauf.“
GENE SIMMONS: Bob war den anderen Typen, die zum Vorspielen kamen, haushoch überlegen. Er war derjenige, den wir wollten.
BOB KULICK: Die Musik ging in die Richtung, die ich mir vorstellte. So wie ich kamen sie aus Brooklyn und Queens, und sie mochten auch dieselbe Musik wie ich: Cream, Hendrix, The Who und Led Zeppelin. Nach meiner Probe zeigte mir Gene einige Polaroids, die mir die Ideen für das Make-up näherbringen sollten. Er fragte mich, was ich davon halten würde. Ich entgegnete: „Ich weiß nicht, ob das so wichtig ist wie die Musik.“ Gene meinte: „Das wird ein echt cooler Gimmick.“ Worauf ich antwortete: „Wenn man echt gut ist, wozu dann ein Gimmick?“ Da ich mit englischen Bands wie Hookfoot und Long John Baldry gearbeitet hatte, kannte ich natürlich auch die ganzen Glam-Acts, die Make-up trugen, David Bowie und T. Rex etwa, aber ich war einfach ein unglaublicher Esel [lacht] und interessierte mich nur für ihre Musik. Sie fragten, ob ich dabei wäre, und ich erklärte, dass ich für alles offen war. Ungefähr nach der Hälfte meines Vorspielens kam ein Typ zur Tür herein. Das war Ace Frehley, der gleich nach mir dran war.
BOBBY MCADAMS: Ace kam rein, stolperte und fiel hin. Er war ein echter Tollpatsch. Sie hielten ihn für einen Freak. Er sah ja auch echt eigen aus. Er ist ein halber Indianer und halb Deutscher. Das steckt hinter seinem Aussehen.
ACE FREHLEY: Ich saß in der hinteren Ecke des Raums, um Bob genügend Platz zu lassen. Nach ein paar Minuten zog ich meine Firebird Reverse mit einem Tonabnehmer aus der Tasche und begann mich warmzuspielen. Plötzlich kam Gene zu mir rüber und sagte, dass ich die Gitarre weglegen solle.
GENE SIMMONS: Bob spielte vor, aber Ace bekam das gar nicht mit. Er machte Lärm, sprach mit lauter Stimme und lachte. Nachdem Bob mit einem der Songs fertig war, drehte ich mich um und fragte: „Kannst du verdammt noch mal leise sein und diesen Typen hier vorspielen lassen und warten, bis du dran bist?“ Ich hielt ihn für ein Arschloch und konnte ihn nicht leiden.
ACE FREHLEY: Er sagte, ich wäre unhöflich und würde Bob nervös machen. Ich verstehe das bis heute nicht. Es war ein Vorspielen – was war da schon dabei? Ich war noch gar nicht an den Amp angeschlossen. Egal, nachdem Bob weg war, war ich an der Reihe. Sie befahlen mir gut aufzupassen, denn sie wollten, dass ich gleich mitspielen könne.
GENE SIMMONS: Wir sagten: „Wir spielen dir die erste Strophe und den ersten Refrain vor, und dann, wenn das Solo kommt, steigst du ein.“
ACE FREHLEY: Zum Glück spielten sie „Deuce“, das zu einem meiner liebsten KISS-Songs werden sollte. Als ich es mir angehört hatte, steckte ich meine Gitarre an und ließ es krachen. Lautstärke auf 11.
GENE SIMMONS: Sobald er anfing zu spielen, sahen Paul und ich uns an. Sobald er das Solo spielte. Wir hatten endlich den richtigen Sound gefunden.
PAUL STANLEY: Ace gehörte in die Band. Er war das fehlende Puzzlestück, der Missing Link.
GENE SIMMONS: Er hatte eine gefährliche Unbeständigkeit an sich, aber er war auch ein ausgezeichneter Musiker.
ACE FREHLEY: Wir jammten noch ein paar andere Songs, und schließlich sagten sie: „Uns gefällt sehr, wie du spielst. Wir rufen dich an.“
PETER CRISS: Gene und Paul hatten ihre Zweifel. Andererseits waren wir eine so unorthodoxe Band, dass ich mir gleich dachte: „Der perfekte Typ für die Band.“
BOBBY MCADAMS: Es brauchte eine Weile, bis sie mit diesem komischen Kauz warm wurden.
PAUL STANLEY: Es ist weithin bekannt, dass Ace ein einzigartiges Individuum ist. Eine Persönlichkeit wie ihn waren wir überhaupt nicht gewohnt. Er war absolut individuell, und es war schwer, ihn zu begreifen. Aber als er sich einklinkte, fühlte sich alles richtig an. Es war ein entscheidender Moment. Musikalisch war es eine sehr kompatible, aber auch sehr explosive Mixtur.
ACE FREHLEY: Obwohl sie mich an diesem Tag nicht fragten, ob ich einsteigen würde, war ich mir sicher, dass sie das tun würden. Ich kam zwei Wochen später noch einmal, und die Sache war geritzt. Ich kam von der Probe heim und erzählte meinen Eltern: „Jetzt habe ich wohl eine gute Band gefunden. Ich glaube, das ist die richtige.“ Ich hatte das Gefühl, dass das die lange erwartete Chance war. Und das war sie auch.
PAUL STANLEY: Klanglich brachten wir mit den ersten paar Songs, die wir gemeinsam spielten, den Boden unter unseren Füßen zum Beben. Ich sagte ihnen, dass wir mit diesem Sound die Welt erobern würden.
ACE FREHLEY: Ich hatte immer schon das Gefühl, dass ich etwas Besonderes an mir hatte. Ich sagte oft zu meiner Freundin, dass ich ein berühmter Millionär werden würde. Ich erzählte das auch meinen Eltern, als ich noch die Highschool in der Bronx besuchte. Für gewöhnlich lachten sie dann über mich. Jeder tat das. Sogar meine Freunde. Als die dann Musik so im Stil der Grateful Dead spielten, fragte ich sie: „Meint ihr, dass ihr groß herauskommen werdet, wenn ihr nur die Grateful Dead kopiert?“ Ich sagte: „Wenn ihr es im Rock-Business schaffen wollt, dann müsst ihr etwas Spektakuläres liefern.“ Was mich anpisste, war, dass die Anzeige in der Village Voice groß getönt hatte: „Band mit Plattenvertrag sucht Gitarristen.“ Nun, es stellte sich heraus, dass es keinen Plattenvertrag gab. Aber ich fühlte, dass es die Jungs genauso ernst nahmen wie ich, eine theatralische Rockband aus dem Boden zu stampfen. Und ich mochte die Musik. Wir probten pausenlos. Sechs Tage die Woche.
JOHN ALTYN (KISS-FAN): 1973 war ich fünfzehn und ging mit Donna, der Schwester von Peter Criss. Ich erinnere mich an meinen ersten Trip ins Loft. Donna, Peters Schwester Joanne, Rik [Fox], ich – und Peter am Steuer. Wir fuhren über die Williamsburg Bridge nach Manhattan. Ich war vorher noch nie bei einer Bandprobe dabei gewesen und wusste nicht, was mich erwarten würde. Im Loft war es kalt und zugig. Die Treppen waren steil, und wir kletterten in den ersten Stock, wo wir eine schwere Fabriktür aufstießen. Die Wände waren weiß gestrichen, aber eine dicke Schicht aus Staub und Schmutz ließ sie sehr alt erscheinen. Der Boden war mit staubigem, altem Parkett belegt, so wie in alten Nähfabriken. Im Loft selber gab es einen großen Heizkörper, aber der war über Nacht ausgeschaltet, und so war es echt kalt dort. Ich wurde allen vorgestellt und sie nickten uns kurz zu. Dann konzentrierten sie sich wieder auf ihre Musik. Ich saß auf einem Stuhl direkt neben Aces Marshall-Verstärker. An der Wand war nichts, das den Sound hätte absorbieren können, außer ein paar Eierkartons, die vibrierten und auch schon mal abfielen, weil die Jungs so laut waren [lacht]. Ihre Songs beeindruckten mich. Sie hatten einen raffinierten, ungeschliffenen Sound, anders als die anderen Bands dieser Zeit. Es war kein Pop, aber trotzdem sehr eingängig. Es war kein Metal, aber es war heavy. Wir sahen KISS immer wieder zu, und ich wurde mit ihren Songs immer vertrauter. Aber anders als die anderen war ich auch mit einem kritischen Ohr bei der Sache, wippte nicht im Rhythmus oder tanzte herum. Ich glaube, dass meine stoische Haltung Paul und Gene den Nerv tötete. Tatsächlich fragte mich Paul einmal mit Verachtung in der Stimme: „Gefällt es dir etwa nicht?“ Ich antwortete: „Ich höre nur genau zu.“ Im Verlauf der Monate freundeten wir uns an, und ich brachte gelegentlich ein Sixpack Budweiser vorbei. Jedes Mal, wenn ich was zum Trinken mitbrachte, schnorrte mich Ace unweigerlich mit seiner schrillen Stimme um ein Bier an: „Hey John, kann ich ein Bier haben?“ Natürlich wiederholte sich diese Nachfrage noch mehrere Male im Verlauf der Nacht, und am Ende war er es, der die meisten meiner Biere getrunken hat [lacht]. Aber so war Ace eben.
ZU BESUCH IM LOFT
Der Gitarrist und große The-Who-Fan Binky Philips, ein Schulfreund von Paul Stanley, war ein talentierter Songwriter, dessen New Yorker Band (The Planets) 1973 zusammen mit KISS auftrat.
BINKY PHILIPS (GITARRIST, THE PLANETS): Paul und ich gingen beide auf die Fiorello La Guardia High School of Music & Art. Ich war im dritten Jahr, er in der Abschlussklasse. Nachdem wir die Schule abgeschlossen hatten, riefen wir uns alle paar Monate an, um uns nach den Bands zu erkundigen, in der der jeweils andere gerade spielte, oder um über Gitarren zu quatschen. Wir wurden schließlich mehr als bloße Bekannte, nämlich Freunde, als wir im Frühling 1972 vor der Academy of Music auf ein Jeff-Beck-Konzert warteten. Ich war da, um mir das Konzert um zwanzig Uhr anzuschauen, wusste aber nicht, dass Paul auch dort sein würde. Er sah mich und grüßte: „Hey Binky, was liegt an?“ Er hatte diesen Typen dabei, der wie ein Riese wirkte – und ich hatte schon Schuhe mit Plateausohlen an. Also muss Gene echt hohe Absätze gehabt haben [lacht]. Paul stellte ihn vor: „Oh, Binky, das ist der Bassist von Wicked Lester, meiner Band.“ Er drehte sich zu Gene: „Das ist der Typ mit dem Hiwatt-Amp, von dem ich dir erzählt habe.“
Ich kann es nicht in Worte fassen, wie außergewöhnlich dieser Amp war. Ich hatte buchstäblich den einzigen Hiwatt-Amp im ganzen Land. Sie waren ja nur in England erhältlich. Ich marschierte in Manny’s Music Store auf der 48th Street, und da stand dieser Hiwatt. Es war der gleiche Verstärker, den Townshend auf den letzten vier Touren von The Who verwendet hatte, und niemand konnte einen beschaffen. Er war eine Art Heiliger Gral. Manny erzählte mir, dass Blodwyn Pig ihn vor etwa einer Stunde abgeliefert hatten, also tauschte ich ihn gegen meinen Verstärker, einen Fender Twin Reverb. Ich war nun im Besitz dieses unglaublich raren, prestigeträchtigen Amps. Während eines meiner Telefonate mit Paul musste ich das erwähnt haben: „Du wirst es nicht glauben: Ich habe einen Hiwatt!“ Egal, als ich Gene zum ersten Mal traf und Paul mich als den Typen mit dem Hiwatt vorstellte, veränderte sich sein gesamter Auftritt. Gene war so großspurig und selbstbewusst, wie er es heute noch ist. Was wir gemein hatten: Wir alle drei strebten mit absoluter Hingabe nach dem Durchbruch. In einer Rockband zu spielen war für uns kein Hobby. Es ging nicht darum, Girls aufzureißen. Es ging darum, was wir tun mussten.
Das Schicksal hatte uns diesen Weg gewiesen. Wenig später unterhielten Paul und ich uns mal wieder, und er teilte mir mit, dass Wicked Lester Geschichte wären. Er und Gene würden eine neue Band gründen. Sie hatten auch bereits einen Schlagzeuger. Und ich berichtete ihm von meiner Band, The Planets. Irgendwann gegen Ende 1972 rief er mich wieder an: „Hör zu, wir haben jetzt einen Leadgitarristen. Unsere Besetzung ist vollzählig. Mich würde echt interessieren, was du davon hältst.“ Also schnappte ich mir Andy Post, den Bassisten der Planets – er war auch auf derselben Highschool gewesen und kannte Paul ebenfalls –, und zu zweit besuchten wir ihre nächste Probe, die, glaube ich, an einem Samstagnachmittag stattfand.
Andy und ich tauchten in ihrem Loft auf. Es lag am südlichen Ende der 23rd Street. Ihr Loft befand sich im Geschäftsgebäude-Äquivalent zu einer Mietskaserne. Ein schmales, hässliches fünfstöckiges Haus, das so um die Jahrhundertwende errichtet worden war. Das Loft lag direkt gegenüber dem Madison Square Park. Auch nur einen Steinwurf entfernt lag das Flatiron Building, eines der berühmtesten Gebäude der Welt.
Im Erdgeschoss befand sich eine Ladenfront, und ihr Loft war zwei oder drei Stockwerke darüber. Es war abscheulich dort. Die Lobby war zugig und der Aufzug war alt. Alles war schmierig und schmutzig. Wenn man dann aus dem Aufzug ausstieg, beleuchtete eine einzige 60-Watt-Birne den gesamten Gang.
Der Gang war in schlammigem Braun gehalten. Man konnte der Wand förmlich ansehen, dass sich noch ein paar Lagen Farbe mehr darunter befanden – mindestens neun. Das Loft selber war so circa fünf mal fünf Meter groß. An der Wand hingen ein paar zerschlissene alte Quilts. Ein Teil der Wand war mit Eierkartons beklebt. Es war jedenfalls eine sehr rudimentäre Schalldämmung. Drei aus der Band waren da – Paul, Gene und Peter.
Paul erklärte verlegen, dass ihr Leadgitarrist wohl jeden Moment auftauchen würde. Also hingen wir ein bisschen ab und betrieben Small Talk. Irgendwann sagte Gene: „Das ist doch bescheuert, wir müssen diesen Jungs was vorspielen.“ Andy und ich setzten uns also auf den Boden, mit dem Rücken zur Wand, sie klemmten sich hinter ihre Instrumente und spielten drei Songs. Sie starteten mit „Deuce“, dann kam „Strutter“ und dann noch „Firehouse“.
Ich muss dazu sagen, dass ich damals ein unglaublicher Snob in puncto Musikmachen war. Einer meiner absoluten Lieblingswitze geht so: „Wie viele Leadgitarristen braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? Sechs! Einen, der das Ding austauscht, und fünf, die um ihn herumstehen und sagen: ,Der Typ ist voll ätzend!‘“ [lacht] Ich hörte sehr kritisch zu. Sie waren definitiv besser als die New York Dolls. Während sich dieser snobistische Musiker – also ich – ihre Probe anhörte und zur Überzeugung kam, der bessere Gitarrist zu sein [lacht], durchdrang mich noch ein zweiter Gedanke. Verdammt, ich musste neidvoll anerkennen, dass diese Riffs echt gut waren. Es waren fertige Songs. Junge, da waren gute Akkordwechsel dabei. Ich dachte: „Mann, was hat er da gerade gemacht? Interessant, wie er von diesem Akkord zu jenem gerutscht ist.“ Nach den drei Songs sagte ich ihnen, dass ich sie wirklich gut fand.
Also unterhielten wir uns ein bisschen über diese drei Songs. Es wurde ein wenig unbehaglich, als wir nichts mehr zu sagen hatten. Andy und ich sahen uns an und fragten uns, wie lange wir hier noch bleiben sollten. Wenn sie nicht spielten, stießen sie die Eingangstür auf, um etwas durchzulüften. Schließlich hörten wir das Geräusch des Aufzugs. Die Tür ging auf. Wir hörten jemanden vor sich hin grummeln – und plötzlich stand Ace vor uns. Er hatte einen eigenartigen Gang.
Er lehnte ungefähr 20 Grad zu einer Seite, und er trug einen roten und einen orangen Converse-Sneaker. Für 1972 war das echt mal was Neues. Paul sagte: „Mann, du bist eine Stunde zu spät.“ Ace antwortete lapidar: „Ich musste mich noch um so’n Scheiß kümmern.“ Keine Entschuldigung, keine Ausreden. Er hob eine Les Paul Junior aus dem Koffer – das war damals die billigste Gibson am Markt. Mittlerweile sind sie sehr begehrt. Aber damals, als er sie auspackte, dachte ich mir: „Die Gitarre spielt der Typ?“ Sie kosteten damals so um die 80 Mäuse. Er latschte rüber zu einem der Amps, schloss die Gitarre an und drehte sich wieder herum: „Was spielen wir?“ So auf die Art: „Ich bin jetzt gerade mal vier Minuten hier, was läuft bei euch so? Warum verschwendet ihr meine Zeit?“ Ich dachte mir, dass der Kerl echt dicke Nerven hatte. Gene warf Paul so richtig angepisste Blicke zu, als ob er – wenn Andy und ich nicht da wären – diesem Typen den Schädel spalten würde. Also spielten sie ihre Songs ein zweites Mal, und sie klangen viel besser als zuvor. Ace und Paul ergänzten sich stilistisch ausgezeichnet. Pauls Spiel war geprägt von Rauheit, und Ace war sicher nicht weniger aggressiv, aber es war auch geschliffener – das passte echt gut zueinander.
Aces Leadgitarre war sehr simpel im Vergleich zu meiner Herangehensweise. Ich zischte quer über das Griffbrett wie etwa Jimi Hendrix oder Jeff Beck. Viele von uns waren hochgradig beeinflusst von Paul Kossoff, dem Gitarristen der Gruppe Free, und davon, wie er die Saiten zog. Man konnte das auch bei Ace erkennen. Ace hatte einen gebieterischen Sound, sein Ton und sein Ansatz waren wirklich sehr kräftig. Er war der perfekte Gitarrist für KISS. Alles an ihrem Sound war auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht. Es war so angelegt, dass es so einfach wie möglich zu verdauen wäre. Und es funktionierte.
Ich war sehr beeindruckt von ihren Songs, und sobald auch noch Ace mit einstieg, wurde der Sound richtig groß und voll. Sie spielten noch eine Runde. Andy und ich klatschten Beifall und sagten zu Ace: „Großartiger Klang, deine Gitarre.“ Paul legte sein Instrument weg: „Lasst uns auf den Gang hinausgehen.“ Er sagte zu uns: „Wir müssen diesem Typen die Meinung geigen und ihm den Kopf waschen, weil er uns eine Stunde hat warten lassen. Das machen wir aber nicht vor euch. Wir wollten euch die Songs vorspielen. Gene und ich werden ihm nun die Leviten lesen.“ Einen oder zwei Tage später meldete sich Paul bei mir, um mich zu löchern. Ich erklärte ihm, dass ich die Songs stark fand und dass, wenn Ace sich zusammenriss, sein Stil gut zu den Songs passen würde. KISS waren im Anmarsch.
Anzeige von Peter Criss im Rolling Stone, 31. August 1972 Mit freundlicher Genehmigung von Brad Estra
Noch als Trio proben Paul, Peter, und Gene im Loft in der 23rd Street, New York City, November 1972 KISS Catalog Ltd.
Suchanzeige für einen Leadgitarristen, aufgegeben von Paul Stanley in der Village Voice, Dezember 1972 Mit freundlicher Genehmigung von Ross Koondel