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2: Erste Schritte

Im Jahr 1972, zwei Jahre nach ihrem ersten Zusammentreffen, lebten Paul Stanley und Gene Simmons von Monatsgehalt zu Monatsgehalt und waren ihrem Ziel, Rockstars zu werden, noch keinen Schritt näher gekommen.

PAUL STANLEY: Ich verbrachte viel Zeit in einem Kifferladen namens Middle Earth in der Nähe meiner Wohnung. Sie verkauften dort psychedelische Utensilien – Zigarettenblättchen, Wasserpfeifen – und hatten praktisch alles auf Lager, was das Hippie-Herz begehrte. Eines Tages kam ich in den Laden, und sie erzählten mir, dass soeben jemand von den Electric Lady Studios da gewesen wäre. Ich flippte total aus. Das war schließlich das magische neue Studio von Jimi Hendrix, und den verehrte ich. Sie sagten mir, dass sie die Telefonnummer für mich notiert hätten. Alles, was ich entziffern konnte, war „Ron“ und eine Nummer. Ich rief im Studio an und fragte: „Ist Ron da?“ Wie es das Schicksal wollte, fragte mich die Frau vom Empfang: „Welcher Ron? Shaimon Ron oder Ron Johnsen?“ Ich entschied mich für den konventionelleren Namen und antwortete: „Ron Johnsen.“ Sie verband mich mit Ron Johnsens Sekretärin, und ich erklärte ihr, dass ich in einer Band spielte und wir uns sehr freuen würden, wenn Ron sich uns mal ansehen würde. Ich rief dann später noch ein paar Mal an, immer wieder, weil Ron sich nicht meldete. Schließlich, nach ein paar Wochen, sagte ich zu irgendjemandem vom Studio: „Sag Ron, dass es an Typen wie ihm liegt, dass sich Bands wie meine auflösen.“ Und das hat ihn am Ende dazu gebracht, doch mal zum Hörer zu greifen [lacht]. Als ich dann mit Ron sprach, fand ich heraus, dass er noch nie im Middle Earth gewesen war. Es war nämlich Shaimon Ron, der Haumeister im Electric Lady [lacht]. Aber dann kam Ron Johnsen, der als Toningenieur in den Electric Lady Studios arbeitete, in unser Loft in Chinatown, um sich unsere Band, Rainbow, die sich später in Wicked Lester umbenannte, reinzuziehen. Er erklärte uns, dass wir so gut wie Three Dog Night wären [lacht]. Wir hielten das für eine gute Sache, besser als wenn er gesagt hätte, dass wir beschissen wären. Das war also unsere Eintrittskarte in die Electric Lady Studios. An der großen Sicherheitstür vorbei in diese mythischen Hallen zu kommen war die reinste Magie. Nachdem wir Ron getroffen hatten, dauerte es lange, bis wir ins Studio durften, um das Wicked-Lester-Album aufzunehmen. Wir standen quasi auf Abruf, was bedeutete, dass wir zwar nicht für die Zeit im Studio bezahlen mussten, aber dafür nur aufnehmen konnten, wenn das Studio gerade frei war. Wenn eine Session um sechzehn Uhr enden sollte, sich dann aber doch bis einundzwanzig Uhr hinzog, mussten wir eben fünf Stunden in der Lobby abhängen. Dann durften wir endlich ins Studio. Wir verbrachten so viel Zeit im Studio wie es uns unsere Freizeit eben erlaubte. Mitunter arbeiteten wir buchstäblich 24 Stunden am Tag an dieser verrückten Platte, die schließlich das Wicked-Lester-Album werden sollte. Auf diese Weise zog sich der ganze Prozess ein Jahr lang hin, ein endlos langer Zeitraum, und wenn in einem aktuellen Hit gerade eine Sitar zu hören war, dann bauten wir natürlich auch eine Sitar in den Song ein, an dem wir gerade arbeiteten. Also hatten wir letztlich ein Album ohne jeglichen Fokus oder irgendeine Richtung aufgenommen.

GENE SIMMONS: Innerhalb der Band gab es bereits eine ziemliche Unruhe. Wir bemühten uns alle, die Band am Leben zu halten. Wir hatten einen Schlagzeuger [Tony Zarrella], einen herzensguten Typen, der aber kein bisschen Weitblick besaß. Paul und mein alter Kumpel Stephen Coronel kamen nicht miteinander klar. Die beiden hatten einen großen Streit, und Stephen schrie ihn an: „Was zum Teufel meinst du eigentlich, wer du bist? Denkst du, um dich herum wabert so etwas wie eine Scheiß-Aura?“ Und Paul antwortete: „Ja, das glaube ich tatsächlich.“ Paul hatte sehr viel Selbstvertrauen, womit er bei Steve aneckte. Wir waren eine saubere Band – keiner ließ sich auf Drogen ein. Es war nicht wie bei KISS, nicht wie bei Ace [Frehley] und Peter [Criss], die beide tranken und von Anfang an auch andere Probleme hatten.

Wicked Lester gaben nur ein paar Konzerte, und das Geld war knapp. Dank Ron Johnsen konnten sich Gene und Paul aber als Sessionmusiker in den Electric Lady Studios etwas dazuverdienen. Diese musikalische Lehrzeit verschaffte den beiden zukünftigen Rockstars einen praxisbezogenen Einstieg ins Musikgeschäft.

GENE SIMMONS: Wicked Lester waren an einem Punkt angelangt, an dem es so aussah, dass wir uns auflösen würden. Eines Tages spazierten wir in unser Loft und mussten feststellen, dass unsere Ausrüstung gestohlen worden war. Wir waren am Boden zerstört. Und wir brauchten Geld, um die ganzen alten Sachen ersetzen zu können. Ron Johnsen war Cheftontechniker der Electric Lady Studios in Greenwich Village. Er arbeitete mit Acts wie Lobo, der einen Hit mit „Me and You and a Dog Named Boo“ hatte, und Little Eva, die „The Locomotion“ gesungen hatte. Er produzierte das Wicked-Lester-Album, das auf Epic Records hätte erscheinen sollen. Pikanterweise arbeitete Ron auch mit Chelsea, der Band von Peter Criss, die eine Platte auf Decca herausbrachte. Ron Johnsen, die gute Seele, war so nett, uns zu sagen: „Ihr könnt hier doch nicht einfach nur so rumhängen. Ihr braucht doch Geld. Lasst mich euch für ein paar Sessions einteilen.“ Ich hatte bereits bei kleineren Aufnahmesessions ausgeholfen. So spielte ich zum Beispiel Bass auf dem Demo einer schwarzen Sängerin. Sie war nicht mies, aber der Song gab mir nichts. Ron produzierte aufstrebende Musiker und verhalf Paul und mir zu ein paar Session-Jobs, was sich im Grunde so abspielte: „Okay, Jungs, hier sind die Parts, die ihr singen sollt, habt ihr das drauf?“ Wir beide machten dann untereinander aus, wer was singen würde, so im Stil der Everly Brothers. Er sang den höheren Gesangspart und ich den mittleren – oder auch umgekehrt.

PAUL STANLEY: Es war alles ziemlich informell; praktisch jeder, der dort abhing, sang mit. Für mich war das nicht unbedingt Session-Arbeit, weil wir nicht wegen unserer Fähigkeiten oder irgendwelchen besonderen Kenntnissen angeheuert wurden. Es ging mehr darum, uns ein wenig Kohle zuzustecken, damit wir nicht verhungerten. Und ich meine ein wenig Kohle [lacht]. Es war mehr ein symbolischer Akt. Lyn Christopher war eine Musikerin, die von Ron Johnsen betreut wurde. Ron war der Produzent von Wicked Lester und hatte Lyn durch ihren damaligen Ehemann, Lou Ragusa, kennengelernt.

LYN CHRISTOPHER: Wir brauchten Hintergrundgesang für mein Album, und Ron sagte: „Ich kenn da zwei Typen, die passen würden.“ Gene und Paul sangen auf zwei Songs, „Celebrate“ und „Weddin’“. Sie waren echt nett und hatten gute Stimmen. Paul war eine große Unterstützung. Er sagte zu mir: „Du bist schön, und du wirst den Durchbruch schaffen.“

PAUL STANLEY: Lyn stand bei Paramount Records unter Vertrag, und ihre Musik war sehr sanft und entspannt, aber sie sah auch super aus. Jedes Mal, wenn sie ins Studio kam – egal, ob sie nun sang oder nur mal nach dem Rechten sah –, konnte ich nicht anders, als sie anzustarren.

LYN CHRISTOPHER: Es war das erste Mal, dass Gene und Paul dafür bezahlt wurden, auf einem Album zu singen. Sie waren genauso begeistert wie ich, auf einer Platte zu singen, die auf einem Major-Label erscheinen würde. Man merkte, dass es eine große Sache für sie war.

GENE SIMMONS: Als dieses Album rauskam, war es das erste Mal, dass wir auf einer echten Platte zu hören waren. In den Credits stehen wir als Gene Simmons und Paul Stanley. Es war eine tolle Erfahrung, an einer Platte beteiligt zu sein.

PAUL STANLEY: Wir sangen auch bei einer Aufnahmesession mit Tommy James. Der Song hieß „Celebration“. Ich erinnere mich, dass ich Tambourin spielte und sang. Zu der Zeit ging es im Studio gerade ziemlich ab. Tommy war als Koproduzent bei der Session dabei und arbeitete mit dem Tontechniker Ralph Moss, der auch beim Wicked-Lester-Album mithalf.

GENE SIMMONS: Wir waren auch bei Mr. Gee Whiz dabei. Es war sehr bizarre, eklektische Popmusik. Wenn ich zurückblicke, waren diese Sessions ein Spaß, aber das meiste verdankten wir dem Zufall. Was wir dafür gezahlt bekamen, war uns eigentlich egal. Wir hatten keine Ahnung, was die Gewerkschaften ausgehandelt hatten. Wenn ich mich richtig erinnere, bekam man damals für eine dreistündige Session so um die 90 Dollar. Wir lebten praktisch dort. Wir saugten die Electric Lady Studios förmlich auf. Für uns war es so etwas wie die harte Schule des Lebens. Eigentlich war es nicht wirklich „hart“, eher eine Art Feuertaufe. Wir kamen so mit Leuten zusammen, die wir sonst nur aus Magazinen oder dem Fernsehen kannten oder in großen Konzerthallen live gesehen hatten. Vor unseren Augen öffnete sich eine neue Welt, eine Welt, an der wir teilhaben wollten. Stephen Stills nahm im Studio auf, und er mochte meinen Fender-Bass. Er hatte einen Gibson-Tonabnehmer, der ihm eine bizarre Klarheit verlieh. Stephen zahlte mir schließlich 300 Dollar dafür. Er griff in die Tasche und zog einfach drei Hunderter heraus. So etwas hatte ich noch nicht gesehen. Ein weiterer Act dort waren Tonto’s Expanding Headband, die aus zwei Typen bestanden, Malcolm Cecil und Bob Margouleff. Sie spielten Synthiemusik, lange bevor es Rick Wakeman oder irgendwer sonst tat. Sie arbeiteten später viel mit Stevie Wonder.

Die Electric Lady Studios, an der Ecke 52nd West und 8th Street gelegen, waren offiziell im August 1970 eröffnet worden. Das Studio war vom Architekten und Akustiker John Storyk entworfen und ursprünglich für den legendären Jimi Hendrix gebaut worden. Im Laufe der Jahre machten viele Ikonen der Rockmusik in diesen heiligen Hallen Station. Eine kleine Auswahl: Led Zeppelin, die Rolling Stones, John Lennon, David Bowie, Bob Dylan, AC/DC, Rush und viele mehr machten Aufnahmen im Electric Lady …

GENE SIMMONS: Dort zu arbeiten war schon etwas eigenartig, weil sich das Studio im Kellergeschoss befand. Zum ersten Mal in unserem Leben wussten wir nicht, ob es Tag oder Nacht war. Beinahe wie bei einer Ameisenfarm – nichts war wichtig, außer die Ameisenkönigin zu füttern. Jeder wusste exakt, was er zu tun hatte – und zwar Musik zu machen. Es war ein Ort, an dem niemand von irgendwelchen Stars beeindruckt war. Es war einfach ein magischer Ort. Dort, an diesem Ort, den Jimi Hendrix hatte bauen lassen, gab es ein Wahnsinns-Artwork an den Wänden. Eines der Wandgemälde zeigte eine Art sexy Astronautin im Bikini, die ein Raumschiff steuerte. Paul und ich arbeiteten sowohl in Studio A als auch in Studio B. Wir nahmen dort die Platte mit Wicked Lester auf; KISS sollten später beide Studios benutzen.

PAUL STANLEY: Das Schöne an den Electric Lady Studios war, dass es dort kaum Uhren und keine Fenster gab. Also ging man nicht, bevor man fertig war – es sei denn, eine andere Session begann. Manchmal hast du dort buchstäblich rund um die Uhr bis zum nächsten Tag geschuftet, und dann musstest du raus, weil eine andere Band vor der Tür stand.

GENE SIMMONS: Paul und ich hingen ständig dort ab, auch dann, wenn wir gerade nicht am Wicked-Lester-Album bastelten. Wir relaxten, saßen auf dem Sofa, hörten zu und absorbierten einfach die Atmosphäre.

PAUL STANLEY: Es war eine großartige Schule. Es war wie die Einsatzzentrale der herrschenden Kaste der Rockmusik. Hier war der Ort, an dem alles entstand. Mir gefiel, dass ich kommen und gehen konnte, wie es mir eben passte. In einem der zwei Studios, die praktisch rund um die Uhr besetzt waren, war immer jemand, den man bewunderte, einer deiner Helden. Egal wann, 24 Stunden am Tag, konnte man auf Led Zeppelin treffen, oder es waren gerade die Stones da. Mountain, Jeff Beck, Stevie Wonder, David Crosby und Stephen Stills. Ich erinnere mich, wie ich einmal reinplatzte, als Mick Jagger gerade was mit Eddie Kramer aufnahm. Und ich weiß noch, wie dort Rockin’ the Fillmore abgemischt wurde und dass ich mich mit Jimmy Page unterhalten konnte.

GENE SIMMONS: Jeff Beck machte was mit Stevie Wonder, eine Version von „Superstition“. Ich saß gerade auf dem Pott, als Stevie von einem Assistenten aufs Klo geführt wurde, weil er pinkeln musste. Ich erstarrte vor Ehrfurcht, saß da auf der Schüssel, und gleich daneben stand Stevie Wonder. Wenn mir damals jemand erzählt hätte, dass ich viele Jahre später mit Stevie im Studio stehen würde, um ihm Melodien für eine Version von „Deuce“ vorzusummen, die Lenny Kravitz zu KISS My Ass beisteuerte, hätte ich ihn für unzurechnungsfähig erklärt.

PAUL STANLEY: Ich verbrachte Jahre in den Electric Lady Studios, von der Zeit mit Wicked Lester bis später bei KISS. Für mich war es dort wie Disneyland, eine tolle Lernerfahrung.

Obwohl sie einen Vertrag mit Epic Records in der Tasche hatten, wurden Gene und Paul sich der Tatsache bewusst, dass Wicked Lester nie ihrer musikalischen Vision würde gerecht werden können. Sie traten ihren Deal mit Epic in die Tonne – und Wicked Lester waren Geschichte.

GENE SIMMONS: Paul und ich waren unglücklich mit der Platte. Die Songs waren okay, aber es war alles nicht so cool wie die Sachen dieser ganzen englischen Bands. Es hatte so einen Westküsten-Hippie-Sound und erinnerte an Three Dog Night und die Doobie Brothers. Es war zu eklektisch. Gruppen wie The Who oder die Rolling Stones hatten einen definierten Sound und einen wiedererkennbaren Look. Wicked Lester fehlte einfach ein typischer Sound, eine Identität mit Wiedererkennungswert.

PAUL STANLEY: Das Problem von Wicked Lester war, dass die Band ein Frankenstein-Monster war, das sich im Studio weiterentwickelte. Wir verbrachten ein Jahr im Studio, um mit einem Produzenten zu arbeiten, der viel mehr Erfahrung als wir hatte, der aber weniger als wir auf eine bestimmte Richtung festgelegt war. Und an diesem Punkt waren wir mehr als bereit, alles auszuprobieren. Das Album ist der Beweis dafür. Es war völlig unkoordiniert. Komplett ziellos.

GENE SIMMONS: Wir waren am Ende. Es fühlte sich nicht mehr richtig an. Wir waren vom Weg abgekommen. Wir hatten kein Image. Wenn ich mir das Wicked-Lester-Zeug anhöre, dann fällt mir auf, dass auf „She“ Flöten zu hören sind, und „Love Her All I Can“ war ein Dance-Track. Wir waren ins Schwimmen gekommen. Schließlich sahen Paul und ich einander an und sagten: „Wir müssen die Band auflösen.“

PAUL STANLEY: Die Band entwickelte sich nirgendwohin. Also warum an etwas arbeiten, das von Anfang an fehlerhaft war? Und so lösten wir in unserer dreisten Naivität die Band auf. Zuerst feuerten wir die anderen Typen. Einer von ihnen, Tony [Zarrella], sagte: „Ich werde meinen Vertrag erfüllen.“ Also sagten wir [lacht]: „Dann steigen eben wir aus.“ Egal wie, wir zogen einen Schlussstrich unter diese Band.

GENE SIMMONS: Ich kann es ehrlich nicht erklären, warum wir diese Klarheit und diesen Weitblick besaßen, denn die meisten hätten so einem geschenkten Gaul nicht mehr ins Maul geschaut. Wir hatten einen Plattenvertrag bei einem Major-Label. Man muss schon sehr arrogant, weltfremd oder verrückt sein, so einen Plattendeal sausen zu lassen. Aber es war nicht das, was wir wollten. Also entschieden Paul und ich uns zu diesem Quantensprung, die Band aufzulösen und eine neue Band zu gründen, die dann KISS war. Es erinnert mich an diese Szene in 2001: Odyssee im Weltraum, in der der Monolith erscheint und die Affen sich ihm grundlos nähern und ihn berühren, was ihnen diesen immensen Sprung vorwärts in der Evolution beschert. Wicked Lester waren Geschichte, und Paul und ich verschwendeten keine Zeit. Wir hatten immer noch das Loft. Ich bezahlte die Miete, weil alle anderen pleite waren. Paul arbeitete in einem Sandwich-Laden; nachts fuhr er Taxi und schlief dann meist den Tag durch. Ich hatte einen Job als Assistent des Direktors des Puerto Rican Interagency Councils, eines von der Regierung finanzierten Forschungsprojekts. Ich verdiente ganz gut dort, 23 000 Dollar im Jahr, was damals ein schönes Sümmchen war. Ich war begabt. Ich tippte auf Tonband aufgezeichnete Gespräche ab und arbeitete auch am Matrizendrucker und an der Vervielfältigungsmaschine. Ich kannte mich damit aus, weil ich als Junge Fantasy- und Science-Fiction-Fanzines herausgegeben hatte.

PAUL STANLEY: Der erste Punkt, der uns beschäftigte, war, unsere Musik zu definieren, wobei sich schnell herausstellte, dass sie sehr gitarrenlastig sein würde. Humble Pie waren eine der Inspirationen für den Sound von KISS. Sie im Fillmore live zu sehen und Steve Marriott dabei zu beobachten, wie er das Publikum dirigierte und ihm predigte, inspirierte mich. Seine Herangehensweise war etwas, das ich auch probieren wollte, aber eben auf meine Art. Wir wollten also eine Band mit heavy Gitarren, aber Songs mit starken Melodien und Refrains. Das war auch das, womit ich aufgewachsen war. Es basierte mehr auf den Autoren im Brill Building und deren Sound als auf Headbanging. Es ging mir um einen Song mit einem packenden Refrain. Es heißt ja nicht umsonst „Hook“: Es soll dich packen und dich nicht mehr vom Haken lassen. Die Idee war also, das Feeling alter Tin Pan Alley/Brill Building-Sachen mit den Beatles zu kombinieren und die Gitarren mehr zu betonen, etwa wie bei Led Zeppelin oder den Stones oder The Who. Interessanterweise lag der Schwerpunkt auf der Rhythmusgitarre, die das Fundament von allem ist. Ohne sie fällt alles auseinander.

GENE SIMMONS: In unserem Sound war auch etwas von Slade, Songs wie „Gudbuy T’Jane“ oder „Mama Weer All Crazee Now“. Wenn man diese Songs hörte, wusste man sofort, dass es genau passte: zwei Gitarren, Bass, Drums, diese Art von Texten. „Mama Weer All Crazee Now“ ist so eine Art Schwesternsong zu „Rock and Roll All Nite“. Die Lyrics, „you drive us wild, we’ll drive you crazy“ – das schlägt in dieselbe Kerbe.

PAUL STANLEY: Ich stand total auf alles, was aus England kam, visuell und musikalisch. Alles Britische eben, von den Beatles zu The Who, von den Stones zu den Kinks, über The Move zu den Small Faces. Es gab sogar Bands, die mir gar nicht so gefielen, aber trotzdem meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ich hörte Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich, die damals riesigen Erfolg in England hatten. Ich fand zwar keinen Zugang zu ihnen, aber wie sie aussahen und diese Kameraderie, die unter ihnen bestand, sprach mich an. Es erinnerte mich an die Beatles. Die meisten britischen Bands verströmten diese Aura von Brüderlichkeit. Sie zogen sich alle gleich an. Es war wie ein Club, bei dem man gerne dabei gewesen wäre. Wir mussten uns darauf fokussieren, wer wir sein wollten.

GENE SIMMONS: Paul und ich entschlossen uns, aus dem Bauch heraus zu handeln. Wir würden es wissen, wenn wir es hörten. Wir würden es wissen, wenn wir es fühlten. Das Gefühl, das einen aufhören lässt, wenn man am Radio herumdreht. Ohne es auszusprechen, war es genau das, wofür Paul und ich uns entschieden, als wir KISS zusammenstellten. Paul und mir war es bewusst, dass die Bands, die wir verehrten, nicht nur großartige Platten veröffentlichten, sondern auch live zu überzeugen vermochten – Leute wie The Who oder Jimi Hendrix. Uns fiel auf, dass wir uns nicht nur über ihre Songs unterhielten, sondern auch über ihre Bühnenshows. Die visuelle Komponente war wichtig: „Hast du Pete Townshend gesehen, wie er durch die Luft sprang und seine Gitarre zertrümmerte?“ Wir fragten uns gegenseitig: „Hast du diese Band live gesehen?“

PAUL STANLEY: Ganz einfach – wir wollten die Band sein, die wir selbst gerne live gesehen hätten, die es aber noch nicht gab.


Paul Stanleys original handgeschriebene Lyrics für den Wicked-Lester-Song „Keep Me Waiting“ Mit freundlicher Genehmigung von Ross Koondel


Wicked-Lester-Tapebox Mit freundlicher Genehmigung von Brad Estra


Eine Werbeanzeige für die Electric Lady Studios. Auch Genes und Pauls Band Wicked Lester wird erwähnt Mit freundlicher Genehmigung von Ross Koondel

Die Geschichte von KISS

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