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Оглавление9: Gotham City
Am 13. März traten KISS durch die Türen der New Yorker Electric Lady Studios, um mit dem Produzenten Eddie Kramer, der schon mit Hendrix und Led Zeppelin gearbeitet hatte, ein Demo aufzunehmen.
GENE SIMMONS: Unser damaliger Manager, Lew Linet, betreute auch eine Singer/Songwriterin namens Diana Markovich, die nach Laura Nyro klang, sowie J. F. Murphy and Free-Flowing Salt, die bei Elektra unter Vertrag standen. Sie spielten im Max’s Kansas City und hatten eine Version eines Leonard-Bernstein-Songs aus West Side Story im Repertoire. Der war so ziemlich das Abgeschmackteste, was wir je gehört hatten. Andererseits hatte Eddie Kramer sie aufgenommen. Und wir sagten: „Yeah, Eddie Kramer, der Typ hat mit Jimi Hendrix, Humble Pie und Led Zeppelin gearbeitet.“ Wir hielten den Typen jedenfalls für cool. Wir fanden dann später auch noch heraus, dass er bei „Baby, You‘re a Rich Man“ für die Tontechnik zuständig gewesen war. Er hatte damals einen echt guten Ruf. Ron Johnsen hatte Wicked Lester produziert, aber es war mittlerweile klar, dass wir weniger poppig waren und uns eher in einer Linie mit britischen Rockbands wie The Who, Cream und den Stones sahen, was insgesamt besser zu dem passte, wofür Eddie Kramer stand. Wir mochten Popmusik wie Strawberry Alarm Clock und Three Dog Night – sie hatten gute Songs, aber es fehlte ihnen ein überragender Gitarren-Sound. Eddie Kramer verstand das. Paul und mir standen insgesamt noch circa 1000 Dollar für unsere Arbeit als Session-Musiker im Electric Lady zu, und Ron ließ uns die Wahl, den Betrag entweder bar auf die Hand ausgezahlt zu bekommen oder für das Geld ein Demo aufnehmen zu können.
PAUL STANLEY: Wir antworteten: „Gib uns eine Aufnahmesession und überrede Eddie Kramer, uns zu produzieren.“
RON JOHNSEN: Ich rief Eddie Kramer an und sagte ihm, dass ich da diese wilde, fast schon Heavy-Metal-mäßige Band an der Hand hätte, die echt eine Überlegung wert wäre. Ich erzählte ihm, dass ich ihren Deal mit CBS versemmelt hätte und ihnen nun einen neuen Vertrag schuldete. Da ich von seiner Zusammenarbeit mit Hendrix und Led Zeppelin wusste, erklärte ich ihm, er sei der fähigste Tontechniker und Produzent für Hardrock und durchaus in der Lage, mit ihnen zu arbeiten.
EDDIE KRAMER (KISS-PRODUZENT): Ich sagte zu Ron: „Erzähl der Band, dass wir es auf die altmodische Weise machen werden, als vierspuriges Demo, kein Firlefanz. Sie sollen spielen, und das, was dabei herauskommt, landet auf diesem Demo. Drums, Bass, Gitarre, Gesang. Wir mischen es ab, und damit hat es sich dann.“ Wenn sie spielen könnten und dabei gut rüberkämen, dachte ich mir, würde ich schon in der Lage sein, es auf Tonband zu bannen.
DAVE WITTMAN (KISS-TONTECHNIKER): Das erste Demo von KISS wurde mit vier Spuren aufgenommen, in der Art, wie die Beatles es mit Sgt. Pepper getan hatten. Das meiste war live eingespielt, außer dem Gesang und den Solos. Das Demo war gut, hatte einen ziemlich satten Klang.
EDDIE KRAMER: Wir nahmen im winzigen Studio B auf. Es zeichnete sie aus, dass sie sehr gut zusammenspielten, obwohl sie damals, am Anfang ihrer Karriere, musikalisch noch recht primitiv waren. Sie hatten offensichtlich ihre Hausaufgaben erledigt und viel geprobt. Wir waren bald fertig, nach ein paar Tagen. Ace beeindruckte mich. Man konnte sofort sehen, dass er ein ziemlich talentierter Gitarrist war. Peter Criss war enorm motiviert. Gene brachte das Konzept ein und Paul war als Sänger ein echter Rockstar. Ich wollte versuchen, den Spirit der Band einzufangen. In einer Art Zeitkapsel. Du schnappst dir diesen Moment, wenn die Energie das höchste Level erreicht, und versuchst es nicht noch auszuschmücken. Man will den Vibe festhalten. Das ist der Trick. Ich hatte großes Glück, dass mir das mit dem Demo von KISS gelang.
PAUL STANLEY: Wir nahmen ziemlich genau das auf, was uns ausmachte. Es war wie ein musikalisches Manifest. Das Demo ist viel rauer als das erste Album. In vielerlei Hinsicht war es geradezu unmöglich, uns aufzunehmen und unseren Sound entsprechend festzuhalten.
GENE SIMMONS: Wenn man diese Unschuld einfängt, ohne dabei zu viel nachzudenken, dann erhält man ein ehrliches Statement. Die ersten Alben der Beatles oder von Zeppelin wurden relativ schnell aufgenommen, nicht viel Nachdenken, einfach rein, aufnehmen und wieder raus – und das erste KISS-Demo entstand auf dieselbe Weise. Man hört das immer noch heraus. Zu jener Zeit war es das beste Demo, das ich je gehört hatte. Im Bezug auf manches klang es so gut wie die englischen Platten dieser Zeit.
EDDIE KRAMER: Bis heute finden Gene, Paul und Ace, dass es zu den besten Sachen gehört, die sie jemals gemacht haben. Auf dem Demo sind fünf Songs: „Deuce“, „Cold Gin“, „Strutter“, „Watching You“ und „Black Diamond“.
GENE SIMMONS: Die Demo-Versionen dieser Songs, die Eddie Kramer mit uns aufnahm, sind besser als die Aufnahmen derselben Songs vom ersten Album. Bei allem Respekt: Unsere Produzenten Kenny Kerner und Richie Wise versuchten, alles ein bisschen zahmer wirken zu lassen. Sie hatten vor uns Stories und Gladys Knight & The Pips produziert. Einige Male bremsten sie das Tempo ein. Sie erklärten uns, das Energie-Level wäre etwas zu hoch für ein Studioalbum. Vielleicht haben die Demos ja deswegen mehr Drive. Wir dachten uns nämlich: „Genau das sind wir.“
EDDIE KRAMER: Es war ein sehr starkes Demo, das war nicht von der Hand zu weisen. Mit Songs wie „Strutter“ und „Black Diamond“ enthielt es das wesentlichste Material der Band.
EDDIE SOLAN: Ich habe die Original-Bänder dieser Eddie-Kramer-Sessions. Abgesehen vom Gesang wurde es live aufgenommen. Es klang staubtrocken – kein Hall, keine Effekte. Auf der Hülle steht: „Rechten Kanal verstärken …“ Ich sagte dem Tontechniker, dass ich der Einzige wäre, der ein Spulentonbandgerät hätte und somit der Einzige, der für Plattenfirmen und die Presse das Demo auf Kassetten kopieren könnte. Er schrieb mir eine Notiz dazu, damit ich wusste, wie ich von meinem herkömmlichen Tonbandgerät aus die Kopien erstellen konnte.
GENE SIMMONS: Das war unser erstes Demo, das uns später den Deal mit Neil Bogart und Casablanca Records einbrachte.
Im Anschluss an ihre ersten Shows im Coventry und im Daisy trauten sich KISS zum ersten Mal auf eine Bühne im Herzen des Big Apple. Am 4. Mai 1973 spielten sie auf einer Party in einem Loft in der Bleecker Street ihren ersten Gig in New York City.
RICK RIVETS: Paul kam öfters in die Music Box, einen Plattenladen in Queens, der Keith West von den Brats gehörte. Er sprach Keith an und sagte: „Hör mal, ich spiele doch in einer Band, und wir würden gerne mal in der City auftreten.“ Keith entgegnete: „Nun, wir veranstalten doch jeden Monat so eine Party in einem Loft. Vielleicht könnt ihr da ja mal spielen, wenn es euch nichts ausmacht, vor uns aufzutreten.“ Und Paul antwortete ihm: „Uns ist das egal, wir wollen nur in der City spielen.“
PAUL STANLEY: Wir hatten diesen Auftritt mit Wayne County und den Brats. Ich glaube, einer der Jungs von den Brats [David Leeds] arbeitete dort, und um fünf Uhr war da Geschäftsschluss. Das Loft befand sich im achten Stock und war eine Art Werkstatt, welche die Brats zum Proben benutzen durften.
EDDIE KRAMER: Ich ging mit Ron Johnsen und seiner Frau Joyce dorthin, um KISS in dem Loft in der Bleecker Street auftreten zu sehen.
PAUL STANLEY: Es gab dort fest montierte Tische, an denen tagsüber gearbeitet wurde und die man nicht verschieben konnte.
EDDIE SOLAN: Es gab dort keine Bühne – es war einfach ein offener Raum, und sie sperrten den Bereich, in dem die Band spielte, mit einem Seil ab. Ich brachte mein Sound-System und meine selbst gebastelte Lichtanlage mit.
PAUL STANLEY: Wir tauchten am Nachmittag auf und bauten unsere Anlage auf. Ich war mit Keith von den Brats befreundet, aber ein paar von ihnen waren eher kompliziert und zeigten sich sehr reserviert, als wir sie begrüßten. Dann spielten wir „Strutter“ und „Deuce“. Danach hatten wir ein paar neue Freunde gewonnen.
RICK RIVETS: Beim Soundcheck informierten uns KISS: „Wir müssen wissen, wann genau ihr uns auf der Bühne haben wollt. Wir haben ein Hotelzimmer gemietet, damit wir uns umziehen können.“ Der Beginn der Show rückte immer näher, und plötzlich öffnete sich die Fahrzeugtür und sie kamen herein. Sie trugen ihre Kostüme und ihr Make-up, und uns blieb der Mund offen [lacht]. Ich dachte mir: „Ach du Scheiße, was ist denn das?“ Ich erinnere mich, dass ich zu Sparky Donovan, unserem Schlagzeuger, sagte: „Shit, wir müssen nach denen spielen? Wir sind tot. Die werden uns von der Bühne blasen.“ Und das taten sie auch. Sie haben uns vernichtet.
DEE DEE RAMONE (BASSIST, RAMONES): Das erste Mal sah ich KISS in einem Loft mit Wayne County. Jeder hatte irgendwie Angst vor ihnen. KISS taten, als wären sie eine toughe Band, die schon länger auf Tour und so wäre.
GENE SIMMONS: Am Ende des ersten Songs, „Deuce“, hielten alle den Atem an und dachten: „Was zum Geier ist das? Kinder-Mucke ist das jedenfalls nicht.“ Der Unterschied zwischen uns und den New Yorker Glitter-Bands war, dass wir jeden Tag der Woche probten. Wenn man genug Zeit investiert, wird man richtig gut.
RICK RIVETS: Alle von den Dolls kamen zur Loft-Party. Sie wussten nicht, was sie von KISS halten sollten. Es waren eine Menge der Leute da, die man sonst im Hinterzimmer im Max’s traf. Ein paar von Andy Warhols Leuten waren auch dabei: Leute wie Jackie Curtis, Taylor Meade und Eric Emerson.
GENE SIMMONS: Das Loft war brechend voll, weil Wayne County und die Brats ziemlich angesagt waren.
RICK RIVETS: Es war brutal heiß, und wir konnten kein Fenster öffnen, weil die Mieter, die in der Nähe wohnten, sich ohnehin schon bei der Polizei beschwerten. Man konnte den Lärm noch aus drei Blocks Entfernung hören. KISS waren superlaut. Sie hatten zwei Marshall-Amps für die Gitarren und einen Ampeg-Verstärker für den Bass.
RON JOHNSEN: Eddie und Joyce stopften sich Watte in die Ohren, weil es so laut war. Irgendwann drehte ich mich um und meine Frau kollabierte – sie konnte die Hitze nicht mehr ertragen. Eddie und ich mussten sie die Treppen hinunter tragen, damit sie an die frische Luft kam.
EDDIE SOLAN: Ace spielte eine Les-Paul-Kopie, die die Firma Ultravox herstellte. Es war eine billige Gitarre, aber sehr schwer. Also nahm ich die Rückseite ab, nahm das ganze überschüssige Holz heraus und klebte ein schwarzes Stück Karton darüber. So war es angenehmer für ihn. Das war die Gitarre, die er während ihrer Club-Zeiten hauptsächlich spielte. Zu Hause spielte er über ein altes Tonbandgerät. Er steckte die Gitarre an diesem Ding an, und es hatte einen echt coolen Drive. Er liebte diesen Sound. Paul und Gene hatten farblich aufeinander abgestimmte, braune Gitarren, die von einem Gitarrenbauer in Manhattan namens Charlie Le Beau gebaut worden waren. Irgendjemand stahl Pauls Gitarre in dieser Nacht, und er war am Boden zerstört.
PAUL STANLEY: Es war zwar ein Schock, aber auch kein Weltuntergang. Es war egal, ob eine Gitarre verschwand. Kauf dir eine neue und rocke weiter.
EDDIE SOLAN: Zum Glück hatte er noch eine zweite Gitarre dabei, eine schwarze Gibson Les Paul.
RICK RIVETS: KISS waren nicht der einzige spektakuläre Act an diesem Abend. Queen Elizabeth mit Wayne County waren auch ziemlich abgefahren. Während ihrer Show kletterte Wayne auf ein Girl und beschmierte es mit Schlagsahne, die er im Anschluss wieder ableckte.
GENE SIMMONS: Wayne Countys Set endete damit, dass er seinen Kopf in eine Toilette steckte und etwas daraus aß, das wie Scheiße aussah.
PAUL STANLEY: Wir sahen ihn seine Show abziehen, aber das fand ich nicht ganz so toll [lacht].
RICK RIVETS: Als ich KISS auf dieser Loft-Party performen sah, spürte ich, dass sie echt groß rauskommen würden. Sie waren dabei, ihren Weg zu machen. Etwas mehr als drei Wochen später spielten KISS ihren wohl schrägsten Gig überhaupt – auf einer Benefizveranstaltung für eine lokale Bibliothek in Palisades, New York, am 26. Mai 1973.
VIRGINIA BARRETT (MITVERANSTALTERIN DER BENEFIZVERANSTALTUNG): Es war eine Benefizveranstaltung für die Palisades Free Library, ein winziges Gebäude in der kleinen Stadt Palisades im Bundesstaat New York, die an der Grenze zu New Jersey liegt. Jedes Jahr organisierten wir die Veranstaltung entweder in einem Country-Club oder einem örtlichen Restaurant. Dieses Jahr wollten wir aber noch eins drauf setzen.
RON JOHNSEN: Der Empfang fand in der Lamont Hall des Lamont-Doherty Geological Observatory statt, das zur Columbia University gehörte. Sie beschäftigten sich dort mit seismografischen Studien und Erdbeben.
VIRGINIA BARRETT: Ron Johnsen war unser Nachbar und arbeitete in den Electric Lady Studios. Ron hatte mit Blood, Sweat & Tears gearbeitet, und er wollte sie für unsere Veranstaltung gewinnen, aber er bekam keine definitive Zusage.
PAUL STANLEY: Ron Johnsen, der Wicked Lester produziert hatte, lebte in Sneden’s Landing und fragte uns, ob wir beim Fundraising für die örtliche Bibliothek auftreten würden. Sneden’s Landing ist eine sehr exklusive, ruhige und ländliche Gegend auf der anderen Seite der George Washington Bridge – ungefähr 15 Minuten von New York entfernt, aber dann auch wieder unendlich weit weg. Es war eine sehr kleine Gemeinde, in der viele bekannte und reiche Leute lebten.
JOYCE SACCO (RON JOHNSENS EX-FRAU): Dort lebten Leute wie zum Beispiel der berühmte Theaterproduzent und Choreograf Jerome Robbins, Morley Safer und Mike Wallace von 60 Minutes sowie die Schauspielerinnen Ellen Burstyn und Dixie Carter.
RON JOHNSEN: Ich buchte den Event für die Band über meine Nachbarn, Bon und Virginia Barret. Virginia half diese Benefizveranstaltung zu organisieren, und sie wusste, dass ich im Musikgeschäft war. Sie erkundigte sich bei Joyce, meiner damaligen Frau, ob ich eine Band für die Veranstaltung auftreiben könnte, also half ich dabei, zwei Bands anzuheuern. Einerseits war da das Pat Rebillot Quintet, eine zeitgenössische Jazz-Gruppe – andererseits KISS.
VIRGINIA BARRETT: Wir errichteten ein Zelt hinter der Lamont Hall, von wo aus man den Hudson River sehen konnte. KISS erschienen am Nachmittag und halfen, die Tische und Stühle aufzustellen. Dann fuhren sie zu Ron Johnsens Haus, das sich direkt am Hudson River befand, um ihre Kostüme anzulegen und sich zu schminken. Wenn ich mich recht entsinne, spielte zuerst das Pat Rebillot Quintet, während Cocktails und Hors d’Oeuvres gereicht wurden.
PAT REBILLOT (PIANIST, PAT REBILLOT QUINTET): Dieser Gig bereitete uns großen Spaß, da wir alle Freiheiten genossen. Er hatte Klasse, und alles war sehr entspannt. Wir hatten fünf Bandmitglieder inklusive Sängerin. Ich liebte es, vor einem Publikum zu spielen, das gerne tanzte, und es machte Spaß zu improvisieren. An diesem Abend spielten wir jazzige Standards, Songs wie „You Do Something to Me“ und „I Can’t Get Started“.
JOYCE SACCO: Es war eine sehr formelle Veranstaltung. Einer der Anwohner, Joe Hyde, war ein bekannter Küchenchef. Er war für das Essen zuständig. Wir hatten auch eine Tombola.
ROBERT BARRETT (BESUCHER DER BENEFIZVERANSTALTUNG): Lamont Hall war ein riesiges altes Gebäude. Die Party zog sich durch das ganze Haus, und draußen hatten sie noch ein Zelt. Das Konzert fand in einer riesigen Bibliothek innerhalb des Gebäudes statt. Es war ein wunderschöner Raum mit Fenstern, die sich vom Boden bis unter die Decke erstreckten.
ANN TONETTI (MITVERANSTALTERIN DER BENEFIZVERANSTALTUNG): Es war eine warme Nacht, und all die großen französischen Türen waren geöffnet, damit die Gäste auch draußen dem Konzert lauschen konnten. Ich glaube, dass man das Konzert sogar auf der anderen Seite des Hudson Rivers noch hören konnte [lacht].
GENE SIMMONS: Wir freuten uns darauf, unsere Amps anzuwerfen und zu tun, wofür wir angeheuert worden waren, weil es mehr Spaß macht, für Leute zu spielen, die es nicht verstehen. Wir wollten eine Reaktion provozieren.
LYN CHRISTOPHER: Bevor sie in ihre Kostüme sprangen und sich geschminkt hatten, verbrachten sie einige Zeit mit uns auf dem Fest. Meine Schwester Roseanne tanzte mit Paul und ich mit Gene. Dann gingen sie, um sich auf die Show vorzubereiten. Als sie zurückkamen, zeigte ich auf Paul, der nun Make-up und Kostüm trug, und sagte lässig zu meiner Schwester: „Das ist doch der Typ, mit dem du gerade getanzt hast?“ Und sie antwortete mit überraschter Stimme: „Das ist Paul?“ Es ergab überhaupt keinen Sinn für sie. Es war einfach zu surreal [lacht].
VIRGINIA BARRETT: Diese Leute, die uns geholfen hatten, Stühle und Tische aufzubauen, die dabei Jeans und Shirts getragen hatten, trugen plötzlich wilde Kostümierungen und Make-up. Sie sahen spektakulär aus. Die meisten Gäste standen auf, um das Konzert zu sehen, aber ein paar Tische waren näher ans Geschehen gestellt worden, damit ältere Leute sitzen und zuschauen konnten. Die Band fing zwischen 22.30 Uhr und 23 Uhr an. Paul packte das Mikro und schrie: „Okay, Baby, beweg’ deinen Arsch!“ [lacht]
ROBERT BARRETT: Es war eine wilde, eine unglaubliche Szene. Die Leute staunten nicht schlecht.
ANN TONETTI: Ich sah mich um und sah den Schock in den Gesichtern der älteren Damen. Sie wussten überhaupt nicht, was sie von dieser Band halten sollten.
EDDIE SOLAN: Nachdem sie einen Blick auf KISS geworfen hatten, dachten sie sich, dass wohl die Marsmenschen gelandet wären.
VIRGINIA BARRETT: Ich stand neben einem Tisch, an dem ein paar Senioren saßen. Eine von ihnen war Anne Tonetti-Gugler, eine elegante Dame Ende siebzig. Sie sah sich das Spektakel an und quietschte vergnügt: „Du meine Güte!“ Damit gab sie den Ton vor: Es war Party angesagt, sogar für die Gäste jenseits der Achtzig [lacht].
GENE SIMMONS: Ich erinnere mich, dass ein paar der älteren Herrschaften sich sogar von ihren Plätzen erhoben.
ANN TONETTI: Sie fanden Gefallen daran, und ein paar standen sogar auf, um ein bisschen zu tanzen. Sie mochten die Outfits, das Make-up, und waren erstaunt über die Plateaustiefel. Es war wie eine Theateraufführung.
GENE SIMMONS: Das Publikum war alles andere als ein typisches KISS-Publikum. Sie waren alt, aber ziemlich hip.
JOYCE SACCO: Da waren Ärzte, Anwälte, Autoren, Schauspieler, Architekten und Leute aus der Unterhaltungsbranche.
ROBERT BARRETT: Morley Safer war einer der Gäste und fand KISS ganz aufregend. Er sagte mir, sie wären herrlich.
VIRGINIA BARRETT: Die Leute tanzten wie verrückt und unterhielten sich prächtig.
ANN TONETTI: Die Teenager in diesem kleinen Dorf wussten, dass etwas vor sich ging, und viele schlichen sich hinein. Es war ein großes Gedränge, fast 300 Leute waren da. Bis dahin waren nie mehr als 30 oder 40 Gäste erschienen [lacht].
RON JOHNSEN: Die Band hatte ihren Spaß, weil es so wild und extrem war. Niemand wusste, wer diese Band war. Ihre Musik war so laut und aggressiv und auf keinen Fall angemessen für so eine Veranstaltung [lacht].
EDDIE SOLAN: Die Band spielte ihr Set, und überraschenderweise rasteten die Gäste nicht aus oder liefen davon. Damit hatten wir nicht unbedingt rechnen können.
PAT REBILLOT: Natürlich spielten KISS und meine Gruppe ziemlich verschiedene Stilrichtungen, aber beide wurden vom Publikum angenommen. Es schadete auch nicht, dass ziemlich viel getrunken wurde – das hat die Leute vielleicht zugänglicher werden lassen für den Schock, den KISS bei ihnen auslösten [lacht].
ROBERT BARRETT: Das Fest ging noch die ganze Nacht lang.
VIRGINIA BARRETT: Das Komitee, das zuständig für die Bibliothek war, hatte dem Management der Lamot Hall zugesichert, dass wir uns um die Aufräumarbeiten kümmern würden. Also kamen wir am nächsten Tag zu viel zu früher Stunde wieder, um sauber zu machen. Lustig war, dass die Band uns dabei half, was zeigt, wie viel Klasse sie haben.
ANN TONETTI: Nachdem alles wieder sauber war, fuhren die Band und viele Leute des Komitees zu Ron Johnsens Haus, um Volleyball zu spielen. Sowohl KISS als auch das Pat Rebillot Quintet waren ohne Bezahlung auf der Veranstaltung aufgetreten. Es waren über 3000 Dollar zusammengekommen, was damals eine Menge Geld war. Fast jedes Jahr verloren wir bei diesem Benefiz-Event Geld, aber in diesem Jahr machten wir Gewinn, was sehr erfreulich war.
ROBERT BARRETT: Es war das beste Bibliotheksfest, das wir jemals hatten. Es gibt ältere Bewohner von Rockland County, die noch gerne darüber sprechen und fragen: „Wann werdet ihr wieder einmal eine Party wie damals veranstalten?“ [lacht]
PAUL STANLEY: Für mich war die coolste Sache an dieser Show, dass bei einer der anderen Bands Joe Butler am Schlagzeug saß, der auch bei Lovin’ Spoonful spielte. Ich dachte mir immer: „Junge, das wird einmal eine tolle Erinnerung.“ Ich glaubte stets daran, dass ich mich gerne an alles erinnern würde. Alles, auch die schlechten Erfahrungen, waren Bausteine für das, was wir sind.
Im Juli und August 1973 spielten KISS im Hotel Diplomat in New York City vor dem größten Publikum, das sie bis dahin gehabt hatten.
PAUL STANLEY: Wir spielten im Diplomat, um unsere Anhängerschar zu erweitern – und auch, um das Interesse der Plattenindustrie auf uns zu ziehen.
BOBBY MCADAMS: Sie spielten ab und zu im Coventry. Es kamen nicht besonders viele Leute dorthin. Sie hatten viel mehr Erfolg im Daisy und im Hotel Diplomat.
JON MONTGOMERY (LEADSÄNGER, STREET PUNK): Das Diplomat war einst ein weltberühmtes Hotel gewesen, aber es hatte seinen Zenit bereits überschritten, als wir dort auftraten.
BOBBY MCADAMS: Das Diplomat war eine Müllhalde. Es lag in der Nähe des Times Square, in einer Gegend, die vor lauter Junkies, Pornoläden und -kinos und Nutten nur so überquoll.
BINKY PHILIPS: Das Diplomat lag in der 43rd Street und war im Grunde genommen eine heruntergekommene Absteige in einer Penner-Gegend. Es war schmuddelig und traurig und voll mit alten Leuten, die auf den Tod warteten. Ich glaube nicht, dass viele Touristen hier eincheckten. Die meisten Gäste waren alte Leute, die von ihrer kargen Pension lebten. Es gibt immer noch ein paar Seitenstraßen in der Nähe des Times Square, in denen man solche abgefuckten Hotels bestaunen kann.
PAUL STANLEY: Das Diplomat war ein regulär betriebenes Hotel. Man konnte auch für längere Zeiträume dort einchecken. Es war unheimlich, weil ein paar ziemlich abschreckende Leute dort lebten. Sie hatten ein paar Ballsäle; einer im ersten Stock hieß Crystal Room. Diese Ballsäle konnte man mieten, für Partys zum Beispiel, Hochzeiten, ganz egal. Das Diplomat war die Location, in der die Dolls auftraten, nachdem sie das Mercer Arts Center hinter sich gelassen hatten.
BINKY PHILIPS: Im Crystal Room war alles dunkelrot. An den Säulen befanden sich Spiegel. Die Decke war ziemlich niedrig für einen Ballsaal.
SHAYNE HARRIS: Das Diplomat war eine Bruchbude. Die Bühne war in schlechter Verfassung, weil die Böden vor sich hin faulten. Da das Diplomat in so miesem Zustand war, konnte man den Crystal Room so billig mieten. Bevor die Show losging, stand ich mit Peter am Herrenklo. Wir standen am Pissoir, als plötzlich eine gottverdammte Ratte an uns vorbeilief. Sie war ungefähr so groß wie eine kleine Katze.
GENE SIMMONS: Paul und ich kannten das Diplomat von damals, als wir die Dolls gesehen hatten. Wir organisierten dort eine Show, weil wir wussten, dass es der nächste Schritt sein würde. Wir brauchten einen Manager und ein Label.
PAUL STANLEY: Wir gaben Konzerte im Diplomat, weil uns die Clubs nicht wollten. Man konnte keine Auftritte bekommen, wenn man nicht drei oder vier Sets mit Coverversionen spielen wollte. Den Clubs sagten wir, dass wir nur zwei Sets spielen würden und dass es beide Male dasselbe Set sein würde [lacht]. Die Shows im Diplomat waren wirklich gerammelt voll. Wir organisierten diese Gigs, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, Headliner zu sein. Wir wollten versuchen, die Fans der anderen Bands – der Dolls und der Brats – für uns zu gewinnen. Also holten wir uns Bands, die bekannter als wir waren. Dass wir andere Gruppen spielen ließen hatte also nichts damit zu tun, dass wir nett sein wollten – wir brauchten einfach Bands, die das Publikum anzogen.
KEITH WEST: Die Brats waren Freunde von KISS; wir spielten oft miteinander. Lustig war, dass KISS anfangs keine ordentlichen Gigs in New York City finden konnten. Wir durften uns unsere Vorgruppen selbst aussuchen und ließen KISS vor uns im Hotel Diplomat auftreten.
BOBBY MCADAMS: Als KISS im Hotel Diplomat spielten, waren die Brats der Headliner, KISS waren als zweite Vorgruppe nach den Planets gebucht. Die Band fabrizierte Plakate und verteilte sie über die ganze Stadt. Die Mundpropaganda verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
BINKY PHILIPS: Paul rief mich an und sagte: „Wir werden den Crystal Room im Hotel Diplomat mieten und mit den Brats dort spielen. Wollt ihr auch auftreten?“ Die Dolls hatten dort bereits am Valentinstag und am St. Patrick’s Day gespielt. Egal wo die New York Dolls auftraten, die Location erhielt dadurch umgehend ihre Legitimation. Ursprünglich waren KISS als Headliner vorgesehen, davor die Brats, und meine Band, die Planets, als Vorband. Ein paar Wochen vor dem Gig war Keith West, der Leadsänger der Brats, plötzlich eingeschnappt, weil er meinte, dass die Brats die bekannteste Band an diesem Abend wäre – was man hätte hinterfragen können – und daher auch der Headliner sein sollte. Es war entweder Paul oder Ace, der in der letzten Sekunde mittels Rasierklinge das Inserat so veränderte, dass die Brats nun als formelle Headliner in der Village Voice angekündigt wurden.
GENE SIMMONS: Ich arbeitete am Tag für das Puerto Rican Interagency Council, und da ich Zugang zu Briefmarken hatte, war ich es, der eine Kurzbiografie der Band erstellte und Leute per Post einlud, zu unserer Show zu kommen. Ich glaube, mir fiel der Begriff „Heavy Metal Masters“ ein. Ich nahm die Jahresende-Ausgaben von Record World, Billboard und Cashbox zur Hand, in denen die Namen aller Persönlichkeiten der Musikbranche, alle Plattenfirmen und Manager aufgelistet waren, und schickte ihnen Post von uns. Paul und ich entwarfen das Package und legten Tickets für die Show im Diplomat bei. Paul und Peter blieben in der Nacht vor der Show wach, um Klebstoff auf schwarze Shirts zu geben und das KISS-Logo mit Glitter darauf zu streuen. Sie schenkten diese T-Shirts Peters Schwestern und ihren Freunden. Als dann die Leute aus dem Musik-Business auf das Konzert kamen, sahen sie ein volles Haus, KISS auf der Bühne und Mädchen, die KISS-Shirts trugen.
BOBBY MCADAMS: Im Hotel gab es einen riesigen Raum, der wie ein Hörsaal aussah. Ich kassierte das Geld an der Tür; der Raum war komplett voll.
GENE SIMMONS: Wir verfolgten genau, welche Leute aus dem Musik-Business zum Konzert kamen, was leicht war, da sie zwar einerseits keinen Eintritt bezahlen mussten, andererseits aber auf der Gästeliste neben ihrem Namen unterschreiben mussten. Wir hatten nur wenige Gesichter aus der Pop-Industrie da. Wir erwähnten auf den Plakaten keine der anderen Bands, obwohl es eigentlich sie waren, die das Publikum anzogen, da KISS in New York noch keinen Namen hatten.
BINKY PHILIPS: KISS klangen nicht entscheidend besser als damals, als ich sie im Loft sah. Aber sie hatten Power. Die Arrangements waren simpel und ordentlich, was sehr stark rüberkam. Ich war total gefesselt vom Gitarrenriff von „Deuce“ – ich liebte es einfach. Was das Make-up anging, so fand ich, dass außer Paul niemand wirklich besonders attraktiv war und es daher ein smarter Schachzug war, sich zu schminken. Ich erinnere mich lebhaft daran, dass ich mir, während sie spielten, dachte, dass seitdem Alice Cooper sich zurückgezogen hatte, eine Marktlücke für diese Art von theatralischer Präsentation entstanden war. Es gab keine Anzeichen dafür, wie gigantisch groß diese Jungs werden würden, aber sie kamen gut an.
RIK FOX: KISS im Hotel Diplomat war wie Alice im Wunderland. Du gingst durch die Menge und sahst all diese bunten Charaktere. Für mich als Highschool-Kid war das alles neu und aufregend. Beinahe, als ob jemand eine Klappe geöffnet hätte und ich durch ein Loch gefallen wäre, um in diesem Szenario zu landen, von dem ich nie gewusst hatte, dass es existiert.
Ich besuchte das Konzert mit meiner Freundin Joanne, der Schwester von Peter Criss. Peters jüngere Schwester, Donna, und ein paar andere aus der Nachbarschaft waren auch mit dabei. Ich hatte vorher einen großen Beutel mit Luftballons gekauft, blies jeden einzelnen auf und zeichnete das KISS-Logo und ihre Gesichter darauf. Dann ließ ich die Luft wieder raus und packte alle sorgfältig in einen Karton, den ich zum Konzert mitnahm. Wir besetzten die gesamte erste Reihe vor der Bühne, und bevor KISS rauskamen, gab ich die Ballons aus. Wir bliesen sie wieder auf, hielten sie vorsichtig in unseren Armen wie kleine Kinder und passten auf, dass die Farbe nicht verschmierte. Als die Lichter angingen und KISS auf die Bühne kamen, wurden sie überflutet von Hunderten Ballons mit ihrem Logo und ihren Gesichtern darauf. Ihr hättet die Überraschung und den Schock in ihren Gesichtern sehen sollen. Sie waren total beeindruckt von dieser unerwarteten Salve KISS-Reklame. Es war wie eine Flut von KISS-Ballons. Gene machte sich den Spaß und trat auf sie drauf, Paul kickte so viele wie möglich wie Fußbälle zurück ins Publikum. Diese Einlage verlieh ihrer Show das gewisse Etwas. Dass KISS, nachdem ich sie bei ihren Proben und ihren frühen Auftritten im Coventry erlebt hatte, nun hier mit vollem Make-up und noch nicht ausgefeilten Kostümen vor mir auf der Bühne standen, war für mich kaum zu fassen. Ihre Energie hatte sich exponentiell hochgeschraubt.
BINKY PHILIPS: Gene stach heraus. Er zeigte schon eine milde Version des Monsters, streckte die Zunge heraus, schüttelte seinen Schädel wie eine Eidechse und stampfte über die Bühne.
GENE SIMMONS: Ich habe nicht den blassesten Schimmer, warum ich anfing, mich so auf der Bühne zu bewegen; ich weiß nur, dass die Anregung dazu nicht aus dem Rock ’n’ Roll kam. Stattdessen waren meine Moves vom berühmten Stop-Motion-Tricktechniker Ray Harryhausen beeinflusst. Er war der Typ von Panik um King Kong, King Kongs Sohn und Jason und die Argonauten. Ich kannte den Film Die Bestie aus dem Weltenraum, der von einem Raumschiff handelte, das vom Mars mit einem Ei zurückkehrte. Aus dem Ei schlüpft schließlich ein Marsianer namens Ymir. Er ist eine reptiloide Kreatur von der Größe King Kongs mit einem unbeholfenen Gang. Er wirft sein Gewicht von einer Seite auf die andere, weil er wegen der irdischen Schwerkraft keinen sicheren Gang hat. Die schräge Fortbewegungsart faszinierte mich. Ich studierte diesen Gang und wie das Monster seine Beine dabei hochzog. Als ich auf die Bühne ging, imitierte ich Ymir aus Die Bestie aus dem Weltenraum. Mir war klar, dass ich nicht Mick Jagger oder die Beatles kopieren konnte – den Körperbau dafür hatte ich nicht –, aber ich konnte ein Monster sein.
EDDIE KRAMER: Es war alles sehr unorthodox, die Schminke, die hohen Stiefel. Manche fanden es abstoßend, aber ich fand es interessant, weil niemand sonst in vollem Make-up auftrat. Sie mussten noch viel lernen. Sie waren keine herausragenden Musiker. Jedoch waren sie ein toller Bühnen-Act und sehr gut organisiert.
BINKY PHILIPS: Als ich sie im Hotel Diplomat zum ersten Mal mit ihren Kabuki-Masken sah, erinnerten sie mich an eine machohafte, cartoonige Version der Hello People, einer New Yorker Band, die Todd Rundgren produzierte. Sie trugen auch weiße Schminke, aber ihr Look war mehr an den klassischen Pantomimen Marcel Marceau angelehnt.
KEITH WEST: Von der ersten Minute an, in der ich KISS erlebte, fand ich, dass sie fantastisch klangen. Ihr Sound war knackig und heavy. Sie waren gut eingespielt und hatten gute, hymnische Songs. Wenn man gute Songs hat, dann wird man sich auch halten.
GENE SIMMONS: Unser Equipment war absolut auf höchstem Niveau, und wir klangen um einiges besser als die anderen Bands. Wir hatten auch unseren eigenen Look, daher kamen wir viel ausgereifter rüber als die anderen.
RICK RIVETS: Als ich in dieser Nacht zum ersten Mal ins Diplomat kam, sagte ich zu mir: „Oh Wahnsinn, die Bude ist ja knackvoll!“ Aber meine Begeisterung ließ nach, als die meisten nach KISS das Konzert verließen. Und als schließlich die Brats spielten, war der Saal ziemlich leer.
BINKY PHILIPS: Am Ende des Abends vom 13. Juli 1973, nachdem die Glam-Kids und ihre Freundinnen das Weite gesucht hatten, luden alle drei Bands vor dem Hotel Diplomat ihre Sachen in ihre Trucks. Marshall-Verstärker und Schlagzeugteile waren überall auf dem Bürgersteig der West 43rd Street verstreut und warteten darauf, in die geliehenen Fahrzeuge geräumt zu werden. Die zwei Typen, die mehr oder weniger mit der Aufsicht über dieses Durcheinander betraut waren, während die anderen Bandmitglieder das restliche Zeug von oben holten, waren Peter Criss und ich. Obwohl wir nicht direkt Kumpels waren, kannte er mich selbstverständlich durch meine Verbindung zu Paul und Gene. Als wir da so warteten, gestand er mir, dass er ganz stark hoffte, dass aus dieser neuen Band etwas werden würde: „Mann, ich muss es echt bald schaffen.“ Er senkte seine Stimme und sagte: „Ich bin schon achtundzwanzig.“ Ich war perplex. Ach du Scheiße, achtundzwanzig? Ich war gerade erst zwanzig und konnte mir gar nicht vorstellen, so alt zu sein.
GAVINO ABAYA III (KONZERTBESUCHER, HOTEL DIPLOMAT): Ich war ein fünfzehnjähriger Junge von den Philippinen, 1972 nach Amerika gezogen. Ich hatte mich mit Keith West von den Brats angefreundet. Ihm gehörte der Plattenladen Music Box. Er sagte zu mir: „Bojie“ – das war mein Spitzname – „wir spielen im Hotel Diplomat. Willst du nicht auch kommen?“ Gerne wollte ich dabei sein, und mein Dad fuhr mich hin. Es war mein erstes Rockkonzert. Ich stand genau vor der Bühne, als KISS auftraten. Es war Liebe auf den ersten Blick. Die Songs waren sehr eingängig, und ihr Image war total neu und aufregend. Keith nahm mich mit hinter die Bühne, um die Band zu treffen. Backstage war es ziemlich voll, aber die Band war echt nett. Ich erkundigte mich bei Ace, ob er es für möglich hielt, dass sie eines Tages auf den Philippinen spielen würden, und er antwortete mit seiner lustigen Quietschstimme: „Keine Ahnung, dort ist es so heiß, dass unser Make-up schmelzen würde, noch bevor wir es auf die Bühne schaffen.“ [lacht] Es ist unglaublich, dass ich bei so einer historischen Show der Band dabei war und sie sich danach zu solchen Ikonen entwickelten.
Weniger als zwei Monate nach diesen Shows im Diplomat traf ich Paul Stanley in der Music Box in Queens. Ich sagte zu ihm: „Ihr seid echt der Hammer. Ich habe auch ein paar Fotos mit meiner Instamatic-Kamera von euch geschossen.“ Er war begeistert und fragte: „Echt? Kann ich ein paar Abzüge haben?“ Ich hatte tatsächlich ein paar zu Hause. Wenn er vorbei kommen wollte, würde ich sie ihm geben. Er meinte: „Sobald du hier fertig bist, kann ich dich ja nach Hause fahren.“ Also brachte er mich heim, und ich holte ihm die Fotos. Paul meinte: „Die sind ja großartig!“ Zu diesem frühen Zeitpunkt in ihrer Karriere gab es noch nicht viele Fotos von ihnen, deswegen war er so aufgeregt. Ein oder zwei Jahre später liefen wir einander auf einem Konzert der Brats über den Weg, und er nannte mich „Mr. Music Box“ [lacht].
Ab den frühen Siebzigern wurde Alice Cooper als der King des Schock-Rocks gefeiert. Nachdem er etliche Hitalben (Love It to Death, Killer und Billion Dollar Babies) und Smash-Singles wie „School’s Out“, „I’m Eighteen“, „No More Mr. Nice Guy“ und Elected“ fabriziert hatte, wurden seine Konzerte zu legendären Spektakeln, die Horror-Requisiten – Guillotinen, sich windende Riesenschlagen und einen gigantischen Zyklopen – mit donnernder, metallischer Rock-Power kombinierten. Paul, Peter und Ace, die ein halbes Jahr vorher gerade ihre ersten Gigs absolviert hatten, machten sich auf, um am 3. Juni 1973 ihre weit in Führung liegende Konkurrenz abzuchecken – Alice Cooper trat im ausverkauften Madison Square Garden auf.
EDDIE SOLAN: Nicht lange nach der Party im Loft in der Bleecker Street belohnte ich die Band mit Tickets für die Alice-Cooper-Show im Garden. Man begann sie mit Alice Cooper zu vergleichen, und wir wollten uns ein professionelles Konzert mit theatralischen Einlagen ansehen. Sie zogen sich an wie Rockstars und gingen als Band zum Konzert. Die Leute wunderten sich bei ihrem Anblick: „Wer sind diese Typen? Die müssen jemand sein.“ Peter Criss und ich tranken Scotch aus Flachmännern. Sie erwischten ihn dabei, wie er seinen reinschmuggeln wollte, und der Flachmann wurde konfisziert. Aber ich schaffte es, meinen hineinzubringen.
PETER CRISS: Ich saß hinten, und Paul und Ace rannten den ganzen Weg hinunter, um sich direkt vor die Bühne zu zwängen, so beeindruckt waren sie. Ich werde das nie vergessen.
PAUL STANLEY: Die Show war umwerfend. Ich erinnere mich, wie wir die Stufen runtergingen und die Show anfing, und zwar mit „Hello Hooray“. Es war göttlich. Das Publikum drehte komplett durch. Wie bei vielen anderen, die mich beeindruckten, wollte ich einfach nur dieser Typ sein. Was Alice da abzog, passte perfekt zu ihm, und ich wollte meine Version davon verwirklichen.
GENE SIMMONS: Ich konnte nicht mitkommen, weil ich arbeiten musste. Aber die Jungs berichteten mir, dass ich diese Show unbedingt sehen müsste. Es ging um den visuellen Aspekt, um die Präsentation, um das, was man mit den Augen wahrnahm.
PETER CRISS: Wir landeten anschließend in unserem Loft und spielten und fragten uns: „Moment – was wäre, wenn da vier Alice Coopers wären?“ Wir fanden die Idee ziemlich scharf. Wir gingen dann in uns und wurden schließlich zu den Charakteren, die wir heute sind.
BOB EZRIN (PRODUZENT VON DESTROYER, MUSIC FROM „THE ELDER“ UND REVENGE): Alice war der Vorläufer des abgehobenen Theater-Rocks, und sein Erfolg war eine Inspiration für KISS. Da ich mit beiden arbeitete, glaube ich nicht, dass sie die Lücke füllen wollten, die entstand, als Alice sich zurückzog. Sie sahen sich Alice Cooper an und dachten sich: „Theatralische Rockmusik, der Wahnsinn! Aber wir können das auch und sogar noch besser.“ KISS hielten sich immer für die beste Band der Welt.
EDDIE SOLAN: Alice mitsamt seiner sehr dramatischen Show zu sehen, verlieh ihnen das Selbstvertrauen, dass sie das auch drauf hätten. Und sie hatten recht. Nur vier kurze Jahre später sollten sie selbst als Headliner auf der Bühne des Gardens stehen.
Der originale Archivkarton des KISS-Demobandes, das Eddie Kramer im März 1973 produzierte Mit freundlicher Genehmigung von Eddie Solan
Von Paul entworfene Anzeige für die Loft-Party in der Bleecker Street, 1. Juni 1973 Kiss Catalog Ltd.
Plakat für eine Benefizveranstaltung zugunsten einer örtlichen Bibliothek, Palisades, New York, 26. Mai 1973 Mit freundlicher Genehmigung von Brad Estra
Paul Stanleys handgezeichnetes Inserat für die KISS-Show im Hotel Diplomat in New York City am 13. Juli 1973
Alte Postkarte des Hotel Diplomat Mit freundlicher Genehmigung von Brad Estra
Original-Tickets für die zwei KISS-Shows im Hotel Diplomat KISS Catalog Ltd.
Paul und Ace rocken das Hotel Diplomat, New York City, 13. Juli 1973 Gavino Abaya III
Gene und Peter performen im Hotel Diplomat, New York City, 13. Juli 1973 Gavino Abaya III
Gene, Ace und Paul, Hotel Diplomat, New York City, 13. Juli 1973 Gavino Abaya III