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Schach dem Kaiser

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»Die Dinge hierzulande stehen nun ganz anders, als Eure Majestät zur Zeit meiner Abreise glauben mochte«, ließ Veyré kläglich verlauten, nachdem er im September 1527 in Italien eingetroffen war. Tatsächlich standen sie »so schlimm, dass sie schlimmer nicht sein könnten«: Die meuternden Truppen in Rom (darunter viele deutsche Lutheraner) drohten, den Papst zu töten oder zu entführen; in der Lombardei war eine frische französische Expeditionsarmee unter dem Befehl des erfahrenen Heerführers Odet de Foix, Seigneur de Lautrec, eingetroffen; und der plötzliche Tod Lannoys hatte ein neues Machtvakuum aufgerissen. »Um des Himmels willen, Sire, erwägt doch einen Frieden mit den Franzosen, ganz gleich zu welchen Bedingungen«, flehte Veyré. Und nachdem er sich schon einmal vorsorglich dafür entschuldigt hatte, »sollte ich Euer Majestät in Verzweiflung gestürzt haben«, wiederholte er seinen dringenden Ratschlag: »Ich flehe Euch an, Herr: Schließt Frieden mit Frankreich, denn das wäre weniger schändlich und außerdem hättet Ihr die Freiheit gewonnen, Euch an all jenen zu rächen (vous vengier), die Euch [in Italien] schaden wollen«.73

Aber es war zu spät: Seine Demütigung hatte Clemens’ VII. internationale Sympathie und Unterstützung eingetragen. Im August 1527 unterzeichnete Heinrich VIII. ein Bündnis mit Franz I., in dem er dem zweiten Sohn des französischen Königs seine Tochter Mary zur Frau versprach und zudem sein Versprechen wiederholte, so lange Druck auf den Kaiser auszuüben, bis dieser die französischen Prinzen gegen Zahlung eines Lösegeldes freigäbe. Außerdem versprach Heinrich, allen Aufrufen zu einem allgemeinen Konzil entgegenzutreten, solange der Papst in Gefangenschaft war, sowie Truppen und Subsidien zur Verstärkung der französischen Kräfte in Italien bereitzustellen – wohl weil er hoffte, auf diese Weise Clemens’ Einwilligung in die geplante Scheidung seiner Ehe mit Katharina von Aragón erwirken zu können.74

Zunächst verlief der Feldzug der Bündnispartner mit großem Erfolg. Nachdem er seine Kräfte mit denen der Venezianer vereint hatte, überrannte Lautrec in kurzer Zeit fast die gesamte Lombardei, während eine venezianische Kriegsflotte dabei behilflich war, den strategisch entscheidenden Hafen Genua für Frankreich zurückzugewinnen. In einem Brief des in Mailand eingeschlossenen Antonio de Leyva wurde die prekäre Situation der kaiserlichen Kräfte in Oberitalien mehr als deutlich: »Schon vor über zwei Monaten« hatte Leyva »an alle Heerführer und Untergebenen Eurer Majestät [geschrieben] und ihnen von meiner großen Not berichtet«, aber obwohl »ich zweihundert Briefe an diverse Stellen geschickt habe, habe ich keinerlei Antwort erhalten.« Leyva schloss mit einer düsteren Warnung: »Ihr setzt ganz auf Euer Glück, Majestät, und das nicht ohne Grund; aber es wäre weise, dem Glück noch Taten an die Seite zu stellen und stets zu bedenken, dass Gott nicht jeden Tag ein Wunder geschehen lässt.«75

Die Lage in und um Rom herum, wo Karls Truppen einquartiert waren, stellte sich kaum besser dar: Zwar bildeten sie noch immer eine beachtliche Streitmacht; aber weil sie keinen Anführer mehr hatten, plünderten sie die »Ewige Stadt« auch weiterhin ungehemmt. Damit wollten sie Druck auf Papst Clemens ausüben, der ihre Soldrückstände von immerhin rund 400 000 Dukaten begleichen sollte. Einer ihrer Hauptleute bat Karl inständig,

»stets zu bedenken, was wir Gott schuldig sind, und Euch nicht durch die Zügellosigkeit, die Diebstähle und Morde, die Euer Heer in Italien begangen hat und noch begeht, ja die sogar immer schlimmer werden, solange den Männern ihr Sold nicht gezahlt wird, einen solch schlimmen Ruf in aller Welt zu erwerben … Euer Ruhm darf nicht auf so vielen und so großen Gräueltaten beruhen, denn das würden weder Gott noch die Welt je zulassen.«

Wie Leyva vor ihm gelangte der Schreiber zu dem Schluss, dass »es besser wäre, ein Abkommen mit Frankreich zu schließen«, und gab zu bedenken, dass »wenn Euer Majestät nicht weiter darauf beharrte, Burgund zurückzuerlangen, der König [von Frankreich] vielleicht wieder Euer Freund werden könnte« – aber auch seine Worte stießen auf taube Ohren. Im November 1527 unterzeichneten diplomatische Vertreter Frankreichs, Englands, Mailands, Venedigs, Ferraras und der päpstlichen Kurie ein feierliches Bündnis »zur Befreiung des Papstes«.76

Dem Botschafter Navagero zufolge war der Kaiser nun »sehr im Zweifel darüber, was er tun solle. Einerseits meint er, dass es ehrenhaft wäre, den Papst freizulassen; andererseits kann er nicht sicher sein, dass der Papst danach sein Freund sein wird.« Immerhin hatte Karl genug gesunden Menschenverstand, heikle Entscheidungen auf dem Gebiet der Außenpolitik seinen Statthaltern zu überlassen: So wies er Ferdinand, Margarete und seine Heerführer in Italien an, stets ihr »Bestes zu geben, ohne dafür mit mir Rücksprache halten oder auf meine Anweisungen warten zu müssen, denn mein Vertrauen in Euch ist so groß, dass ich Euch die Entscheidungsgewalt in allen Dingen übertragen habe«.77

Die Geburt seines ersten Sohnes, des späteren Philipps II., am 21. Mai 1527 stärkte die Lebensgeister des Kaisers wieder. Es war die erste Geburt eines Infanten in Spanien seit fünf Jahrzehnten. Karl ließ noch am selben Tag Jubelbriefe an seine einflussreichsten Untertanen herausgehen, in denen er seiner eigenen Rolle bei dem Vorgang eine messianische Anmutung gab: »Ich vertraue auf Gott, dass dies Seinem Werk und diesen Königreichen zum Vorteil gereichen wird; und ich hoffe, dass es Ihm gefallen wird, wenn ich Ihm mit Seiner Gnade in Zukunft sogar noch besser diene.« Wie der Botschafter Martín de Salinas berichtete, war »der Kaiser so glücklich und voller Freude und Entzücken über die Geburt seines kleinen Sohnes, dass er nichts anderes tut, als Festlichkeiten anzuordnen zur Feier dieses Geschenks, das Gott uns gesandt hat; und Tag und Nacht gibt es Turniere und das Stockspiel und jede Art von Vergnügung«. In den Bühnenspielen zur Feier von Philipps Taufe am 5. Juni traten Propheten auf, die dem Infanten eine glänzende Zukunft weissagten – ganz so, wie sie es einst bei dem kleinen Jesuskind getan hatten.78

Die ausgelassene Laune brach kurzfristig zusammen, als die Nachricht vom Sacco di Roma Spanien erreichte; aber sobald die Kaiserin wieder genug bei Kräften war, um sich eine weitere Reihe von Turnieren und anderen Spektakeln anzusehen, die ihr Gatte bestellt hatte, ging es mit den Lustbarkeiten weiter. Im August berichtete Salinas, Karl und Isabella seien »das glücklichste Ehepaar auf der ganzen Welt«, und schon drei Monate darauf war die Kaiserin erneut schwanger.79 Andere Beobachter bemerkten jedoch, dass Karl in Audienzen zunehmend ungeduldig wirkte, ja sogar unbeherrscht auftrat. Im Juli 1527 hörte er »mit bedrohlicher und missmutiger Miene« an, wie der französische Botschafter – wieder einmal – ein Lösegeld und die partielle Preisgabe des französischen Anspruchs auf Neapel als Gegenleistung für die Freilassung der beiden Prinzen sowie die Wiedereinsetzung Francesco Sforzas als Herzog von Mailand anbot. Einige Tage später prophezeite der Kaiser den englischen Gesandten gegenüber, dass »der französische König niemals still sitzen werde, bevor man ihm nicht seine Flügel stutzt« – womit er meinte, dass man Franz Burgund wegnehmen müsse. Und im Oktober berichtete Navagero, Karl habe bei einer Audienz wieder einmal »äußerst grobe Worte gebraucht und (was er sonst niemals tut) heftigen Zorn an den Tag gelegt« darüber, dass »der König von Frankreich beschlossen habe, ihn, den Kaiser, mit Gewalt zur Erfüllung seines Willens zu zwingen, aber da habe er sich getäuscht«, denn Karl »werde sich niemals mit Gewalt zu irgendetwas zwingen lassen«. Karl war »jung und daran gewöhnt, dass das Glück ihm hold war«, meinte der Botschafter, und das habe es ihm leicht gemacht, als gütiger Herrscher aufzutreten. Aber »nun, da es um seine Angelegenheiten nicht mehr so gut bestellt ist«, sagte er voraus, würden »alle, die mit ihm zu tun haben, mit größter Umsicht vorgehen müssen«.80

Zum großen Glück für die Reichspolitik kehrte Gattinara im Oktober 1527 an den Kaiserhof zurück. Der Autobiografie des Kanzlers zufolge »hatte Cäsar mehr zugestanden, als nötig war, um Frieden zu erlangen. Er [hatte] in Bedingungen eingewilligt, die für ihn selbst, seine Würde und Stellung überaus nachteilig waren.«81 Gattinara war fest entschlossen, dieser Situation ein Ende zu setzen. Die Lage spitzte sich im Januar 1528 weiter zu, als bei einer Audienz mit dem Kaiser die Botschafter Frankreichs, Englands, Mailands, Venedigs und Florenz’ – also der verbliebenen Mitglieder der Liga von Cognac – im Namen ihrer jeweiligen Herren verlangten, Karl solle unverzüglich Mailand an Sforza restituieren und ein Lösegeld für die Freilassung der französischen Prinzen akzeptieren. Im Gegenzug werde Franz ihm Genua zurückgeben und seine Truppen aus Italien abziehen. Dieses Ultimatum wies der Kaiser rundheraus zurück, weil er sich – glaubt man dem polnischen Botschafter Jan Dantiszek – »an den Ausspruch Ciceros erinnerte: ›Wird man das erste Mal betrogen, ist dies unangenehm; beim zweiten Mal beschämend; beim dritten Mal aber ist es reine Dummheit‹, und er hat nach dieser Maxime gehandelt, weil er früher schon einmal betrogen wurde«. Die Mitglieder der Liga hatten mit einer abschlägigen Antwort bereits gerechnet, und so »trafen jetzt die französischen und englischen Herolde ein und ließen Seine Majestät wissen, dass sie ihm ein gewisses Dokument überreichen wollten, auf das Seine Majestät bereits seit sechs Monaten gewartet hatte (denn so lange waren die besagten Herolde bereits am Kaiserhof gewesen). Und dann hörte Seine Majestät gnädig zu in der großen Halle des Palastes und im Beisein aller Granden, Prälaten und Gesandten«, während der französische Herold »ihm den Krieg zu Lande und zur See erklärte« und die Botschafter aus England, Florenz, Mailand und Venedig »ihre ›Herausforderung‹ vortrugen (wie sie es nennen)«.82

Dank seiner Vertrautheit mit dem ritterlichen Verhaltenskodex wusste Karl ganz genau, was als Nächstes von ihm erwartet wurde. Er »antwortete mit lauter, fester Stimme, sodass ein jeder ihn hören konnte«, wie folgt: »Seit sieben Jahren hat der König von Frankreich nun schon ohne jede förmliche Erklärung Krieg gegen mich geführt, und es ist höchst erstaunlich, dass er ihn mir gerade jetzt erklärt, wo es ihm nach dem Kriegsrecht strengstens untersagt ist, da er ja des Kaisers Gefangener ist und das in ihn gesetzte Vertrauen gebrochen hat … Und nun sagt Ihr mir,«, fuhr Karl an die Botschafter gerichtet fort, »dass [Eure Herren] mich zwingen werden, die Prinzen freizugeben. Ich will deshalb auf eine gänzlich andere Weise antworten, als ich es bisher getan habe: Ich werde sie behalten und sie niemals zurückgeben, solange man mir Gewalt androht, denn ich bin es nicht gewohnt, Dinge unter Zwang zu tun.« Dann nahm er den französischen Herold beiseite und trug ihm eine Botschaft speziell für seinen Herrn auf: »Da er den Eiden, die er mir geleistet hat, weder treu geblieben noch sie in Ehren gehalten hat, sollte er sich zum Duell gegen mich bereitmachen. Und sagt ihm in meinem Namen diese Worte: Er soll auf seine Ehre achtgeben – falls noch etwas davon übrig ist.«83

Nach dem ritterlichen Ehrenkodex war Karl dazu verpflichtet, die Herolde unversehrt ziehen zu lassen; die Diplomaten jedoch, die von den Mitgliedern der Liga gesandt worden waren, ließ er allesamt gefangen nehmen. Man gab ihnen kaum genug Zeit, ihre Habseligkeiten zusammenzuraffen, bevor man sie in einer entwürdigenden Prozession aus der Stadt hinaus und an den Ort ihrer Haft verbrachte. Die Eskorte bildeten »fünfzig Reiter und einhundert Mann von Seiner Majestät Leibwache, als ob wir Verbrecher wären, und aus allen Fenstern und Türen hingen die Stadtleute und gafften«. Vier Monate lang (»die sich wie vier Jahre anfühlten«) blieben sie in Gefangenschaft – so lange, bis Karl eine Bestätigung darüber erhalten hatte, dass seine eigenen Botschafter nicht zu Schaden gekommen waren. Auch die jungen französischen Prinzen bestrafte er, indem er sie von einer kargen und unbehaglichen Burg zur nächsten schaffen ließ, bis sie endlich in der abgeschiedenen, im Bergland der Provinz Segovia gelegenen Festung von Pedraza de la Sierra ankamen. Er nahm ihnen auch ihre französischen Bediensteten (mehr als hundert von diesen ließ Karl nach Barcelona marschieren, wo sie auf den kaiserlichen Galeeren Dienst tun mussten). Mehr noch: »Da wir nun herausgefordert worden sind, können wir nichts tun als unsere Ehre und Reputation aufrechterhalten und unsere Untertanen und Territorien erhalten und schützen, wie es unsere Pflicht ist«: Deshalb wurde auf kaiserlichen Befehl jeglicher Handel mit England und Frankreich eingestellt, und sämtliche Untertanen der beiden Königreiche hatten Spanien binnen vierzig Tagen zu verlassen.84

Seinen Bruder erinnerte Karl daran, dass die neue Entwicklung »Euch ganz ebenso betrifft wie mich«. Er erwartete von Ferdinand daher, dass auch er »den Königen von England und Frankreich einen Herold schickt, der ihnen seine Herausforderung überbringt«. Außerdem sollte Ferdinand »die Kurfürsten und anderen Reichsfürsten davon überzeugen, dies ebenfalls zu tun, denn da wir als ihr Oberhaupt eine Herausforderung erhalten haben, betrifft sie dies gleichermaßen, weil sie die wichtigsten Glieder des Reiches sind«. Ein solches Vorgehen, schloss Karl optimistisch, »wird unsere Reputation bei unseren Freunden stärken, unter unseren Feinden aber Schreck und Staunen verbreiten«.85

Ein solcher Optimismus war nicht fehl am Platz. Schließlich war, darauf hat Maurizio Arfaioli hingewiesen, Franz’ Entscheidung für eine weitere Invasion Italiens »bloß ein Mittel und kein Zweck«: Solange »seine beiden Söhne nicht nach Hause zurückgekehrt waren, konnte es so etwas wie eine wirkliche französische Italienpolitik überhaupt nicht geben«. Deshalb zielte Lautrecs Kampagne vor allem darauf ab, »seinem Herrn die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit dem Kaiser aus einer zumindest etwas weniger unvorteilhaften Position heraus zu ermöglichen«. Der König und seine Verbündeten hatten – ganz richtig – vermutet, dass Karl wesentlich empfindlicher auf eine Bedrohung Neapels reagieren würde (das er geerbt hatte), als ihn der Verlust Mailands zu bewegen schien (das er erst kürzlich erworben hatte). Also beschlossen sie, »den Kampf um die Lombardei im Königreich Neapel auszutragen«.86 Im Januar 1528 verließ Lautrec die Lombardei und führte »über 50 000 Mann – eine beinahe unglaubliche Zahl – [gen Süden], wobei sich seine Armee auf eine Fläche von beinahe 150 Quadratkilometern verteilte«. Die Truppen des Kaisers, die sich weit in der Unterzahl befanden, zogen sich zurück, bis sie im Königreich Neapel nur noch eine Handvoll befestigter Städte hielten, woraufhin Lautrec eine Belagerung der Hauptstadt von Land her begann und Dorias Galeeren vor der Küste kreuzten, um Neapel von Nachschub und Verstärkung abzuschneiden. Im April unternahm Hugo de Moncada, der nach dem Tod Lannoys der neue Vizekönig von Neapel geworden war, einen verzweifelten Ausfall mit allen ihm zur Verfügung stehenden Schiffen und versuchte, die französische Blockade zu durchbrechen, doch in »der grausamsten und blutigsten Seeschlacht unserer Tage« kamen er selbst und 1400 seiner Leute ums Leben, ohne etwas gegen die Franzosen ausrichten zu können.87 Innerhalb von nur drei Jahren hatte der Kaiser all die Vorteile, die ihm der Sieg bei Pavia beschert hatte, restlos wieder verspielt.

Der Kaiser

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