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|9|1. Interkulturelle Bildung und Erziehung – eine junge Idee 1.1 Gesellschaftliche Anlässe

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drei Herausforderungen

Die Interkulturelle Pädagogik, im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts als erziehungswissenschaftliche Fachrichtung etabliert, geht auf die Folgen der Arbeitsmigration in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück. Ihre Entwicklung ist – nicht nur in Deutschland – von dieser Migrationsbewegung angestoßen worden, die eine neue Art von Multikulturalität mit sich gebracht hat. Die Arbeitsmigration innerhalb Europas hat sich als Teil weltweiter Migrationsbewegungen herausgestellt. Diese sind eine Folge der globalen wirtschaftlichen Verflechtung, die mit einer kommunikativen Vernetzung (Verkehrsmittel, Medien) einhergeht. Der einheitliche Weltmarkt schafft aufgrund der sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Voraussetzungen neue soziale Gegensätze, was Menschen auf der Suche nach einer sicheren Existenz, nach einem besseren Leben zur Wanderschaft treibt. Die allseitige Konkurrenz verleitet auch zur Bildung neuer Pseudo-Gemeinschaften mit vorgeblich kulturellen Grenzen. Andererseits verlieren die Nationalstaaten als Akteure an Bedeutung, weil sie ihre wirtschaftliche und soziale Steuerungsfunktion nur noch begrenzt wahrnehmen können, was unter anderem zur Bildung größerer politischer Einheiten wie der EU veranlasst, die in sich multikulturell sind. Es lassen sich also mindestens drei Anlässe oder Herausforderungen für interkulturelle Bildung und Erziehung ausmachen: erstens die innergesellschaftliche, vor allem migrationsbedingte, Multikulturalität, zweitens die Vereinigung Europas mit seinen unterschiedlichen Sprachen, Traditionen und Kollektivgeschichten, drittens die Herausbildung der Weltgesellschaft mit ihrer kulturellen Vielfalt, mit der Tendenz zu kulturellen Grenzziehungen einerseits und dem Zwang zu Kooperation und zum interkulturellen Dialog andererseits.

vormoderne Multikulturalität

Multikulturell sind zumindest komplexere Gesellschaften immer schon gewesen, aber die vormoderne Multikulturalität hatte einen anderen Charakter; denn die ethnischen Milieus waren – ebenso wie die Stände – klar voneinander abgegrenzt. Kulturelle Differenzen waren kein Thema, in der Regel auch kein Konfliktstoff. Denn „territoriale und funktionale Trennungen“ genügten, die Weltordnung zu sichern, und beschränkten die Begegnung mit Fremden auf Enklaven und Gelegenheitskontakte. Die Kategorie des „Fremden“ im modernen Sinn gab es noch nicht (Bauman 1996). Vormoderne Gemeinwesen kannten, so Bauman, nur Freund und Feind. Den wenigen Fremden konnte ihr sozialer Ort zugewiesen werden (S. 84). Außerdem fehlte vor der Schaffung der modernden Nationalstaaten der Zwang zur kulturellen Homogenisierung, so dass auch Differenzen nicht virulent wurden. Das Milliyet-System des Osmanischen Reiches zum Beispiel ermöglichte den christlichen Minderheiten ungehinderte Religionsausübung und bis zu einem gewissen |10|Grad ein kulturelles Eigenleben. Wichtig für das Herrschaftssystem war nur die Tributpflicht und der Beitrag zur Rekrutierung des Heeres. Ähnliches galt für die europäischen Feudalherren, deren Territorien Gemeinwesen mit unterschiedlichen Lokalsprachen, Sitten und Bräuchen umfassten. Diese Vielfalt konnte aber vernachlässigt werden, zumal die christliche Religion und das Lateinische als Sprache des Kultus, der Gelehrsamkeit und als Verkehrssprache die damals erforderliche Einheit stifteten. Die Juden mit ihrer anderen Religion bildeten das einzig fremde Element. Aber selbst dieser Unterschied sprengte nach Bauman nicht die damalige Ordnung. Denn „… scharf unterschiedene Lebensstile … waren während der Jahrhunderte, die der Moderne vorgingen, gang und gäbe. In diesem Sinne machte die Verschiedenheit der Juden sie nur zu einem Fall unter vielen“ (1996, S. 144). Die Juden wurden in Ghettos eingeschlossen. Für die Fürsten und die gehobenen Stände in Europa hatten sonstige ethnische Unterschiede keinen politischen Stellenwert, und die Angehörigen der niederen Stände, speziell die Bauern, kamen nur in kriegerischen Zeiten und in den Grenzmarken mit Fremden in Berührung, wo es allerdings, zum Beispiel bei der deutschsprachigen Expansion nach Osten und Südosten, schon im Mittelalter zur Diskriminierung der Unterworfenen, hier der slawischsprachigen Gruppen, kommen konnte. Wenn man von den Ketzerbewegungen des Mittelalters, die von Papst und Kaiser mit allen Mitteln bekämpft und fast alle ausgelöscht wurden, absieht, dann ist mit der Reformation zum ersten Mal die Konfession zu einem Unterscheidungsmerkmal und vor allem zu einer politischen Frage gemacht worden, was zu den Glaubenskriegen des 16. und 17. Jahrhunderts in Europa führte, die vor allem der territorialen Neuordnung dienten. In dem Bemühen der absolutistischen Fürsten, die Bevölkerung ihres jeweiligen Herrschaftsgebiets konfessionell gleichzuschalten, macht sich bereits die neue Tendenz zur nationalstaatlichen Homogenisierung bemerkbar. Vorausgegangen war, was nicht vergessen werden darf, die Vertreibung der Juden und Mauren aus Spanien.

fremde Welten als das ganz Andere

Im selben Zeitraum stießen die Europäer zum ersten Mal auf ihren Entdeckungsfahrten und Eroberungszügen auf ihnen völlig fremde Kulturen in der sogenannten Neuen Welt, in Afrika, im Fernen Osten und im Pazifik. Die fremde Welt konnte aber, wie vorher schon die orientalische, als das ganz Andere, als Kuriosum abgetan werden. Man übernahm selektiv einzelnes, was nützlich erschien. Während man allerdings den hoch entwickelten Kulturen der Araber und Osmanen bei aller Konfrontation immer wieder Respekt zollen musste, lösten die „Wilden“ nach kurzer Neugier und Faszination nur Befremden und Schaudern aus. Da diese Welten aber außerhalb am Rande der eigenen Welt existierten und da man über eine überlegene Macht verfügte, konnte man diese Kulturen abwerten, marginalisieren, zwangsweise assimilieren oder auch auslöschen, so dass sich die Auseinandersetzung damit erübrigte. Bestenfalls wurden die „edlen Wilden“ zu positiven Gegenbildern zum eigenen gesellschaftlichen Zustand stilisiert. Die Faszination durch das Fremde schlägt allerdings nur allzu leicht in Abscheu und Ablehnung um. So wechselten sich zum Beispiel in Europa Phasen der träumerischen Fantasie über den Orient und der begeisterten Übernahmen von dort mit Phasen der Feindschaft ab. In jedem Fall fügten sich die fremden Welten bis in die jüngste Zeit der Dichotomie von Innen und Außen.

nationalstaatliche Homogenisierung – Regionalbewegungen und Ethnizität

|11|„Die Modernisierung war auch ein kultureller Kreuzzug“, so Bauman (1996, S. 145), vom „Universalisierungsehrgeiz der entstehenden Nationalstaaten“ entfacht. Mit der Schaffung der Nationalstaaten seit dem 18. Jahrhundert wurden kulturelle Unterschiede, speziell die Sprachen, zum Politikum, weil neben anderen nationalen Identifikationsobjekten oder -medien vor allem die einheitliche Nationalsprache den Zusammenhalt der neu entstehenden Nation garantieren sollte. Die Nationalliteratur förderte das nationale Bewusstsein der gebildeten Stände. Der Nationalstaat als Wirtschaftsraum drängte die Regionalsprachen und Dialekte ins Abseits, weil der wirtschaftliche Verkehr und mit der Industrialisierung auch die Binnenwanderung die sprachliche Homogenisierung erzwangen. Die – teils damit verbundene, teils zusätzlich betriebene Abwertung der Minderheitensprachen und Dialekte – führte dazu, dass diese in den bürgerlichen Schichten zunehmend weniger benutzt wurden, wobei regionale und nationale Ausnahmen von diesem Trend nicht übersehen werden dürfen. Soweit die Abwertung nicht ausreichte, wurden Dialekte und Regionalsprachen verboten. Schule und Militär waren die bevorzugten Institutionen der nationalen Vereinheitlichung. Die anfänglich meist von allen führenden Schichten unterstützte Homogenisierung stieß allerdings im 19. Jahrhundert auf Gegenbewegungen, die selbst wiederum von Intellektuellen im weitesten Sinn des Wortes, nämlich Geistlichen, Lehrern, Schriftstellern, bürgerlichen Notabeln, initiiert und getragen wurden, die nun den Wert ihrer Regionalsprachen und damit auch anderer regionalen Eigenheiten entdeckten. Damit begann der Diskurs über Ethnizität, wenn auch das Wort noch nicht in Gebrauch war. Im Deutschen sprach man vom „Volkstum“. Diese Bewegung, die im 20. Jahrhundert in Wellen wieder auflebte, war ambivalent. Viele ihrer Protagonisten suchten aufgrund ihres Unbehagens über den Prozess der kapitalistischen Industrialisierung und Urbanisierung das Heil in einer vormodernen Ordnung, so zum Beispiel der Begründer der deutschen Volkskunde, Wilhelm Heinrich Riehl (1823 – 1897). Diese konservative bis reaktionäre Ausrichtung führte zur Volksgruppenideologie des 20. Jahrhunderts und bot Anknüpfungspunkte für faschistische Bewegungen, speziell für den Nationalsozialismus. Auf der anderen Seite hat die Wertschätzung des Volkstümlichen zur Dokumentation regionaler Vielfalt angeregt. Es wurden Volkslieder, Märchen usw. aufgezeichnet, regionale Lebensformen dokumentiert. Literatur und Musik erhielten neue Impulse, wie man vor allem an den Werken vieler europäischer Komponisten sehen kann. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts verbanden sich teilweise, vor allem in Frankreich, Regionalbewegungen mit der ökologischen Bewegung, weil man zu dem Schluss kam, dass die Bewahrung regionaler Eigenheiten von der Art des Wirtschaftens, speziell vom Erhalt landwirtschaftlicher Strukturen, abhinge.

Sprachminderheiten als Objekte der Assimilation

Autochthone Sprachminderheiten wie die Waliser in Großbritannien, die Bretonen in Frankreich oder die Sorben in Deutschland wurden im Zeitalter der europäischen Nationalstaaten zum Objekt mehr oder minder repressiver Assimilationsbemühungen, sofern man sie nicht einfach ignorierte. Letzteres war dort möglich, wo sich Minderheiten nicht artikulierten und nicht besondere Rechte forderten. Sofern man autochthonen Sprachminderheiten Sonderrechte zugestand – am ehesten für den Gottesdienst, teils für den Unterricht, selten für den amtlichen Gebrauch – waren diese auf das jeweilige |12|Siedlungsgebiet beschränkt. Nichts bot Anlass, etwas wie interkulturelle Bildung zu denken. Krüger-Potratz hat die These formuliert: „Die Geschichte von Pädagogik und Schule in Deutschland kennt keine Minderheiten“ (1989, S. 226).

Beispiel einer einheimischen Sprachminderheit: die sorbischsprachigen Deutschen

An der sorbischsprachigen Minderheit lässt sich exemplarisch der Umgang des modernen Nationalstaats mit Minderheiten aufzeigen. Beispielhaft illustrieren lässt sich hier, dass Minderheiten oft Diskriminierungserfahrungen machen und sich ihre Rechte, speziell die Repräsentation im öffentlichen Raum, politisch erkämpfen müssen. Die relativ privilegierte Situation der sorbischsprachigen Deutschen liefert aber auch ein Vorbild, das zeigt, wie eine minderheitenfreundliche Bildungs- und Kulturpolitik aussehen kann. Schließlich sollen damit Probleme der Kulturalisierung oder Ethnisierung, die uns später beschäftigen werden, in den Fragehorizont gerückt werden.

politische Konjunkturen

Das Sorbische, das sich aufgrund der territorialen Aufteilung der Minderheit in zwei Varianten zur Schriftsprache entwickelt hat, nämlich als das Nieder- und das Obersorbische, gehört zur Gruppe der westslawischen Sprachen. Heute leben die sorbisch sprechenden Bundesbürger im Grenzgebiet von Brandenburg und Sachsen. Bis 1945 gehörten sie zu Preußen und Sachsen. Es gibt Gebiete mit katholischer und auch mit protestantischer Tradition. Im deutschen Kaiserreich wurden noch 130.000 Sorben oder Wenden gezählt. Nach 1990 wurde die Zahl der Sorbischsprachigen wie schon in den 20er Jahren auf rund 60.000 geschätzt, was noch zu hoch gegriffen sein dürfte. Eine erste rasche Abnahme bewirkte zusammen mit der Industrialisierung der Germanisierungsdruck im Kaiserreich. In der Weimarer Republik folgte eine kurze Zeit der Duldung und Unterstützung. Immerhin erhielten in Sachsen zwei Schulaufsichtsbezirke mit gemischtsprachigen Schulen per Gesetz von 1919 Schulräte „wendischer“ Herkunft. Den Lehrerinnen wurde ausdrücklich „der Gebrauch auch der wendischen Sprache“ zur Pflicht gemacht. Die Bezeichnungen „Sorben“ und „Wenden“ werden übrigens meist synonym verwendet. Im Dritten Reich dagegen wurde das Sorbische unterdrückt und aus Schulen und öffentlichen Einrichtungen verbannt. In den Schulen durfte selbst in den Pausen nicht Sorbisch gesprochen werden. Der Bund der Lausitzer Sorben, die Domowina (gegr. 1912), wurde verboten, und die sorbische Zeitung mußte ihr Erscheinen einstellen.

musterhafte Minderheitenpolitik – Widersprüche

Zur DDR-Zeit kamen die Sorben in den Genuss einer musterhaften Minderheitenpolitik, wenngleich diese nicht ohne Widersprüche war. In den Kindergärten des Sprachgebiets sollten beide Sprachen gebraucht werden. An hundert Einrichtungen der zehnklassigen Einheitsschule wurde Sorbisch als Unterrichtsfach angeboten. Darüber hinaus gab es acht sorbische Schulen mit Sorbisch als Unterrichtssprache und zwei Erweiterte Oberschulen, die zur Hochschulreife führten. Selbst in der Berufsausbildung sollte die Möglichkeit gegeben sein, die Ausbildung in Sorbisch fortzusetzen oder abzuschließen. In der Erwachsenenbildung, in der staatlichen Jugendorganisation, in den pädagogischen Ausbildungsgängen und in der Forschung wurde der Minderheitensprache Beachtung geschenkt. Allerdings machte die Verstaatlichung auch vor der kulturpolitischen Arbeit nicht Halt. Der sorbische |13|Verlag wurde als Volkseigener Betrieb geführt. Zur Ergänzung der Printmedien wurde in den 80er Jahren der Sorbische Rundfunk aufgebaut, der drei Stunden täglich Sendungen in sorbischer Sprache ausstrahlte. Dieses staatliche Engagement hatte seine Kehrseite. Abgesehen von der Gefahr der kulturpolitischen Gängelung, ergaben sich ähnliche Probleme wie in Staaten, die den Multikulturalismus zum Programm erheben. Bedenkliche Nebeneffekte waren nämlich eine Homogenisierungstendenz, die das Konstrukt eines auf sorbisches „Kulturgut“ gestützten „reinen“ Sorbentums hervorbrachte, und die Gefahr der Selbsttäuschung über die Vitalität der Sprache bei den staatlichen Instanzen wie bei den Minderheitenvertretern. Wie lebendig die Sprache noch ist, wird von Fachleuten skeptisch eingeschätzt. Dies wurde nicht zuletzt durch wirtschaftliche Zwänge und die zwiespältige Politik der DDR verschuldet. Nach der Kollektivierung der Landwirtschaft zeitigte der großräumige Abbau der Braunkohlevorkommen in der Lausitz seine destruktive Wirkung. Dazu sah sich die DDR ohne Rücksicht auf den sorbischen Siedlungsraum wegen des Energiemangels genötigt. Viele Dörfer wurden umgesiedelt. Es kam nicht nur zur verstärkten Industrialisierung der Region, sondern zur planwirtschaftlich arrangierten Verstädterung und Auflösung gewachsener Strukturen mit den absehbaren Folgen für die Minderheitensprache und -kultur. Im kapitalistischen System wirken nun die ökonomischen Mechanismen ironischerweise wieder gegen die Regionalsprache. Mangels Rendite wurde die ganze Energiewirtschaft zurückgefahren, der Bergbau eingestellt, was die Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich steigen ließ. Solange keine Alternativen in Sicht sind, werden die Erwerbsfähigen zur Abwanderung gezwungen.

zweisprachige Bildung

In den Landesverfassungen der neuen Bundesländer Brandenburg und Sachsen hat man den Minderheitenschutz verankert. Die Schulpolitik für die Sorben orientiert sich am Standard der ehemaligen DDR. Zum Beispiel hat man die großzügige Regelung übernommen, dass ab fünf Schülern sorbischer Sprachunterricht angeboten werden kann. Es gibt nach wie vor sorbische Schulen mit besonderen Lehrplänen, darunter zwei Gymnasien. Die Sorben selbst sind initiativ geworden und haben einen Schulverein gegründet. MDR und RBB strahlen täglich sorbischsprachige Radiosendungen aus. Die Länder Brandenburg und Sachsen haben eine Stiftung für die Sorben gegründet, deren Stiftungskapital jedoch als zu gering eingeschätzt wird.

Pespektiven und Aufgaben

Mag sein, dass mit vereinten Anstrengungen die sorbische Sprache am Leben erhalten werden kann. Unabhängig von dieser Intention aber wird es wichtig sein, in der Region das Bewusstsein verschiedener Kulturtraditionen wach zu halten. Inzwischen wurden an mehreren Orten zweisprachige Kindergärten gegründet, zu denen auch deutschsprachige Eltern ihre Kinder schicken, was nicht nur der Revitalisierung des Sorbischen dienen, sondern Mehrsprachigkeit und interkulturelles Verstehen fördern kann. Eine entscheidende Rolle fällt den Intellektuellen, besonders den Schriftstellern und Dichtern zu, deren Domäne die Sprache ist, nicht im Sinne des bloßen Bewahrens, sondern des kreativen Fortschreibens. Als Beispiel erwähnenswert sind die Texte der zeitgenössischen Dichterin Roza Domascyna (geb. 1951), die von der Sprachmischung leben. Solch bewusste Kreolisierung arbeitet dem Phantombild der reinen, authentischen sorbischen Kultur entgegen, das die Selbst- und Fremdwahrnehmung weithin bestimmt, wie eine |14|diskursanalytische Studie von Tschernokoshewa (2000) nachweist. Die Autorin zeigt an Pressetexten, wie dort eine ursprüngliche, „echte“ Welt sorbischen Brauchtums etc. als Gegenwelt, ja geradezu als „verkehrte Welt“ (S. 60) konstruiert wird. Solche Vorstellungen drängen eine Minderheit unweigerlich in die Defensive und eröffnen paradoxerweise keine Zukunftsperspektiven.

Die Ethnisierung von außen, das lässt sich an dieser Gruppe gut einsichtig machen, hat Folgen für die Identitätskonstrukte ihrer Mitglieder. Die Sorben werden vor allem außerhalb der Region nur als folkloristisches Phänomen wahrgenommen (Tschernokoshewa 2000).

die europäischen Juden – der klassische Typus des Fremden – die „Zigeuner“ als Projektionsfolie

Die Diskriminierung der Sorben war, vom NS-Regime abgesehen, sublim. Anders stellte sich in Deutschland der Umgang mit der jüdischen Minderheit und den „Zigeunern“ dar. Die einen wurden vor allem aufgrund ihrer anderen Religion, die anderen vor allem wegen ihrer abweichenden Lebensweise als fremd erfahren, als „anstößig“ fremd vielleicht auch deshalb, weil man jederzeit mit ihnen in Kontakt kommen konnte. Ihnen gegenüber funktionierten die „territorialen und funktionalen Trennungen“ (Bauman 1996) nicht mehr. Ihre Mobilität und ihr Kosmopolitismus implizierten „die praktische Inkongruenz“ ihres Daseins – Deutschland als „Heimat“ und Provisorium zugleich – was an ihrer Loyalität zweifeln ließ (vgl. Bauman 1996, S. 82). Für Georg Simmel (1858 – 1918) lieferte die Geschichte der europäischen Juden „das klassische Beispiel“ für den Typus des Fremden, der, nah und doch fern, dazu gehört und doch auch nicht dazugehört. Die Befähigung zum interkulturellen Dialog war bis zur Aufklärungsepoche außerhalb des Denkhorizonts. Auch danach blieben Ansätze dazu vereinzelt. Stattdessen setzte man die jüdische Minderheit einem starken Assimilationsdruck aus. Ein akzeptables Identitätsangebot, nämlich preußischer, württembergischer oder später reichsdeutscher Staatsbürger und zugleich Jude sein zu können, gab es nie. Im ländlichen Bereich hatte man eine Form der Koexistenz gefunden, aber gerade in den modernen, urbanen Lebensbereichen gab es nur die Alternative zwischen Assimilation und Ausgrenzung für Bürger jüdischer Herkunft. Als letzte Konsequenz der Negation des Fremden kann man das Verbrechen des Holocaust sehen. Es sollte aber auch nicht vergessen werden, dass die jüdische Minderheit im Deutschen Reich und in der Weimarer Republik eine eigene soziale Infrastruktur mit eigenen Wohlfahrtseinrichtungen, Hochschulen und teilweise auch Schulen aufgebaut hatte. Die Synagogen in Städten und Dörfern machten die jüdische Kultur im öffentlichen Raum sichtbar. Dennoch wurden die Juden anscheinend nicht als selbstverständlicher Bestandteil der Gesellschaft gesehen. Die politischen und wissenschaftlichen Diskurse, deren Einfluss auf das Alltagsbewusstsein freilich kaum rekonstruiert werden kann, wurden spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend judenfeindlich, wie der von dem Historiker v. Treitschke ausgelöste „Antisemitismus-Streit“ zeigt. Opfer einer nicht einmal zum Thema gemachten Diskriminierung waren aufgrund ihrer fremden, teilweise nomadisierenden Lebensweise die Sinti. Diese Lebensweise ist zur Folie negativer wie positiver Projektionen geworden (Zigeunerromantik einerseits, das Bild vom diebischen, schmutzigen Zigeuner andererseits). Hieran lässt sich wiederum |15|das Changieren zwischen Faszination und Ablehnung von Fremden demonstrieren.

unmittelbare Nachbarschaft mit Fremden infolge der Migration

Die Idee einer interkulturellen Bildung ist, wie gesagt, erst im Gefolge der heutigen Migration aufgekommen. Die Einwanderungsbewegungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die von der neuen Arbeitsmigration, in der Bundesrepublik also von der Anwerbung von Arbeitskräften aus den Mittelmeerländern, eingeleitet wurden, brachten die unmittelbare Nachbarschaft mit fremden Lebensweisen und Kulturen und eine mehrsprachige Zusammensetzung der Schülerschaft mit sich, was zu neuen pädagogischen Konzepten herausforderte. Wieweit der Import von Ideen aus anderen Ländern, die wie Kanada aufgrund der Einwanderung ihr Selbstverständnis neu formulieren mussten, zu der bildungsgeschichtlich neuen Sichtweise beigetragen hat, lässt sich rückblickend nicht mehr rekonstruieren.

Definition des Fremden

Das Motiv für interkulturelle Bildung erwächst aus einer Situation, in der das Innen-Außen-Schema, mit dem andere Lebensformen auf Distanz gehalten werden konnten, nicht mehr funktioniert, so dass Fremdheit allgegenwärtig wird. Der Fremde fügt sich nach Bauman nicht dem Innen-Außen-Schema, der Freund-Feind-Opposition. Er ist der Inbegriff des Ambivalenten, des „Unentscheidbaren“ (1996, S. 76). Konnte man nach Bauman den wenigen Fremden früher ihren sozialen Ort zuweisen, so gelingt dies gegenüber den „Ausländern“ in der Einwanderungsgesellschaft endgültig nicht mehr (S. 84). Simmels Definition des „Fremden“ legt die Vermutung nahe, dass die heutige Migration und die Globalisierung uns zur Auseinandersetzung mit Fremdheit nötigen. Heutige Migranten entsprechen jener Definition: „Der Fremde ist uns nah, insofern wir Gleichheiten nationaler oder sozialer, berufsmäßiger oder allgemein menschlicher Art zwischen ihm und uns fühlen;er ist uns fern, insofern diese Gleichheiten über ihn und uns hinausreichen und uns beide nur verbinden, weil sie überhaupt sehr Viele verbinden“ (1992, S. 13f.). „Er ist uns physisch nah, während er geistig fern bleibt“ (Bauman 1996, S. 82).

Vorausgegangene Prozesse der Arbeitsmigration hatten die Gesellschaft nur am Rande berührt. Meist handelte es sich um Formen der Saisonarbeit in der kapitalisierten Landwirtschaft oder der vorübergehenden Beschäftigung beim Aufbau der industriellen Infrastruktur, zum Beispiel beim Eisenbahnbau, im 19. Jahrhundert – beides Erfordernisse der Industrialisierung. Eine Ausnahme stellt die langfristige Beschäftigung polnischsprachiger Bergarbeiter im Ruhrgebiet seit dem späten 19. Jahrhundert dar, die zum Familiennachzug und damit zu einer zweisprachigen Wohnbevölkerung mit ethnischen Grenzziehungen führte; denn die sogenannten „Ruhrpolen“ gründeten ihre eigenen Gewerkschaften, Vereine und Kirchengemeinden. Dennoch betrachtete man dies im damaligen Preußen anscheinend als vorübergehende Erscheinung. Die Idee einer interkulturellen Bildung war der Zeit fremd.

vormoderne Migrationsbewegungen

Exkurs zur Migrationsgeschichte:

Die Feststellung: Wanderungen gibt es seit Beginn der Menschheitsgeschichte, ist so richtig wie nichtssagend. Denn damit ist nichts gesagt über die historisch unterschiedlichen Migrationsmotive, -ziele und -bedingungen. Moderne „Migrationssysteme“ (Sassen 1996) gibt es erst im Zeitalter |16|der Nationalstaatsbildung und der kapitalistischen Industrialisierung. Bis zur industriellen Revolution sind zwei Arten von Migration dominant, nämlich Siedlungs- und Fluchtmigration. Typische Beispiele für die Siedlungsmigration der Neuzeit sind die Auswanderung in die Vereinigten Staaten und die Ansiedlung deutschsprachiger Bauern in Russland und in Ungarn. Diese von merkantilistisch orientierten Herrschern, im einen Fall von der Zarin, im anderen Fall von den Habsburgern, geförderten Migrationen dienten der Erschließung von Neuland und teilweise der Grenzsicherung. Fluchtbewegungen wurden vor allem durch die religiösen Konflikte seit dem 16. Jahrhundert ausgelöst. Zum Teil lag eine planmäßige Vertreibung, zum Beispiel der Protestanten aus dem Salzburger Land oder der Hugenotten aus Frankreich, zugrunde. Die Aufnahme dieser Flüchtlinge in Preußen und anderen deutschen Territorien, die mit wirtschaftlichen Nutzenerwartungen verbunden war – die Hugenotten waren vor allem als Handwerker geschätzt – zeigt die Mischung der Motive, in diesem Fall seitens der Landesfürsten. Auch die Auswanderung der „Pilgerväter“, die im 17. Jahrhundert England aus religiösen Gründen verließen und in Amerika ihr Glück als Siedler suchten, hatte ein doppeltes Ziel, nämlich Suche nach religiöser Freiheit und nach neuem Siedlungsraum.

Arbeitsmigration – ein Spezifikum des Kapitalismus

Die Arbeitsmigration hat das System der freien Lohnarbeit zur Voraussetzung und ist daher historisch an die kapitalistische Produktionsweise gebunden. Freie Lohnarbeit besteht im Prinzip darin, dass erwerbsfähige, aber nicht über Produktionsmittel verfügende Personen ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt anbieten und dann einem Produktionsmittelbesitzer, sprich einem Unternehmen, auf der Basis arbeitsvertraglicher Regelungen zur Verfügung stellen. Diese Form der Ausbeutung der Arbeit hat neben der Konzentration der Produktionsmittel in den Händen einiger weniger vor allem die Durchsetzung der Vertragsform als allgemeiner Rechtsform zur Voraussetzung. Die Arbeitsmigration stellt ein wichtiges Kapitel der Wirtschaftsgeschichte des Kapitalismus dar. Diese Wirtschaftsform mit der ihr eigenen Tendenz zur universellen Ausbreitung unterhöhlt die jeweils an den Rändern noch existierenden älteren Produktionsweisen, so sehr sie zuerst von deren Existenz zehrt;denn von dort bezieht man günstig Rohstoffe, Halbfertigprodukte und, bedingt durch die einfache Lebensweise, billige und willige Arbeitskräfte. Zunehmende Marktabhängigkeit, Technisierung und Rationalisierung mit ihren Implikationen (Zwang zur Zeitökonomie, landwirtschaftliche Monokulturen etc.) zerstören jedoch schrittweise die Strukturen an der Peripherie und setzen ständig Arbeitskräfte frei, die damit potentiell dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Häufig bleibt diesen aufgrund ihrer verschlechterten Lebensbedingungen keine andere Wahl, als ihr Glück in den industrialisierten Zentren zu suchen. Oft lockt auch der vergleichsweise höhere Lebensstandard. Die Peripherie hat sich übrigens schrittweise nach außen verschoben. Waren früher etwa Masuren oder der Bayerische Wald Peripherie und damit Arbeitskräftereservoir, so reicht diese heute bis zu den Philippinen.

die wirtschaftliche ‚ratio‘ der Arbeitsmigration

Einwanderungspolitik ist primär Arbeitsmarktpolitik. Das vorherrschende Motiv war lange Zeit die flexible Anpassung des Beschäftigungsvolumens an den von den konjunkturellen Schwankungen des Marktes und von der Technisierung abhängigen Arbeitskräftebedarf. Einen Sonderfall stellt die |17|Landwirtschaft dar, wo jeweils nur jahreszeitlich befristet ein Heer von Arbeitskräften gebraucht wurde und z.T. noch wird. Seit der neoliberalen Reform mit Leiharbeit etc. ist nicht mehr die Flexibilität des Angebots treibendes Motiv, sondern der Bedarf an Qualifikationen, wenn das Angebot an Fachkräften im Rückstand ist. Ein drittes Motiv liefert inzwischen die demographische Entwicklung, nämlich die Abnahme der Erwerbsbevölkerung durch Überalterung.

Unter dem Aspekt der gewünschten Flexibilität der Arbeitskräfte ist aufschlussreich, dass Wanderarbeiter ausländischer Herkunft am Anfang vorzugsweise dort eingesetzt wurden, wo zeitlich befristete Arbeiten anfielen, zum Beispiel beim Eisenbahnbau. So wie Osteuropa jahrzehntelang das große Arbeitskräftereservoir für die deutsche Industrie war, so Irland für die englische Industrie. Auch die Auswanderung nach den USA nahm mit dem Abschluss der Besiedlung des Wilden Westens den Charakter der Arbeitsmigration an (vgl. Heckmann 1981).

vom „Zwangsarbeiter“ zum „Gastarbeiter“

Das System der Beschäftigung von „Fremd-“ und „Zwangsarbeitern“ unter dem NS-Regime gab vermutlich das Muster für die Anwerbung der „Gastarbeiter“ in der Zeit des „Wirtschaftswunders“ ab, wenngleich der grundlegende Unterschied, der in der arbeitsrechtlichen Regelung der Arbeitsverhältnisse und der tariflichen Entlohnung lag, nicht übersehen werden soll.

Die Anwerbeabkommen von 1955 bis zum Anwerbestopp 1973:

– 1955 mit Italien

– 1960 mit Spanien und Griechenland

– 1961 mit der Türkei

– 1964 mit Portugal

– 1965 mit Tunesien und Marokko

– 1968 mit Jugoslawien

Fluchtbewegungen seit 1789

Während die Fluchtmigration bis zur Zeit der Französischen Revolution religiöse Verfolgung zum Anlass hatte, wurde von da an politische Verfolgung zum maßgeblichen Motiv für Fluchtbewegungen. Die Parteigänger des Ancien Regime flohen aus dem revolutionären Frankreich, Jahrzehnte später, vor allem nach 1848 viele Demokraten vor der Reaktion in Deutschland. Die erste große Flüchtlingswelle im 20. Jahrhundert wurde durch die Russische Revolution und den nachfolgenden Bürgerkrieg ausgelöst. In den 1920er Jahren suchten zahllose russische Emigranten, meist Angehörige der oberen Schichten, in den westeuropäischen Ländern Zuflucht. Staatliche Repression zwang in der Folgezeit permanent Dissidenten zur Flucht, und zwar nach 1945 unter stalinistischer Herrschaft aus allen Ländern des „Ostblocks“, wobei wegen des sog. Eisernen Vorhangs die Flüchtlingszahlen begrenzt blieben. Ein halbes Jahrhundert lang, vom Beginn des italienischen Faschismus (1922) bis zum Ende der Franco-Diktatur in Spanien (1975), trieben faschistische Regime in Europa Menschen in die Flucht, allen voran Nazi-Deutschland, das außerdem mit seinem Angriffskrieg ganz Europa destabilisierte. Mit dem Ende des Kolonialismus kam es – oft infolge kolonialer Grenzziehungen und Herrschaftspraktiken – in Afrika und Asien zu |18|ethnischen Konflikten und Bürgerkriegen, aus denen oft Diktaturen oder autoritäre Regime hervorgingen. Während des Kalten Krieges in Europa wurde ein heißer Krieg zwischen den damaligen Supermächten in Ländern der Dritten Welt ausgetragen. In Lateinamerika kam es durch Intervention der USA zur Unterdrückung von Volksbewegungen, so dass zum Beispiel viele Chilenen ins Exil getrieben wurden. All diese Entwicklungen produzierten im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zunehmend Flüchtlinge, von denen ein Teil in Europa Zuflucht suchte.

ethnische Verfolgung

Ein Spezifikum des 20. Jahrhunderts wurde die ethnische Verfolgung und Vertreibung bis hin zum Genozid, im 19. Jahrhundert eingeleitet durch die Judenpogrome im Zarenreich. Die Auflösung des Osmanischen Reiches und der Donaumonarchie, der beiden Vielvölkerstaaten, zog eine Kette von ethnischen Konflikten und „Säuberungen“ am Beginn und am Ende des 20. Jahrhunderts nach sich. In Reaktion auf den aggressiven Expansionismus des NS-Regimes kam es zur fast vollständigen Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus den abgetrennten Reichsgebieten und den östlichen Nachbarstaaten. Zwischen 1945 und 1963 fanden 17 bis 18 Mio. Vertriebene und Flüchtlinge Aufnahme in Ost- und Westdeutschland. Ihre Integration verlief zwar nicht reibungslos. – Auch sie wurden als Fremde betrachtet und oft in ihrem Umfeld diskriminiert. Entscheidend für die erfolgreiche Eingliederung waren aber die massiven Integrationshilfen, auch finanzieller Art, die staatbürgerlichen Rechte, mit der sie eine starke politische Lobby bilden konnten, und die Sprachkenntnisse.

heutige Fluchtgründe – die notwendige Aktualisierung des Asylrechtes

Zu den historisch älteren Fluchtursachen kommen heutzutage die Zerstörung der Naturressourcen, zum Beispiel Dürrekatastrophen, und die Zerstörung sozialer Strukturen sowie die Unterdrückung von Frauen, die sich infolge der Auflösung traditioneller Normsysteme oft verschärft hat oder auch als drückender erfahren wird. Den heutigen Fluchtgründen wird unser Asylrecht, das nur auf staatliche Verfolgung abstellt, schon lange nicht mehr gerecht. Ein Vorzug des deutschen Asylrechts ist der einklagbare Anspruch auf Asyl, der gravierende Mangel aber die enge Definition der anerkennbaren Asylgründe. Die von der Bundesrepublik unterzeichnete Genfer Konvention enthält eine weiter gefasste Definition des schutzwürdigen Flüchtlings, was die deutsche Asylpraxis etwas korrigiert.

Aussiedler

Eine besondere Variante von Immigration ist die Zuwanderung der Aussiedler, die als Nachkommen deutschsprachiger Siedler in Osteuropa Aufnahme in der Bundesrepublik fanden. Rechtsgrundlage dafür sind das Grundgesetz (Art.116) und das Bundesvertriebenengesetz, die neben der Kategorie der Staatsangehörigkeit die Kategorie der „deutschen Volkszuhörigkeit“ kennen. Dies war in dem bis zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts maßgeblichen ethnischen Nationsverständnis begründet. Es entsprach aber auch dem Gerechtigkeitsprinzip, dass die Bundesrepublik diese Menschen, die – speziell als Russlanddeutsche – lange Zeit für den deutschen Angriffskrieg haftbar gemacht worden sind, in Obhut nahm.

Die Europäische Union hat eine neuartige Migration innerhalb der EU mit sich gebracht, die erstens gekennzeichnet ist von stärker gemischten Wanderungsmotiven als die traditionelle Arbeitsmigration. Die Suche nach einem Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz mischt sich mit Neugier, Bedürfnis nach einem Wechsel des sozialen Umfelds, Extraqualifikation |19|durch fremdsprachliche Kompetenz etc. Damit ist zweitens die soziale Zusammensetzung gemischter. Drittens ist die transnationale Mobilität höher. Jedoch ist inzwischen auch bei Frauen und Männern mit einer außereuropäischen Migrationsgeschichte die zeitweise Remigration nicht ungewöhnlich. So spannen sich transnationale soziale Räume auf.

Kategorien von (Im-)Migranten:

Arbeitsmigranten, nach Rechtsstatus zu unterscheiden:

– EU-Angehörige,

– Nicht-EU-Angehörige,

– Werkvertragsarbeitnehmer,

– Saisonarbeitskräfte;

Aussiedler/innen bzw. Spätaussiedler/innen;

Flüchtlinge, nach Rechtsstatus zu unterscheiden:

– Asylbewerber/innen,

– Asylberechtigte,

– De-facto-Flüchtlinge,

– Kontingentflüchtlinge;

„Illegale“ oder Irreguläre ohne Dokumente.

die Entwicklung zur Weltgesellschaft

Die Idee interkultureller Bildung und Erziehung wird heute außer durch die Migration auch durch das Näherrücken einst weit entfernter Gesellschaften aufgrund moderner Verkehrsmittel nahegelegt. Die elektronischen Kommunikationsmedien bringen Raum und Zeit zum Verschwinden. Das zweite Motiv liegt in den weltweiten Interdependenzen, die aus der Weltbevölkerung – trotz der Spaltung in Arm und Reich – eine Schicksalsgemeinschaft machen, so dass zu Recht von einer „Weltgesellschaft“ gesprochen werden kann, die vor gemeinsamen Aufgaben wie dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen steht. Dem entspricht das Entstehen einer Weltöffentlichkeit. Es ist nur scheinbar paradox, dass zugleich kulturelle Differenzen überraschend stark artikuliert werden. Das ist nicht allein darauf zurückzuführen, dass aktuelle ökonomische Abhängigkeiten und historische Entwicklungsbehinderungen und Benachteiligungen zum Beispiel durch die Kolonialherrschaft zur Betonung von Authentizität und kultureller Andersartigkeit provozieren, sondern erklärt sich auch dadurch, dass Kontakte neben der – sei es einseitigen, sei es gegenseitigen – Akkulturation auch ein Bewusstwerden des Eigenen und Fremden mit sich bringen. Inwiefern dabei von „Bewusstwerdung“ gesprochen werden kann, und ob nicht von Konstruktion gesprochen werden muss, ob nicht auch im Prozess der Begegnung etwas Drittes entsteht, sei vorläufig dahingestellt, aber als Frage vorgemerkt.

Einführung in die Interkulturelle Pädagogik

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