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1.2. Die Leitmotive

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grundlegend: Gleichheitsprinzip und Anerkennung

Die leitende Perspektive der Interkulturellen Pädagogik ist die Idee einer multikulturellen Gesellschaft, basierend auf zwei Grundsätzen: dem Prinzip der Anerkennung, speziell auch von sprachlicher oder religiöser Vielfalt, |20|bei Gleichheit der Chancen oder Inklusion in die gesellschaftlichen Teilsysteme. Beide Prinzipien machen nach Nancy Fraser (2001) das politische Projekt von heute aus, und beide gelten auch für die Interkulturelle Pädagogik. Die Anerkennung gilt den von Individuen für wertvoll, weil identitätsrelevant gehaltenen kulturellen Formen und Inhalten und der jeweiligen sozialen Selbstzuordnung. Sie bezieht sich nicht auf Kulturen, als selbständige Wesenheiten gedacht, was äußerst problematische Implikationen hätte (siehe Kap. 3). Ziele von interkultureller Erziehung und Bildung sind somit zum einen Haltungen, zum anderen Wissen und Fähigkeiten, zum Beispiel das Wissen um strukturelle Benachteiligung, Sensibilität für mögliche Differenzen, die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel. Vorrangig sind das Eintreten für gleiche Rechte und Sozialchancen ungeachtet der Herkunft und die Haltung der Akzeptanz, des Respekts für Andersheit. Diese Haltungen sind unverzichtbar für die Befähigung zum interkulturellen Dialog, der die Befähigung zum interkulturellen Verstehen voraussetzt. Verstehen und Dialogfähigkeit sind die anderen übergreifenden Ziele interkultureller Bildung. Das Verstehen wird vom Dialog dadurch unterschieden, dass hier zunächst einmal Sinn und Bedeutung erschlossen werden müssen, während es dort um strittige Geltungsansprüche geht (z.B. was ist moralisch?). Im Prozess der Kommunikation ist zugegebenermaßen beides nicht zu trennen, weil zum Beispiel differente Rollenerwartungen das Verstehen beeinträchtigen können, und einer solchen Differenz tiefere Norm- und Wertdifferenzen zugrunde liegen können (z.B. Geschlechterordnung).

Die Leitmotive Interkultureller Pädagogik:

– das Eintreten für die Gleichheit aller ungeachtet der Herkunft,

– die Haltung des Respekts für Andersheit,

Übergeordnete Ziele:

– die Befähigung zum interkulturellen Verstehen,

– die Befähigung zum interkulturellen Dialog.

Anerkennung versus Toleranz – Formen der Anerkennung nach Honneth

Der Begriff der „Anerkennung“ wird heutzutage gegenüber dem Begriff der „Toleranz“ bevorzugt;denn „Toleranz“ enthält, ungeachtet dessen, dass sie auch neu definiert werden könnte, zu sehr den Beigeschmack der bloßen Duldung, was sich auch begriffsgeschichtlich erklären lässt. Die Toleranzforderung diente im Konfessionenstreit nach der Reformation der politischen Befriedung. Sie sollte, von der herrschenden Gruppe gewährt, der jeweiligen konfessionellen Minderheit die notwendige Sicherheit bieten. Toleranz impliziert daher immer schon eine Machtasymmetrie, was der Sprachgebrauch enthüllt. Wollten sich etwa Einwanderer als tolerant gegenüber der Majorität bezeichnen, würde dies als Arroganz gewertet. Der Begriff der „Anerkennung“ ist aus dem angelsächsischen Sprachgebrauch übernommen worden, wo verschiedene Minderheiten in den letzten Jahrzehnten in einer „politics of recognition“ einen Kampf um Anerkennung ausgetragen haben. In Deutschland hat Axel Honneth diesen Kampf unter Rückgriff auf die philosophische Tradition seit Hegel moralphilosophisch begründet. In der „moralischen Grammatik sozialer Konflikte“ unterscheidet er verschiedene Anerkennungsformen oder -verhältnisse. Menschen haben |21|und erheben nicht nur Anspruch auf die Anerkennung als Rechtssubjekte, sondern auch als zur jeweiligen Wertgemeinschaft Zugehörige. Daher sieht Honneth die Anlässe für soziale Kämpfe nicht nur in Interessenkonflikten. Neben der Entrechtung und Ausschließung sei die Aberkennung sozialer Wertschätzung für Gruppen ein Motiv der Empörung und damit politischen Auseinandersetzung. Volle Anerkennung in diesem Sinn verlangt eine Überprüfung des kulturellen Selbstverständnisses der Dominanzgesellschaft. Denn: „Das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft gibt die Kriterien vor, an denen sich die soziale Wertschätzung von Personen orientiert“ (Honneth 1994, S. 198). Anerkennung impliziert also weit mehr als Toleranz. Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Fraser sieht die Forderung nach Anerkennung von den neuen sozialen Bewegungen auf die Agenda gesetzt, ohne dass die Forderung der alten sozialen Bewegung nach Verteilungsgerechtigkeit obsolet geworden ist.

Das Eintreten für Gleichheit oder Engagement gegen Diskriminierung setzt selbstverständlich das Bewusstsein von Ungleichheit voraus. Dies ist das pädagogische Ziel, übrigens auch bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Sie sind sich über Mechanismen der institutionellen Diskriminierung oft nicht im Klaren. Schulisches Scheitern bspw. führen sie, wie Fallstudien zeigen (Rosen 2011), oft nur auf eigenes Versagen oder das ihrer Familie zurück, ganz in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung.

Leitmotive – pädagogische Ziele

Die Leitmotive Interkultureller Pädagogik liefern Kriterien für die Wahl von Teilzielen, Inhalten und methodischen Zugängen und implizieren Prinzipien für das Handeln der Pädagog/inn/en. Denn wenn diese nicht positive Modelle interkulturellen Umgangs abgeben, sind die Intentionen nicht einlösbar. Der Gleichheitsgrundsatz ist das treibende Motiv antirassistischer Erziehung, weil alle Arten von Rassismus diesen Grundsatz verletzen. Während antirassistische Erziehung die Sensibilität für diskriminierende Strukturen intendiert, zielen Integrationshilfen für Migrant/inn/en, vom selben Motiv getragen, auf deren Emanzipation ab. Antirassistische Erziehung muss Bestandteil einer recht verstandenen Interkulturellen Pädagogik sein. Andernfalls tendiert Letztere zu kulturalistischen Vereinfachungen, während Erstere dazu tendiert, das Prinzip der Anerkennung von Andersheit zu vernachlässigen. Die antirassistische Erziehung, speziell in Großbritannien als Gegenentwurf zur Multicultural Education entstanden, konzentriert sich auf die strukturelle Benachteiligung der Immigranten, die längst auch in Konzepten beachtet wird, die mit dem Label interkulturelle Bildung versehen sind. Dennoch sollte sich die Interkulturelle Pädagogik ernsthaft mit dem Vorwurf der Kulturalisierung auseinandersetzen.

Konsequenzen für die pädagogische Praxis

Für die erzieherische Haltung und das pädagogische Handeln lassen sich zwei grundlegende Formen der Achtung unterscheiden: die Achtung vor der allgemeinen Menschenwürde der Lernenden oder Klienten und die Anerkennung ihrer (nicht nur) kulturellen Besonderheit. Gleichheit und Anerkennung haben auch Konsequenzen für die Reform der pädagogischen Institutionen, für deren Leitbilder, Curricula, Personal, die Kooperationsformen, die soziale Öffnung etc. (dazu Kap. 7).

Die Leitmotive und übergeordneten Ziele begründen die grundlagentheoretischen Themen und Forschungsfelder Interkultureller Pädagogik. Der Gleichheitsgrundsatz verlangt nach der Auseinandersetzung mit Rassismus. |22|Das Prinzip der Anerkennung verweist auf differenztheoretische Diskurse, wobei auch der Bezug auf die Gender-Forschung und generell auf die Diversity-Programmatik von Belang ist. Die Spezifika interkulturellen Verstehens sind Gegenstand der interdisziplinären Forschung über interkulturelle Kommunikation. Auch Konzepte von Fremdheit sind zu berücksichtigen. Der interkulturelle Dialog impliziert Fragen nach der Universalität und kulturellen Kontextualität von Menschenbildern, Werten und Normen.

Einführung in die Interkulturelle Pädagogik

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