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1.3. Über korrekte Sprache

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Unsicherheit im Sprachgebrauch

Im Bereich interkultureller Bildungsarbeit und Kommunikation ist man stets mit dem möglichen Vorwurf einer inkorrekten Sprachverwendung konfrontiert, entweder weil die verwendeten Begriffe nicht dem innerfachlichen Diskussionsstand entsprechen oder weil Gruppenbezeichnungen wie „Ausländer“ als diskriminierend und ausgrenzend gelten. Dadurch entsteht eine gewisse Unsicherheit im Sprachgebrauch, nicht zuletzt bei denen, die mit der sensiblen Thematik schon vertrauter sind und sich für die Sache von „Ausländern“ oder „Migranten“ engagieren.

Die Schwierigkeiten der Begriffsverwendung lassen sich zum Teil auf die Migrationspolitik und damit auf die gesellschaftliche Situation zurückführen, der die Sprache ja gerecht werden soll. Die Bezeichnung „Ausländer“ wird von den Betroffenen als ausgrenzend und unangemessen empfunden. Tatsächlich ist sie absurd bei jemandem, der schon Jahrzehnte hier lebt oder gar hier aufgewachsen ist. Von den Nachkommen der Gastarbeiter aus den Hauptanwerbeländern hatten 2007 bereits 40 Prozent keine eigene Migrationserfahrung mehr. Insofern ist inzwischen selbst das Attribut „mit Migrationshintergrund“ problematisch. Andererseits charakterisiert die Bezeichnung Ausländer in vielen Fällen korrekt den Rechtsstatus und die damit verbundene Lebenslage. Der Terminus „Migranten“ spiegelt übrigens die Unentschiedenheit einer Politik wider, in der man sich lange Zeit nicht dazu durchringen konnte, die Einwanderung als Tatsache zu akzeptieren und einen entsprechenden rechtlichen Rahmen zu schaffen. Konsequent wäre es, von Immigranten zu sprechen wie in Großbritannien, wofür aber hierzulande, anders als dort, bis vor Kurzem die politischen und rechtlichen Voraussetzungen fehlten. Politisch hat man sich mancherorts – ausweichend – auf die Bezeichnung „Zuwanderer“ verständigt. Im Übrigen wird von einigen Autor/inn/en auch die Unterscheidung zwischen „erster“, „zweiter“ und „dritter (Einwanderer-)Generation in Frage gestellt, vor allem deshalb, weil die familiären Konstellationen und Migrantenschicksale oft komplexer sind. Man denke an Pendelmigration, an nachgeholte Kinder und an Ehegatten, Mütter oder Väter, die per Heirat aus dem Herkunftsland gefolgt sind. So stellt sich bei vielen Familien die Frage, ob die Kinder „Migranten“ der zweiten oder der dritten Generation sind.

Terminologische Schwierigkeiten stellen sich bei einiger Nachdenklichkeit auch ein bei dem Bemühen, zwischen den Migranten und den „Einheimischen“ zu unterscheiden; denn einerseits können Erstere vielfach als einheimisch gelten, andererseits umfasst der Begriff „Deutsche“, wenn er den |23|Rechtsstatus meint, auch viele Immigranten, namentlich die „Aussiedler“, aber nicht nur sie. Inzwischen sind von den ehemaligen „Ausländern“ über 1 Mio. eingebürgert. Ganz fragwürdig wird es, wenn man, wie häufig hierzulande, die Bezeichnung für die „ethnisch“ Deutschen reserviert, weil damit eine unaufhebbare Differenz konstruiert wird. In die Wissenschaftssprache hat man die Unterscheidung zwischen „Autochthonen“ und „Allochthonen“ eingeführt, eine Übernahme aus den Niederlanden. Der bescheidene Gewinn beim Gebrauch dieser Fremdwörter (griech. für „einheimisch, bodenständig“ und „fremdländisch“) mag darin bestehen, dass die wertenden Nebenbedeutungen nicht mitschwingen. Im Übrigen gibt es auch Versuche, die Zugehörigkeit der Bürger anderer Herkunft mit sprachlichen Neuschöpfungen wie Neu-Deutsche oder „Andere Deutsche“ (Mecheril/Theo 1994) in Anlehnung an die Bezeichnung „Schwarze Deutsche“ zum Ausdruck zu bringen bzw. im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. „Schwarze Deutsche“ gehört zu den selbst gewählten Kollektivbezeichnungen. Haben Mitglieder einer Gruppe den Eindruck, dass sie das Stigma nicht abschütteln können, so besteht eine mögliche Strategie darin, dass sie sich die diffamierende Benennung, zum Beispiel „Kanake“, stolz zu Eigen machen. Vor allem Jugendliche türkischer Herkunft haben begonnen, nach dem Vorbild der Schwarzen in den USA, unter diesem Label eine Subkultur mit subversiver Absicht zu kreieren.

der Kampf um Sprache

Im Minderheitendiskurs findet, wie in anderen Bereichen, ein Kampf um Sprache statt, was nicht verwundert, weil Sprache eine performative Funktion und Mächtigkeit hat. Das heißt, mit der Wahl von Kategorien wird soziale Wirklichkeit hergestellt (vgl. Bourdieu 1990). Der performativen Wirksamkeit der Sprache entspricht die innerhalb sozialer Bewegungen entwickelte Norm der Political Correctness (PC), über die zu spotten billig ist. Konservative verwerfen PC als „Gesinnungsterror“. Und es hat wohl auch Tendenzen zur Sprachzensur gegeben, die wenn nicht bedenklich, so doch lächerlich sind. Aber die radikalen Sprachkritiker/innen haben, so Deborah Cameron (1996) in einem Artikel über PC, erfolgreich die Wörter „politisiert“ und damit zu einem reflektierteren Sprechen beigetragen. Politisch wachsame Gruppen verwerfen auch die Bezeichnung „Illegale“ für Einwanderer ohne Aufenthaltsstatus und Dokumente (franz. „sans papiers“).

Unnachsichtigkeit ist gegenüber der Alltagsbedeutung von „Integration“ angebracht, wie sie hierzulande auch im politischen Sprachgebrauch üblich ist. Denn die damit verbundene ungeduldige Aufforderung an die Zugewanderten, sich endlich zu integrieren, ist eine einseitige Schuldzuweisung und hält wissenschaftlicher Einsicht insofern nicht stand, als Integrationsbereitschaft nur bei entsprechenden Integrationsangeboten zu erwarten ist. Außerdem meint der übliche Sprachgebrauch mit „Integration“ nichts anderes als sich unauffällig zu machen, alle abweichenden kulturellen Praktiken aufzugeben.

„Korrekte“ Sprache entspricht dem Prinzip der Anerkennung. Es gibt Bezeichnungen, die dem Selbstverständnis einer Gruppe total widersprechen und daher verletzend wirken. Das gilt zum Beispiel für die früher gängige Bezeichnung „Mohammedaner“, mit der verkannt wird, dass Muslime sich nicht primär als Anhänger Mohammeds verstehen. Entscheidend ist für sie vielmehr der Islam als „Ergebung in Gottes Willen“.

kein pädagogischer Zeigefinger!

|24|In der pädagogischen Arbeit verlangt jedoch die Beachtung von PC eine sensible Einschätzung der jeweiligen Situation. Es gibt ritualisierte Beschimpfungen unter Jugendlichen, mit denen keine verletzende Absicht verbunden ist. Hatcher/Troyna (2000) haben in einer Schulstudie in England festgestellt, dass die rassistischen Ausdrücke bei Schulkindern keineswegs immer auf eine rassistische Einstellung schließen lassen. Alarmiert, reflexartig zu reagieren, wäre also verfehlt und kontraproduktiv. Es wird darauf ankommen, Anstöße zu einer gemeinsamen Reflexion über Sprache und ihre sozialen Effekte zu geben.

„multikulturell“ und „interkulturell“

Theoretische Streitfragen wirft das Attribut „multikulturell“ auf. Die Kritiker lesen es als Zeichen für eine fragwürdige Konstruktion von sozialer Wirklichkeit. Die Befürworter bestätigen damit ihrer Ansicht nach imaginäre soziale Trennlinien, selbst wenn sie in bester Absicht das friedvolle Miteinander der Kulturen propagieren. Einige ironisieren „Multikulti“ als eine politisch folgenlose Ausdrucksform der Spaßgesellschaft, als „das schick angerichtete Design“ der postmodernen Gesellschaft (Radtke 1992). Es wird weiter unten zu zeigen sein, dass das Konzept einer multikulturellen Gesellschaft auch ernst zu nehmende politische Perspektiven enthalten kann. Kaum auf Einwände stößt dagegen „interkulturell“, obwohl auch mit diesem Wort Kulturen als Realitäten unterstellt werden, jedoch mit dem Gedanken der Begegnung, des Austausches. Das „inter“ (lat. zwischen) lässt sich sogar im Sinne eines Dritten, einer kulturellen Neuschöpfung, interpretieren, was der Idee des „culture-in-between“ in den Postcolonial Studies entsprechen würde.

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