Читать книгу Gewalt in den Weltreligionen - Georg Baudler - Страница 17

Opfern als Gewalthandlung

Оглавление

Das Opfer ist neben der Bestattung das älteste als solches feststellbare religiöse Ritual. Es ist in allen archaischen Religionen zu finden und überall auf der Erde verbreitet. Seine jahrhunderttausendelange Geschichte und seine Verbreitung bei allen Völkern der Erde hat zu einer fast unübersehbaren Vielfalt der Formen, Sinngebungen und Anlässe des Opfers geführt. In archaischer Zeit ist fast jedes wichtige Ereignis im Leben der Menschen durch ein Opfer begangen und besiegelt worden. Es gibt Totenopfer bei Begräbnissen, Schwuropfer beim Abschluss von Verträgen, Dankopfer, Sühnopfer, Erstlingsopfer, Devotionsopfer und Bauopfer; der Opfermaterie nach gibt es Menschenopfer, Tieropfer und Speiseopfer. Der Opferritus kennzeichnet weltweit und jahrhunderttausendelang die archaische Religiosität.

Entsprechend dieser Vielfalt gibt es auch sehr unterschiedliche Theorien über die Funktion und die psychologische Ursache des Opfers, die zu referieren hier zu weit führen würde.48 Wie aufgezeigt, ist nach den Analysen Girards die lynchmordartige Tötung und Auslieferung eines Sündenbocks – zuerst wohl in der Bedrohung der Hominidenhorde durch Raubtiere – die Urform des religiösen Opfers.

Für die Klärung des Verhältnisses von Religion und Gewalt ist hinsichtlich des Opferphänomens vor allem die Frage wichtig, ob in der Übereignung der Opfergabe in den Bereich des Heiligen und Transzendenten notwendig die Zerstörung dieser Gabe mit beinhaltet ist. In Psalm 50 sagt Jahwe, er nehme von Israel keine „Stiere und Böcke“ – die in der frühen Religiosität häufigsten Opfertiere – an, weil ihm diese Wirklichkeiten immer schon gehören (vgl. Ps 50,9–13); und er fügt hinzu: „Bring Elohim als Opfer dein Lob und erfülle dem Höchsten deine Gelübde!“ (Ps 50,14). Vor allem in der christlichen Theologie (die weithin den Kreuzestod Jesu noch als Sühnopfer interpretiert) ist es eine umstrittene Frage, ob Dank, Lobpreis und Bitte in sich selbst als „Opfer“ bezeichnet werden können oder ob die Destruktion einer irdischen Wirklichkeit notwendig dazugehört. Im Zusammenhang gelesen, müsste bei der Forderung: „Bring Gott als Opfer dein Lob und halte dem Höchsten deine Gelübde“, das Wort „Opfer“ in Anführungszeichen stehen. Denn mit diesem Satz grenzt der Sprecher Dank und Gelübde positiv von dem ab, was er im Vorausgehenden als „Opfer“ kritisiert hat. Dank und Bundestreue, nicht Opfer, sagt der Text, seien für dich das religiöse Ritual.

Dass der Gewaltaspekt konstitutiv zum archaischen religiösen Opfer gehört, zeigt vor allem die Auskunft der alten Sprachen. Im Hebräischen bezeichnen vor allem die Wörter sebach und ola das Opfer. Es gibt kein Wort im Hebräischen, das die vielen verschiedenen Opferformen zusammenfasst. Sebach und ola können aber zusammengenommen für das Opfergeschehen im Ganzen stehen: „Hesed (Liebe, Bundestreue, Barmherzigkeit) will ich, nicht sebachim, Gotteserkenntnis, nicht olot (Brandopfer)“, so fasst der Prophet Hosea seine Kritik am gesamten alttestamentlichen Opferwesen zusammen (Hos 6,6).

Das Hauptwort sebach ist abgeleitet von dem Tätigkeitswort sabach, das die Grundbedeutung von „schlachten“ hat. Der Prophet Jesaja droht dem untreuen Israel, dass Jahwe unter ihnen ein sebach abhalten werde:

„Jahwe hält in Bozra ein sebach ab,

ein großes Schlachtfest in Edom.

Da fallen die Büffel und Kälber,

die Stiere und Ochsen.

Ihr Land wird betrunken vom Blut […]“

(Jes 34,7)

Beim sebach wird nur ein Teil des geschlachteten Tieres verbrannt, der übrige Teil dient für das gemeinsame Opfermahl. Die ola dagegen ist das „Brandopfer“, bei dem das gesamte Tier, einschließlich seiner Knochen „in Rauch aufgeht“. Ola ist das Vernichtungsopfer. Die Etymologie des Wortes ola ist ungeklärt. Wahrscheinlich ist die Grundbedeutung „verbrennen“.

Im Griechischen entsprechen dem sebach und der ola die Ausdrücke thysia und sphagion. Thysia ist das olympische Speiseopfer, bei dem das Tier getötet, teilweise verbrannt und teilweise zu einer Opfermahlzeit zubereitet wird. Sphagion dagegen bezeichnet das sogenannte „chthonische Vernichtungsopfer“, bei dem nichts für eine Opfermahlzeit übrig bleibt. Thysia ist abgeleitet von dem Tätigkeitswort thyein, das für „opfern“ verwendet wird, von seiner indogermanischen Sprachwurzel her aber „brausen“, (Staub) „aufwirbeln“, „erregen“, auch „anstürmen“, „wüten“, „toben“, „rasen“ bedeutet. Es ist an den aufwirbelnden Staub bei Kampf und Schlacht und an die damit verbundene Erregung zu denken. Thyein kann auch die Bedeutung „schlachten“, „abschlachten“, „morden“, „niedermetzeln“ annehmen. Das Wort sphagion ist abgeleitet von dem Tätigkeitswort sphage, das unmittelbar „schlachten“, „niedermetzeln“, ein gejagtes Tier „zur Strecke bringen“ bedeutet.

Im Lateinischen wird das Wort „Opfer“ durch die Ausdrücke immolatio und sacrificium bezeichnet. Immolatio ist abgeleitet von dem Wort mola, „Mühlstein“. Immolare heißt „zermalmen“, „töten“. Sacrificium ist zusammengesetzt aus den Wörtern sacrum und facere. Sacrum bedeutet das „Heilige“ oder auch das „Verfluchte“, facere heißt „machen“, „tun“, „herstellen“. Wie artificium die hergestellte, ins Werk gesetzte ars („Kunst“), also „Kunstwerk“ bedeutet, so bezeichnet sacrificium das hergestellte Heilige bzw. Verfluchte. Die Parallele zu immolare, immolatio zeigt dabei eindeutig, dass das Heilige durch einen Zerstörungsakt hergestellt wird.

In den germanischen Sprachen wurden die Wörter blotan (gotisch und angelsächsisch), bluazan, blozan (althochdeutsch) für „opfern“ verwendet. Ihre Grundbedeutung ist „verbrennen“, „vernichten“. Diese Ausdrücke wurden jedoch von den christlichen Missionaren nicht übernommen. Um thysia und sacrificium einzudeutschen, bildeten sie das Wort „Opfer“ als lateinisches Lehnwort. Es ist wahrscheinlich aus lateinisch offere abgeleitet, ein Wort, das „darbringen“, „darbieten“, „geben“ heißt, im Lateinischen jedoch nicht für „opfern“ verwendet wurde. Durch diese Neubildung haben die Wörter „Opfer“ und „opfern“ im Deutschen nicht den gewalttätigen, blutigen und zerstörerischen Klang wie in den alten Sprachen. „Opfer“ kann im Deutschen im Unterschied zu den antiken Sprachen auch die „Opfergabe“, das zu Opfernde, bedeuten. Im Lateinischen dagegen heißt „Opfer“ im Sinne von „Opfergabe“, „Opfermaterie“ victima, ein Wort, das mit victoria, „Sieg“, und victor, „Sieger“, zusammenhängt und also das Opfer als das besiegte und unterlegene Wesen charakterisiert.

Zusammen mit den religionsgeschichtlichen, aus Mythen und archäologischen Funden zu gewinnenden Erkenntnissen, die das Opferhandeln in archaischer Zeit als ein blutiges und zerstörerisches Tun aufzeigen, ergibt auch dieser hier nur kurz referierte sprachliche Befund,49 dass der Gewaltaspekt ganz ursprünglich zum Opfer gehört. Dem entspricht auch sein oben dargestellter Ursprung im Sündenbockmechanismus besonders im Zusammenhang des Raubtiergeschehens. Die Niedermachung und Auslieferung des Sündenbocks an das – als göttlich verehrte – Raubtier ist dann die älteste und ursprünglichste Form einer Opferhandlung. In dieser Handlung gleicht sich der frühe Mensch dem verehrten Raubtier an und tritt mit ihm in Kommunikation. Er erwirbt dessen Seinsstatus, den zu besitzen und zu erhalten fortan sein religiöses Anliegen darstellt. Der Mensch ist in seiner religiösen Entwicklung zum künstlichen Super-Raubtier geworden. Seine Großwildjagd ist eine Opfertötung: die Aneignung und Einverleibung der Gotteskraft. Dieser Ritus steht am Ursprung des Menschseins und prägt von diesem Ursprung her in Spuren bis heute das Verhalten und die Religiosität des Menschen.

Gewalt in den Weltreligionen

Подняться наверх