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I. Der geistige Aufbruch in Indien und Persien:

Die Upanishaden und das vor-buddhistische Asketentum

In den sog. Upanishaden, einer Literatur, die sich zuerst als Geheimlehre von den vedischen Büchern absetzte, dann aber von den Brahmanen als Anschlussliteratur an die Veden vereinnahmt wurde, wird der Urmensch Purusha, aus dessen Opfertötung und Zerstückelung nach einem alten Mythos die Welt entsteht, als der innere Mensch gedeutet. Damit vollzieht sich die für das nach-vedische indische Denken kennzeichnende Bewegung nach innen. Die innere Welt, das im Menschen wirkende geistige Sein und Leben, beinhaltet die eigentliche reale Welt. Alles Materielle, alles was die ausgreifende Hand fassen kann, ist diesem eigentlichen Sein gegenüber nur Maya, äußerer Schein. In den Upanishaden beschreitet der indische Mensch den Weg nach innen. Upanishad heißt dem Wort nach „sich danebensetzen“. Nicht die große, in Kampf- und Opferrausch sich aufrichtende und den Menschen über seine irdische Begrenztheit hinausführende Gewalthandlung, sondern das ruhige gesammelte Sitzen neben dem Meister und das in sich versunkene Hören auf dessen Worte vermitteln dem Menschen einen göttlichen Seinsstatus.

In der Versenkung, deren Praxis die Yoga-Lehre reflektiert, kann der einzelne Mensch seine Einswerdung mit dem geistigen Sein des Universums (wie es Purusha als innerer Mensch darstellt) erfahren. Das atman, die Motivation, den Wind und Atem, die Seele, die mich als Einzelnen bewegt, erfahre ich in der Erleuchtung als eins mit dem brahman, der geistigen Seele, der inneren Bewegtheit, aus der das Universum entsteht. Tat tvam asi, „das bist du selbst“, die Einheit von individuellem atman und universalem brahman, ist das „große Wort“, das nach Friedrich Heiler als „Losungswort“ über der ganzen Geistesgeschichte Indiens steht.62 Es artikuliert die Befreiung des Menschen aus dem durch heilige Gewalt gestifteten Seinsstatus.

Dieses mystisch-asketische Denken, das den achsenzeitlichen Aufbruch in Indien kennzeichnet, entwickelte sich aus dem Brahmanentum. Der Brahmane war seinem Wesen nach Opferpriester. Seine Machtstellung entsprang seiner – anderen Menschen nicht zugänglichen – Kenntnis des richtigen Opferrituals. Opfern aber ist von seinem inneren Wesen her die „Herstellung“ heiliger Gewalt (vgl. lat. sacrificium aus sacrum facere). Der alternde Brahmane verfügt nicht mehr über die kämpferische Kraft und Vitalität zu diesem Tun. Er ist für diesen Dienst ungeeignet. Alt werdend zieht er sich deshalb zuerst in die Waldeinsamkeit zurück und verrichtet nur noch wenige Opferrituale. Dann, wenn er spürt, dass seine Lebenskraft versiegt, gibt er auch seine Waldheimat auf, vollzieht keinerlei Ritus mehr, sondern zieht nur noch als um Almosen bettelnder Wanderasket durch das Land. Diese Lebens- und Seinsweise ist eine gleichsam von der sterblichen Natur des Menschen erzwungene Abkehr von der archaischen Religiosität der Gewalt.

Der bewusste geistige Aufbruch in der Achsenzeit bestand jedoch darin, dass Männer, die mitten in der Kraft ihres Lebens standen, ebenfalls diese Lebensform wählten. Erst in diesem Schritt liegt eine nicht bloß von der Natur erzwungene, sondern aus innerer Einsicht vollzogene Abkehr von der archaischen Religiosität. Es waren bezeichnenderweise nicht Brahmanen, sondern Angehörige der Kriegerkaste, Königs- und Fürstensöhne, fähig und dazu auserwählt, ein Indra gleiches Leben zu führen, die das Sinnlose dieses durch Gewalt gestifteten Seinsstatus erkannten und vom Kämpfer und Opferherrn zum bedürfnislosen bettelnden Wanderasketen wurden. Parsva, der erste namentlich bekannte Fürstensohn, der mit 30 Jahren diesen Weg ging, lebte im 8. Jahrhundert v. Chr., also genau zu Beginn jenes Zeitraums, den Karl Jaspers die „Achsenzeit“ nennt. Er gründete den Orden der nirgrantha, der „Fessellosen“, d.h. die Gemeinschaft derer, die sich aus dem Kreislauf eines Lebens, das durch Gewaltstrukturen gekennzeichnet ist, herauslösen und dadurch frei werden von den Banden des karma, der Unheilsmacht, die der Mensch durch das gewalttätige Verletzen und Töten anderer Lebewesen ansammelt und durch die er in den leidvollen Geburtenkreislauf eingebunden ist.

Der Weg, der zu dieser Freiheit führt, ist von seinem Grundgedanken her einfach, er lautet: ahimsa. Das Wort bezeichnet das genaue Gegenteil dessen, was der Mensch in der Opferhandlung sowie in der Jagd und im Krieg vollzieht, nämlich das Nicht-Töten und Nicht-Verletzen eines Lebewesens, also absolute Gewaltlosigkeit. Damit verbunden ist die Absage an Sexualität und Besitz, denn um beides, um den Geschlechtspartner wie um das Hab und Gut, muss der Mensch kämpfen und mit anderen rivalisieren, bereit, sie in diesem Kampf zu verletzen. Hinzu kommt als grundlegende Forderung die wahrhaftige, sich schlicht an das Gegebene haltende Rede, die von ihrem Wesen her die Beleidigung und Verletzung eines anderen ausschließt. Auf diesem Weg findet der Mensch zur Einheit seines Selbst mit dem Ganzen des Universums und damit zur Erlösung.

Jain, der 250 Jahre später, im 6. Jahrhundert v.Chr., also etwa zur gleichen Zeit wie Buddha lebte, radikalisierte den Weg des Parsva. Er verwarf sogar das Mönchsgewand als letztes Eigentum und wanderte als dig-ambara, als „Luftgekleideter“, nackt durch das Land. Er trug, wie heute noch strenge Jaina-Mönche, eine Binde vor dem Mund, um nicht versehentlich ein Insekt zu verschlucken, und kehrte mit einem Besen jeden Schritt des Weges ab, auf dem er ging, um nicht ein kleines Tierchen zu zertreten; aus demselben Grund seihte er das Wasser, das er trank, vorher ab. Ausdrücklich verwarf er die vedischen Opferriten und erlaubte seinen Anhängern nur die Verehrung der Bilder heiliger, im Lotossitz der Meditation versunkener Mönche. Im Alter von 72 Jahren verzichtet er darauf, bettelnd seine Hand nach Gaben auszustrecken, und starb einen freiwilligen Hungertod.

Für uns Abendländer verdunkelt sich hier der sonst so plausible Weg des ahimsa. Denn, so sind wir gedrängt zu fragen, ist dieses Ende nicht einerseits zwar durchaus konsequent, ist es nicht Ausdruck eines letzten Gewaltverzichts, auch auf die bettelnd ausgestreckte Hand zu verzichten, aber ist es andererseits nicht auch Gewalt gegen sich selbst, den freiwilligen Hungertod zu sterben? Jain, von Haus aus Angehöriger der Kriegerkaste, ging den Weg des Nicht-Verletzens und Nicht-Tötens in militärischer Strenge und Disziplin zu Ende. So sind seine Namen auch Mahavira, „großer Held“, und Jina, „Sieger“. Ist sein Tod ein siegreiches Selbstopfer?

Dass Askese tatsächlich auch gewalthafte Züge annehmen kann, zeigen masochistisch-exhibitionistische Auswüchse, wie sie nicht selten von indischen Wanderasketen der vorbuddhistischen Zeit berichtet werden. In einigen Legenden wird erzählt, dass solche Asketen mehrere Tage lang bis zur Hüfte in kaltem Wasser standen; von anderen, den sogenannten „Fledermausasketen“, heißt es, dass sie stundenlang im Kniehang mit dem Kopf nach unten an einem Baum hingen. Einige standen, so sagt die Legende, ständig auf einem Bein, sodass sich Schlingpflanzen an ihnen emporrankten; auf verschiedenen Reliefs sind Asketen in dieser Stellung dargestellt. Hier wird Askese als Gewalt gegen sich selbst zu einer masochistisch-aggressiven Rangdemonstration; wieder wird das Bedeutende, das „Heilige“, durch Gewalt gestiftet.

Gewalt in den Weltreligionen

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