Читать книгу Tote Archivarin - Gute Archivarin - Georg Langenhorst - Страница 13
7.
ОглавлениеAuch die Polizeiarbeit hatte sich nach Corona verändert. Die während der Krise eingeführten Videokonferenzen hatten sich durchaus bewährt. Man sparte Anfahrtszeit, konzentrierte sich auf die Sachanliegen, alle hatten ein Interesse an einer kompakten und kurzen Durchführung. Die Polizeipräsidentin Dr. Karin Treumann-Liedke hatte verfügt, dass man an diesem Instrument erst einmal weiterhin festhalten sollte, allen immer wieder neu lautstark artikulierten Bedenken der hausinternen Datenschützer zum Trotz.
Damit waren allerdings gleich zwei Probleme benannt, welche die aktuelle Arbeit von Kriminalhauptkommissar Bernd Kellert erschwerten. Mit dem ersten hatte er sich inzwischen zwar einigermaßen arrangiert, mit eben diesen Videokonferenzen. Aber nein, die liebte er trotzdem immer noch nicht. Das würde auch keine Liebesbeziehung werden, so viel stand fest.
Er konnte es nur mit Mühe ertragen, sich stundenlang vor seinen Laptop zu hocken, konzentriert in Richtung der winzigen, kaum wahrnehmbaren Kamera zu blicken, sich anzuhören, was es mitzuteilen gab und sich selbst – so selten wie möglich – in das Gespräch einzuklinken. Und man selbst kam so unglaubwürdig herüber. Sah verzerrt aus, irgendwie lächerlich. Und wenn man sprach, konnte man nicht die Reaktionen der anderen auf das Gesagte ablesen und intuitiv darauf reagieren.
Er mochte schon die normalen Konferenzen nicht. Aber diese digitale Form war für ihn eigentlich unerträglich. Eigentlich. Man gewöhnte sich an alles. Inzwischen schaffte er es ganz gut, neben dem Konferenzgeschehen auf dem Handy ‚Tetris‘ zu spielen, ‚Woodblocks‘, oder was immer sich gerade ergab. Lustig, sich vorzustellen, dass alle anderen Teilnehmer an einer solchen Konferenz das ähnlich machten.
Einige Mal hatte er während einer solchen Konferenz auch nebenbei mit seiner Frau gechattet, die sich wunderte, warum er sich auf diese Art bei ihr meldete. Und geduldig den Chat-Wechsel einige Minuten lang aufrechterhielt. Das war sonst nicht gerade seine Angewohnheit. „Bist du wieder in einer Konferenz?“, schrieb sie dann zurück. Er antwortete mit Ausrufezeichen und Smiley.
Daran also hatte sich Bernd Kellert gewöhnt. Zwangsläufig. Dass er aber eine neue Vorgesetzte hatte, eben jene Dr. Karin Treumann-Liedke, das lag ihm immer noch schwer im Magen. Jahrzehntelang war Dr. Werner Jacobs der Leiter der Polizei in Friedensberg gewesen. Sein Chef. Ein Jurist, aber ein Mensch. Sie kannten und schätzten sich. Jacobs war berechenbar, verlässlich und gerecht.
Umgekehrt hatte Werner Jacobs genau gewusst, dass Bernd Kellert sein bester Kriminalist war. Ihr Umgang miteinander war förmlich geblieben, hatte sich zu keiner Freundschaft entwickelt, aber vollkommen reibungslos funktioniert. Kellert musste seinem Chef nichts mehr beweisen und sein Chef spielte sich nicht groß auf.
So war es gewesen. Immer, solange Bernd Kellert denken konnte. Dann hatte Dr. Jacobs bekannt gegeben, dass er ein Jahr früher als erwartet in den Ruhestand gehen würde. Als hätte er geahnt, welches Chaos die Corona-Pandemie auch für seine Behörde mit sich bringen würde. Nachvollziehbar. So viele Jahre eine Polizeiabteilung zu führen, hinterließ Spuren. Alle hatten es ihm gegönnt. Auch Kellert. Aber wie würde es weitergehen?
Die Antwort hieß seit fast einem Jahr Dr. Karin Treumann-Liedke. Wie ihr Vorgänger war auch sie eine promovierte Juristin. Mit einer beachtlichen Berufsbiografie. Dazu Ehefrau und Mutter von zwei Kindern im Schulalter. Ohne Frage kompetent. Aber erstens: einige Jahre jünger als Bernd Kellert. Und wer hat schon gern einen jüngeren Chef? Und zweitens: eine Frau! „Das schmeckt dir einfach nicht, eine Frau als Vorgesetzte zu haben, Bernd“, zog ihn Beate auf. „Alter Macho! Gesteh es dir doch wenigstens ein!“
‚Ja, vielleicht hat sie ja recht‘, räumte Bernd Kellert innerlich ein. Sein Unbehagen blieb. Dabei machte die neue Leiterin bislang alles richtig. Sie war freundlich, klug, bestimmt. Einen Grund zur Klage gab es nicht. Aber er wurde mit ihr nicht warm. Schon die Vorstellung, wie das gehen sollte, fiel ihm schwer. Er hatte sich vorgenommen, sich alle Mühe zu geben. Aber allein die Tatsache, dass er sich das vornehmen musste, zeigte, wie schwer es ihm fiel, die neue Konstellation innerlich zu akzeptieren.
Er war nicht der Einzige. Auch die langjährige Kommissariats-Sekretärin Lena Winter-Drexler hatte sich in den Ruhestand verabschiedet. „Unter einer Frau arbeite ich nicht!“, hatte sie resolut verkündet und ihren Worten Taten folgen lassen. Ohne sich die Nachfolgerin ihres Chefs auch nur anzuschauen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, planmäßig mit ihrem obersten Chef das Arbeitsleben zu beschließen. Nun eben – wie dieser – unplanmäßig.
An diesem Dienstagmorgen traf sich so eine noch kaum miteinander vertraute, kleine Runde im Kommissariat – ‚persönlich!‘, hatte es in der Einladungsmail geheißen: Dr. Karin Treumann-Liedke, Bernd Kellert natürlich, Hannah Mellrich, dazu die neue Sekretärin Lisa Nestler, Mitte zwanzig. ‚Dominik, du fehlst mir!‘, schoss es Bernd Kellert in Erinnerung an seinen langjährigen Mitarbeiter Dominik Thiele durch den Kopf.
„Herr Kellert!“, wandte sich die neue Leiterin an den Hauptkommissar. „Ich bin ja so froh, dass Sie sich in diesem heiklen Milieu auskennen. Sie haben ja, wenn ich das richtig mitbekommen habe, schon mehrfach im Bereich der Kirche gearbeitet.“ Kellert nickte. Das ließ sich recht einfach in der Chronik nachlesen.
„Erfolgreich und diskret“, schickte die Leiterin der Friedensberger Polizeibehörde mit einem Lächeln hinterher. „Und das erhoffe ich mir natürlich auch dieses Mal. Wunderbar, wie Sie das gestern gemanagt haben. Noch ist nichts an die Presse gedrungen. Und das soll natürlich auch so bleiben.“
Kellert stimmte ihr zu: „Ja, unbedingt. Hoffentlich halten alle dicht. Ich möchte wirklich vermeiden, dass hier Horden von Journalisten einfallen. Von der Gerüchteküche ganz zu schweigen. Ich denke: so wenig Information nach außen wie möglich. So wenige Beteiligte wie vertretbar. Und ich schwöre alle auf Diskretion ein, darauf können Sie sich verlassen.“
War das zu unterwürfig? Zu forsch? Er wusste einfach nicht, welcher Tonfall angesagt war. Es gab keine Normalität, das machte die neue Konstellation für ihn so mühsam. Aber seine Chefin schien darin kein Problem zu sehen: „Wunderbar!“, entgegnete sie leichthin. „Sie halten mich einfach auf dem Laufenden, okay? Und wenn Sie etwas brauchen, lassen Sie es mich wissen. Viel Erfolg!“
Damit verabschiedete sie sich. ‚Professionell und freundlich!‘, dachte Hannah Mellrich. Sie freute sich, in einer von einer Frau geleiteten Abteilung zu arbeiten. „Wie gehen wir also vor?“, fragte sie nun. Lena Nestler, die junge Sekretärin, hielt sich zurück. Der auf sie bärbeißig wirkende Kommissar schüchterte sie ganz offensichtlich durch seine bloße Anwesenheit ein. Hannah Mellrich blinzelte ihr aufmunternd zu. Das tat ihr gut.
„Wir sollten zunächst mit diesem französischen Organisten reden. Der reist heute Mittag ab, habe ich gehört. Und das werden wir dem berühmten Mann ja wohl kaum verbieten können, oder? Ähm …“, er zögerte. Das passte nicht so recht in sein sonstiges Vorgehen. Warum sprach er nicht weiter? „Könnte sein, dass der nur Französisch spricht. Das hatte ich zwar mal als Schüler, zwei Jahre lang, aber so besonders gut war ich da nicht, wenn ich mich recht erinnere. Und es ist nun doch schon recht lange her.“
Hatte Lisa Nestler ein bisschen gegrinst? Kellert kommentierte seine Beobachtung nicht weiter, dachte aber: ‚Meine Güte! Für die bin ich ein alter Sack!‘
Hannah Mellrich brachte ihn auf andere Gedanken. „Kein Problem, Chef. Ich bin doch in Speyer aufgewachsen. Rheinland-Pfalz. Da lernen fast alle Französisch. Ist ja nicht weit bis zur Grenze nach Frankreich. Da war ich schon oft. Eigentlich ist das mein Traumland. Die sind ein bisschen anders drauf, die Franzosen. Relaxter. Können das Leben mehr genießen. Gut, sie sind auch chaotischer.“ Sie rief sich zur Ordnung: „Jedenfalls: Übersetzen, das kann ich, kein Problem.“ „Wunderbar! Dann los!“, kommentierte Kellert, wie immer froh, das Büro verlassen zu können, um ‚richtig zu ermitteln‘ – wie er das nannte.