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3.
ОглавлениеDas Bistumshaus St. Georg lag direkt neben dem Dom. Beide Gebäude waren vor Jahrhunderten zeitgleich im Stil des Barocks neugestaltet worden, obwohl ihre Ursprünge viel weiter zurückreichten. Wer rosa und gelb als Farben liebte, reiche, gewundene Ornamentik und verspielte Figuren-Arrangements schätzte, dem gefiel dieses architektonische Ensemble. Bernd Kellert gehörte nicht dazu. Er bevorzugte funktionale, klare Formen.
Aber das stand jetzt nicht zur Debatte. In den Hauptempfangsräumen im Erdgeschoss drängten sich zahlreiche Menschen um die Buffet-Tischchen, knabberten an kleinen Häppchen, tranken aus feinstieligen Gläsern, unterhielten sich, wanderten umher. Kellert hatte sich rasch ein Glas Wasser genommen, in einem Zug leer getrunken und gleich ein weiteres hinuntergestürzt. Unfassbar, wie trocken es in dieser Orgel gewesen war!
Er konnte Beate nicht entdecken. Aber dazu blieb ihm auch gar keine Zeit. Dr. Breskamp, der sich ganz offensichtlich verantwortlich fühlte und einen Raum organisiert hatte, führte die ihm folgende kleine Gruppe eine Etage nach oben in einen elegant gestalteten, hohen, an diesem Juniabend immer noch von warmem Tageslicht durchfluteten Besprechungsraum. Seit dem Verlassen der Orgel war vielleicht eine halbe Stunde verstrichen.
Große, farbstarke, in Goldrahmen eingefasste Gemälde zeigten frühere Bischöfe des Bistums. Zwei hohe Fenster gaben den Blick auf den Domvorhof frei. Vier weißlackierte Holztische waren zu einer großen Ablagefläche zusammengeschoben, an jedem standen zwei moderne, freiwippende Stühle.
Dankbar hatte Kellert seiner Mitarbeiterin zugenickt, Kriminalkommissarin Hannah Mellrich. Sie hatte mit den anderen Polizeibeamten vor dem Dom gewartet, die auf Kellerts Signal hin sofort zur Sicherung der Spuren in das Kirchengebäude geeilt waren. ‚Alle in Zivil!‘, dachte Kellert erleichtert, ‚Gott sei Dank! Es fehlt nur noch, dass hier ein großes Aufsehen entsteht. Lasst uns in Ruhe unsere Arbeit machen!‘ An wen immer er diese Bitte richtete.
Doch, Kriminalhauptkommissar Bernd Kellert war froh, dass seine Assistentin mit dabei war. Hannah Mellrich besaß eine überaus feingestimmte Beobachtungsgabe, konnte kaum merkliche Spannungen, Regungen, Gefühle bei Gesprächspartnern spüren, die Kellert oftmals entgingen. Zu zweit waren sie ein gutes Team, ein sehr gutes.
Er hatte sie selbst in ihrem letzten Ausbildungsabschnitt hier in Friedensberg betreut. Und als sich sein langjähriger Mitarbeiter Dominik Thiele erfolgreich nach Würzburg zur Übernahme der Leitung der dortigen Mordkommission wegbeworben hatte, war klar, dass sie dessen ideale Nachfolgerin sein würde. Genauso war es auch gekommen.
Nun saßen sie um die große Tischfläche herum, blickten einander an. Zwei hoch angebrachte Lüster ergänzten das goldgelbe Abendlicht. Dr. Breskamp und Zinngruber hatten nebeneinander Platz genommen, den beiden Kommissaren gegenüber. Rechts, vor der Fensterfront des Raumes, saßen ein Mann und eine Frau, die sich zwar kurz namentlich identifiziert hatten, jetzt aber von Breskamp doch noch einmal gebeten wurden, sich selbst kurz vorzustellen und den Grund ihres Hierseins zu erläutern.
„Dorothee Willebrandt“, begann die Frau, die Ende vierzig sein mochte, dezent geschminkt, gekleidet in ein modisches, hellblaues Kostüm. „Ich bin die Leiterin des Amtes für Denkmalschutz hier im Bistum. Ich war auch in dem Konzert. Und habe die Aufregung mitbekommen. Und man hat mich in aller Kürze darüber informiert, was vorgefallen ist.“ Sie zögerte.
„Ich glaube, ich weiß, wer die Tote ist. Das habe ich Dr. Breskamp mitgeteilt und deswegen hat er mich hinzugebeten.“ Sie schluckte, ergänzte dann: „War. Wer die Tote war.“ Kellerts Augen leuchteten auf, seine Augenbrauen hoben sich, er nickte ihr zu, wies aber zunächst auf den neben ihr sitzenden, etwa sechzigjährigen Mann, dessen Kopf von einem wilden, weißen Haarschopf umgeben war.
„Ach so“, entgegnete dieser etwas verwirrt, blickte sich unsicher im Raum um, nestelte an seinem Hemdkragen herum und stellte sich dann ebenfalls vor: „Ich dachte, Sie kennen mich. Ich bin Hans-Hendrik Hofbauer, Domorganist. HHH, kennt man doch, hahaha! Und damit ist ja wohl klar, warum man mich dazu verdonnert hat, an dieser ‚Sitzung‘ teilzunehmen.“ Er sprach mit einem verächtlichen Ton, als hielte er dieses Gespräch für unter seiner Würde.
„Danke“, entgegnete Kellert knapp und schnell. Er wollte von Anfang an deutlich machen, dass er der Leiter dieser Zusammenkunft war, nicht Dr. Breskamp, der gerade eben dazu angehoben hatte, das Gespräch wieder an sich zu reißen. Der Kommissar kam ihm zuvor. „Und danke, Dr. Breskamp, dass Sie so schnell alle zusammengerufen und diesen Raum für uns organsiert haben!“
‚Klug‘, dachte Hannah Mellrich, ohne ihre freundlichkonzentrierte Miene zu verändern. ‚Dadurch stuft er diesen Breskamp als Helfer ab. Und behält selbst die Zügel in der Hand. Die beiden scheinen sich nicht besonders zu mögen. Den Grund werde ich schon noch herausfinden. Später.‘
„Lassen Sie mich bitte ohne alle großen Vorreden zur Sache kommen“, trieb Kellert das Geschehen voran. „Und beantworten Sie mir meine Fragen so präzise und knapp wie möglich. Geht das?“ Als wäre das eine Frage gewesen! Die Anwesenden nickten mehr oder weniger deutlich. Breskamp blickte unwirsch, fügte sich aber.
„Frau Willebrandt“, setzte Kellert nach. „Sie sagten, Sie kannten die Tote?“ „Äh, nein, das kann man so nicht sagen“, stotterte die direkt Angesprochene. „Nicht?“, entfuhr es Kellert, der eigentlich wusste, dass man den Leuten Zeit zum Ausreden lassen muss. Aber hier war er auf dem falschen Fuß erwischt worden. Hatte sie das nicht gerade eben noch behauptet? Das wäre so einfach gewesen, so wichtig: den Namen des Opfers zu kennen!
„Ich kannte die Tote nicht direkt, aber ich glaube, ich weiß, wer sie ist“, ergänzte nun die Frau, die sich mittels eines kurzen Blicks mit Hannah Mellrich verständigt hatte. Die Kommissarin hatte ihr ermunternd zugezwinkert, kaum merklich, für niemand anderen am Tisch erkennbar. „Ich habe sie nie persönlich kennengelernt. Aber viel über sie gehört und von ihr gelesen. Ich glaube, nein: ich fürchte, das ist meine Vorgängerin: Dr. Sabine Ketschbaumer.“
„Sabine! Das kann doch nicht sein!“, entfuhr es dem Domorganisten Hans-Hendrik Hofbauer. Er strich sich nervös über die wirre Haarmähne und blickte sich mit großen Augen im Raum um, vom einen zum anderen. ‚Eine Duz-Beziehung‘, notierte sich Hannah Mellrich im Geiste, ‚er hat sie beim Vornamen genannt.‘ Die Blicke der meisten im Raum richteten sich auf Dr. Breskamp. Der blickte vor sich hin. Dachte nach. Rang um Fassung. „Ja, die Frau Ketschbaumer!“, murmelte er dann. „Das könnte sein. Dass ich nicht selbst darauf gekommen bin. Ja, das ist möglich!“
Kaum erkennbar für die anderen hatte Hannah Mellrich diesen Namen in ihr Smartphone eingetippt. Sie hielt es unter der Tischplatte verborgen. Nun machte sie ihren Chef mit einer kurzen Geste auf ihren dortigen Fund aufmerksam, und leitete die vorgefundenen Informationen an die Spurensicherung und Rechtsmedizin weiter. Sie brauchten so schnell wie möglich Gewissheit über die Identität der Toten.
Kellert ließ eine kurze Pause verstreichen, in der die Anwesenden den in den Raum gestellten Verdacht aufnehmen und überprüfen konnten. Dann wandte er sich an Breskamp: „Bitte, setzen Sie mich ins Bild! Wer oder was war diese …?“ Der Name war ihm entfallen. Hannah Mellrich sprang ihm bei: „Sabine Ketschbaumer“.
„Vielleicht kann ich Ihnen da weiterhelfen“, mischte sich nun Domvikar und Prälat Johannes Zinngruber ins Gespräch. Ruhig war er den Ausführungen gefolgt, saß kerzengerade auf seinem Stuhl, überragte auch als Sitzender alle anderen um Längen. ‚Dem entgeht nichts!‘, dachte Hannah Mellrich. Ihr war aufgefallen, dass sich die braunen Augen des hageren Mannes blitzschnell hin- und herbewegten. Ohne dass er dabei den habichtartigen Kopf bewegen musste. ‚Ein Beobachter!‘, ging es ihr durch den Kopf. ‚Aber das, mein Lieber, bin ich auch.‘
„Mich wundert eigentlich, dass Ihnen der Name nichts sagt, Herr Kommissar“, fügte Zinngruber hinzu. „Das war doch damals in allen Nachrichten.“ ‚Ketschbaumer, Ketschbaumer …‘, grübelte Kellert, ihm fiel aber nichts dazu ein. „Das war im Herbst vor zweieinhalb Jahren“, setzte Zinngruber an, wurde aber von Breskamp unterbrochen: „Im November!“ „Von mir aus, im November“, ließ sich der Domvikar nicht aus der Ruhe bringen. ‚Unterbrochen werden, das mag der nicht!‘, registrierte Hannah Mellrich. ‚Gar nicht. Also die zwei, die sind schon mal keine Freunde, so viel steht fest.‘
„Frau Ketschbaumer war seit fünf Jahren die Vorsitzende des bischöflichen Amtes für Denkmalschutz und die leitende Archivarin des Bistums. Genau gesagt, bevor Du mich wieder korrigierst, lieber Franz Joseph, fünf Jahre und drei Monate.“ Tatsächlich, Breskamp hatte sich schon wieder darauf vorbereitet sich einzumischen. Nun gab er sich brummelnd zufrieden. Zinngruber fuhr fort: „Und nicht zu vergessen: Sie war nebenberuflich auch die Frauenbeauftragte des Bistums.“ „Das kann man nun wirklich nicht vergessen!“, entfuhr es Breskamp nun doch, und er erntete dafür einen tadelnden Blick des Domvikars.
Kellert blickte betont irritiert. Zinngruber griff die Gelegenheit auf. „Nun ja, das sind hoch konfliktreiche Ämter. Vor allem der Denkmalschutz und die Gleichberechtigung. Mit denen machst du dir nicht nur Freunde!“ Dorothee Willebrandt zog eine Grimasse und nickte demonstrativ, ergriff aber nicht selbst das Wort.
Zinngruber fuhr fort: „Verstehen Sie: In diesen Funktionen kann man Prozesse entscheidend fördern oder eben auch blockieren. Ein ‚Nein‘, und schon wird ein Gebäude nicht restauriert oder verkauft. Da geht es schnell um Millionen. Ein ‚Ja‘, und schon wird eine Bewerberin eingestellt und ein Bewerber nicht. Und da geht es um ganze Lebensläufe.“ „Unter Umständen trotz besserer Qualifikation!“, warf Breskamp ein.
„All das lassen wir jetzt bitte einmal außen vor“, kommentierte Kellert, der im Moment keinerlei interne Streitereien gebrauchen konnte. „Bleiben Sie bitte ganz konkret bei Frau Ketschbaumer!“ „Ja, gern“, nickte Zinngruber. „Vielleicht reicht es hier anzudeuten, dass Sabine Ketschbaumer ihre Ämter sehr ernst nahm. Überaus ernst. Manche sagten: zu ernst. Sie hatte es sich in den mehr als fünf Jahren mit vielen Personen im Bistum verscherzt. Männern und Frauen“, fügte er mit Blick auf die beiden Damen im Raum hinzu.
„Und?“, drängte Kellert. „Nun, sie ist dann vor zweieinhalb Jahren, im November genau gesagt“ – hier nickte der Domvikar Dr. Breskamp gönnerisch zu –, „verschwunden. Spurlos. Niemand wusste, wo sie war. Das war damals nun tatsächlich über Wochen und Monate Thema Nummer eins in Friedensberg. Und weit darüber hinaus. Kein Abschiedsbrief, keine Reiseunterlagen, nichts. Ihre Kollegen haben einfach nichts herausfinden können. Waren Sie da nicht sogar selbst im Einsatz?“, wandte er sich an den Kommissar.
„Nein, das ist nicht mein Ressort“, entgegnete dieser mürrisch. „Vermisstenstelle. Das machen tatsächlich die Kollegen. Damit war ich nicht befasst. Sonst hätte ich mich natürlich erinnert“, schob er nach. Offenbar ein ungelöster Fall. Seltsam, sofort fühlte er sich mitverantwortlich für die nicht erfolgte Aufklärung.
Nun übernahm Breskamp und Zinngruber ließ ihn gewähren. „Jedenfalls ist damit schon fast alles gesagt“, fasste der Prälat das Gespräch leichthin zusammen. „Bis heute wusste niemand, was mit Frau Ketschbaumer geschehen ist. Die Vermutungen schossen damals nur so ins Kraut: ein freiwilliges Verschwinden für einen persönlichen Neuanfang; eine perfekt geplante Selbsttötung; ein Gewaltverbrechen. Jetzt haben wir also endlich Gewissheit. Wenn auch eine furchtbare: Mord!“
„Sofern die Tote wirklich Sabine Ketschbaumer ist“, fiel ihm Kellert nun doch ins Wort. „Und sie tatsächlich umgebracht wurde. Beides wissen wir ja noch nicht mit Sicherheit.“ Breskamp nahm die Zurechtweisung wortlos hin, faltete jedoch die Hände über seinem Bauch. Die körpersprachliche Botschaft ließ sich für alle im Raum leicht entziffern.
„Irgendwann hat man dann die Suche und die Nachforschungen eingestellt. Ergebnislos“, kommentierte nun wieder Domvikar Zinngruber die Berichte. „Und dann die Stelle neu ausgeschrieben. Die wir dann ja mit Frau Willebrandt besetzen konnten. Sehr gut besetzen konnten, wenn ich das einmal so sagen darf.“
Er nickte der Denkmalschützerin zu, die sein Lächeln dankbar erwiderte. „Sind Sie dann jetzt auch die Frauenbeauftragte?“, mischte sich nun Hannah Mellrich überraschend in das Gespräch. Aber das interessierte sie einfach. Dorothee Willebrandt fuhr hoch und rief spontan: „Ich?! Gott bewahre!“ Die damit aufgerufene Vorstellung war für sie offensichtlich völlig abwegig. Sie beruhigte sich aber sofort wieder, lachte verlegen über ihre Unbeherrschtheit hinweg und fügte dann ruhig an: „Nein, nein: das macht unsere Ordinariatsrätin, Frau Flemming-Berlinger. Das ist auch besser so. Für alle Beteiligten.“
Kellert spürte, dass sich hier das Nachfragen lohnen würde, beließ es aber zunächst bei diesen Andeutungen. ‚Später!‘, nahm er sich vor, blickte mit hochgezogenen Augenbrauen zu Hannah Mellrich, die sofort verstand, was er meinte. ‚Notieren! Darauf zurückkommen!‘ „Aber warum glauben Sie nun, dass die Tote Frau Ketschbaumer ist?“, wandte sich der Kommissar an die Denkmalschützerin.
„Nennen Sie es von mir aus Bauchgefühl, Herr Kommissar. Ich weiß, darauf können Sie nicht setzen. Aber liegt es nicht auf der Hand? Für mich ist das offensichtlich“, gab diese selbstbewusst zurück. ‚Bauchgefühl!‘, dachte Kellert tatsächlich. Darauf konnte man sich nur selten verlassen. Aber manchmal eben doch. Sie würden der Sache nachgehen, fertig!
Dorothee Willebrandt versuchte, ihre Vermutung zu untermauern. „Frau Ketschbaumer war doch ständig im Dom! Die Orgel, das war doch ihr großes Thema, oder nicht Herr Hofbauer?“ Der Angesprochene fuhr zusammen. Er war dem Gespräch nur oberflächlich gefolgt, hatte sich auf seine Arme aufgestützt, immer mal wieder die Haare zu glätten versucht, mit den schlanken Fingern der rechten Hand an der linken Hand herumgenestelt. „Was!?“ Mit leeren Augen blickte er vom einen zur anderen.
‚Er hat sie Sabine genannt!‘, fuhr es Hannah Mellrich durch den Sinn. „Ob Sie die Tote näher kannten?“, fragte Kellert etwas ungeschickt nach. „Die Sabine! Ja doch, natürlich. Wir haben ja vor sieben Jahren gemeinsam die große Orgel-Restaurierung durchgeführt. Die war ja völlig heruntergekommen. Dieses wunderbare Instrument. Dieser Schatz! Diese Orgel von Weltruhm. Jahrzehntelang hatte man da nichts investiert. Bis Sabine kam. Die hat sich des Projekts angenommen. Und was sie übernahm, das erledigte sie gründlich.“
Er war in seinen Erinnerungen versunken. „Mehrere Millionen hat das gekostet. Fragen Sie mich nicht genau. Aber sie hat die erforderlichen Mittel aufgetrieben. Denkmalschutzfonds des Bundes, Programm zur Rettung von Orgeln in Europa, Kulturgelder des Bundeslandes. Was hat sie nicht alles möglich gemacht!“ „Nicht zu vergessen: zweieinhalb Millionen aus dem Topf des Bistums“, warf Dr. Breskamp mit säuerlicher Miene ein.
„Genau!“, bestätigte der Domorganist und geriet ins Schwärmen. „Aber bestens angelegt! Die ‚Königin aller Instrumente‘, hat Mozart die Orgel genannt. Wo er recht hat, hat er recht, der gute Wolfgang Amadeus. Besonders im Blick auf unser Juwel hier: Was für ein Klang! Was für eine gelungene technische und ästhetische Rettung. Die Welt ist stolz auf die Dom-Orgel von Friedensberg.“ ‚Hm, dann bin ich ein bisschen weltfremd‘, dachte Kellert. Ihn trieb aber ein anderer Gedanke um: „Und da kannten Sie sich also näher, die Frau Ketschbaumer und Sie?“
„Ja, aber gewiss, was denken denn Sie?“, entgegnete der Organist entrüstet. „Das war alles nur möglich, weil wir so gut Hand-in-Hand gearbeitet haben, die Sabine und ich. Was glauben Sie, wie viele Widerstände man da zu überwinden hat!“ Hier blickte er mit einem kurzen Seitenblick auf Dr. Breskamp. „Selbst in den eigenen Reihen!“, fügte er hinzu. „Aber wir haben es geschafft! Davon werden die Menschen in Friedensberg noch lange profitieren. Lange! Über Generationen hinweg.“
„Und menschlich?“, setzte Kellert nach und entschied sich für eine indirekt formulierte Frage: „Kam man sich da auch näher?“ Domorganist Hofbauer schien den möglichen Unterton gar nicht wahrzunehmen. Er stutzte kurz, verzog das Gesicht, überlegte. „Ach, wissen Sie“, hob er dann an, „die Sabine, die war …“ Er suchte sichtlich nach Worten. „Herb? Unnahbar?“ Dr. Breskamp lächelte vor sich hin. Kein schönes Lächeln.
„Man kam der Sabine nicht so nahe, verstehen Sie? Menschlich. Die lebte ihren Beruf. Die war ihr Beruf. Vielleicht kann man das so sagen“, sinnierte Hofbauer. Er druckste herum. „Vielleicht geht mir das deshalb auch gar nicht so nahe, dass sie das sein soll, da in der Orgel. Meine Güte, ausgerechnet in der Orgel. In unserer Orgel! Unserer!“