Читать книгу Toter Regens - guter Regens - Georg Langenhorst - Страница 11
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„So, da kommt ja unser KK!“ Jovial und breit grinsend klopfte ihm Kriminalkommissar Winfried Sacherer, sein Kollege aus der Abteilung Eigentumsdelikte, auf die Schulter. Er und Kellert waren einige Zeit lang befreundet gewesen, diese Beziehung hatte sich aber in der letzten Zeit spürbar abgekühlt. Dieses war wieder einmal einer der Momente, in dem Kellert deutlich wurde, warum das so war.
‚Es gibt Menschen, die einfach kein Gespür für den Abstand haben, den man hält‘, dachte Kellert. ‚Sacherer ist ein solcher Typ. Der kommt dir körperlich einfach zu nah. Schiebt seine etwas zu lange Nase in dein Gesichtsfeld. Rückt dir so nah auf die Pelle, dass du unwillkürlich einen Schritt zurückgehst. Das merkt der aber nicht. Rückt nach. Du riechst sein etwas zu süßliches Aftershave, du witterst den Mundgeruch, der Spuren von seiner letzten Mahlzeit in sich trägt. So dass du körperlich den Impuls spürst: Bleib mir vom Leib, Mann! Aber: keine Chance!‘
Kellert schüttelte sich und wich nach rechts aus. Nachmittags im Polizeipräsidium – da lief man allen möglichen Kolleginnen und Kollegen über den Weg, ob man wollte oder nicht. Auf gerade diese Begegnung hätte er jedoch gut und gern verzichten können. Ihm war nicht nach kollegialem Small Talk und schon gar nicht nach Scherzen zumute. Wie er überhaupt in der letzten Zeit seine privaten Kontakte deutlich reduziert hatte. Mehr und mehr hatte er sich in seine eigene Welt zurückgezogen.
Etwas gequält fragte er nun zurück: „Hm, KK?“ „Na, Kirchen-Kommissar!“, erwiderte der leicht in die Breite gegangene, etwas feist wirkende Sacherer und brach in lautes Gelächter aus. Ein Lachen auf Kosten Kellerts, das war schon deutlich. „Du hast doch damals schon den Mordfall an der Theologischen Fakultät an der Backe gehabt. Und offensichtlich hast du dich bewährt, gratuliere!“*
„Na danke“, knurrte Kellert, der sich an diesen außergewöhnlichen Fall natürlich gut erinnerte. Gut zwei Jahre war das jetzt her. Er hatte das bislang noch überhaupt nicht mit diesem Fall in Verbindung gebracht. ‚Stimmt aber schon‘, überlegte er nun, ‚da bin ich wieder in demselben Milieu gelandet. Aber ›KK‹. Der spinnt!‘ Mit einem unverständlichen Murmeln entwand er sich der Gegenwart des Kollegen, der ihm immer noch breit grinsend hinterherschaute.
„Hast du etwas über diesen Spiritual herausbekommen?“, fragte er den bereits an seinem Schreibtisch sitzenden Dominik Thiele, als er in das gemeinsame Büro trat. „Jepp“, gab der zurück. „Ich habe ihn für vier Uhr bestellt. Der meldete sich erst beim vierten Versuch auf seinem Handy. Hat was Undeutliches als Entschuldigung vor sich hin gebrabbelt, das habe ich aber nicht richtig verstanden. Na, wir werden ja hören, wo er war.“
„Danke, gut!“, gab sein Chef nickend zurück, lehnte sich nach hinten und sinnierte vor sich hin. „Tja: Mord an einem Geistlichen, der das Priesterseminar leitet. Ein Haus voller junger oder nicht mehr ganz so junger Männer, die selbst Priester werden wollen. Warum auch immer. Irgendjemand muss einen zwingenden Grund gehabt haben, ihn umzubringen. Was war das Motiv? Hass, Verzweiflung, Eifersucht, das Gefühl von Missachtung?“
Thiele blickte über die aneinandergeschobenen Schreibtische hinüber. Beide überlegten. „Ich kann mich da schwer hineindenken, Bernd“, meinte der Jüngere nach einiger Zeit. „Mit Kirche habe ich nichts am Hut, das weißt du ja. Ich bin ja quasi religionslos aufgewachsen. Du bist immerhin katholisch …“
„Jetzt fang du nicht auch noch damit an!“, fiel ihm Kellert ins Wort. Thiele sah ihn verständnislos an. „Katholisch hin oder her, ich kenne mich in dem Laden doch auch nicht aus! Wir müssten einfach mehr darüber wissen, wie so ein Priesterseminar von innen funktioniert. Wer wofür zuständig ist. Welche Spannungen es gibt. Welche Konfliktfelder“, ergänzte der Kommissar, zuletzt wieder ganz sachlich.
„Der Täter“ – er schaute nickend zu Thiele hinüber und ergänzte – „doch, ich glaube schon, dass das ein Mann war, so wie der Mord ausgeführt wurde, und in dem ganzen Zusammenhang mit dieser seltsamen Männerwelt da … Also: Der Täter stammt aus dem Umfeld dort, davon bin ich überzeugt. Wie kommen wir da näher ran?“
„Meinst du, dass die überhaupt irgendetwas nach außen dringen lassen wollen? Gibt es da nicht irgend so eine Art Corps-Geist oder wie das heißt? Haben wir da überhaupt eine Chance, an die heranzukommen?“, gab Thiele zu bedenken. „Kann sein, dass du recht hast mit deinen Befürchtungen“, stimmte Kellert zu. „Oder auch nicht. Vielleicht gibt es da auch einige, die noch eine interne Rechnung begleichen wollen und gerade deshalb aus dem Mannschaftsgeist ausscheren. Werden wir ja sehen.“
Der Blick des Kommissars verlor sich in den Luftschichten unter der Zimmerdecke. Nachdenklich blickte Thiele seinen Chef an. Irgendetwas stimmte mit Kellert in der letzten Zeit nicht. Doch, er konzentrierte sich auf jeden neuen Fall wie auf alle Fälle zuvor. Aber ihm fehlte … ja was? Die Leichtigkeit? Die Freude an der Arbeit? ‚Ich muss ein bisschen auf ihn aufpassen‘, gab sich der Jüngere mit auf den Weg. Wohl wissend, dass der Ältere diesen Gedanken empörend fände.
* Dieser Fall lässt sich nachlesen in: Toter Dekan – guter Dekan. Mord in der Theologischen Fakultät (Echter: Würzburg 2016).