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Sie saßen wieder in demselben ungemütlichen Besprechungszimmer des Priesterseminars. Dieses Mal aber zu viert: Kellert und Thiele, dazu Spiritual Dietz und Subregens Arenhövel. Die beiden Geistlichen waren zwar nicht begeistert gewesen, als Thiele sie angerufen und mit der Bitte um ein erneutes Gespräch konfrontiert hatte, aber natürlich hatten sie sich dann gefügt.

Dietz hatte auch hier auf das Anlegen des Priesterkragens verzichtet, war wie am Vortag eher leger gekleidet. Arenhövel hingegen trug exakt dieselbe Kleidung wie gestern, entweder im buchstäblichen Sinne oder er verfügte über mehrere weitgehend identische Ausstattungen. Die beiden Kleriker saßen zwar nebeneinander auf der anderen Seite des Tisches, den beiden Polizisten gegenüber, fühlten sich aber Seite an Seite offensichtlich nicht besonders wohl. In ihrer Körpersprache wurde der Wunsch nach Distanz sehr deutlich. Die Sitzrichtung sowie die Arm- und Beinstellung wiesen deutlich voneinander fort. Kellert und Thiele fiel das natürlich sofort auf und sie machten sich ihre entsprechenden Gedanken.

Arenhövel hatte es sich nicht nehmen lassen, eine blasse Kerze zu entzünden, die in einem Keramikhalter in der Mitte des Tisches stand. Das gehörte hier scheinbar zum Gesprächsritual. Und erinnerte den Kommissar an die ungelöste Frage, wer denn nun die Kerzen im Büro des Regens ausgelöscht hatte. Wahrscheinlich nach der Tat.

„Ich frage Sie ganz offen und bitte Sie dringend um ehrliche und umfassende Antworten“, begann Kellert in seinem direktiven Tonfall. „Wir müssen alles wissen, was zur Auflösung des Falls beitragen kann, gerade auch in Ihrem Interesse. Und zu entscheiden, was genau dazu dienen kann, das müssen Sie einfach uns überlassen.“ Er blickte hinüber, suchte den Augenkontakt zu den Angesprochenen und entlockte beiden ein zustimmendes Nicken: unbeschwert, lächelnd, mit einem leichten Anflug von Ironie bei Dietz, mit leichter Verzögerung und verkniffen bei Arenhövel.

„Nun denn: Hatte Regens Görtler Feinde? Gab es Streit oder Konflikte, die über das normale Alltagsmiteinander hinausgingen?“ „Sie sind gut“, brach es spontan aus Arenhövel heraus, „was glauben Sie, wie unser Alltag hier aussieht? Natürlich gibt es Streit, natürlich gibt es harte Konflikte. Ständig. Wir entscheiden hier über Lebensläufe. Wir müssen erwachsenen Männern sagen, was geht und was nicht. Wir entscheiden, wer aufgenommen wird, wir entscheiden, wer bleiben darf. ‚Göttliche Berufung‘ – gut und schön; aber wir müssen herausfinden, ob die vorliegt. Und durchträgt.“

Dietz hatte ihm beruhigend die Hand auf den Arm gelegt und unterbrach nun den heftigen, emotionalen Redeschwall. „Wir wollen vor allem natürlich dabei helfen, dass die jungen Männer ihren Weg selbst finden. Wir können sie dabei schon sehr gut unterstützen. Es ist keineswegs so“ – hier wandte er sich vor allem an Kellert – „als ob wir hier ständig nur Probleme hätten. Es gibt auch gute Phasen des Miteinanders. Das ist eigentlich der Normalfall. Wir versuchen vor Gott unser Leben zu gestalten, im Gebet, in Gottesdiensten, im Studium, in gemeinsamer Verantwortung für die Kirche. … Klar“, nun blickte er auf Arenhövel, „sicherlich gibt es auch Konflikte. Wie sollte das anders sein, wenn so viele Menschen auf relativ engem Raum zusammenleben; und wo einige eben das Sagen haben und die anderen sich fügen müssen. Aber das ist doch ganz normal, oder?“

„Schon“, gab Kellert zurück, „das beantwortet aber nicht meine Frage. Bitte konkret, meine Herren. Gab es so etwas wie Feindschaften? Gab es zuletzt besondere Probleme?“ Die beiden Kleriker sahen sich an, rangen sichtlich innerlich darum, was sie erzählen sollten, was nicht.

„Sie wollen also, dass wir Ihnen etwas aus der Gerüchteküche erzählen!“, schnaubte Arenhövel. „Was glauben Sie, was man sich hier so alles erzählt. Und anderswo über uns. Aber das ist zum Teil so unter allem Niveau, davon werden Sie von mir nichts hören. Nichts!“ Spiritual Dietz nickte zustimmend, kratzte sich am Kinn und ergänzte dann: „Das können Sie wirklich nicht erwarten, meine Herren. Aber es gab schon Konflikte, die mehr waren als ein Gerücht. Und darüber, Maximilian“ – hier blickte er zu Subregens Arenhövel –, „können wir schon sprechen, meine ich.“

Arenhövel blickte eher skeptisch auf seinen älteren Kollegen. Sichtlich widerwillig ließ er ihn weiterreden. „Es ist ja kein Geheimnis, dass Regens Görtler Weihbischof werden sollte.“ Arenhövel fuhr empört auf. „Komm, komm, Maximilian, das pfeifen die Spatzen Friedensbergs von den Dächern“, wies ihn Dietz zurecht. Kellert bestätigte, um Arenhövel zu beruhigen und den Redefluss des Spirituals nicht zu stoppen: „Stimmt, das ist auch schon zu uns vorgedrungen.“

„Na siehst du, Maximilian! Nun, es gab – sollte ich besser sagen: gibt? – einen anderen Kandidaten: Domkapitular Dr. Franz Joseph Breskamp. Der vertritt eher, ich sage das jetzt mal so, einen konservativen Flügel im Bistum. Macht uns ständig Druck: ‚Liefert uns Priester, wir brauchen Leute!‘ Wir hier sagen immer: ‚Gern, solange sie wirklich geeignet sind.‘ … Na ja, nur so ein Beispiel, wie unterschiedlich die Positionen sind. Breskamp würde wirklich gern Weihbischof werden. Und es gibt viele im Bistum, die ihn darin massiv unterstützen, glauben Sie mir.“

„Das klingt aber eher nach Konkurrenz als nach Feindschaft“, warf Kellert ein. Arenhövel nickte heftig und demonstrativ. Dietz blickte den Kommissar schräg an und grinste bitter: „Schon, aber die Grenzen sind doch oft fließend, oder? Wo hört Konkurrenz auf, wo beginnt Feindschaft? Jedenfalls: Vor ein paar Wochen gab es einen ziemlichen Eklat.“ „Günther! Das geht jetzt aber wirklich zu weit!“, fiel ihm Arenhövel, der seinem Kollegen die ganze Zeit unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschend mit mühsam unterdrücktem Unwillen zugehört hatte, ins Wort.

„Ach was: Sie werden es eh erfahren. Also warum nicht jetzt? Bei der Verabschiedung des letzten Weihejahrgangs, also der in diesem Jahr neu geweihten Priester – zwei übrigens – das war Anfang August …“ Er hatte den Gesprächsfaden verloren, räusperte sich, setzte dann noch einmal neu an: „… ja also: da hat Breskamp uns, vor allem natürlich dem Regens, komplettes Versagen vorgeworfen. Öffentlich, hier bei einem Fest, wo viele Leute auch von außen zugegen waren. ‚Sie sind viel zu kritisch‘, hatte er erregt gerufen: ‚Zwei gute junge Männer aus diesem Jahrgang haben Sie nicht zugelassen, nur weil die Ihnen nicht passen. So geht unser Bistum zugrunde! Wir brauchen dringend mehr Priester. Liefern Sie sie uns!‘ Also, ich habe in seinen Augen Hass gesehen, ja doch: Hass!“

„Nein, doch nicht Hass!“, korrigierte Arenhövel. „Die mögen sich nicht, Breskamp und der Regens, das ist schon richtig, äh …“, er korrigierte sich. „Entschuldigung: die mochten sich nicht. Aber Günther, wir reden hier doch über mögliche Mord-Motive oder nicht? Also bitte: Das liegt doch wohl auf einer ganz anderen Ebene.“ ‚Scheint mir auch so‘, dachte Kellert, ‚aber wer weiß: wenn dazu noch das Gefühl kommt, übersehen worden zu sein bei der Beförderung zum Weihbischof? Ein Gefühl der verweigerten Anerkennung?‘

„Braucht man denn wirklich so viele Priester?“, fragte Dominik Thiele, für den die Welt der Kirche weitgehend ein unbekanntes Terrain darstellte. „Na ja, schauen Sie sich doch mal hier um!“, entgegnete Arenhövel und schlug mit der rechten Hand einen großen Bogen um sich herum. „Das Haus ist für dreimal so viele Alumnen eingerichtet worden. Viele Zimmer stehen leer. Wir waren damals ein Weihejahrgang von vierzehn Neupriestern und ihr“ – er wies zu Spiritual Dietz – „sogar einundzwanzig, oder? Die starken Priesterjahrgänge gehen entweder in den Ruhestand oder sterben uns weg. Und bei uns werden jetzt pro Jahr zwei oder drei neu geweiht. Natürlich brauchen wir Neupriester!“

„Aber eben nicht jeden“, unterbrach ihn Dietz. „Wir müssen prüfen, ob die Kandidaten am Ende – nach aller nur denkbaren Förderung, die wir ihnen zuteilwerden lassen – für das schwere Amt geeignet sind. Theologisch, pädagogisch und menschlich. Wenn nicht, darf der Regens nicht zustimmen. So ist das! Und das ist richtig so!“

Kellert mischte sich wieder ein: „Und diese zwei Kandidaten, von denen eben die Rede war, denen der Regens in diesem Jahr seine Zustimmung verweigert hat …?“ „Ach so, Brunnhuber und Tholen“, überlegte Dietz, „tja, sehr unterschiedliche Fälle. Sag du etwas dazu, Maximilian, du kanntest die beiden besser.“

Sichtlich ungern fügte sich der Subregens dieser Aufforderung. Er fand jedoch keinen Grund, hier nichts zu sagen: „Ja, von mir aus. Also: Sascha Tholen. Ein guter Kerl. Kam aus dem Bistum Trier, stammte da irgendwo von der Mosel. Da wollten sie ihn wohl nicht, aber wir haben ihn damals aufgenommen. Da war ich aber noch gar nicht hier im Haus. Winzersohn. Sehr fromm. Aber …“

Er suchte sichtlich nach Worten. Dietz sprang ein. „… ein schlichtes Gemüt. Hat sein Studium mit Ach und Krach geschafft. Da haben viele Professoren wohl ein oder zwei Augen zugedrückt, weil sie wussten, dass er ja Priesterseminarist war. Die lässt man normalerweise nicht durchfallen. Na ja, bis auf diesen Professor Schulze-Vorrath. Der kannte da nichts. Manchmal hatte man schon den Verdacht, dass der die Leute aus unserem Haus besonders gern durchfallen ließ. Aber den haben Sie ja“ – er blickte zu Kellert – „dingfest gemacht, damals, wenn ich mich erinnere. Der sitzt doch jetzt hinter Schloss und Riegel. Das waren doch Sie damals, oder?“

Kellert nickte. Ja, der Spiritual hatte natürlich recht. Es erinnerten sich also noch andere an den Fall, den Kellert vor mehr als zwei Jahren in der Theologischen Fakultät aufgeklärt hatte. Er musste demnach damit rechnen, dass sein Name in kirchlichen Kreisen von daher geläufig sein konnte. Ob ihm das nun Vorteile verschaffte oder eher Ressentiments hervorrief, musste er beobachten. Aber es war gut, dass Dietz ihn hier – unbewusst – daran erinnerte, dass man ihn, Kellert, kennen würde.

Dietz – ‚Woher kenne ich das Gesicht bloß‘, fragte sich Kellert erneut – sprach unterdes weiter: „Ja, Tholen, der Sascha. Er konnte seinem Gegenüber einfach nicht in die Augen sehen. Blickte verstohlen nach unten. Verstehen Sie: So ganz normale menschliche Unterhaltung – das hat der einfach nicht gepackt. Bei Frauen war das extrem, aber auch Männern gegenüber gab es diese Scheu. Kein Blick, kaum ein Wort. Den konnten wir einfach nicht als Seelsorger in die Gemeinden schicken. Beim besten Willen.“

„Aber dieser Dr. Breskamp war anderer Meinung?“ Arenhövel hob zu einer Antwort an, Dietz war aber schneller: „Der mag diese stillen frommen Typen. Hauptsache, sie können würdig die Liturgie feiern!“ Arenhövel protestierte: „Das ist aber jetzt echt unfair, Günther! So verkürzt darf man das nicht sagen. Dr. Breskamp hat darauf gesetzt, dass sich diese menschlichen Qualitäten vor Ort noch entwickeln können. Das haben wir bei anderen unserer Kandidaten durchaus auch schon erlebt.“

„Und was ist aus ihm geworden, aus diesem …?“ „Tholen, Sascha Tholen“, ergänzte Arenhövel. „Der ist nach Österreich gegangen. Hat dort – soweit wir das wissen – Aufnahme in einem Kloster gefunden. Und das könnte doch auch ganz gut zu ihm passen. Hoffe ich für ihn!“

Kellert notierte etwas in sein Notizbuch und überlegte kurz. „Und der andere?“ „Der Brunnhuber Schorsch?“, antwortete Arenhövel, nachdem Dietz sich offensichtlich nicht zuständig fühlte. „Ganz anderer Typ. Blitzgescheiter Student. Hat Theologie als Zweitstudium belegt, hatte vorher schon einen Abschluss in Betriebswirtschaft.“ „Volkswirtschaft!“, unterbrach Dietz. „VWL? Von mir aus. Ja, kann sein. Der wollte was werden. Strebsam. Und: Der wäre auch was geworden …“ Er zögerte.

„Wenn nicht was?“, fragte Thiele, nachdem niemand das Wort ergriff. Arenhövel blickte zu Dietz. Der ergänzte: „Nun, wir waren uns nicht sicher, ob er sein Zölibatsversprechen ernst meinen würde. Das ist ja auch nicht leicht, wirklich nicht. Und er hatte während des Studiums mindestens zwei Freundschaften, also“ – er blickte von einem Polizisten zum anderen und verzog dabei das Gesicht – „Liebschaften, mit allem Drum und Dran. Sie verstehen schon, was ich meine. Mindestens zwei. Von denen wussten wir. Und nach unserer Einschätzung hatte er auch nicht wirklich vor, etwas an dieser Art seiner Lebensführung zu ändern. Da konnten wir einfach nicht zustimmen. Das wäre ein klarer Verstoß gegen unsere Vorschriften.“

„Aber auch das sah dieser … Dr. Breskamp anders?“, fragte Thiele nach. „Genau!“, erwiderte Spiritual Dietz. „Das sind halt die anderen Typen, die ihm gefallen. Schneidig. Großspurig. Selbstbewusst. ‚Wir brauchen auch künftige Führungstypen‘, meint er immer. Und da wäre er bereit, über Probleme beim Zölibat hinwegzusehen. ‚Das legt sich schon mit der Zeit‘, hat er mir einmal gesagt, ‚das kennen wir doch.‘ Echt! Das ist doch zynisch.“

„Und was macht er jetzt, dieser …“ – „Schorsch, also Georg Brunnhuber“ – „Genau! Ins Kloster ist der wohl nicht gegangen, oder?“ Arenhövel verzog das Gesicht und antwortete: „Der und ins Kloster? Nun wirklich nicht! Was der jetzt genau macht, weiß keiner von uns. Aber er lebt wohl weiter hier in Friedensberg. Soll eine Wohnung mit einer Frau zusammen haben, natürlich unverheiratet; aber das ist wieder mal nur ein Gerücht. Keine Ahnung, ob das stimmt.“

Erneut notierte Kellert etwas auf seinen Notizblock. Dann blickte er auf die beiden Geistlichen, die ihm gegenübersaßen. „Und, gab es weitere Konflikte in der letzten Zeit? Vielleicht auch untereinander? Ich meine: zwischen Ihnen in der Leitung des Priesterseminars?“

Spiritual Dietz und Subregens Arenhövel blickten sich an. Dietz mit leichtem Grinsen, Arenhövel unsicher. Dietz übernahm die Antwort: „Wir sind sicher nicht immer einer Meinung gewesen. Und jetzt auch nicht. Das haben Sie ja gemerkt. Nein, wir sind halt auch verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Einstellungen. Wie Sie beide auch.“ Er wies zu Thiele und Kellert. „Sie sind sicherlich auch nicht immer einer Meinung, oder? Sehen Sie! Doch, wir streiten auch manchmal, klar. Aber als Kollegen! Als Mitbrüder! Wir waren eigentlich ein gutes Team, oder, Maximilian?“

Arenhövel pflichtete ihm sofort bei, offensichtlich froh, nun wieder Seite an Seite mit dem Spiritual auftreten zu können. „Und andere Konflikte, also so richtig heftige, sind mir nicht bekannt“, ergänzte er.

„Gut! Das wäre es dann vorerst. Danke, meine Herren“, verabschiedete sich Kellert. Dietz erhob sich, offensichtlich froh, das Gespräch hinter sich gebracht zu haben. Arenhövel blieb jedoch sitzen. Offenbar hatte er noch ein Anliegen: „Äh, Moment, Herr Kommissar …“ „Ja?“ Auch Kellert hatte sich schon bereit gemacht den Raum zu verlassen, wendete sich nun aber noch einmal dem Subregens zu.

„Ich wollte oder sollte Ihnen doch noch etwas über Marcus Rühle sagen.“ Dietz seufzte laut auf, rollte mit den Augen, nahm aber wieder Platz. Die beiden Polizisten aber blickten Arenhövel fragend an. „Na unseren Repetenten, der gestern bei der Versammlung nicht mit dabei war.“ Richtig, den hatte Kellert völlig vergessen. Also setzten auch sie sich wieder. Thiele verbarg seine Ahnungslosigkeit hinter einem professionell neutralen Gesichtsausdruck. „Also …“, sagte Kellert ermutigend.

„Vielleicht sollte ich erst einmal erklären, was das überhaupt ist, ein Repetent“, begann Arenhövel. „Na, da bin ich aber mal gespannt“, warf Dietz ein, während Thiele und Kellert dankbar nickten. Der Begriff sagte ihnen nämlich gar nichts. „Sie merken schon an der Reaktion meines Kollegen, dass wir das auch nicht so ganz genau wissen“, ließ sich Arenhövel nicht aus dem Konzept bringen. „Eigentlich reicht das klassische Trio aus, um ein Priesterseminar zu leiten, also Regens, Subregens und Spiritual. So war das bei mir damals, als ich hier studierte, und bei dir wahrscheinlich auch, Günther, oder?“

Dietz nickte bestätigend, während Arenhövel weitersprach: „Na ja, vor ungefähr einem Jahr kam das Angebot aus dem Bistum, einen Repetenten mit hinzuzunehmen, der uns die Arbeit erleichtern sollte.“ „Angebot?“, knurrte Dietz. „Das war schon eher eine Dienstanweisung, würde ich sagen! Und ‚erleichtern‘? Wir haben nicht um ‚Unterstützung‘ gebeten und das Ganze hat sich auch kaum als ‚Unterstützung‘ herausgestellt.“

„Entschuldigung, aber ich verstehe gar nichts“, warf Thiele ein. „Was macht der denn nun, dieser Repetent?“ „Eben, Herr Kommissar! Genau das ist die Frage!“, warf Dietz ein und beförderte Kriminalhauptmann Thiele damit unwissentlich zu jenem Rang, den dieser nur zu gern innehätte. Er ergänzte: „Das, genau das wissen wir bis heute auch nicht!“ Nun übernahm Arenhövel aber wieder die Gesprächsleitung: „Ich versuche es zu erklären. Also es ist so: Marcus Rühle ist ein Priester unserer Diözese. Er hat aber nicht hier in Friedensberg studiert, sondern in München und Rom. Er wurde vom Bischof zur Promotion freigestellt, soll also eine Doktorarbeit schreiben, und ist dann sicherlich für irgendein höheres Leitungsamt vorgesehen.“ „Oder für eine akademische Laufbahn als Professor“, warf Dietz ein.

Unwirsch fuhr Arenhövel fort: „Wie dem auch sei. Das gibt es in jedem Bistum. Irgendwie wird also das künftige Spitzenpersonal ausgebildet. Rühle kann sich also auf seine Promotion konzentrieren. Schön für ihn. Das würden viele andere auch gern tun. Jedenfalls hat man dann in der Bistumsleitung überlegt, wie er sich in dieser Zeit nebenher in der Seelsorge nützlich machen könnte. Und ist dann auf die Idee gekommen, ihn als Repetent bei uns im Priesterseminar unterzubringen.“

„Man kann auch sagen: zu parken“, ergänzte Dietz. „Die Idee war: Er soll unsere Alumnen beim Studium unterstützen. Manche tun sich da schwer. Die ausländischen Mitbrüder mit der deutschen Sprache, unsere mit Griechisch und Hebräisch oder in den einzelnen Fächern. Das war die Idee.“ Er schwieg und blickte mit rollenden Augen nach oben.

„Aber …“, warf Kellert nach einigen Sekunden ein. Arenhövel griff die Aufforderung auf, suchte sichtlich nach Worten. „Ja, das war eben die Idee. Was Rühle wirklich macht, wissen wir bis heute nicht so genau. Er hat zwar ein Zimmer hier im Haus, aber mal ist er da, mal nicht. Mal nimmt er am Seminarleben teil, mal nicht. Mal macht er Angebote für unsere Alumnen, hält sie auch, dann ist er wieder unterwegs.“

„Und das hat der Regens, also Dr. Görtler, einfach so hingenommen?“, fragte Kellert. „Der war doch eher so ein genauer, vollständig durchgeplanter Typ, wenn ich das bis jetzt richtig mitbekommen habe.“ „Stimmt schon“, entgegnete Dietz. „Nee, dem Norbert hat das gestunken, diese ganze Regelung, von Anfang an.“ Arenhövel wollte etwas entgegnen, aber der Spiritual kam ihm zuvor. „Es war so, Maximilian, das weißt du. Nein: Der Norbert hat von Anfang an versucht, gegen diese von uns ja gar nicht erwünschte Zuteilung zu protestieren. Aber das kam eben von oben. Von ganz oben. Da war nichts zu machen.“

Kellert überlegte, versuchte sich das Szenario vorzustellen. Wie er reagieren würde, wenn das Polizeipräsidium ihn in eine vergleichbare Situation bringen würde. „Die werden wohl kaum Freunde gewesen sein, der Regens und dieser Rühle, oder?“, fragte er dann. „Wirklich nicht“, bestätigte Dietz. „Man ging sich aus dem Weg. Aber Rühle war ziemlich dreist …“ – „Selbstbewusst, würde ich sagen“, warf Arenhövel ein – „Nee, dreist: nahm sich das Recht heraus, an Dienstbesprechungen teilzunehmen, fuhr seinen eigenen Kurs mit seinen Lieblingsalumnen, die er um sich scharte, und …“

Er verstummte, überlegte offensichtlich, ob er noch etwas hinzufügen sollte. „Das reicht, Günther!“, mahnte ihn der Subregens. Dietz überlegte kurz, und fast als wäre er durch diesen Einwurf herausgefordert, sprach er dann doch weiter: „Ja, man konnte sich eben nie ganz sicher sein, was er wem weitererzählte. Früher war das klar: Interna aus Dienstbesprechungen bleiben unter uns. Es muss einen geschützten Raum der Verschwiegenheit geben, wo man Dinge auch mal etwas scharf aussprechen darf. Und seit Rühle da ist, können wir uns darin eben nicht mehr sicher sein.“ Arenhövel kniff die Lippen zusammen, nickte aber langsam.

Kellert blickte die beiden Pfarrer an. „Nun, mit diesem Herrn Rühle werden wir uns dann sicherlich noch zu beschäftigen haben. Danke für Ihre Auskünfte und Ihre Offenheit. Je besser wir die Lage einschätzen können, umso eher werden wir den Fall lösen. All das bleibt selbstverständlich unter uns. Komm, Dominik.“

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