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7.

„Hmm, nicht schlecht, diese Gulaschsuppe“, lobte Bernd Kellert, während er sich Löffel für Löffel schmecken ließ. ‚Der Arme‘, dachte Thiele, ‚zu Hause bekommt er nur vegetarisches Essen. Da schmeckt es ihm selbst hier in diesem Stehimbiss beim Metzger.‘ Die beiden Kriminalbeamten kamen oft hierher, um sich aufzuwärmen, ein bisschen auszuruhen und sich über den neuesten Stand ihrer Ermittlungen auszutauschen. Dabei aßen sie oft eine Kleinigkeit oder tranken einfach nur einen Kaffee.

Thiele biss in ein Schnitzelbrötchen. ‚Recht hat er, der Bernd. Das ist wirklich auch nicht schlecht.‘ Nur Hannah Mellrich wirkte hier ein bisschen fehl am Platz. Sie hatte den Imbiss offensichtlich noch nie zuvor betreten. Entgeistert musterte sie den wenig einladenden Raum. Resopaltische, Plastikdecken, abgeschabte Stehhocker, hellgrüne Fliesenwände. Auch das Angebot der Speisen schien sie wenig anzusprechen. Einen Salatteller hätte sie durchaus gern bestellt, aber den gab es hier nicht. Also begnügte sie sich mit einem Espresso. Ungesüßt.

Die drei Kollegen hatten sich spontan hier verabredet, um über weitere Schritte zu beraten. „Ich habe Lena angerufen“, erklärte Thiele. „Sie soll mal die aktuelle Adresse von dieser ehemaligen Geliebten des Direktors herausfinden, dieser“ – er blickte kurz in sein Smartphone – „Monika Höffgen.“ Dass die Kommissariats-Sekretärin rasch und zuverlässig derartige Aufgaben erledigen würde, wussten alle drei.

Schon meldete sich der etwas schrille Klingelton, den Thiele für Anrufe oder Mails aus dem Kommissariat eingespeichert hatte. Er blickte auf den Bildschirm seines Smartphones und nickte. „Aha! Die lebt jetzt in Nürnberg. Soll ich das übernehmen, Chef?“ Kellert wischte sich mit einer groben Stoffserviette über den Mund und antwortete dann: „Gut, Dominik, mach das. Aber nicht heute. Morgen. Mal sehen, wie sie die Angelegenheit schildert. Sie wäre nicht die erste verlassene Geliebte, die den Ex-Liebhaber umbringt. Ich kann mir das in diesem Fall zwar kaum vorstellen, aber weiß man’s?“

Er wandte sich der Kommissar-Anwärterin zu. „So, und Sie? Was haben Sie beobachtet bei all unseren Gesprächen an der Schule?“ Hannah Mellrich rückte überrascht auf ihrem Stehhocker herum. Sie hatte nicht damit gerechnet, so angesprochen zu werden. Thiele blinzelte ihr verstohlen und ermunternd zu, ohne dass Bernd Kellert es merken konnte.

„Nicht viel“, räumte sie ein. „Und Ihnen entgeht ja auch fast nichts, Chef. Dass dieses Trio von der Schulleitung nicht besonders gut harmoniert, war ja nun wirklich mit Händen zu greifen. Diese Frau Wiesmüller – also die stellvertretende Direktorin –“, fügte sie an Thiele gerichtet hinzu, „tut nun wirklich alles, um es ihren männlichen Kollegen nicht leicht zu machen. Wobei wir natürlich nichts über die Hintergründe und Vorgeschichten wissen.“ „Noch nicht“, warf Kellert ein, ermahnte sich dann innerlich aber, dass er selbst solche Zwischenbemerkungen nicht ausstehen konnte.

Seine junge Mitarbeiterin fuhr ungerührt fort: „Und dieser Torsten Bedlinger ist natürlich eine Type. Wow! Raucht bestimmt Haschisch. Ich frage mich: Was macht ein solcher Lehrer an einem kirchlichen Gymnasium? Ein Werbeschild für diese Schule ist er nicht gerade, oder? Also ich, als Direktorin, hätte da längst einige Worte mit ihm gewechselt.“

Überrascht blickten die beiden Polizisten auf ihre Kollegin, die selbstbewusst und ohne Scheu ihre Überlegungen vorbrachte. „Kann doch sein, oder?“, ging sie weiter ihren Gedanken nach. „Der Direktor versucht, ihn loszuwerden. Der Bedlinger hat sowieso einen schlechten Ruf als Lehrer, wie Sie, Chef, ja gesagt haben. Und läuft so rum. Vielleicht hat dieser Geißendörfner ihn zum Vorruhestand bewegen wollen, was weiß ich. Und irgendwann wurde es dann zu viel. Der kocht über. Tickt aus. Dass er seinen eigenen Wagen genommen hat, fällt ihm erst hinterher ein. Ein Alibi hat er auch nicht. Passt doch!“

Sie überlegte und wischte mit der rechten Hand gar nicht vorhandene Krümel von der klebrigen Tischdecke: „Okay, das ist nur eine Theorie. Ich weiß selbst nicht, ob ich die so richtig überzeugend finde. Aber unmöglich ist das nicht, oder?“ „Nee, interessant“, lobte Kellert. „Wir kommen ja nur über Hypothesen weiter. Irgendwann trifft eine davon zu. Ganz einfach. Und diese ist nicht schlecht. Selbst wenn ich Ihre Skepsis teile. So richtig vorstellen kann ich mir das auch nicht.“

„Und wieso?“, fragte Thiele. Kellert schaute auf seine beiden Mitarbeiter, dann grinste er breit: „Ja, wieso? Nicht lachen! Wenn ich es recht überlege, hatte ich in meiner ganzen Laufbahn in der Mordkommission noch nie einen Täter“ – er blickte zu Hannah Mellrich – „oder eine Täterin, der oder die mir von Grund auf unsympathisch war. Noch nie! Und dieser Bedlinger ist mir unsympathisch.“

Kellert grinste, schüttelte den Kopf und erklärte mit einem Zug von Selbstironie: „Gut, das gilt kriminalistisch wohl kaum als schlüssige Begründung, einen Verdächtigen vom Tatverdacht auszuschließen. Aber es ist eben meine Erfahrung! Ganz subjektiv.“ „Und auf dein Gespür ist schon meistens Verlass, Chef“, bestätigte Thiele, ohne dass es anbiedernd klang. Denn genau das war eben seine eigene subjektive Erfahrung.

„Und weiter?“, auffordernd nickte Kellert seiner jungen Mitarbeiterin zu. Dieses Mal war sie vorbereitet. „Die beiden Kolleginnen, die dieser Bedlinger im Schlepptau mit sich führte, waren ihm ziemlich ergeben, schien mir. Wie die den angeschaut haben! Als wäre er etwas ganz Besonderes. Nun, vielleicht hat er ja verborgene Qualitäten. Also: mir verborgen. Wir sollten auf alle Fälle damit rechnen, dass er im Kollegium durchaus seinen privaten Fanclub hat. So wenig nachvollziehbar mir das scheint. Und was immer das bedeutet. Isoliert ist er jedenfalls nicht.“

Kellert nickte nachdenklich, gleichzeitig zustimmend. Wieder meldete sich Thieles Smartphone mit dem schrillen Klingelton aus dem Kommissariat. Ein Anruf dieses Mal. Er nahm das Gespräch an, drehte sich zur Seite, lauschte längere Zeit hinein, bestätigte das Gehörte und bedankte sich. „Das war noch einmal Lena. Sie hat sich die Finanzen dieses Direktors vorgenommen. Ich weiß nicht, wie sie das macht, aber irgendwie kommt sie immer schnell und unkompliziert an all die Infos, denen ich ewig hinterherlaufen würde.“

„Weiblicher Charme?“, warf Hannah Mellrich verschmitzt grinsend ein. Kellert ignorierte ihre Bemerkung. Thiele grinste gönnerhaft, zuckte mit den Schultern und berichtete: „Also: Finanziell war bei dem anscheinend alles in Ordnung. Das Haus vom Vater geerbt. Und von dessen Vater erbaut. Wie das halt so läuft. Das habe ich mir irgendwie fast schon gedacht. Solche Häuser kauft man nicht, die erbt man. Ansonsten: keine Schulden, regelmäßiges Einkommen, solide Geldanlagen. Wenn der Eindruck nicht völlig täuscht, war das ein untadeliger Staatsbürger, gehobenes Bildungsbürgertum, wie man so sagt, oder? Also finanziell bestens abgesichert. Mehr als wir jedenfalls, weit mehr als wir. Alles unauffällig. Bis auf diese Affäre. Was aber vielleicht ja auch schon irgendwie dazugehört. Oder, Bernd?“

Sein unerwartet mit Vornamen angeredeter Chef nickte geistesabwesend, besann sich dann jedoch, schüttelte den Kopf und murmelte: „Frag mich was anderes. Nicht meine Welt. Und ich bin nicht böse drum!“ Er dachte eine Weile nach und sagte dann: „Ich will noch mehr über diese Schule wissen. Wie es da so zuging. So viele Menschen auf so engem Raum, natürlich gibt es da Reibungen. Und ständig geht es darum, welche zukünftigen Wege die Kinder und Jugendlichen vor sich haben.“

Kellert überlegte. Dann wandte er sich mit einem ungewöhnlichen Anliegen an seinen Mitarbeiter: „Dominik: Kannst du nicht deine Verena fragen, ob sie nachher ein halbes Stündchen für uns Zeit hätte? Wenn wir schon einmal ein Familienmitglied vor Ort haben. Vielleicht kann sie uns weiterhelfen. Sie hat ja – sozusagen – Insiderwissen. Das sollten wir schon anzapfen, oder? Jaja“, er blickte auf Thiele, der gerade empört zu einer Erwiderung ansetzte, „natürlich so, dass es ihr nicht schadet, ist schon klar. Wir wollen sie nicht in einen Rollenkonflikt bringen.“

Sie verabredeten sich in der Wohnung der Thieles, wo Verena gerade den Unterricht vorbereitete. Gut, da würden sie nicht gestört und auch nicht von unliebsamen Augen gesehen werden. „Chef, brauchen Sie mich da?“, fragte Hannah Mellrich. „Ich hätte nämlich für meinen anderen Fall noch einige Formblätter auszufüllen. Nicht, dass ich mich danach sehnen würde. Aber erledigt werden muss es nun einmal.“ Kellert überlegte kurz und stimmte dann zu: „Gut, machen Sie das. Und: Danke für Ihre Begleitung und Beobachtung.“

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