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8.

„Und, wie macht sie sich so, die Neue?“, fragte Thiele, während sie völlig gegen alle Gewohnheit zu zweit zu seiner Privatwohnung fuhren. Wie immer steuerte er den Dienstwagen. Kellert fuhr nicht gern selbst. Er blickte nach links, murmelte zunächst etwas Unverständliches, räusperte sich dann und antwortete: „Gut. Das hast du ja selber mitbekommen. Aufmerksam, genau, nicht zu aufdringlich – das passt!“

Er blickte nach rechts aus dem Fenster und auf das dort langsam vorbeiziehende Friedensberger Panorama. „Aber ungewohnt ist es schon. Mit einer Frau unterwegs zu sein. Das ist doch …“ – er suchte nach Worten – „irgendwie anders. Da ist schon eine Art Spannung in der Luft. Irgendwie. Und ich habe das Gefühl, als müsste ich ihr etwas beweisen.“ Er feixte. „Sag es nicht weiter“, fügte er an. Sein Blick verlor sich in nicht fixierbaren Fernen. „Na ja, das wird schon“, kommentierte er abschließend, als müsste er sich selbst von dem Gesagten überzeugen. Und als hätte er nun schon mehr als genug von seinem Innenleben preisgegeben.

Die Fahrt dauerte nicht lange. Seit mehr als zwei Jahren wohnte Kriminalhauptmann Dominik Thiele zusammen mit seiner Frau – sie waren seit sechs Monaten verheiratet – in einer geräumigen Mietwohnung im dritten Stock eines Neubaus in den Außenvierteln von Friedensberg. Thiele wusste, dass sich Verena in der Gegenwart seines Chefs immer ein bisschen gezwungen fühlte. Sie hatten sich bei einem Mordfall in der Theologischen Fakultät von Friedensberg kennengelernt, als Verena dort noch Studentin war. Inzwischen trafen sie sich auch privat, aber eher selten.

Die Kellerts waren selbstverständlich zur Hochzeit der Thieles eingeladen gewesen. Eine echte Lockerheit im Umgang wollte sich gleichwohl nicht so recht einstellen. Lag es am Altersunterschied? Oder daran, dass der erste Eindruck eben aus dem Zusammentreffen zwischen einem Kriminalkommissar und einer potentiell – aber natürlich völlig grundlos – Verdächtigen entstanden war?

Der großzügige Wohnbereich der Mietwohnung des jungen Paares eröffnete einen weiten Blick über die Hänge auf der anderen Seite des breitgeschwungenen Flusstales von Friedensberg. Sie saßen in den modischen Sesseln, Verena hatte einen Kräutertee aufgebrüht, der Kellert erstaunlich gut schmeckte.

„Na, wie ist denn so das Leben als Lehrerin?“, fragte er in angestrengter Ungezwungenheit. Verena lächelte etwas bemüht. Sie hatte eigentlich gar keine Zeit. Der Unterricht für morgen war noch nicht vorbereitet und eine Klassenarbeit war erst zur Hälfte korrigiert. Lehreralltag halt. Aber sie wollte dem Chef ihres Mannes den Wunsch nach einem Gespräch natürlich nicht abschlagen.

„Das kannte ich ja schon aus dem Referendariat. Aber jetzt bin ich endlich selbstständig. Keiner mehr, der mir über die Schulter guckt und Ratschläge gibt, egal ob gebeten oder ungebeten. Das genieße ich schon. Und ich wusste ja, dass ich gern mit den Kids arbeite. Und dass ich das auch kann. Dazu kommt: Ich habe ja nur eine Dreiviertelstelle. Das lässt mir natürlich ein bisschen Freiraum. Da kann ich mich besser vorbereiten, und das nehme ich auch ernst. Also, Bernd“ – immer noch eine ungewohnte Anrede mit dem ‚Du‘ und dem Vornamen –, „gut geht’s mir. Wirklich! Danke. Aber deswegen seid ihr nicht hier. Also los: Was wollt ihr wissen?“

Kellert spürte sofort, dass er sich in der vertrauten Rolle als Befragender wesentlich sicherer fühlte als zuvor in dieser seltsamen und letztlich ungeklärten Mischung aus Privatleben und Beruf. „Wir müssen einfach noch viel besser verstehen, wie eine Schule von innen funktioniert. Nein“, verbesserte er sich, „wie diese Schule funktioniert, das KaRaGe, das Domgymnasium in Friedensberg.“

Verena überlegte. „Was soll ich sagen? Das ist eine wirklich gute Schule. Ich bin froh, dort gelandet zu sein. Wenn irgend möglich, möchte ich da bleiben. Ich habe ja bislang nur einen Zeitvertrag.“ Dominik Thiele nickte. Die angedeutete Perspektive gefiel ihm. Auch er hatte sich in Friedensberg gut eingelebt.

Kellert unterbrach Verena jedoch: „Gute Schule? Was heißt das?“ Sie schmunzelte: „Genau, das ist die Frage, nicht wahr? Darüber streiten sich die Pädagogik, die Philosophie und die Politik seit Jahrhunderten. Für mich heißt das: Wir versuchen, unseren Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden. Sie zu fördern. Und zu fordern. Immerhin sind wir ein Gymnasium. In einer Atmosphäre, die von Vertrauen geprägt ist. Zwischen Schülerschaft und Lehrerschaft, aber auch im Kollegium untereinander.“

Sie unterbrach ihren Gedankengang und blickte an die weiß getünchte Zimmerdecke. „Ja, das versuchen wir. Mit unterschiedlichem Erfolg, klar. Aber die Schüler können bei uns wirklich etwas lernen, fachlich und menschlich. Und wir im Kollegium sind eigentlich eine ganz gute Gemeinschaft. Soweit ich das beurteilen kann, ich bin ja erst seit zweieinhalb Jahren mit dabei. So richtig erst seit September. Als Referendarin hat man ja einen Sonderstatus, halb Teil des Teams, halb Gast auf Zeit.“

„Das klingt doch alles sehr gut“, kommentierte Dominik Thiele. „Fast schon zu gut“, warf Kellert ein. „Also bei eurer stellvertretenden Chefin, bei dieser“ – er überlegte kurz – „Ingrid Wiesmüller, klingt das anders. Sie hat uns, also der Kollegin Mellrich und mir, von dauerhafter Spannung und Konflikten erzählt.“

„Ja, die Wiesmüller!“, lachte Verena Thiele auf. „Die ist schon eine besondere Marke, oder? Ständig unter Spannung. Ständig in Inszenierung. Da schmunzeln besonders die älteren Männer im Kollegium. Hinter ihrem Rücken natürlich. ‚Mach mal langsam, Mädchen‘, hat der Müllner letzte Woche gesagt, als sie nach einem ihrer typischen Auftritte im Lehrerzimmer wieder verschwunden war. Großes Gelächter.“

„Aber ihre Einschätzung über die Schule …?“, schob Kellert nach. „Die ist natürlich nicht falsch“, räumte Verena ein. „Und das ist trotzdem kein Beleg dafür, dass ich mit meiner Wahrnehmung Unrecht hätte. Beides stimmt. Schule kannst du immer unter verschiedenen Perspektiven betrachten, das ist nun einmal so. Natürlich brodelt es unter der Oberfläche. Ständig werden einige belohnt, andere abgestraft; einige bestätigt, andere in ihrer Schwäche bloßgestellt; einige befördert, andere gegen ihre Erwartungen links liegen gelassen. Aber was willst du machen? Das ist nun einmal in der ganzen Gesellschaft so. Wie sollte Schule da eine Ausnahme bilden? Wir sind doch Teil dieser Gesellschaft, keine Sonderwelt. Aber wir versuchen wenigstens, fair und offen miteinander umzugehen. Wenigstens das.“

Sie schwiegen und nippten an dem noch handwarmen Tee. Dann ergriff Kellert das Wort: „Und der Chef, der Dr. Geißendörfner, wie war der so?“ Verenas Augen verengten sich. „Dass der jetzt tot ist! Das kann ich mir noch gar nicht so richtig vorstellen. Ich weiß es, kann es aber eigentlich nicht fassen. Und dass irgendjemand ihn ermordet hat! Vielleicht sogar jemand, den ich kenne. Wenn es denn einer aus der Schule war! Was ich mir einfach nicht vorstellen kann. Beim besten Willen nicht.“

Sie verlor sich in Erinnerungsbildern, gab sich dann aber einen Ruck. „Ja, wie war der? Ich persönlich bin glänzend mit ihm ausgekommen. Er mochte mich, das war deutlich.“ Dominik Thiele zuckte kaum merklich zusammen, schaute kurz zu ihr herüber, unterbrach sie aber nicht. „Ohne ihn wäre ich kaum am KaRaGe gelandet. Ein weiser älterer Herr. Gütig. Mit einer natürlichen Autorität. Dabei warmherzig. Mit einem Sinn für Gerechtigkeit. Ausgeglichen. Und seinerseits immer um Ausgleich bemüht. So etwas kannst du nicht lernen. Ich hatte großen Respekt vor ihm.“

Nun mischte sich ihr Mann doch in das Gespräch ein. Er beugte sich vor und versuchte ruhig zu bleiben: „Nur Respekt? Richtig geschwärmt hast du von dem, wenn ich mich richtig erinnere. Aber das sieht für mich – von heute aus betrachtet – doch ein bisschen anders aus. Äh: Hat er dich mal angemacht? War der hinter den jungen Kolleginnen her?“

Empört blickte Verena zu ihm hinüber: „Also echt, Domm! Das war eher der Vatertyp. Ohne Hintergedanken. Da war keine Doppelbödigkeit. Bei mir ganz bestimmt nicht. Und bei anderen …“ – sie überlegte – „nein, da kann ich mich wirklich an nichts erinnern. Dass ihr Männer immer gleich an so etwas denkt!“

Dominik Thiele machte eine Entschuldigungsgeste und lehnte sich in seinen Sessel zurück, schickte aber noch eine Bemerkung hinterher: „Aber vor einigen Jahren hatte er definitiv eine Affäre mit einer jüngeren Kollegin eurer Schule. Das steht fest!“ Kellert warf ihm einen scharfen Blick zu. Das hätte sein Kollege eigentlich nicht verraten dürfen. Das war eine interne Information. Der Kriminalhauptmann biss sich auch sofort auf die Lippen. Blöd, da war der Gaul mit ihm durchgegangen. Passierte ihm sonst nicht. Aber das konnte eben vorkommen, wenn Privat- und Berufsleben sich vermischten.

Verena schaute verwundert. Sie zweifelte keinen Moment daran, dass diese Aussage stimmte. „Echt!?“, rief sie verblüfft. „Das hätte ich nie gedacht. Und davon habe ich auch noch nie etwas gehört am KaRaGe. Keine Silbe! Aber er hat doch auch diese wunderbare Frau, Thea. Die ist bei offiziellen Anlässen doch fast immer mit dabei. Eine richtige Dame, denke ich immer.“ ‚Du auch?‘, grinste Thiele innerlich. ‚Aha, da haben sie am Gymnasium also ein System von Geheimhaltung aufgebaut. Zum Schutz aller Beteiligten. Und es scheint zu funktionieren‘, ging es Kellert durch den Sinn.

Verena schüttelte den Kopf. Sie musste das Gehörte erst verarbeiten. Es brachte das Bild, das sie sich von ihrem ehemaligen Chef gemacht hatte, ins Wanken. „Der Geißendörfner!“, murmelte sie.

Toter Chef - guter Chef

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