Читать книгу Geboren im Jahr 1933 - Georg M Peters - Страница 6

Kriegszeit

Оглавление

Bei zwei Gelegenheiten während des Krieges hatte ich Angst. Das erste Mal nach einem Luftalarm 1941. Wir wohnten im oberen Stockwerk eines schönen vierstöckigen Eckhauses aus der Gründerzeit. Die Wohnung hatte fünf Räume, Küche, einen kleinen Balkon zum Hof und einen großen Balkon zur Südseite. Im Keller befand sich ein großer Luftschutzraum für die Hausgemeinschaft mit Betonbarrieren vor den Kellerfenstern und einer luftdicht schließenden Stahltür nach innen zu den übrigen Kellerräumen.

Meine Eltern waren befreundet mit den Ehepaaren Thompson und Heise. Herr Thompson war prominent, ein führender Offizier im NSKK, dem nationalsozialistischen Kraftfahrkorps. An seinem Geburtstag füllte sich der Platz vor unserem Haus, der Alsenplatz, mit schwarz uniformierten Männern, die sich ihm zu Ehren versam­melten, und die er von seinem Balkon im ersten Stock unsres Hauses herunter grüßte. Die genannten drei Ehepaare hatten sich einen eigenen Luftschutzraum eingerichtet, der ebenfalls eine Betonabde­ckung des Kellerfensters besaß, aber nach innen überhaupt keinen Schutz. Die Tür war eine Gittertür aus Holz, bei der die Fugen zwischen den Brettern durch Säcke verhängt waren. Auf der gegenüberliegenden Seite des Kellerganges befand sich eine ähnliche Tür und dahinter ein Kellerraum, der zum Hof mit einem Glasfenster ausgestattet war. Als Acht- oder Neunjähriger hatte ich genügend technisches Wissen, um zu erkennen, dass wir einer Bombe, die im Hof explodierte, schutzlos ausgeliefert wären. Ich glaube, ich wäre als Erwachsener mit Familie in dieser Situation lieber in den anderen Schutzraum gegangen. Aber in unserem Raum war es gemütlich. Die Erwach­se­nen saßen um einen flachen Holztisch herum und spielten Rommee. Wir Kinder lagen in den Etagenbetten, die an den Wänden herum aufgestellt waren. Während die Erwachsenen Bowle tranken, bekamen wir Kinder Apfelsaft. Statt zu schlafen, linsten wir zwischen den Decken, die zur Abschirmung aufgehängt waren, hindurch und schauten den Erwachsnen beim Kartenspielen zu. Es herrschte immer eine fröhliche Stimmung und wenn Entwarnung kam, dann stimmten die Erwachsenen Lieder an wie „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern, keine Angst, keine Angst Rosmarie. Und wenn die ganze Erde bebt, und die Welt sich aus den Angeln hebt, das kann doch einen Seemann nicht erschüttern. Keine Angst, keine Angst, Rosmarie.“ Oder „ Hört Ihr die Motoren singen ‚Ran an den Feind’. Hört Ihr’s in den Ohren klingen ‚ran an den Feind’. Bomben! Bomben! Bomben auf Engelland! ... Denn wir fahren, denn wir fahren, denn wir fahren gegen Engelland, ahoi!“ Wie gesagt, es herrschte immer eine Bomben­stimmung.

Angst hatte ich wie gesagt einmal nach Alarm im Jahr 1941. Im Anschluss an die Entwarnung gingen alle Erwachsenen auf den Dachboden, weil in der Ferne ein Dachstuhl in Brand geraten war. Offenbar war dort eine Brandbombe eingeschlagen. Nacheinander schaute jeder durch die Dachluke um einen Blick auf die Flammen zu erhaschen. Im Bett vor dem Einschlafen hatte ich Angst. Ich hatte von dem Hamburger Brand im 19. Jahrhundert gehört, der große Teile der Altstadt zerstörte. Jetzt hatte ich Angst, dass die Flammen, die ich gesehen hatte, sich wieder ausbreiten und unsere Wohnung erreichen könnten. Als unsre Wohnung 1943 tatsächlich abbrannte, hatte ich merkwür­di­ger­weise keine Angst.

Angst hatte ich lediglich bei einer weiteren Gelegenheit. Das war 1945. Meine Familie wohnte in Wandsbek. Die Eltern wollten mich vor möglichen Luftangriffen in Sicherheit wissen und hatten deshalb Kontakt zu einer Familie in Bad Oldesloe, einer kleineren Stadt in der Nähe von Hamburg, aufgenommen. Die hatten einen Sohn, und da ich in der Schule immer gut gewesen war, sollte ich ihrem Sohn bei den Schularbeiten helfen und dafür in der Woche bei ihnen wohnen. In seiner Klasse war man etwas weiter fortgeschritten als ich in meiner zuletzt besuchten Schule. So wurde aus der Hilfe nicht viel. Stattdessen lernte ich von ihm – etwa Kaninchen auszunehmen. Ein Bein schnitt er ab, so dass aus der Schnittstelle eine Sehne heraushing. An der Sehne konnte man ziehen und dann bewegte sich die Pfote. Eindrucksvoll! Auch wie man Löschpapier in Unkrautexlösung tränkte und auf dem Ofen trocknete, lernte ich. Man musste aufpassen, dass es sich nicht entzündete! Dann wurde das brisante Material in Zeitungspapier eingerollt und mit einer Zündschnur versehen. So stellten wir Raketen her, die auch wunderbar durch die Luft flogen. Unter seinen Freunden war einer, der im Keller seines Elternhauses einen Super­het-Radioempfänger stehen hatte. Verstohlen schlichen wir uns in diesen Keller, um dort englische Sender zu hören, was streng verboten war. Nach dem Erkennungssignal aus Beethovens Fünfter erklang dann in deutscher Sprache die Nachrichtensendung vom BBC.

Am Wochenende fuhr ich regelmäßig mit dem Zug nach Hamburg-Wandsbek zu meinen Eltern. Der März war frühlingsmäßig mild und ruhig. Es war die gleiche Zeit, zu der beim Luftangriff auf Hildesheim fast die ganze Stadt ausgelöscht wurde. Doch davon wusste ich nichts. Angst hatte ich vor etwas anderem. Wenn ich am Sonntagabend nach Bad Oldesloe zurück fuhr, musste ich vom Bahnhof etwa zwanzig Minuten zu Fuß gehen, bis ich das allein stehende Haus meiner Gastfamilie erreichte. Es war dann regelmäßig dunkel, und um in das Haus zu gelangen, musste ich im Garten zwischen zwei hohen Wacholder­sträu­chern hindurch gehen. Davor hatte ich Angst. Schon in Wands­bek stand mir dieser Augenblick bevor.


Geboren im Jahr 1933

Подняться наверх