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»Schnee« von gestern Wie die High-Society »high« wurde
ОглавлениеMan applaudiert, wenn sie auftreten, umjubelt und bewundert sie, stellt sich um Autogramme an – doch das ist nur der äußere Glanz. In ihrem Inneren sind Künstler oft verletzlich, sensibel und in vielen Fällen einsam. Um Bühnenängste, die oft von Depressionen und Neurosen begleitet werden, zu überspielen, sind sie für jede Art von Sucht weitaus anfälliger als Menschen, die in bürgerlichem Milieu leben. Und viele von ihnen glauben, in Alkohol, Medikamenten und Rauschgift Stärkung zu finden.
Ebenso lang wie prominent ist die Liste der Schriftsteller, die in die Drogenfalle tappten. Edgar Allan Poe und Charles Baudelaire rauchten Opium, weil dies angeblich ihre Phantasie beflügelte. Eugene O’Neill war Morphinist, und Truman Capote probierte überhaupt alles, wovon er glaubte, es könnte seinem Schaffen förderlich sein. Als Honoré de Balzac vorgerechnet wurde, daß er in dreißig Jahren 50 000 Tassen Kaffee zu sich genommen hatte, versuchte er durch Opium von der Koffeinsucht loszukommen. Was freilich dazu führte, daß er »doppelt süchtig« wurde und sich sein Gesundheitszustand noch mehr verschlechterte.
»Schriftsteller, Schauspieler, Sänger und Musiker sind in jeder Beziehung außergewöhnliche Persönlichkeiten, die in ihrem Beruf immer wieder extreme Erfahrungen machen müssen«, erklärt der Drogenexperte Dr. Günter Pernhaupt. »Sie setzen sich über die Gesetzmäßigkeiten des bürgerlichen Lebens hinweg und sind daher zu allem, was außerhalb der Norm steht, verführbar. Wenn jemand auf der Bühne oder im Film ununterbrochen in verschiedene Rollen schlüpft, liegt für ihn die Versuchung nahe, einmal auch durch Drogen seinen Zustand verändern zu wollen.«
Womit er nicht rechnet, sind die verheerenden Folgen.
Während Picasso in seiner Jugend mehrmals Opium nahm, ohne davon süchtig zu werden, mußte Jean Cocteau schwer kämpfen, um von der Droge wieder loszukommen.
Die meisten Drogenopfer finden sich unter Sängern und Musikern. Der österreichische Popstar Hansi Dujmic ging ebenso am Rauschgift zugrunde wie die Rocklegenden Janis Joplin und Jimi Hendrix oder der Saxophonist Charlie Parker. Hollywoodstar Judy Garland starb mit 47 Jahren an einer Überdosis verschiedener Drogen – und ihre Tochter Liza Minnelli hat auch schon etliche Entziehungskuren hinter sich.
Musikgruppen trugen mit ihrer großen Popularität leider viel dazu bei, daß Rauschmittel unter Jugendlichen »fesch« wurden. Als etwa Beatle Paul McCartney am Flughafen von Tokio wegen Besitzes von 220 Gramm Marihuana verhaftet wurde, hatte dies für seine Fans keineswegs abschreckende Wirkung, sondern diente geradezu als »Werbung« für die Droge. Eine Schülerin, die man dazu interviewte, sagte: »Wenn Paul Marihuana gut findet, kann es so schlecht nicht sein.«
Manche Rockidole sprechen völlig ungeniert über ihren Drogenkonsum und ziehen damit auch immer mehr junge Menschen in den verhängnisvollen Strudel der Abhängigkeit. John Lennon verkündete geradezu stolz, daß er und seine Beatles-Kollegen vor der Ernennung zum Member of the British Empire durch Königin Elizabeth so nervös waren, daß sie vorher »noch schnell zur Beruhigung« auf die Toilette des Buckingham Palace eilten, um dort Haschischzigaretten zu rauchen. Und ihre Songs wie Lucy in the Sky und Strawberry Fields Forever waren nichts anderes als eine Verherrlichung der todbringenden Drogen.
Wie kein anderes Rauschmittel wurde aber Kokain zur Droge der Reichen und damit auch vieler Künstler. Die ersten Blätter des Kokastrauches waren 1859 mit der Weltumsegelung der Fregatte Novara von Peru nach Österreich gelangt. Im Jahr darauf stellte der deutsche Apotheker Albert Niemann aus dem Extrakt der Pflanze einen Wirkstoff her, den er Kokain nannte. Der Apotheker war auch gleich sein erstes Opfer: er starb an den Folgen der chemischen Experimente mit dem hochgiftigen Konzentrat. Dennoch galt Niemanns Entdeckung als Wundermittel gegen viele Krankheiten und wurde zur Schmerzbetäubung, vor allem bei Kiefer- und Augenoperationen, eingesetzt.
Sigmund Freud forschte weiter und machte ebenfalls böse Erfahrungen: nachdem der Vater der Psychoanalyse an sich und seiner Frau Martha mit Kokain experimentiert hatte, injizierte er die Droge seinem Arztkollegen Ernst von Fleischl. Dieser war seit einer schmerzhaften Verletzung am Daumen Morphinist und sollte durch Coca von dieser Sucht befreit werden. Doch er wurde zusätzlich kokainsüchtig und starb auf schreckliche Weise an einer schweren Vergiftung, die zum Delirium führte.
Trotz Bekanntwerden solcher und ähnlicher Fälle war Kokain zur Jahrhundertwende die Modedroge und wurde nicht nur in Pariser Nachtclubs geschnupft, geraucht, gespritzt und (in Alkohol aufgelöst) auch getrunken. Dem legendären Volksschauspieler Alexander Girardi – laut Gutachten des Psychiaters Julius Wagner-Jauregg »vom Cocainwahn befallen, irrsinnig und gemeingefährlich« – blieb die Einweisung in eine geschlossene Anstalt nur deshalb erspart, weil Kaiser Franz Joseph über Vermittlung der Katharina Schratt persönlich für ihn intervenierte.
Im Ersten Weltkrieg stopften sich deutsche und französische Jagdflieger das weiße Pulver (»Schnee«) in die Nasenlöcher, ehe sie zum Feindflug aufstiegen. Nicht zuletzt der berauschenden Wirkung des Kokains verdanken es die zwanziger Jahre, heute noch als »wild« bezeichnet zu werden. Europas und Amerikas Unterwelt, aber auch Künstler und Intellektuelle glaubten im Kokainrausch die Erfüllung ihrer Träume zu finden, hatten aber ein böses Erwachen.
Wenn es eins gab, denn viele gingen an ihrer Sucht elend zugrunde.
Ganz und gar unfreiwillig geriet der Komponist Richard Strauss 1928 an das Gift. Als man ihm vor einer Operation zwei mit Kokain getränkte Wattebäuschchen in die Nase schob, komponierte er – noch unter dem Einfluß der Droge stehend – zwei Arien der Oper Arabella. »Als ich sein Krankenzimmer betrat«, berichtete der Spitalsarzt Dr. Hans Leicher, »fand ich Boden und Bettdecke mit frischgeschriebenen Notenblättern bedeckt.« Das Kokain hätte ihn »ganz munter gemacht«, behauptete Richard Strauss später.
Das Rauschgift mag vorerst aufputschend wirken, führt aber auf lange Sicht zu Appetitlosigkeit, Depression, Impotenz, Wahnvorstellungen, Schlaflosigkeit und schweren Lähmungserscheinungen. Ärzte warnen vor dem Irrglauben, daß Kokain der schöpferischen Leistung auf Dauer förderlich sei. Viel mehr führt der wiederholte Gebrauch zum totalen Zusammenbruch der Kreativität und der Persönlichkeit.
Auch bei Sportlern ist Kokainmißbrauch bekanntgeworden: in den zwanziger Jahren wurde, bei der Tour de France und beim Berliner Sechstagerennen, »Schnee« als Dopingmittel entdeckt, und 1991 landete Argentiniens »Fußballgott« Diego Maradona wegen Kokainbesitzes hinter Gittern.
Der Kokastrauch wird in Mittel- und Südamerika schon seit fünftausend Jahren angebaut. Ausgebeutete Indios mußten die Blätter kauen, um länger und mit weniger Schlaf arbeiten zu können. Eine traurige Tradition, die fortlebt: allein in Peru sind heute drei Millionen Menschen süchtig. Der überwiegende Teil der angebauten Blätter wird aber von einer skrupellosen Drogenmafia zu hochkonzentriertem Kokain verarbeitet und dann in die USA und nach Europa geschmuggelt.
So rieselt der »Schnee« von gestern auch heute noch.