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Die erste Frau Doktor Gabriele Possanner setzt sich durch

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Die junge Frau hatte sich Unmögliches in den Kopf gesetzt. Sie wollte Ärztin werden, wie viele Mitglieder ihrer Familie – oder besser: wie viele männliche Mitglieder ihrer Familie. Denn Frauen gehörten vor hundert Jahren noch an den Herd, durften Fabrikarbeiterinnen oder Dienstmädchen werden.

Während heute mehr als ein Drittel aller österreichischen Ärzte Frauen sind, gab es knapp vor der Jahrhundertwende hierzulande keinen einzigen weiblichen Arzt. Erst im Jahre 1897 durfte die erste Frau an der Universität Wien zum Doktor der Medizin promoviert werden. Gabriele Possanner von Ehrenthal war damit auch die erste Frau überhaupt, die in Österreich einen akademischen Titel führen durfte. Und sie nahm dafür einen unglaublichen Kampf auf sich.

Das »schwache Geschlecht« hatte ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts an den meisten europäischen Universitäten Einzug gehalten. Österreich und Preußen hingegen waren die letzten Staaten, in denen Frauen keine Studienerlaubnis erhielten.

Possanner entstammte einer im 17. Jahrhundert geadelten Kärntner Familie. Sowohl ihr Großvater als auch einer ihrer Onkel waren Ärzte, während es ihr Vater als Jurist zum Sektionschef im Finanzministerium brachte. Als eines von sieben Kindern in großbürgerlicher Atmosphäre, vorerst in Pest, später in der k. u. k. Haupt- und Residenzstadt aufgewachsen, maturierte sie 1887, bereits 27 Jahre alt, als zweite Absolventin in der Geschichte des Akademischen Gymnasiums in Wien. Denn auch die Erlangung der Reifeprüfung war für Mädchen in jenen Tagen mit großen Schwierigkeiten verbunden. Und in ihrem Abschlußzeugnis fehlte der Passus »Erteilung der Reife zum Besuch einer Universität«, wie er für männliche Maturanten vorgesehen war.

Also mußte sie ihr Studium im Ausland absolvieren. Sie inskribierte an der Universität Zürich, wo sie 1893 mit einer Dissertation über eine besondere Form der Netzhautentzündung zum Dr. med. promovierte und einige Semester als Assistentin an der Universitäts-Augenklinik tätig war. Nach Wien zurückgekehrt, suchte sie im Ministerium für Kultus und Unterricht um Nostrifizierung* an. Ihr Antrag wurde aber »mit Rücksicht auf bestehende Vorschriften gar nicht in Verhandlung genommen«. Und das, obwohl in Österreich großer Bedarf an weiblichen Ärzten – vor allem an Schulärzten für Mädchen – herrschte.

Gabriele Possanner hatte einen eisernen Willen. Und den unbändigen Wunsch, in ihrer Heimat als Ärztin zu arbeiten. So sandte sie innerhalb von zweieinhalb Jahren eine Unzahl weiterer Gesuche an Universitäten, Kliniken, Ministerien, an den Verwaltungsgerichtshof, das Abgeordnetenhaus. Und obwohl die spätere Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner und die Hotelbesitzerin Anna Sacher als prominente Mitglieder des Vereins zur erweiterten Frauenbildung ihren Kampf unterstützten, wurden ihre Eingaben entweder

a) abgelehnt oder

b) nicht beantwortet bzw.

c) auf gut österreichisch: »schubladiert«.

Denn: Würden Mädchen studieren, hatte Wiens Akademischer Senat schon 1873 gewarnt, »müßten Docenten vieles, was sich für das Ohr der Männer eignet, erst jenem der Frauen, namentlich züchtiger Jungfrauen, anpassen«. Und Unterrichtsminister Paul Gautsch von Frankenthurn hielt »die Concurrenz der Frauen für eine volkswirtschaftliche Gefahr«.

Am 8. Juli 1895 wandte sich Gabriele Possanner (mittlerweile Baronin) von Ehrenthal in ihrer Not an den Kaiser, den sie um »gnadenweise« Ausübung der ärztlichen Praxis ersuchte, zumal »zahlreiche Mädchen und Frauen sich scheuen, beim Beginne einer Krankheit einem männlichen Arzte sich anzuvertrauen, infolgedessen solche Leiden sich steigern und oft unheilbar werden«. Ihrem Gesuch lag ein »Appell« ihres 73jährigen Vaters an den Kaiser bei: »Nun soll sie im Alter von fünf und dreißig Jahren vor die Alternative gestellt sein; entweder Familie und Vaterland zu verlassen oder ihren Beruf aufzugeben. Ihre durch so schwer errungene, durchgreifende Ausbildung gewährleistete Befähigung für ihren Beruf soll brach liegen bleiben, ihr langjähriges, so ausdauerndes und ehrenhaftes Streben nach einem der edelsten Ziele, welche im menschlichen Leben überhaupt erreichbar sind, soll vereitelt werden, die schweren Geldopfer an das Ausland, welche ich, da uns das Inland verschlossen blieb, bringen mußte, müßten fruchtlos hinausgeworfen bleiben – kurz das Alles soll knapp vor dem Gelingen scheitern – an Motiven, welche die Wissenschaft sowie die sämmtlichen Cultur-Staaten der Welt als werthlosen Ballast schon längst über Bord geworfen haben!«

Die dramatischen Worte des Vaters verfehlten ihre Wirkung nicht, und jetzt endlich kam die Sache in Bewegung. Kaiser Franz Joseph beauftragte den Innenminister, den Fall zu prüfen, worauf dieser eine Verordnung erließ, mit der »die Nostrifizierung ausländischer Doktordiplome auch für weibliche Ärzte geregelt« wurde.

Possanner trat an der Universität Wien innerhalb von neun Monaten zu 21 Prüfungen an, die sie alle mit gutem Erfolg bestand. Am 2. April 1897 feierte sie im Großen Festsaal der Alma Mater ihre (zweite) Promotion zum Doktor der gesamten Heilkunde, wobei der Rektor der Universität die inzwischen 37jährige Ärztin in seiner Ansprache als »muthige Vorkämpferin um die Erweiterung der Frauenrechte« würdigte. Ihr Bild fand sich in mehreren Zeitungen, »da an der Wiener Universität zum ersten Male eine Dame zum Doctor promovierte«.

Dr. Gabriele Possanner blieb unverheiratet und ließ sich in Wien IX., Günthergasse 2/1. Stock als praktische Ärztin nieder, wo sie »täglich von 15 bis 16 Uhr« ordinierte. Einige Jahre auch in Wiener Spitälern tätig, behandelte sie nach dem Ersten Weltkrieg von der Caritas betreute Kinder. 1928 wurde ihr von Bundespräsident Michael Hainisch – wieder als erster Frau in Österreich – der Titel Medizinalrat verliehen. Sie starb im März 1940 im Alter von achtzig Jahren.

Ihr Kampf hat sich gelohnt. An Österreichs Universitäten schlossen 1996 fast so viele Frauen (4768) wie Männer (5842) ein Studium ab. An den medizinischen Fakultäten promovierten sogar mehr Frauen (529) als Männer (480).

Nur bei den Lehrern herrschen heute noch Zustände wie beim alten Kaiser: unter den 128 ordentlichen Professoren, die an Österreichs Universitäten Medizin unterrichten, sind 125 männlichen Geschlechts.

Und 3 (in Worten: drei) sind weiblichen Geschlechts.

* Anerkennung der ausländischen Diplome

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