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»So werde ich es machen …« Große der Weltgeschichte begehen Selbstmord

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Selbstmord. Die Tat der Verzweiflung, der letzte Aufschrei einer gequälten Seele macht vor keinem Stand halt. Auch vor den ganz Großen nicht. Tschaikowsky, van Gogh, Hemingway, Adalbert Stifter, Stefan Zweig sind unsterblich.

Und waren nicht fähig, zu leben.

Wie manch andere Künstler, wie Könige, Prinzen und Politiker.

Ferdinand Raimund hatte so viel Schwermut und Melancholie in sich, daß er sich das Leben nahm, nachdem sein Hund ihn gebissen hatte. Am 29. August 1836 ereignete sich ein zunächst unbedeutend erscheinender Vorfall: der Volksdichter und Schauspieler war, von einer erfolgreichen Gastspielreise aus Hamburg kommend, auf seinen Besitz im niederösterreichischen Gutenstein zurückgekehrt, wo ihn sein Hund liebevoll empfing. Das Tier hatte unglücklicherweise kurz vorher mit einem anderen Hund im Dorf gerauft und sich dabei eine schmerzhafte Verletzung zugezogen. Bei der Begrüßung berührte Raimund den geliebten Hund unabsichtlich an der Wunde, so daß dieser instinktiv nach seinem Herrchen schnappte und an der Hand verletzte.

Was noch lange kein Drama gewesen wäre, weitete sich infolge der angekränkelten Psyche des Dichters zur Katastrophe aus. Nachdem ihm eine Zigeunerin in jungen Jahren prophezeit hatte, er würde dereinst an den Folgen eines Hundebisses sterben, war Raimund nun überzeugt davon, er wäre durch die Verletzung an Tollwut erkrankt und müsse elendiglich zugrunde gehen. Zwar ließ er noch eine Kutsche anspannen, um seinen Arzt zu konsultieren, doch als er unterwegs von einem schweren Gewitter überrascht wurde und im Gasthof Zum Goldenen Hirschen in Pottenstein übernachten mußte, verlor er die Nerven.

Um vier Uhr früh schoß er sich mit seinem Revolver, den er immer bei sich hatte, eine Kugel in den Kopf. Ferdinand Raimund starb nach einer Woche qualvollen Leidens.

Und hatte damit im Alter von 46 Jahren wahrgemacht, was er den Tischler Valentin im Verschwender singen läßt: Da leg’ ich meinen Hobel hin und sag’ der Welt ade

Vincent van Gogh hatte mehrere Selbstmordversuche hinter sich, ehe er tatsächlich starb: Nach einem Streit mit seinem Freund Paul Gauguin schnitt er sich einen Teil der linken Ohrmuschel ab, worauf er, da die Aorta durchtrennt war, fast verblutete. Wieder genesen, schluckte er mehrmals giftige Malutensilien und begab sich dann freiwillig in die Irrenanstalt von Saint-Rémy in der Nähe von Arles.

Auch – und gerade – in den schlimmsten Phasen der Selbstzerstörung und während seiner stationären Behandlungen in Nervenheilanstalten schuf van Gogh einige der bedeutendsten Werke der Kunstgeschichte.

Bis er am 27. Juli 1890 in Auvers-sur-Oise bei Paris zum Revolver seines Zimmerherrn griff, die Waffe gegen seinen Unterleib richtete und abdrückte. Er starb zwei Tage danach.

War es die Verzweiflungstat eines erfolglosen Genies, dessen Bilder zu seinen Lebzeiten unverkäuflich waren? (Während sein Porträt Dr. Gachet bei einer Auktion in New York vor einigen Jahren umgerechnet mehr als 800 Millionen Schilling erzielte.)

»Er hat mehr an seinem Innenleben gelitten als an der äußeren Erfolglosigkeit«, meint der Wiener Psychiater Dr. Stephan Rudas. »Auch wenn van Gogh seine Bilder verkauft hätte, hätte ihn das nicht geheilt.«

Der Fall Ernest Hemingway untermauert diese These, denn auch er wählte den Freitod, und das, obwohl er zu Lebzeiten überaus erfolgreich war. Freilich ist seine Familie in eine tragische Kette von Suizidfällen verstrickt. Nicht nur der Dichter selbst, sondern auch sein Vater, sein Bruder, seine Schwester und – erst im Juni 1996 – seine Enkelin Margaux endeten durch Selbstmord.

Ernest Hemingway hat in Anwesenheit mehrerer Zeugen vorgeführt, daß Suizidgefährdete tatsächlich dazu neigen, ihr tödliches Vorhaben – als Aufschrei, als letzten Hilferuf – anzukündigen. Auf Kuba »spielte« der Literaturnobelpreisträger einmal die Szene regelrecht durch. »Sehen Sie, so werde ich es machen«, sagte er, setzte sich barfuß auf einen Sessel und stellte den Gewehrkolben zwischen seine Beine. Dann beugte er sich vor, schob sich die Laufmündung in den Mund und drückte mit der großen Zehe auf den Abzug, bis es klickte. »So begeht man Harakiri«, erklärte er, »denn der Gaumen ist der weichste Teil des Kopfes.«

In seinem letzten Jahr sprach er immer häufiger vom nahenden Ende, stellte sich manchmal neben den Gewehrschrank, hielt seine Waffen in der Hand und starrte zum Fenster hinaus.

Trotz seiner schweren Depression wurde er wenige Tage vor seiner Verzweiflungstat als Patient der weltberühmten Mayo-Klinik entlassen. »Es ist nicht zu hart ausgedrückt, daß den Ärzten der Klinik hier ein entscheidender Fehler unterlaufen ist. Denn es war ja auch den medizinischen Laien aus Hemingways Umgebung bekannt, welches ausweglose Wahngebilde er aufgebaut hatte«, meint der Wiener Arzt und Medizinhistoriker Hans Bankl, der in seinen Büchern den Tod außergewöhnlicher Menschen analysiert.

Mehrmals konnte »Hem« durch Freunde und Angehörige von dem immer wieder angekündigten Schritt abgehalten werden, doch als er sich am Abend des 1. Juli 1961 mit den Worten »Gute Nacht, mein Kätzchen« von seiner vierten Frau Mary verabschiedete, dachte sie nicht an eine gefährliche Situation. Und mußte am nächsten Morgen im Flur des Landhauses in Ketchum im US-Bundesstaat Idaho seinen Leichnam entdecken, ein Gewehr zwischen den Beinen. Der Selbstmord war von ihm genauso durchgeführt worden, wie er ihn angekündigt hatte.

Ein Jahr nach Hemingway wurde die Welt durch den spektakulären Freitod Marilyn Monroes erschüttert. Sie hatte seit langem in einem fatalen Teufelskreis gelebt, nahm nachts Unmengen von Tabletten, um schlafen zu können, und pumpte sich tagsüber mit Aufputschmitteln voll, um wieder wach zu werden. Der 36jährige Filmstar war immer von Männern umgeben und doch allein, ein Sexsymbol, das kein Glück in der Liebe fand. Das belegen vier gescheiterte Ehen – zuletzt mit Arthur Miller – und zahllose Liebschaften – darunter die Brüder John F. und Robert Kennedy. Es war ein »chronischer Selbstmord«, meint Professor Bankl, der sich über viele Jahre hinzog.

Tatsächlich hatte auch sie sich mehrmals umzubringen versucht, was aber in der Glitzerwelt von Hollywood unterging, nicht ernst oder einfach nicht zur Kenntnis genommen wurde.

Als die Haushälterin Eunice Murray am Sonntag, dem 5. August 1962, um 3.30 Uhr noch immer Licht in ihrem Schlafzimmer brennen sah, alarmierte sie Dr. Greenson, den Psychiater der Monroe, der sofort kam und durch das Fenster in den Raum stieg. »Ich erkannte aus etlichen Metern Entfernung, daß Marilyn nicht mehr am Leben war«, sagte er später. »Da lag sie, mit dem Gesicht nach unten und entblößten Schultern, und als ich näher trat, konnte ich erkennen, daß sie mit der rechten Hand das Telefon umklammert hielt.«

Als ob der Hörer ihr die Einsamkeit hätte nehmen können.

»Es gibt keine Krankheit namens Selbstmord«, sagt Dr. Rudas, »aber es gibt verschiedene Ursachen, die eine solche Verzweiflungstat auslösen können.« Diese sind:

Eine organische Krankheit, die unerträgliche Schmerzen bereitet oder ohne Überlebenschance erscheint. In diese Gruppe von Selbstmördern gehört der Dichter Adalbert Stifter, der an einer schweren Leberzirrhose litt, ehe er sich mit seinem Rasiermesser eine Wunde am Hals zufügte, an deren Folge er starb.

Der Betreffende zieht eine Bilanz, in der er das Ziel seines Lebens verfehlt sieht. Adolf Hitler, Joseph Goebbels und weitere Verbrecher, aber auch auf andere Weise gescheiterte Existenzen gehören hierher.

Oft führen – wie bei van Gogh – psychische Erkrankungen zum Suizid. Zwar paßt das Wort von »Genie und Wahnsinn« auf den großen Maler, doch ist er, laut Rudas, »eher eine Ausnahme, denn Genies sind selten wahnsinnig und Wahnsinnige fast nie genial«.

Auch momentane Ausweglosigkeit – wie eine unglückliche Liebe – kann ein Grund für den selbstgewählten Tod sein. »Das sind Situationen, die der Betreffende zehn Tage danach ganz anders sehen würde. Doch bis dahin ist es oft zu spät.«

Schließlich bilden Drogen-, vor allem aber Alkoholsüchtige die größte Risikogruppe. Sowohl die Monroe als auch Hemingway waren schwere Alkoholiker.

Den Freitod wählten auch die Dichter Heinrich von Kleist, Georg Trakl und Klaus Mann. Und Stefan Zweig, der am 22. Februar 1942 mit seiner jungen Frau Lotte im brasilianischen Exil eine Überdosis Veronal einnahm – aus Verzweiflung, weil für ihn als Österreicher jüdischer Herkunft die Heimat verloren war. In seinem Abschiedsbrief beklagt er, daß »die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selbst vernichtet«.

Für einen Neuanfang mangelte es ihm, zermürbt durch die lange Zeit des Exils, an Energie: »Nach dem sechzigsten Jahr bedürfte es besonderer Kräfte, um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen. Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht. Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus! Stefan Zweig.«

Wie er wollte auch Kronprinz Rudolf nicht alleine sterben, weshalb der Sohn Kaiser Franz Josephs am 30. Jänner 1889 auf Schloß Mayerling seine Geliebte Mary Vetsera mit in den Tod nahm. Bei dem Thronfolger waren gleich mehrere Gründe ausschlaggebend, daß es zu der schrecklichen Tat kam: er war organisch und psychisch krank, glaubte an die Ausweglosigkeit seines Daseins, und er war sowohl Alkoholiker als auch Morphinist.

Drei Jahre vor Kronprinz Rudolf hatte sich sein Cousin, Europas »schönster und jüngster König«, Ludwig II. von Bayern, in den Tiefen des Starnberger Sees ertränkt. »Die moderne Erbforschung hat zweifelsfrei festgestellt«, erklärt Professor Bankl, »daß bestimmte Familien* infolge einer genetischen Konstellation für Selbstmord ganz besonders anfällig sind.«

Suizide sind schon aus der Antike überliefert, der berühmteste betrifft Ägyptens schöne Königin Kleopatra, die sich durch einen Schlangenbiß den Tod gab, nachdem ihr Heer ruhmlos gescheitert war.

Zum Selbstmord gezwungen wurde schließlich der Spion Oberst Alfred Redl. Als der k. k. Generalstab ihm 1913 nachweisen konnte, daß er Österreichs Aufmarschpläne an Rußland verkauft hatte, legten ihm seine Vorgesetzten einen Revolver auf den Tisch.

Hochrangige Politiker, die in jüngerer Zeit »freiwillig« in den Tod gingen, waren Uwe Barschel, der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, und der langjährige österreichische Verteidigungsminister Karl Lütgendorf, die – vermutlich beide – in dubiose Affären verwickelt waren.

So unverständlich es erscheinen mag, daß Prominente ihr Leben wegwerfen, obwohl es gerade ihnen so viel zu bieten hat, »kommt bei Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, hinzu, daß sie nicht nur mit ihren eigenen Gefühlen fertig werden müssen, sondern auch mit jenen, die von anderen auf sie projiziert werden«, meint der Psychiater Rudas. Dennoch seien Genies, Künstler und Reiche nicht mehr und nicht weniger gefährdet als der übrige Teil der Bevölkerung. »Prominente begehen, statistisch gesehen, genauso oft Selbstmord wie andere Menschen. Eines haben freilich alle, ob prominent oder nicht prominent, gemeinsam: Daß sie es verabsäumt haben, sich rechtzeitig helfen zu lassen.«

Das gilt wohl auch für einen der größten Komponisten aller Zeiten. Peter Iljitsch Tschaikowsky ging im Jahre 1893, aus Angst, daß seine homosexuellen Neigungen bekannt würden, von dieser Welt.

Tschaikowsky, Hemingway, van Gogh, Ferdinand Raimund, Stefan Zweig schufen Werke, die uns helfen, das Leben erträglich zu machen.

Ihr eigenes ertrugen sie nicht.

* Kronprinz Rudolfs Mutter, Kaiserin Elisabeth, entstammte dem bayerischen Geschlecht der Wittelsbacher.

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