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Frau Dupin an Herrn Heckel.

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„Sie verabscheuen Voltaire und die Philosophen, weil Sie glauben, daß diese an den Uebeln Schuld sind, die uns bedrücken. Aber sind etwa alle Revolutionen, welche die Erde verwüstet haben, durch kühne Ideen hervorgerufen? Ehrgeiz, Rache, Eroberungssucht und Intoleranz haben weit öfter die Länder verheert, als die Liebe zur Freiheit oder die Verehrung der Vernunft. Unter einem Könige wie Ludwig XV. haben alle diese Ideen existiren können, ohne irgend etwas umzustürzen. Unter einem Könige wie Heinrich IV. würden die Gährungen der Revolution nicht zu dem Wahnsinn und zu den Excessen geführt haben, die wir erleben mußten, und die ich hauptsächlich der Schwachheit, der Unfähigkeit und der Unredlichkeit Ludwig's XVI. zuschreibe. Dieser fromme König ertrug sein Leiden zur Ehre Gottes und seine engherzige Resignation hat weder seine Anhänger, noch Frankreich, noch ihn selbst gerettet. Sie bewundern Friedrich und Katharina, weil diese ihre Macht aufrecht erhalten haben — aber was sagen Sie zu deren Glauben? Sie waren die Beschützer und Verbreiter der Philosophie und doch hat es in ihren Reichen keine Revolution gegeben. Den neuen Ideen dürfen wir also weder das Unglück unserer Zeit, noch den Fall der französischen Monarchie zuschreiben, denn wir müssen sagen: daß der Herrscher, der diese Ideen verwarf, gefallen ist, und daß diejenigen, welche sie gefördert haben, heute noch aufrecht stehen. Wir dürfen nicht Unglauben und Philosophie verwechseln; man hat den Atheismus benutzt, um die Wuth des Volkes anzustacheln, wie man dasselbe zur Zeit der Ligue zu ähnlichen Greuelthaten getrieben hat, um die Lehren der Kirche zu vertheidigen. Der Entfesselung böser Leidenschaften dient Alles zum Vorwande. Die Bartholomäusnacht gleicht so ziemlich dem Blutbade der Septembertage und die Philosophen sind in gleicher Weise unschuldig an diesen beiden Verbrechen gegen die Menschheit.“

Mein Vater hatte sich immer nach der militärischen Laufbahn gesehnt. Schon während seiner Verbannung nach Passy hatte der sech[zehn]jährige Knabe in den langen einsamen Tagen, die er in seinem Stübchen verlebte, die Schlacht von Malplaquet studirt. Aber seine Mutter begehrte, ehe sie auf dies Verlangen einging, die Wiederkehr der Monarchie oder die Ruhe einer gemäßigten Republik. Da er nun zu jener Zeit den Gedanken gar nicht fassen konnte, ohne ihre vollständige Einwilligung zu handeln, nahm er sich vor, wenn er sie seinen geheimen Wünschen abgeneigt fand, ein Künstler zu werden, zu componiren, Opern oder Symphonien zur Aufführung zu bringen, und dies Verlangen werden wir mit seinem kriegerischen Feuer gleichen Schritt halten sehen, so wie auch seine Violine mit seinem Säbel in's Feld zog.

Im Jahre 1798 zeigt sich in der Geschichte meines Vaters ein scheinbar geringfügiger Umstand, der aber die größte Wichtigkeit erlangte und zu jenen lebhaften Jugendeindrücken gehörte, die oft auf das ganze Leben zurückwirken, und die, ohne daß wir es wissen, unser Schicksal bestimmen.

Mein Vater hatte in der Gesellschaft der benachbarten Stadt Verbindungen angeknüpft. Ich muß gestehen, daß trotz der Lächerlichkeiten und Fehler, die dem Leben der Provinz eigenthümlich sind, das kleine La Châtre sich immer durch eine Menge sehr verständiger und sehr gebildeter Persönlichkeiten ausgezeichnet hat, die theils zu seinen Bürgern, theils zu seinen Arbeiterklassen gehören. Im Allgemeinen ist man dort freilich sehr dumm und sehr boshaft, weil man denselben Vorurtheilen, denselben Interessen und denselben Eitelkeiten unterworfen ist, die sich überall geltend machen, die sich aber in kleinen Orten unbefangener und unversteckter zeigen, als in großen. Die Bourgeoisie von la Châtre ist wohlhabend, ohne Ueberfluß zu besitzen — und da sie nie gegen einen anmaßenden Adel und nur selten gegen ein bedürftiges Proletariat zu kämpfen hat, befindet sie sich in einem Elemente, das geistiger Entwickelung sehr förderlich ist, obwohl es das Herz zu ruhig und die Einbildungskraft zu kalt läßt.

l798 war mein Vater also mit etwa dreißig jungen Leuten beiderlei Geschlechts bekannt, mit einigen derselben innig befreundet und spielt mit ihnen Komödie. Diese Unterhaltung ist zugleich ein ausgezeichnetes Studium und ich werde später sagen, wie nützlich und förderlich ich dasselbe für die Entwicklung der Jugend halte. Größtentheils sind freilich die Gesellschaften der Dilettanten, wie die der Schauspieler von Profession, durch lächerliche Ansprüche und kleinliche Eifersucht zerrissen; aber das ist die Schuld der Individuen, nicht die der Kunst. Und da meiner Ansicht nach die Schauspielkunst diejenige ist, welche alle andern in sich faßt, so giebt es für einen Freundeskreis keine interessantere Beschäftigung als diese; aber zweierlei wäre nöthig, um sie zu einem vollkommnen Genusse zu machen: ein aufrichtiges Wohlwollen, das jede eifersüchtige Eitelkeit zum Schweigen brächte und ein tiefes Verständniß der Kunst, durch welches diese Versuche glücklich und lehrreich würden.

Es ist anzunehmen, daß diese Bedingungen zu der Zeit, von welcher ich erzähle, in La Châtre erfüllt wurden, denn die Versuche gelangen sehr gut und die Schauspieler blieben Freunde. Den meisten Erfolg hatte ein jämmerliches Stück, das damals sehr beliebt war und das die dramatischen Talente meines Vaters plötzlich auf das Glänzendste offenbarte. Es heißt „Robert, der Banditenchef“ und hat mich, als Probestück von historischer Färbung, auf das Lebhafteste interessirt.

Dies nach dem Deutschen bearbeitete Drama ist nur eine elende Nachahmung der Schiller'schen Räuber — eine Nachahmung, die gleichwohl von einiger Wichtigkeit ist, denn sie enthält ein ganzes Lehrgebäude. Das Stück wurde 1792 zum ersten Male in Paris gegeben; es enthält einen Auszug des Systems der Jacobiner, Robert ist das Ideal eines Anführers der Bergpartei und ich fordere meine Leser auf, das Buch als bemerkenswerthes Denkmal des Geistes jener Zeit zu lesen.

Die Räuber von Schiller sind und bedeuten viel mehr. Sie sind ein großes, edles Werk, voll ungestümer Fehler zwar, wie die Jugend selbst (denn es ist, wie Jedermann weiß, die Arbeit eines vierundzwanzigjährigen Jünglings) — aber wenn wir darin Chaos und Wahnsinn finden, so ist es auch eine Dichtung von hoher Bedeutung und tiefem Sinn.

Durch diese theatralischen Vorstellungen, welche die Mußestunden der Gesellschaft von la Châtre einige Monate lang ausfüllten, wurde meines Vaters Einbildungskraft mehr erhitzt, als meine Mutter vorhergesehen hatte. Die Heldenthaten der Bühne wollten ihm nicht mehr genügen und er vertauschte bald darauf sein Schwert von vergoldetem Holze mit dem Säbel des Husaren.

Um den Robert zu spielen, hatte man Statisten angeworben und die Räuber wurden durch Croaten gegeben, die sich als Kriegsgefangene in Frankreich befanden und in la Châtre einquartirt waren. Sie mußten ein Scheingefecht aufführen und man gab ihnen zu verstehen, daß sie nach dem Kampfe verwundet scheinen müßten. Sie verabredeten sich nun so gut und waren so gewissenhaft in der Ausführung, daß sie Alle mit demselben Fuße hinkten, als sie bei der Vorstellung aus dem Treffen kamen.

So kommandirte mein Vater als Räuberhauptmann auf dem Theater, wo die Mönche geschmaust und die Bergpartei ihre Sitzungen gehalten hatten, gefangene Croaten und Ungarn — zwei Jahre später war er selbst Gefangener der Croaten und Ungarn, die ihn durchaus nicht Komödie spielen ließen, sondern ihn auf das Härteste behandelten. Das Leben ist ein Roman, dessen Vergangenheit und Zukunft Jeder in sich trägt.

Inmitten der Unentschlossenheit meiner Großmutter über die Laufbahn ihres Sohnes wurde das berühmte, von Jourdan vorgeschlagene Gesetz vom 2. Vendémiaire VII (23. Sept. 1798) publizirt. welches jeden Franzosen nach Recht und Pflicht für die ganze Dauer des Lebens zum Soldaten erklärte.

Der Krieg, welcher kurze Zeit geruht hatte, drohte auf allen Punkten wieder loszubrechen. Preußen schwankte in seiner Neutralität; Rußland und Oestreich rüsteten sich mit aller Macht; Neapel stellte seine ganze Bevölkerung unter Waffen. — Das französische Heer war durch Kämpfe, Krankheiten, Desertion dezimirt. — Sobald das Gesetz erdacht und angenommen war, ließ das Direktorium es ausführen und befahl sofort eine Aushebung von 200,000 Mann. Mein Vater war damals zwanzig Jahr alt.

Seit langer Zeit schlug sein Herz vor Ungeduld — die Unthätigkeit drückte ihn. Der junge Mann war unruhig und wünschte — wie meine Großmutter sich ausdrückte — eine „dauerhafte“ Regierung herbei, die ihm erlaubte, Dienste zu nehmen. Für sich selbst kam ihm allerdings auf die Dauer der Dinge nichts an. — Als die Zwangs-Requisitionen ihm sein einziges Pferd raubten, sagte er mit dem Fuße stampfend: „Wenn ich Militair wäre, würde ich das Recht haben, zu reiten; ich würde dem Feinde die Pferde für Frankreich nehmen, statt mich, wie ein schwaches, unnützes Wesen aus dem Sattel gehoben zu sehen.“

Lag es an seinem abenteuerlichen, ritterlichen Sinne, oder bestachen ihn die neuen Ideen; war es Sorglosigkeit des Temperaments, oder vielmehr, wie seine Briefe bei jeder Gelegenheit bezeugen, die gesunde Urtheilskraft eines klaren, ruhigen Geistes, genug er bedauerte nie das alte Regime und den Ueberfluß seiner ersten Jahre. Ruhm war für ihn ein unbestimmtes, geheimnißvolles Wort, das ihm den Schlaf raubte, und wenn seine Mutter sich bemühte, zu beweisen, daß es keinen wahren Ruhm im Dienste einer schlechten Sache geben könne, wagte er nicht zu widersprechen, aber er seufzte tief und sagte sich leise, daß jede Sache gut sei, die zur Vertheidigung des Vaterlandes und zum Widerstande gegen den Andrang fremder Gewalt diene.

Wahrscheinlich fühlte das auch meine Großmutter, denn sie bewunderte die Waffenthaten der republikanischen Armee und kannte Jemappes und Valmy eben so gut, als Fontenay und das alle Fleurus, aber sie konnte ihre Logik nicht mit der Furcht, ihr einziges Kind zu verlieren, vereinbaren. — Sie hätte ihren Sohn wohl an der Spitze eines Regimentes sehen mögen, aber nur unter der Bedingung, daß es keinen Krieg gebe. — Der Gedanke, daß er sich eines Tages mit Soldatenkost begnügen und auf freiem Felde schlafen müßte, trieb ihr die Haare zu Berge und bei dem Gedanken an ein Gefecht fühlte sie sich dem Tode nahe. — Ich habe niemals eine Frau gekannt, die muthiger für sich selbst und schwächer für Andere gewesen wäre, als meine Großmutter. Sie war eben so ruhig in persönlicher Gefahr, als kleinmüthig bei den Gefahren derer, die sie liebte. Als ich noch ein Kind war, unterrichtete sie mich so gut im Stoicismus, daß ich mich geschämt haben würde, in ihrer Gegenwart zu weinen, wenn ich mir weh gethan hatte, war die theure Frau aber Zeuge davon, so war sie es, die in lautes Geschrei ausbrach.

Ihr ganzes Leben verlief unter diesen rührenden Widersprüchen, und da Alles, was gut ist, etwas Gutes hervorbringt, wie das, was von Herzen kommt, auch wieder zum Herzen geht, so brachte ihre zärtliche Schwäche auf ihre Kinder keine ihren Lehren entgegengesetzte Wirkung hervor. Man fand mehr Stärke in dem Willen, ihr Schmerz und Schreck zu ersparen, indem man kleine Leiden verbarg, als man vielleicht gehabt haben würde, hätte sie nicht soviel Schmerz und Schreck gezeigt. Meine Mutter war ganz das Gegentheil von ihr.

Streng gegen sich selbst und gegen Andere, besaß sie jene kostbare Kaltblütigkeit und bewunderungswürdige Geistesgegenwart, die Hülfe herbeischaffen und Vertrauen einflößen. — Jede dieser Handlungsweisen ist wahrscheinlich gut, obgleich sie sich ganz entgegengesetzt sind — es lassen sich daraus alle möglichen Schlußfolgerungen ziehen. Ich meinestheils habe niemals Theorien bei der Erziehung der Kinder anwendbar gefunden. Sie sind so bewegliche Geschöpfe, daß wir uns eben so beweglich machen müssen (wenn wir das können), oder sie entschlüpfen uns mit jeder Stunde ihrer Entwicklung.

In den letzten Tagen des Jahres VI war mein Vater durch Geschäfte nach Paris geführt und in den ersten Tagen des Jahres VII erschien das fürchterliche Conscriptionsgesetz, das ihn wie mit einem elektrischen Schlage berührte und das Schicksal seines Lebens bestimmte. Ich habe die Unruhe der Mutter und die heimlichen Wünsche des Jünglings bereits angedeutet und werde ihn nun selbst reden lassen.

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