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Das Leben ist so kompliziert

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Fortpflanzen können sich die Menschen nur, wenn eine Gemeinschaft sie unterstützt. Und unsere Jugend dauert so lange, weil das menschliche Gehirn ungewöhnlich viel lernt, lernen muss, wer sich ein Selbst aus dem vielen Fremden erfinden muss und deswegen so extrem langsam heranreift. Und dann die große Frage: Warum macht man, was man macht? Das Leben ist eine ständige Überbrückung von Verwirrung zu Verwirrung, bis aus einem vielleicht etwas ganz Großes wird. Jeder möchte besonders sein, anders aussehen, sich anders verhalten. Aber eigentlich sehen wir alle gleich aus, verhalten uns gleich, essen das gleiche, kaufen die gleichen Klamotten. Und dann beginnt man sich vielleicht schön zu finden. Natürlich geht das nur langsam. Es dauert ganz schön lange bis man so aussieht, wie man es möchte. Die größten Schönheiten der Natur, die Geschmeidigkeit der Leoparden, die Schnelligkeit der Pferde, der eindrucksvolle Kopfschmuck der Hirsche, all diese Entwürfe sind letztlich nichts anderes als das Ergebnis eines langen evolutionären Wettrüstens. Das Leben ist kompliziert. Leben muss man immer üben. Das verfrühte Ende der Neugier lässt einen früh vergreisen. Es gibt Senioren, die jung und aktiv geblieben sind, es gibt junge Leute die ohne Initiative ein stupides Leben führen. Überall finden sich stumpfe Menschen, die sich mit dem kleinsten Nenner genügen. Wenn einem im Leben der Mut fehlt, landet man bei den bösen Schwestern: könnte, hätte, sollte... Und dann die Sache mit Gott. Gott ist der Name, den wir den Dingen geben, die wir nicht verstehen. Ob ein Gott mir hilft? Ein leises Gebet vor dem Essen, vor dem Schlafengehen? Am besten ist ein allumfassender Gott, der alles bietet, wie im Kaufhaus. Nur bitte keine weiteren Entscheidungen mehr! Das Leben ist so kompliziert. Zum Beispiel würde ich in meinem momentanen Zustand an der indischen Götterwelt verzweifeln. 330 Millionen Gottheiten, Semi-Göttern, Exzentriker, Dämonen, Büffel, Ratten, Elefanten, kosmische Tänze. Ein Supermarkt der Mythe, und man weiß nicht, wer Verkäufer ist, wer Kunde oder Ware. In mir geht soviel vor und das Leben ist vor allem kompliziert. Nichts greifbares bietet mir mein Inneres. Auch meine Freunde sind unterwegs, um ihre verstreuten Ichs zu suchen! An lächerlichen Kleinlichkeiten rennen wir uns ständig den Kopf ein. Und wenn man etwas älter ist, ist man einfach stehen geblieben zwischen seinen vielen Entwürfen und Verwerfungen, seinen Sehnsüchten und Rebellionen. Sind wir weiterhin heiter und hoffnungsfroh. Und rechen mit dem Schlimmsten.


Der charmante Nihilist

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