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Drachengespräche

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Im Kaffeehaus herrschten viele Stimmen. Sie schwirren durch den Raum wie ein tausendköpfiger Drachen, der mit tausend falschen Zungen spricht. Die Gäste sind aufgeregt und laut. Ihn beschlich das Gefühl, als wären diese Menschen hier in Wirklichkeit alle die Gefangenen ihrer Selbst, gezwängt in selbst gebaute Käfige, in die sie sich im Laufe ihres Lebens durch Ihre Gedanken eingesperrt hatten. Die Luft, die verbrauchte, abgestandene, machte ihm zu schaffen. Die Gäste hier schienen blind für die eigentlichen Fragen ihres Lebens und er bemerkte, dass für sie diese Blindheit auch noch normal war. Waren sie hier nicht alle Opportunisten aus Überzeugung, humorlos, farblos, Menschen, die immer alles verachteten, was aus ihren engen Käfigen heraus fiel? Alle spielten sich ein gleiches, überfreundliches Theater vor. Insgeheim aber verachteten sie sich selbst und jeder verachtete den andern. Und dann der heimlichen Wunsch, der andere möge scheitern. Jede Regung wurde vom Nutzen und von der Gier bestimmt. Jeder in diesem Kaffeehaus war Opfer und Täter seiner Umstände. Der eine ungeliebt, der andere unglücklich verliebt, der dritte ein verwöhntes Kind. Wieder andere fielen wie Sklaven ihrer Triebe übereinander her. Keiner hatte gelernt, in Gelassenheit Ausschau nach dem anderen zu halten. Die flächendeckende Sucht nach dem Geliebtwerden, nach der Umarmung des Erfolgs, schwebte durch den Raum. Alle waren klatsch- und geldsüchtig und gleichzeitig herrschte die Sucht, sich ständig mit den anderen zu vergleichen. In Wirklichkeit aber hatten die Gäste in diesem Kaffeehaus eine panische Angst vor ihrer Wegdenkbarkeit; Angst, die Geborgenheit und Ordnung ihrer falschen Gewohnheiten zu verlieren. Sie, die von der Überfülle sinnloser Produkte erschlagen wurden, reduziert zum grauen Mittelmaß, abgerichtet zu tumben Konsumenten, deren Leben zu einer trockenen Pflichtveranstaltung verkommen war, sie alle waren grau und ohne Lieder. In diesem Zustand kann kein Land mehr tanzen! Alle sehnten sich nach dem Tier, der Liebe, dem Chaos, dem Kitzel. Sie sehnten sich nach einem Erlöser, der sie aus ihren Käfigen befreit. Die viel zu trockene Luft bestand aus Stickstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Neid. Neidorgien. Schwarmhysterie. Unstillbarer Hunger im Kaffeehaus nach Anerkennung, nach Ruhm, nach Zugehörigkeit, nach sozialem Aufstieg, nach unendlicher Vergrößerung. Kein Durchatmen. Gespräche, Drachengespräche, die einfach nicht verwehen.


Der charmante Nihilist

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