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3.2Geistliche und andere Prägungen der einschlägigen Autoren

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Um die Wirkkraft der Vorstellung vom Eingreifen Gottes in die Geschichte zu verstehen, ist es dringend nötig, diese Vorstellung im Kontext der geistlichen und theologischen Prägung der Akteure und Autoren zu verorten. Da Letztere so gut wie ausschließlich dem geistlichen Stand angehörten, ist die Prägung ihrer Weltsicht von besonderem Interesse, auch wenn der Einfluss der behandelten Akteure auf die Darstellung in Einzelfällen groß sein mag.

Mittelalterliche Autoren aus dem Kleriker- und Mönchsstand, die Geschichtswerke verfassten, standen bei ihrer Tätigkeit unter durchaus unterschiedlichen Einflüssen, die ihrem Tun einen normativen Rahmen vorgaben. Grundsätzlich waren sie der Wahrheit verpflichtet und riskierten mit Lügen das Heil ihrer Seele, so formulierte es zumindest die mittelalterliche Theorie der Geschichtsschreibung.53 Vielfach betonten die Autoren deshalb in Proömien und Widmungsschreiben, dass sie nur das berichteten, was sie in älteren Schriften gefunden, als Augenzeugen selbst gehört und gesehen oder was ihnen von zuverlässigen Zeugen berichtet worden sei. Gerüchte versprachen sie ausdrücklich als solche zu kennzeichnen.54 Hiermit waren ihren Berichten eigentlich klare Vorgaben und Grenzen gesetzt. Diese Theorie bestimmte jedoch nicht konkurrenzlos die Praxis.

Als Kleriker waren sie zudem nämlich vom Selbstverständnis dieses Standes und seiner Sicht der Welt geprägt und dies schlug sich in ihrer Darstellung gleichfalls nachhaltig nieder: Die Aufgabe der Kleriker war es bekanntlich in vorderster Linie, den Gläubigen den rechten Weg auf Erden zu weisen und ihnen so die ewige Seligkeit zu ermöglichen. Diese Aufgabe erfüllten sie in dem unter anderem aus Matth. 16, 18 ff. gewonnenen Bewusstsein, dass Alles, was sie auf Erden binden würden, auch im Himmel gebunden, und Alles, was sie auf Erden lösen würden, auch im Himmel gelöst sein würde.

Aus dieser von Christus auf Petrus übertragenen Vollmacht, als deren Erben sich nicht nur die Päpste des Mittelalters sahen, folgerten sie in unterschiedlichen Zeiten der mittelalterlichen Kirchengeschichte unterschiedliche Befugnisse und Prärogative, die gerade ihr Verhältnis zu den weltlichen Gewalten betrafen. Dies führte nicht selten zu Spannungen und Auseinandersetzungen um die rechte Ordnung der Welt, bei denen sich Kirche und Welt als Gegner gegenüberstanden. In solchen Zeiten fielen die geschichtlichen Wertungen der Kleriker deutlich anders aus als in Zeiten friedlicher Zusammenarbeit. Sie betonten in diesen Zeiten gerne ihren eigenen Vorrang, da sie für die Seelen, die weltlichen Autoritäten aber nur für die Körper verantwortlich seien.55 Oder sie wiesen darauf hin, dass die Kirche von Christus durch die Berufung von Petrus, die weltlichen Königreiche aber von Heiden gegründet worden seien.56 All diese Analogien zielten darauf, den Vorrang und die höhere Bedeutung der Kirche vor der weltlichen Herrschaft zu begründen.

Im Extremfall erhob die Kirche sogar die Forderung nach dem Primat in Kirche und Welt, der Unrichtbarkeit der Päpste und der Gehorsamspflicht selbst von Königen und Kaisern gegenüber päpstlichen Geboten, was später mit dem Begriff plenitudo potestatis zum Ausdruck gebracht wurde.57 Zwar ist im Einzelfall schwer festzustellen, inwieweit sich solche grundsätzlichen Überzeugungen bei einzelnen Autoren in der konkreten Geschichtserzählung niederschlugen, doch tauchen gerade in Auseinandersetzungen zwischen kirchlichen und weltlichen Institutionen zentrale, biblisch begründete Argumente der zitierten Art immer wieder auf, die die lange Dauer der Rechtfertigung bestimmter Positionen verdeutlichen. Mit anderen Worten: In vielen Problemfeldern waren die geistlichen Autoren gewiss keine neutralen Beobachter des Geschehens, sondern Verfechter kirchlicher Positionen, die auch die Vorstellungen vom Eingreifen Gottes in die Welt beeinflussten.

Dieser entschiedenen Hervorhebung der eigenen Stellung seitens der Kirche stand allerdings in vielen Zeiten des Mittelalters die Vorstellung vom »Sakralkönigtum« entgegen, mit der den Herrschern ein unmittelbares Verhältnis zu Gott zugestanden wurde, weshalb man vonseiten der Kirche kaum auf ihrer Unterordnung und ihrem Gehorsam bestehen konnte.58 Viele Autoren geistlichen Standes vor allem aus der direkten Umgebung der Könige haben diese Lehre vertreten und bestimmte Taten der Könige dementsprechend positiv bewertet. Sie wurden allerdings auch schon im 9. Jahrhundert von Erzbischof Hincmar von Reims wegen ihrer Haltung angegriffen und als Vertreter von »Hoftheologie« abzuwerten versucht.59 Das aus ihrer sakralen Stellung resultierende Bewusstsein der Könige, ein Recht zum Eingriff in kirchliche Belange zu haben, wurde aber durch die im Mittelalter allgemeingültige Maxime verstärkt, dass derjenige, der Schutz gibt, auch berechtigt ist, Herrschaftsansprüche zu stellen.60

Da Könige aber den Schutz der Kirche als eine ihrer wichtigsten Aufgaben akzeptierten, leiteten sie hieraus auch den Anspruch ab, Herrschaft über die Kirche ausüben zu können, sei es durch die Einsetzung von Bischöfen oder durch die Forderung von Diensten der Kirche wie Gastung oder auch der Heeresfolge ihrer Vasallen.61 Wie weit diese Instrumentalisierung der Kirche gehen konnte, war auch unter Klerikern alles andere als unumstritten. Angesichts solcher unterschiedlichen Positionen scheint es dringend geboten, sich stets zu vergewissern, aus welcher Grundhaltung mittelalterliche Autoren ihre historischen Darstellungen und Wertungen verfassten.

Seit dem Frühchristentum ist das entsprechende Verhältnis der Geistlichen zu den Gläubigen häufig mit dem Bild vom guten Hirten und der Herde seiner Schafe beschrieben worden, das auch im frühen und hohen Mittelalter noch omnipräsent war.62 Mit dieser Metapher brachte vor allem Papst Gregor I. in seiner regula pastoralis kirchlichen Funktionsträgern ein Leitungskonzept nahe, das sich von königlicher und sonstiger Machtausübung deutlich unterschied. Der ›gute Hirte‹ mahnte, korrigierte und leitete, ohne sich über die Geleiteten zu erheben – so zumindest die Theorie.63 Damit unterschied er sich ganz wesentlich von denen, die in weltlichen Angelegenheiten die Leitung innehatten, was Gregor I. überzeugend als biblische Forderung ausweisen konnte: »Damit aber die Seele des Vorstehers sich nicht zu eitler Freude an seiner Macht verlocken lasse, sagte der Weise sehr richtig: ›Hat man dich zum Vorsteher gewählt, so erhebe dich nicht, sondern sei unter ihnen wie einer aus ihrer Mitte‹ [Sir. 32,1]. Deshalb sagt auch Petrus: ›Weidet die euch anvertraute Herde nicht als solche, die über das Erbe Gottes herrschen, sondern Vorbild der Herde geworden sind von Herzen‹ [1. Petr. 5]. Darum sagt auch die ewige Wahrheit selbst, uns zu höherer Tugendbildung ereifernd: ›Ihr wisset, dass die Fürsten der Völker über diese herrschen und die Großen Gewalt über sie ausüben. Nicht so soll es unter euch sein, sondern wer immer unter euch groß werden will, der sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht, gleichwie der Menschensohn nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen‹ [Matth. 20,25–28].«64

Die Geschichte dieser Metapher vom ›guten Hirten‹ und seinem Profil, die so viel über das Verhältnis von Kirche und weltlicher Herrschaft in dieser Zeit aussagt, ist bis zum Beginn des 10. Jahrhunderts geschrieben,65 sodass hier nur auf zwei Kronzeugnisse hingewiesen sei, die deutlich machen, wie entschlossen einerseits auch weltliche Herrscher die Position des Hirten einzunehmen versuchten, mit wie viel Nachdruck andererseits die Kirche schon in der Karolingerzeit ihren Anspruch auf Mahnung und Leitung der Mächtigen zur Geltung gebracht hat. Wesentliche Hilfen bei der Einlösung dieses Anspruchs gaben aber die Verweise auf Belohnungen, Prüfungen und Strafen Gottes, mit denen die Menschen wie die Herrscher auf dem rechten Weg gehalten wurden.

In der Zeit Karls des Großen war die Funktion des mahnenden Hirten, wie die admonitio generalis von 789 ausweist, sogar weitgehend auf den König Karl selbst zugeschnitten, wie er unverblümt in dem Kapitular formuliert: »Niemand halte, so bitte ich, diese fromme Ermahnung für vermessen, mit der wir Fehler berichtigen, Überflüssiges wegschneiden und Rechtes durchsetzen wollen, sondern nehme sie vielmehr mit Wohlwollen und Liebe entgegen. In den Büchern der Königreiche lesen wir nämlich, wie der heilige Josias danach strebte, das ihm von Gott gegebene Reich durch Bereisen, Berichtigen und Belehren wieder zur Anbetung des wahren Gottes zurückzurufen – nicht, dass ich mich seiner Heiligkeit gleichstellen wollte, sondern weil wir überall und ständig dem Vorbild der Heiligen folgen müssen und es vonnöten ist, wen immer wir können, um uns zu scharen im Eifer für ein gutes Leben zum Lob und Ruhm unseres Herrn Jesus Christus.«

Hier wird mit dem Verweis auf biblische Beispiele der königliche Anspruch auf Leitung der Herde formuliert. Wie selbstverständlich ist die Aufgabe des Mahnens, Korrigierens und Leitens dem König vorbehalten: Priester sind auf den Status des Ratgebers zurückgedrängt, der sogar seinen Rat vorweg dem König vorzulegen hatte, bevor er ihn geben durfte, wie wir späteren Ausführungen Erzbischof Hincmars von Reims entnehmen können.66

Wie schnell sich diese Situation durch den Wandel äußerer Umstände aber ändern konnte, zeigen die Ausführungen der Pariser Synode vom Jahre 829, die sich im Auftrage Ludwigs des Frommen, aber ohne Anwesenheit des Kaisers, mit der von Ludwig gestellten Frage beschäftigte, wie es dazu hatte kommen können, dass das Frankenreich vom rechten Weg abgekommen war. Niederlagen, Unglücke und vor allem Zwietracht unter den Franken, die man sich nur als Folgen von Gottes Zorn vorstellen konnte, hatten beim Kaiser und seiner Umgebung die Einsicht geschaffen, dass man von den Bischöfen in Erfahrung bringen müsse, wie der fränkische Herrschaftsverband auf den rechten Weg zurückgeführt werden könne.67 Die Bischöfe nutzten diese Gelegenheit zu einer systematischen Durchsicht der Bibel und zur Zusammenstellung aller Belege, die etwas zur Frage der Verantwortlichkeit der Bischöfe und Kleriker gegenüber weltlichen Machthabern aussagten.

Als Antwort wurde unter vielem anderem festgestellt, dass unbedingt die Mahnfunktion der Bischöfe gegenüber dem Kaiser wieder zur Geltung gebracht werden müsse.68 Zahlreich waren auch die biblischen Belege, die deutlich machten, dass die Herrscher den Rat der Kleriker nicht nur einzuholen, sondern auch zu befolgen hätten, wenn sie in Frieden regieren wollten.69 Dass die Bischöfe es ernst mit ihren Aussagen meinten, wiesen sie vier Jahre später nach, als sie im Zusammenwirken mit seinen rebellischen Söhnen Ludwig den Frommen in Soissons zu einer öffentlichen Kirchenbuße veranlassten mit dem Ziel, ihn als Kaiser abzusetzen und ihn zum freiwilligen Eintritt in ein Kloster zu bewegen.

In einer relatio, die alle beteiligten Bischöfe unterschrieben und König Lothar übergaben, betonten sie gleich am Anfang, dass ihrer »Wachsamkeit und Sorge« das Seelenheil aller anvertraut sei. Sie seien die »Stellvertreter Christi und Schlüsselträger des Himmelreiches«. Sie besäßen die Binde- und Lösegewalt im Himmel und auf Erden (Matth. 16,18). Mit Ezechiel 3,18 begründeten sie die Gefahr für ihr eigenes Seelenheil, wenn es ihnen nicht gelänge, »den Schuldigen von seinem schuldhaften Weg abzubringen.« Von ihnen würde »Rechenschaft für sein Blut« gefordert. Deshalb hätten sie Kaiser Ludwig, »der den priesterlichen Ermahnungen nicht habe folgen wollen«, verurteilt, um zu zeigen, wie groß »die Gewalt und die Macht des priesterlichen Amtes« sei.70 Es ist gewiss kein Zufall, dass diese Ezechiel-Stelle in den Briefen Papst Gregors VII. wieder häufig als Argument in einschlägigen Fragen begegnet.71

Die Hinweise auf diese Hartnäckigkeit der Kirche in Bezug auf ihr Recht und ihre Pflicht zur Beeinflussung der Mächtigen, die hier nicht weiterverfolgt werden müssen, mögen ausreichen, um einsichtig zu machen, dass ihre Vorstellungen vom Eingreifen Gottes in die Welt eine hervorragende Bedeutung für ihre Einflussnahme auf die Mächtigen besaßen.

Diese Perspektive betrifft aber nur eine Seite der Medaille. Neben ihrem Selbstverständnis als Kleriker und dem Bewusstsein ihrer Verantwortung für ihre Herde, zu der nach ihrer Meinung auch die Könige gehörten, gab es bei den Autoren vielfältige Beziehungen und Loyalitäten zu den in ihren Werken Agierenden. Nicht zufällig sprechen wir heute von Haus-, Hof- oder von Institutionengeschichtsschreibung: Viele Autoren schrieben Geschichte im Sinne der Institution, der sie angehörten, von der sie zu dieser Arbeit aufgefordert worden oder der sie in anderer Weise verpflichtet waren. So entstanden Kloster- und Bistumsgeschichten, Dynastie- und Stadtgeschichten, oder auch Biographien, die von Mitgliedern der Institutionen oder von Klerikern geschrieben wurden, die in unterschiedlichen Abhängigkeitsverhältnissen zu den Personen standen, deren geschichtliches Wirken sie beschrieben und bewerteten. Solche Abhängigkeiten machen sich in devoten Widmungsadressen und -gedichten wie im panegyrischen Grundton der Geschichtswerke bemerkbar und sind bei jeder Bewertung in Rechnung zu stellen. Häufiger verdanken sich Geschichtswerke aber auch konkreten Anlässen, die eine bestimmte Darstellungsabsicht zur Folge hatten:72 Mit der historischen Darstellung wurden Argumente aus der Geschichte vorgeführt, die zur Lösung aktueller Probleme beitragen sollten. Diese Absicht musste nicht einmal konkret angesprochen werden, konnte aber dennoch die Wertungen in zentraler Weise beeinflussen.

Aus diesen Hinweisen wird hoffentlich deutlich, dass einschlägige Aussagen über das Eingreifen himmlischer oder teuflischer Mächte in irdisches Geschehen in jedem Fall einer differenzierten quellenkritischen Prüfung unterzogen werden müssen, um etwaige Funktionen dieser Nachrichten hinsichtlich der Anklage oder Verteidigung, des Lobes oder der Kritik der betreffenden Personen zu erkennen. Auch hier ist natürlich mit der Möglichkeit zu rechnen, dass die Autoren einen Zweck verfolgten, der für sie die eingesetzten Mittel heiligte und deshalb auch zweckgebundene Deutungen rechtfertigte.

Gott belohnt, Gott straft

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