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I.Einleitung 1.Mittelalterliche Vorstellungen vom Wirken des christlichen Gottes in der Welt

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Die Vorstellungen der Moderne von einem ›finsteren‹ Mittelalter, die bis heute äußerst fest verankert sind,1 entstanden gewiss nicht aus einer einzigen Beobachtungsperspektive. Sie verdanken sich aber sicher auch einer Tatsache, die Zeugnisse aus diesem Mittelalter vielfältig belegen: Man war in dieser Epoche überzeugt, dass transzendente Mächte, himmlische wie teuflische, geradezu permanent in das irdische Geschehen eingriffen und es in vielfacher Hinsicht beeinflussten.2 Diese unterstellte Einflussnahme Gottes, der Engel und Heiligen, aber auch der Teufel und Dämonen betraf einerseits die Unterstützung der Gläubigen durch Hilfen und Belohnungen, ihre Warnung durch Prüfungen und ihre Verurteilung zu Strafen, wie andererseits ihre Verführung und Verleitung zur Sünde. Sie prägte damit das Verhalten mittelalterlicher Menschen zwischen den Polen Hoffnung und Angst, da es letztlich um nichts Geringeres als ihr ewiges Seelenheil ging bzw. die ewige Verdammnis drohte. Versuche der modernen Forschung, Wandlungen dieser Vorstellungen zu beschreiben, führten bisher nicht zu allseits akzeptierten Ergebnissen.

Da wir zumeist von Klerikern über die mittelalterliche Welt und ihre Vorstellungen informiert werden, besteht eine gewisse Unsicherheit, inwieweit diese Prägung wirklich für alle Menschen angenommen werden kann, oder ob die Intensität der einschlägigen Äußerungen eher dafürspricht, dass die Bemühungen um eine solche Indoktrination nicht nur auf offene Ohren stießen.

Die angedeutete Weltsicht ist modernen Menschen fremd, da die Vorstellung von einem zugleich allmächtigen und allwissenden Gott, der in den Lauf der irdischen Dinge korrigierend eingreift, angesichts der Fortdauer der menschlicher Vernunft widersprechenden unsäglichen Leiden in der Welt nicht durchzuhalten war. An der Rechtfertigung bzw. Kritik dieses Gottesbildes (Theodizee) haben sich seit der Antike Theologen und Philosophen abgearbeitet, ohne eine allgemein akzeptierte Lösung zu erreichen. Schon Laktanz hat im 3. nachchristlichen Jahrhundert das Dilemma formuliert: »Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht: Dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft. Oder er kann es und will es nicht: Dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist. Oder er will es nicht und kann es nicht: Dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott. Oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt: Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?«3 Die Unbeantwortbarkeit der letzten Frage hat die Vorstellung vom Deus absconditus, dem unbegreifbaren Gott, hervorgebracht, die vor allem von Martin Luther vertreten wurde.4

Man darf angesichts vieler mittelalterlicher Belege in den unterschiedlichsten Quellengattungen jedenfalls davon ausgehen, dass nach dem Weltverständnis dieser Zeit die himmlischen Mächte Menschen schon während ihres Lebens mit Prüfungen und Strafen belegten und Letztere auch vollstreckten, indem sie Menschen das Leben nahmen. Dies wird vor allem dann angeführt und betont, wenn außergewöhnliche Unglücke, Misserfolge und damit scheinbar zusammenhängende Todesfälle zu verzeichnen waren. Dann verwies man darauf, dass diese Menschen dem Zorn oder der Rache Gottes zum Opfer gefallen seien, wofür schon das Alte Testament zahlreiche Beispiele bot.5 Diese nahm man als Legitimation, auch in der eigenen Zeit mit solchem Eingreifen zu rechnen.

Den sichersten Nachweis für das große Vertrauen, dass die Menschen in Antike und Mittelalter in das göttliche Eingreifen in die Welt hatten, erbringt wohl die Rechtspraxis, Urteile in Gerichtsverfahren durch sogenannte Gottesurteile zu fällen.6 Das konnte durch gerichtliche Zweikämpfe geschehen, bei denen Gott dafür sorgte, dass derjenige siegte, der im Recht war. Es konnte aber auch durch die Elemente Wasser, Feuer, Luft und Erde mittels bestimmter Prozeduren entschieden werden, ob jemand schuldig war oder nicht. Auch hier sorgte Gott nach den herrschenden Vorstellungen für die richtige Entscheidung. Diese Verfahren kamen allerdings schon ab dem 12. Jahrhundert außer Gebrauch, nachdem sie bereits früh gerade von geistlichen Autoren kritisiert worden waren.

Für möglich hielten in dieser Zeit die Gläubigen wie ihre Hirten zudem aber Prüfungen vonseiten Gottes, die vor allem die Glaubensstärke und den Willen der Menschen zum Gehorsam gegenüber seinen Geboten auf die Probe stellten, indem sie sie mit schwierigen Situationen konfrontierten. Beispiele für richtiges Verhalten boten für solche Fälle ebenfalls die Heiligen Schriften, deren Aussagen man als Handlungsanweisungen für die lebenden Menschen nutzte: So wusste etwa nach Liutprand von Cremona Otto der Große im Jahre 941, was er zu tun hatte, als erste Teile seines Heeres bei Birten über den Rhein gesetzt waren und dort auf die Übermacht der Krieger seines Bruders Heinrich stießen, ohne dass der König eine Möglichkeit hatte, ihnen mit seinen weiteren Truppen zu Hilfe zu kommen:

Der König, der wohl bedachte, dass die Standhaftigkeit der Seinen nur mit Gottes Beistand so groß war, erinnerte sich daran, wie das Volk Gottes den Widerstand der Amalekiter durch das Gebet des Gottesknechtes Moses überwand, und da er, durch den Fluss getrennt, in eigener Person den Seinen keine Hilfe bringen konnte, stieg er vom Pferde und betete mit dem ganzen Volk unter Tränen vor den siegbringenden Nägeln, die einst die Hände und Füße unseres Herrn und Heilands Jesu Christi durchbohrt hatten und die nun in die Lanze des Königs eingefügt sind. Und da zeigte der Augenschein, wie viel nach dem Worte des seligen Jakobus das Gebet des Gerechten vermag. Denn infolge seines Gebetes wandten sich die Feinde sämtlich zur Flucht, während von den Seinen kein Einziger umkam.7

König Otto orientierte sich nach dem Geschichtsschreiber Liutprand also am Vorbild Moses’ und erreichte wie dieser Gottes Hilfe für seine Krieger, was zum Sieg in eigentlich aussichtsloser Situation führte. Widukind von Corvey, der in dieser Situation gleichfalls von einem Gebet Ottos nach dem Vorbild Moses’ spricht, erklärt den Sieg der Wenigen über die Übermacht jedoch mit einer listigen Täuschungsaktion der Krieger Ottos. Die Feststellung göttlichen Eingreifens hatte in aller Regel nur hypothetischen Charakter, sie blieb eine Annahme, deren Beweiskraft Schwächen hatte und die von der Bereitschaft zu glauben abhängig war. Dies zeigen auch schon im Mittelalter Deutungsanstrengungen und -konkurrenzen, in denen diese Schwäche fassbar wird.

Papst Gregor VII. wird in einer ebenfalls prekären Situation ein totales Vertrauen in die Hilfe transzendenter Kräfte attestiert. Er richtete sich im Jahre 1080 bei der zweiten Bannung König Heinrichs IV. in einem öffentlichen Gebet an die Apostelfürsten Petrus und Paulus mit der dringenden Bitte: »Handelt nun, bitte ich, Väter und heiligste Fürsten, so, dass alle Welt sieht und erkennt, dass ihr, wenn ihr im Himmel binden und lösen könnt, auch auf Erden Reiche, König- und Fürstentümer, Herzogtümer, Markgrafschaften, Grafschaften und aller Menschen Besitzungen einem jeden nach Verdienst nehmen und geben könnt […] Alle Könige und Fürsten dieser Welt mögen nun lernen, was ihr vermögt, und sie mögen fürchten, den Befehl eurer Kirche gering zu achten. Und vollstreckt möglichst bald euer Urteil an dem genannten Heinrich, damit alle wissen, dass er nicht zufällig, sondern durch eure Macht stürzen und zuschanden werden wird, hoffentlich zur Buße, damit seine Seele gerettet werde am Tage des Herrn.«8

Dass Gregor VII. diese öffentliche Ankündigung ungekürzt in sein Register eintragen ließ, mag als Indiz dafür genügen, wie ernst und wichtig er sie nahm. Es besteht deshalb auch wenig Anlass zu bezweifeln, dass er davon überzeugt war, in Notlagen die Hilfe der Apostelfürsten anfordern zu können. Wenig später konkretisierte der Papst seine Angaben denn auch noch durch den Zusatz, dass ihm niemand mehr zu glauben brauche, wenn sein von den Apostelfürsten gefordertes Eingreifen nicht bis zum 1. August zum Sturze Heinrichs geführt habe.9 Deutlicher konnte er seinen festen Glauben an die Erfüllung seiner Forderung wohl nicht zum Ausdruck bringen. Als jedoch das Gegenteil von dem passierte, was Gregor gefordert hatte – nicht Heinrich wurde zum angegebenen Termin gestürzt, sondern kurz danach dem Gegenkönig Rudolf in einer Schlacht die Schwurhand abgeschlagen – kam die gregorianische Partei in große Erklärungsnot und die Gegner deuteten das Ereignis als Ergebnis göttlichen Gerichts.10 Nicht immer gab es allerdings so klare Anhaltspunkte für ein Eingreifen Gottes.

Man kannte aus der Bibel eindrucksvolle Belege für den Zorn Gottes, der verheerend wüten konnte, wofür es vor allem im Alten Testament genügend Beispiele gibt.11 Die von Gott über Ägypten verhängten Plagen seien als ein bekanntes Beispiel in Erinnerung gerufen (Exodus 7,1–11,10). Gleichermaßen bekannt und bis heute sprichwörtlich ist auch der durch Gottes Unterstützung errungene Sieg Davids gegen Goliath (1. Sam. 17), der als Beispiel dafür präsent blieb, was einem Menschen möglich war, der auf Gott vertraute. Dass die Gründe für Gottes Handeln dem menschlichen Verständnis auch unzugänglich bleiben konnten, machte dagegen das Buch Hiob unmissverständlich deutlich (Iob 42,1–6). Es warnte so nachdrücklich davor, mit Gott und seinen Maßnahmen rechten zu wollen. Häufiger hört man denn auch im Mittelalter die Einschätzung, die schon biblisch ist, dass die Ratschlüsse Gottes »unerforschlich« und sogar »furchtbar« (terribilis) seien.12

Jedenfalls hielt man es für denkbar, dass Gott in das Leben von Sündern eingriff und es beendete oder beenden ließ. Dieser Verdacht tauchte besonders dann auf, wenn ein früher oder ein plötzlicher Tod zu beobachten war. Man nutzte aber auch Spielräume der Interpretation. So hielt etwa die Halberstädter Geschichtsschreibung, die auf Otto den Großen und seine Helfer sehr schlecht zu sprechen war, weil diese das Erzbistum Magdeburg und seine Suffragane unter erheblicher Schädigung des Bistums Halberstadt eingerichtet hatten, folgende Bewertung anlässlich Ottos Tod für angebracht: Ihn habe »Gottes unglaubliche Rache« drei Jahre nach der Schädigung Halberstadts ebenso aus dem Leben genommen wie die ersten Bischöfe seiner neu gegründeten Bistümer.13 Diese Todesfälle hielt man in Halberstadt für signa evidentia, überzeugende Zeichen, die der Beweis für Gottes Eingreifen seien. Dabei ist kaum zu übersehen, dass man hier ein sehr dehnbares Verständnis von einem plötzlichen Tod anwandte. Schließlich verstarb Kaiser Otto I. nach 37-jähriger Herrschaft im für die Zeit hohen Alter von 63 Jahren. Viel eher hätte man wenig später Anlass gehabt, über den Tod Kaiser Ottos II. als 28-Jähriger, und mehr noch über Kaiser Ottos III. Tod als 23-Jähriger bestürzt zu sein. Hier blieben kritische Reaktionen jedoch weitgehend aus.


Ägyptische Plagen (Exodus 7,1 ff.).

An von Gott gesandte Plagen, die den Auszug der Israeliten aus Ägypten erzwangen, erinnerten die jüdischen Gemeinden am Vorabend des Pessach-Festes. Die Miniaturen der Großen Hagada (Spanien, 14. Jh.) zeigen die Plagen 6–9.

Bei den letzten drei Beispielen drängt sich damit deutlich der Eindruck auf, dass solche Bewertungen nicht unabhängig davon waren, welche Beziehungen die Urteilenden zu den betreffenden Personen hatten. Vielmehr lässt sich thesenartig folgendes Verhaltensmuster formulieren: Wenn hochrangige Personen ein Schicksal erlitten, das nach einer Strafe Gottes aussah, versuchten ihre Parteigänger in aller Regel alles Menschenmögliche, diesen Makel zu bewältigen oder zu übergehen.14 Ganz anders fallen dagegen in vergleichbaren Situationen die Bewertungen von Gegnern aus: Ihnen wird nachdrücklich bescheinigt, einer Strafe Gottes zum Opfer gefallen zu sein.15 Die religiöse Deutung, so kann man in einem Vorgriff formulieren, war also keineswegs gänzlich unabhängig von sozialen oder politischen Bindungen und daraus resultierenden Überzeugungen.

Aus dieser hier nur andiskutierten intensiven Beeinflussung mittelalterlicher Menschen durch eindringliche Mahnungen und Warnungen der Kleriker, resultierte mit großer Wahrscheinlichkeit eine permanente Unsicherheit dieser Menschen bezüglich aller Situationen, die auf Aktivitäten transzendenter Mächte zu weisen schienen. Zu einem differenzierten Urteil fehlt uns jedoch die Kenntnis der sicher zahllosen mündlichen Interventionen in Predigten und bei anderen pastoralen Aktivitäten, mit denen darauf insistiert wurde, dass Anzeichen von Gottes Eingreifen in die Welt die gebührende Beachtung fänden. Zeugnis hiervon gibt eine Fülle von erbaulichen oder auch gruseligen Geschichten in den unterschiedlichsten Quellengattungen, die zeigen, wie die klerikalen Zeitgenossen Ereignisse in ihrer Umwelt rezipierten und deuteten, die auf natürliche Weise schwer zu erklären waren. Man rechnete mit Wundern und Visionen, mit Warnungen und Drohungen transzendenter Mächte, suchte nach transzendenten Verursachern von Krankheit, Seuchen und Tod ebenso wie man Erfolge und Siege, Wohlergehen und Wohlstand, Frieden und ein langes Leben als Belohnungen einschätzte, die sich diejenigen, denen sie durch himmlische Mächte zuteilwurden, verdient hätten.

Den Menschen der aufgeklärten Moderne verdeutlichen diese Geschichten heute in erster Linie, wie aber- und wundergläubig Religion im Mittelalter vermittelt wurde und wie wirkmächtig sie dennoch oder sogar deshalb war.16 Genauere Analysen zur Frage, wie tief dieser Glaube an Gottes Eingreifen in die Geschichte wirklich verankert war, sind aber nicht allzu zahlreich.17 Und sie sind auch schwierig. Weder die Häufigkeit noch die Intensität der Mahnungen und Drohungen mit Gottes Strafen, die fester Bestandteil mittelalterlicher Pastoraltheologie waren, sind ein sicherer Beweis dafür, dass mit ihnen eine nachhaltige Wirkung erzielt wurde. Sie könnten häufig und eindringlich wiederholt worden sein, weil ihre Wirkung ausblieb oder auch ständiger Erinnerung bedurfte. Gleiches gilt auch für Gottes Belohnungen.

Wir finden solche Geschichten zu allen Zeiten des Mittelalters in der Hagiographie sowohl als Berichte von den Wundertaten der Heiligen zu ihren Lebzeiten wie auch von Wundern zugunsten ihrer Verehrer nach ihrem irdischen Tode. Die Heiligkeit von Menschen ergab und erweist sich im Verständnis der katholischen Kirche ja bis heute nicht zuletzt aus ihrer Fähigkeit, Wunder zu wirken. Diese Fähigkeit prüft eine Selig- und Heiligsprechungs-Kongregation im Vatikan bis heute in einem komplexen Verfahren. Schon früh etablierten sich in der Hagiographie aber feste Gewohnheiten zur Präsentation dieser Wunder, die nach Auffassung der modernen Forschung nicht durch ihre Glaubwürdigkeit, sondern durch ihren Zweck legitimiert werden, die Gläubigen zu erbauen und in ihrem Glauben zu stärken. Die Verfolgung dieses Zweckes öffnete offensichtlich Tür und Tor für Fiktionen, die unter einem erheblichen Überbietungsdruck standen und berechtigte Zweifel an der Existenz von ›historischen Kernen‹ der Geschichten erlauben. Erzeugnisse dieser literarischen Gattung werden uns daher allenfalls am Rande beschäftigen.18

In dieser Untersuchung geht es vielmehr vor allem um den Interpretationsspielraum, den die Vorstellungswelt vom Eingreifen transzendenter Mächte den mittelalterlichen Zeitgenossen ließ, und um die Frage, wie dieser Spielraum genutzt worden ist. Wie, wann und warum kam man zu dem Schluss, dass auffällige Ereignisse das Ergebnis der Aktivität transzendenter Mächte sein könnten oder müssten? Und welche Wirkung übten solche Erkenntnisse auf das Handeln der Menschen aus?

Der Überblick über einschlägige Aussagen zu diesem Thema, den die Arbeit an diesem Buch ermöglichte, lässt kaum Zweifel daran zu, dass dieses Eingreifen vorrangig oder sogar ausschließlich als Argument zur Rechtfertigung der Freunde und zur Diffamierung der Gegner verwendet worden ist. In fast allen Werken der Historiographie begegnen Nachrichten und Erzählungen, die darüber informieren, dass bestimmte Ereignisse durch die Hilfe Gottes oder der Heiligen ein gutes Ende gefunden hätten. Dies gilt für militärische Unternehmungen der Könige, für die Kreuzzüge oder für Kämpfe gegen Heiden oder Rebellen, aber auch für ganz andere Situationen im menschlichen Leben. Nicht weniger interessant sind natürlich die ebenfalls zahlreichen Fälle, in denen konstatiert wird, dass sich in Misserfolgen, Schicksalsschlägen und Unglück eine Prüfung oder Strafe Gottes abzeichne.

In all diesen Geschichten stehen die Verdienste oder die Fehler der Personen im Vordergrund, die die Unterstützung oder die Strafen Gottes genießen bzw. erdulden. Sie hatten nach dem Urteil der Berichterstatter die Belohnung oder die Strafe verdient. Genau dieses Urteil hing nämlich vorrangig davon ab, wie die Autoren zu den jeweiligen Personen standen und ob ihre Bewertung von der Absicht zu loben oder zu tadeln geprägt war. Anders ausgedrückt: Die Feststellung des Eingreifens transzendenter Mächte in die Welt war weniger der Bericht eines Faktums als die mehr oder weniger spekulative Deutung von Indizien, die häufig mit erheblicher hermeneutischer Anstrengung so geleistet wurde, dass sie den Freunden nützte und den Gegnern schadete.

Es steht damit zur Frage, ob es den geistlichen Wortführern dieser Weltsicht angesichts ihrer zahlreichen Versuche wirklich gelungen ist, die Vorstellung vom Eingreifen Gottes sozusagen als ein Kausalgesetz zu etablieren, in dem bestimmte Ursachen zuverlässig bestimmte Folgen zeitigten. Der Philosoph Ludwig Siep hat die Annahme einer »moralischen Kausalität« wie folgt begründet: »Kausalprozesse werden ursprünglich wohl als Interaktionen verstanden, mit den üblichen Folgen der Gunst oder des Zornes. Dabei interagieren Menschen nicht nur miteinander, sondern auch mit übermenschlichen Kräften. Sie lösen, weil sie die übermenschlichen oder sogar überirdischen Mächte erfreuen oder erzürnen, günstige und ungünstige Folgen aus – Naturkatastrophen, Krankheiten und ›politische‹ Katastrophen wie verlorene Kriege. Ungünstige Ereignisse solcher Art sind Strafen […] günstige Verläufe sind hingegen Belohnungen.«19 Zugleich aber hat Siep zu Recht betont, dass modernen Menschen diese Kausalität nicht mehr zu vermitteln sei, weil die Erfahrung gelehrt habe, dass »es Schurken lebenslang gut geht und moralisch Bewundernswerte leiden.«

Diesem Problemfeld gilt unser Hauptinteresse. Es ist auf die Frage fokussiert, ob und wie die mittelalterlichen Zeitgenossen zu plausiblen Kriterien für die Annahme eines Eingriffs Gottes kamen und wodurch sie ihre Zeitgenossen davon überzeugen konnten, dass der Eingriff wirklich auf eine transzendente Macht zurückging. Es fehlten dieser Epoche nämlich die Propheten des Alten Testaments, die über ihre Kommunikation mit Gott berichteten und so nicht nur einen direkten Eindruck von seinen Ge- und Verboten, sondern auch von seiner Empörung, seinem Zorn und seinen Rache- und Vernichtungsbefehlen vermittelten. Überdies mangelte es in der Epoche des Mittelalters nicht an der Erfahrung, dass menschliches Verhalten nicht die Folgen hatte, die man zwingend hätte erwarten können, wenn eine »moralische Kausalität« am Werk war.

Um einerseits genügend Vergleichsmaterial für die Untersuchung nutzen zu können und andererseits nicht an der Fülle der Überlieferung zu scheitern, bot es sich an, die Untersuchungen auf die höchste soziale Ebene der mittelalterlichen Gesellschaft zu konzentrieren: das Königtum und seine Interaktionen mit den weltlichen und geistlichen Führungsschichten. Als vorrangig geeignete Quellengattung bietet sich die Historiographie an, die in aller Regel auf Nachrichten aus diesem Bereich konzentriert ist. Nur so kann man gewährleisten, dass die gewählten Beispiele untereinander vergleichbar sind und in ihrer Summe entweder ein kohärentes Bild ergeben oder Entwicklungen und Brüche erkennen lassen, die einer Erklärung bedürfen. Nur in begründeten Ausnahmefällen ist wenige Male der Blick auf die Gesamtheit der Nennungen erweitert worden, mit denen einzelne Autoren ihrer Ansicht vom Wirken transzendenter Kräfte Ausdruck gaben.20

Um einen ersten Eindruck zu vermitteln, seien einige Phänomene angesprochen, die als charakteristisch für das Themenfeld gelten können, weil sie Praktiken und die dahinterstehenden Überzeugungen sichtbar machen: Auf die Hilfe Gottes konnte und musste man nach zeitgenössischer Vorstellung hinarbeiten und sie sich verdienen. Folgerichtig nutzten christliche Heere rituelle Praktiken vor einer Schlacht, um alles zu tilgen, was Gottes Zorn gegen sie erregt haben könnte.21 Sie taten dies, um so den Weg für die Unterstützung Gottes frei zu machen: Die Krieger gaben sich gegenseitig und ihren Anführern Frieden und versprachen sich Unterstützung, sie bekannten ihre Sünden, fasteten am Tage vor der Schlacht und empfingen die Eucharistie.22 Auf diese Weise suchten sie Zustände zu eliminieren, die Gott missfielen und deshalb seiner Bereitschaft zur Unterstützung abträglich sein konnten. Während der Kreuzzüge steigerte man diese rituellen Handlungen etwa noch dadurch, dass die zu belagernde Stadt von den Kreuzfahrern mehrmals barfuß umrundet oder versucht wurde, die Stadtmauern mit dem Schall von Trompeten zum Einsturz zu bringen, wie es biblischen Vorbildern gelungen war.23

Derartigem Vorgehen aber war die Praxis der Bitt- und Bußprozessionen des Mittelalters verwandt, deren Ziel es gleichfalls war, Gott durch Leistungen der Buße und der Verehrung gnädig zu stimmen. Man ging barfuß und im Büßergewand, streute sich Asche auf die Haare, wie es biblische Vorbilder praktiziert hatten, und folgte so dem biblischen Prinzip, dass einer exaltatio durch Gott die humiliatio des Menschen vorauszugehen hatte.24

Besonders intensiv war daher die Reaktion in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung, wenn eine Schlacht gegen Heiden verloren ging und der Feind den Sieg gegen Christen davongetragen hatte. Dann war man mit der Formel schnell bei der Hand, dass der »Misserfolg« auf »unsere Sünden« zurückzuführen sei, die Gottes Zorn erregt hätten. Seltener ist dagegen die Suche nach einem einzigen »Sündenbock«, dem der Misserfolg angelastet werden konnte, es gibt sie aber auch.25

Epidemien wie die Pest oder Hungersnöte und andere Unglücksfälle hatten kollektive Bußanstrengungen in Form von Bitt- und Bußprozessionen zur Folge, die integraler Bestandteil des liturgischen Jahresablaufs wurden und teilweise bis in die Gegenwart beibehalten werden.26 Besondere Aufmerksamkeit fanden im Spätmittelalter etwa die Geißlerbewegungen, die von Stadt zu Stadt ziehend die Bevölkerung zur Buße aufriefen und durch Selbstgeißelung des Oberkörpers eine imitatio Christi praktizierten. Ihr Erscheinen bewirkte wohl eine starke emotionale Resonanz in der Bevölkerung, die teilweise auch zu Pogromen gegen Juden führte. Die Amtskirche verurteilte die Bewegung schließlich als Häresie und brachte sie dadurch zum Erliegen.27

In Einzelfällen werden auch Gelübde fassbar, mit denen etwa die remuneratio für eine Hilfe in der Schlacht versprochen wurde. So rüstete sich Otto der Große für die Lechfeldschlacht, indem er dem Tagesheiligen Laurentius (10.8.) für den Fall des Sieges ein Bistum versprach, wie es dann auch in Merseburg eingerichtet wurde.28 Aber auch König Heinrich IV. verfügte am Tage vor der Schlacht gegen seinen Widersacher Rudolf von Rheinfelden urkundlich Schenkungen an Speyer und die Gottesmutter Maria, die Patronin des Bistums, von der er sozusagen als Gegengabe ihre Hilfe in der Schlacht erwartete.29

Mit einer allem Anschein nach fest etablierten Überzeugung vom Wirken transzendenter Mächte, zu der die hagiographischen Zeugnisse mit ihrer Akzentuierung der Wunder der Heiligen stark beigetragen hatten, beobachteten die Menschen des Mittelalters also Naturerscheinungen wie Blitz und Donner, Erdbeben, Überschwemmungen, Missernten und andere Natur-Katastrophen ebenso wie Seuchen, Krankheiten oder plötzliche und frühe Todesfälle. Und sie deuteten solche Ereignisse unter der Prämisse, dass sie Botschaften dieser Mächte vermittelten, die damit teils warnen wollten, teils aber auch mit ihren Entscheidungen für den Tod eines Menschen endgültige Urteile fällten. Man achtete also sorgfältig auf Erscheinungen, denen Vorzeichen- oder Strafcharakter zugebilligt werden konnte, hörte auf Propheten und rechnete nicht zuletzt mit Vorankündigungen und Warnungen.30

Das Eingreifen vollzog sich nach allgemeiner Auffassung im Falle der himmlischen Mächte einerseits als Belohnung für gottgefälliges Verhalten, mit der die Gerechten unterstützt oder geschützt wurden. Andererseits verstand man es aber auch als Prüfung, mit der die Guten wie die Bösen auf die Stärke und Belastbarkeit ihrer Gottesliebe hin getestet werden sollten. So wurde es möglich, einen Misserfolg als Prüfung zu verstehen und sich stärker um Gottes Wohlwollen und seine Unterstützung zu bemühen. Nicht zuletzt bestand das himmlische Eingreifen aber auch aus Strafen, mit denen Gott oder Heilige auf das Verlassen des rechten Weges und auf Sündhaftigkeit aller oder einzelner Menschen reagierten, um diese entweder zurück auf den rechten Weg zu zwingen oder sie im Extremfall mit dem Tode zu bestrafen. Im Wirken der höllischen Mächte sah man dagegen nur Destruktion: die Verführung und Versuchung zum Bösen; das Schadentrachten, das vor allem dann erfolgreich war, wenn Gott und die Heiligen sich abgewandt hatten und die Menschen deshalb ohne Schutz den Mächten der Finsternis ausgeliefert waren. Insgesamt bot die Trias Belohnung, Prüfung und Strafe ein kohärentes pastorales Konzept für die Mahnungen und Warnungen der Kleriker an die Adresse der Gläubigen.

Das Gottesbild, das sich den Menschen aufgrund all dieser Vorstellungen besonders einprägte, stand in einer polaren Spannung: Vor allem Gottvater, aber auch Christus sah man einerseits als Richter, deren gerechtes Urteil beim Jüngsten Gericht über ewige Seligkeit oder ewige Verdammnis jedes Einzelnen entschied (»Strenger Richter aller Sünder, der du uns so schrecklich drohst«); andererseits aber war Gott auch der gnädige Vater und die Menschen waren seine Kinder nach seinem Ebenbild (»doch als Vater deiner Kinder unser einziger Schutz und Trost«).

Wie aber Gerechtigkeit und Gnade im Jüngsten Gericht zur Anwendung kommen würden, darüber konnte sich niemand sicher sein. Diese polare Spannung hatte bereits in der Spätantike zu heftigen Auseinandersetzungen über Positionen geführt, für die Schriften der Kirchenväter Origenes und Augustinus standen: Origenes kam angesichts der Liebe Gottes zu seiner Schöpfung zu dem Ergebnis, dass eine ewige Verdammnis und nie endende Peinigung der Sünder nicht verhängt werden würde, weil ansonsten Gott dem Vergeltungsgedanken mehr Gewicht gäbe als seiner Liebe zu den Menschen.31

Augustinus dagegen prägte mit seinen biblisch fundierten Argumentationen die offiziöse Haltung der Kirche, dass der Mensch aufgrund seiner Belastung mit der Erbsünde seit Adam und Eva sich die Gnade Gottes durch ein frommes und Gott wohlgefälliges Leben verdienen müsse. Für die, denen dies nicht gelang, sah er eine endlose Strafe und Pein als unvermeidbar an, deren Ort der Vollstreckung die Hölle war.32 Im Unterschied zur Moderne wurde das gesamte Mittelalter nicht müde, in Wort, Schrift und nicht zuletzt im Bild die Zustände in dieser Hölle und das Wirken der Teufel den Zeitgenossen einzuprägen, und man sparte hierbei nicht mit Einzelheiten, die vor allem Visionären mitgeteilt worden waren.33

Diese Überzeugungen beherrschten die kirchliche Haltung und Verkündigung und sie wurden zu Zentralargumenten der pastoralen Einflussnahme auf die Gläubigen, denen man etwa sehr genau vorhielt, für welche Sünden man wie lange im Fegefeuer zu büßen habe – und welche Sünden die endlose Pein ewiger Verdammnis nach sich zogen.34 Die Positionen des Origenes waren dagegen dem Vorwurf der Häresie ausgesetzt und wurden äußerst selten vertreten.35

Es gehört zu den gewichtigen Konsequenzen der Reformation und der Aufklärung, dass solche Vorstellungen das Denken moderner Menschen kaum noch bestimmen, auch wenn seine Relikte noch in wenig reflektierten, umgangssprachlichen Wendungen wie »Gott sei Dank« oder »um Gottes Willen« fassbar sind, mit denen man auch heute noch auf ungewöhnliche Geschehnisse reagiert.36

Auch die katholische Kirche scheint aber heute die Zeiten hinter sich gelassen zu haben, in denen sie die Kirchenbindung ihrer Gläubigen mit entschiedenen Warnungen vor Sünden, die zu Gottes ewiger Verdammnis führten, aufrecht zu halten versuchte.37 Diese Verdammnis in der Hölle wurde im Mittelalter dagegen an zentralen Orten – den Tympana über den Haupteingängen der Kathedralen, wie heute noch an vielen Beispielen zu sehen ist – drastisch als das unvermeidliche Schicksal der Bösen beim Jüngsten Gericht vor Augen geführt.38 Während gleichzeitig diejenigen, die Gnade gefunden hatten, von Engeln geleitet in Gottes Herrlichkeit eingingen, warteten auf die anderen die Teufel, die sie ohne jedes Erbarmen in den Schlund der Hölle warfen. Jedem Gläubigen wurde so die Tatsache des Jüngsten Gerichtes wie die Existenz der Hölle und vor allem das Schicksal der Verdammten bewusst gemacht, zu denen nach herrschenden Vorstellungen durchaus auch Könige und hohe Kleriker gehören konnten.39 Davon ist heute bei den pastoralen Bemühungen um die Gläubigen nicht mehr die Rede. Stattdessen werden unter Spezialisten nun unter anderem wieder Gedanken des Kirchenvaters Origenes diskutiert, der von einer generellen All-Versöhnung Gottes mit der Menschheit vor dem Ende der Welt gesprochen hatte, die allen die ewige Seligkeit ermögliche.40


Memling, Jüngstes Gericht.

Memlings Darstellung des Jüngsten Gerichts (1466-73) akzentuiert auf den Seitentafeln die Schicksale der Seligen wie vor allem der Verdammten.

Gott belohnt, Gott straft

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