Читать книгу Der Apfelwein-Botschafter: Kommissar Rauscher 11 - Gerd Fischer - Страница 16

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Als Rauscher auf dem Riedberg ankam, war bereits die Dämmerung über Frankfurts neuem Stadtteil mit seinen schicken Ein- und Mehrfamilienhäusern und seinen schmucken, akkurat angelegten Vorgärten eingebrochen. Er hatte die Pressekonferenz abrupt abgebrochen und war sofort losgefahren. Krause hatte am Telefon mitgenommen gewirkt.

In unmittelbarer Nähe des Hauses parkten drei Polizeifahrzeuge mit angestelltem Blaulicht. Rauscher stellte seinen Dienstwagen hinter das letzte Fahrzeug und stieg aus. Er sah sich um. Aus den Augenwinkeln erkannte er drei, vier Personen, die am Rande des rechten Nachbargrundstücks standen und sich leise unterhielten. Hin und wieder warfen sie neugierige Blicke auf Adlhofs Haus, bevor sie wieder die Köpfe zusammensteckten. Rauscher ließ seinen Blick über den Schauplatz schweifen und bemerkte eine Überwachungskamera über der Eingangstür. Im Nu zählte er drei weitere. Der Chef des Dezernats schien ein Sicherheitsmensch zu sein.

Einige Kollegen wurden auf ihn aufmerksam und näherten sich.

„Sie können hier nicht halten“, rief ihm einer von ihnen zu.

„Andreas Rauscher“, sagte der Kommissar. „Kollege Jan Krause hat mich informiert.“

„Etwa DER Rauscher?“ Die hohe Stirn des Beamten zog sich noch höher. „Sie wollte ich schon immer mal kennenlernen. Es ist mir eine Ehre.“ Er streckte Rauscher die Hand entgegen.

Rauscher ergriff sie. Der Kollege merkte, dass ihn die Situation nebenan beschäftigte. „Die lieben Nachbarn“, kommentierte er. „Damit es morgen auch schön das ganze Viertel weiß.“

„Was ist denn überhaupt los?“ Rauscher schien es angebracht, sich zu erkundigen, bevor er das Haus betrat. Unliebsame Überraschungen zu dieser Stunde waren nicht sein Fall. Doch als er das nächste Wort hörte, zuckte er unwillkürlich zusammen.

„Tötungsdelikt!“

„Doch nicht etwa …?“ Rauscher brach mitten im Satz ab, weil er die unbequeme Wahrheit nicht nur ahnte. Er wusste sie, bevor ein weiteres Wort gesprochen wurde.

„Ein Joachim Adlhof. Übel zugerichtet. Sie müssten ihn kennen“, bemerkte der Kollege.

„Kennen ist zu viel gesagt.“ Rauscher seufzte und wirkte etwas verstört. „Ich hatte in letzter Zeit beruflich mit ihm zu tun.“ Das fing ja prächtig an. So hatte er sich seinen Einstand im Dezernat nicht vorgestellt. Einen beschisseneren Beginn seiner neuen Tätigkeit hätte er sich nicht vorstellen können.

„Schlimme Sache. Sieht nach einem Verrückten aus.“ Der Polizist schüttelte den Kopf.

Rauscher nickte dem Polizisten zu. „Danke. Ich geh da jetzt rein.“

„Finden Sie das Schwein!“, rief ihm der Kollege nach.

Rauscher betrat die offenstehende Haustür und wäre beinahe gegen Ingo Thaler geprallt, der forsch aus einer Tür zu seiner Rechten kam. „Rauscher am Tatort. Wie in früheren Zeiten.“ Kollege Thaler, einer von Rauschers engsten Mitarbeitern vor seiner Suspendierung, konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Thaler war etwas kleiner als Rauscher, hatte aber in letzter Zeit um die Hüfte einige Kilo verloren, was ihm gut stand.

„Nichts ist so, wie es scheint“, korrigierte der Angesprochene. „Trotzdem schön, dich zu sehen. Wie war das Wellness-Wochenende auf Sylt?“

Thaler hatte ihm in den vorangegangen Fällen zweimal entscheidende Hilfe geleistet, ohne die Rauscher sie womöglich nicht hätte lösen können. Zudem hatte durch Thalers Recherche Rauschers Sohn Mäxchen aus den Händen seiner Entführerin befreit werden können. Somit hatte Rauscher in Thalers Schuld gestanden und sich an Weihnachten mit einem Urlaubsgutschein spendabel gezeigt.

„Traumhaft. Aber du wirst es nicht glauben, wen ich auf der Insel getroffen habe …“ Thalers Gestik verriet, dass er immer noch von dem Aufenthalt im Fünf-Sterne-Hotel schwärmte.

Rauscher dachte kurz nach. „Fällt mir niemand ein.“

„Elke und Mäxchen.“

Rauscher fühlte sich überrumpelt. „Du machst Witze!“

„Mein voller Ernst. Ihr Alter hat da ein Häuschen, weißt du, der ehemalige Polizeipräsident von Hamburg. Von da ist es ja nur ein Katzensprung auf die Insel. Wir sind uns zufällig auf der Promenade in Westerland begegnet. Quasi in die Arme gelaufen, genau vor meinem Hotel.“

„Ist ja nicht zu fassen.“

„War prima mit den beiden. Wir haben ein paar schöne Tage miteinander verbracht.“

„Und warum hast du mir bisher nichts davon erzählt?“

„Immer im Stress. Hätte ich aber noch. So lange ist es ja auch noch nicht her.“

Rauscher schüttelte den Kopf. Das konnte er jetzt überhaupt nicht gebrauchen und wollte sich auch nicht damit befassen. Seine Aufmerksamkeit wurde von weiteren Überwachungskameras im Inneren des Hauses abgelenkt. Eine hing im Flur, eine die Treppe hoch. Adlhof schien das gesamte Haus überwachen zu lassen. Trotzdem sollte im Haus angeblich ein Mord geschehen sein.

Rauscher wechselte das Thema. „Und wie sieht es hier aus?“

In diesem Moment kam ein langer Schlaks aus einem Nebenzimmer auf die beiden zu. Es war Jan Krause.

„Moin“, sagte der Kollege, der Rauschers Job als Teamleiter während seiner Suspendierung übernommen hatte und nun von Chef Markowsky protegiert wurde, was ihm Rauscher aber nicht mehr krumm nahm. Krause war ehemaliger Hanseat, ein langer Lulatsch, drahtig und ein erfahrener Polizist. Nur in seine Rolle als Teamleiter musste er noch hineinwachsen. „Ich dachte mir, es sei nicht verkehrt, wenn du dich hier mal umschaust, ne! Immerhin hattest du ja in letzter Zeit mit dem Opfer zu tun.“

„Richtig. Habt ihr schon erste Erkenntnisse?“

„Willst du dir Adlhof nicht anschauen?“

„Nein. Ich gehöre nicht zum offiziellen Ermittler-Team …“ Er wollte jeden Verdacht vermeiden, an der Aufklärung des Falles beteiligt zu sein.

„Wie du willst. Ich kann dir auch die wichtigsten Fakten schildern, ne.“ Krause sammelte sich. „Die Kollegen der Schutzpolizei sind mit dem ersten Angriff schon durch. Die Kriminaltechnik ist jetzt dran. Ein Arzt hat bereits den Totenschein ausgestellt. Staatsanwalt Konetzke ist verständigt. Aufgrund des delikaten Falles, immerhin handelt es sich beim Opfer um einen Dezernenten, wird er persönlich hier erscheinen. Müsste in den nächsten fünfzehn Minuten eintreffen.“

„Todesursache?“, fragte Rauscher in die Rede hinein, weil ihm das alles zu lange dauerte.

„Adlhof wurde erstochen. Mindestens zehn Messerstiche konnten wir mit dem bloßen Auge identifizieren.“

„Übertötung?“

„Sieht man auf den ersten Blick. Die Auffindesituation war auf der Terrasse. Dahinter liegt ein Garten, der von keiner Seite einsehbar ist. Dichte, hohe Bäume grenzen das Grundstück ein. Könnte auch ein Schallschutz gewesen sein, denn bisher gibt es niemanden, der etwas gesehen oder gehört hätte, ne.“

Ein Schluchzen lenkte das Trio ab. Es kam aus dem offenen Wohnzimmer. Rauscher warf einen Blick hinein und sah einen Mann auf der Couch sitzen, der eine weinende Frau im Arm hielt. Ein Sanitäter kümmerte sich gerade um die Dame.

„Wer sind die beiden?“, erkundigte Rauscher sich.

„Ingrid Adlhof, hinterbliebene Ehefrau, und ein Herr Brecker, Freund der Familie. Scheint ein enger Vertrauter Adlhofs zu sein. Die beiden haben das Opfer aufgefunden.“

Gerade drang ein erstickter Schrei an Rauschers Ohren, der klang, als müsste er sich durch einen zu dünnen Hals pressen. Der Witwe schien es nicht gut zu gehen.

„Aha. Habt ihr sie schon vernommen?“

„Nicht möglich. Ich fürchte, da müssen wir noch ein, zwei Tage warten. Frau Adlhofs Zustand ist labil. Sie steht unter Schock. Muss wohl ins Krankenhaus zur Beobachtung.“

„Okay. Eventuell könnt ihr es ja später noch versuchen …“

„Werden wir sehen.“

Rauscher linste noch einmal ins Wohnzimmer. Sein Blick fiel durch die offenstehende Terrassentür, wo sich der Arzt, die Spurensicherer und der Fotograf um die Leiche kümmerten. Selbst aus dieser Entfernung erkannte er den blutverschmierten Anzug, den Adlhof trug. Er wandte sich schnell Krause zu: „Was noch?“

„Keine Tatwaffe, keine Kampfspuren, keine Einbruchspuren“, brachte Thaler in die Runde ein. „Auf den ersten Blick keine Eheprobleme, jedenfalls keine offensichtlichen. Keine finanziellen Probleme. Den Eheleuten gehört das Haus, er hatte einen sicheren und angesehenen Job bei der Stadt. Von außen betrachtet scheint alles paletti.“

„Raubmord?“, warf Rauscher in die Runde.

„Nahezu ausgeschlossen. Es gibt keinerlei Erkenntnisse, dass etwas mitgenommen wurde.“

„Also kannte Adlhof seinen Mörder“, vermutete Rauscher.

„Schaut so aus, als habe er ihn reingelassen.“

„Und was ist mit den vielen Kameras, die überall hängen?“

„Modernste Technik“, erklärte Thaler. „Bin echt beeindruckt. Da kann nicht mal ne Maus unbemerkt durchs Haus laufen.“

„Na, dann ist ja alles geritzt. Der Mord müsste gefilmt worden sein“, kommentierte Rauscher, bevor Krause anmerkte: „Irrtum. Das hatten wir natürlich sofort angenommen und Frau Adlhof direkt darauf angesprochen, ne. Leider hat Herr Adlhof das Überwachungssystem immer sofort ausgestellt, sobald er zu Hause eingetroffen ist. So auch heute. Das funktioniert quasi automatisch. Er tippt einen Code ein, wenn er zur Tür reinkommt. Dann beenden die Kameras ihre Aufzeichnungen.“

„Mist. Und auf den Bändern ist wirklich nichts zu sehen?“

„Das prüfen wir gerade, aber wir gehen nicht davon aus. Frau Adlhof wirkt glaubhaft. Warum sollte sie uns in dieser Hinsicht anlügen?“ Krause schüttelte deprimiert den Kopf. „Wär ja auch zu schön gewesen …“

„Und wie geht ihr jetzt weiter vor?“, fragte Rauscher.

„Wir befragen natürlich die Nachbarn, ob jemand etwas Verdächtiges gehört oder gesehen hat, auch wenn es für die unmittelbare Tat keine Zeugen geben dürfte“, erklärte Krause. „Außerdem durchkämmen wir Adlhofs Umfeld. Feinde. Neider. Und so weiter. Mal schauen, ob wir da was zutage fördern. Sein Handy und seinen Mailaccount nehmen wir uns gleich vor. Vielleicht hatte er ja vor der Tat Kontakt zu seinem Mörder. Auf den Obduktionsbericht und den Bericht der Spurensicherung müssen wir sicher noch ne Weile warten. Im Prinzip ganz normale Ermittlungen, ne!“

„Routinefall“, ergänzte Thaler.

„Guter Plan.“

„Äh, Rauscher, offiziell ermittelst du ja nicht mit uns, aber Markowsky hat da so ne Andeutung gemacht …“, bemerkte Krause.

„Welche?“

„Dass du im Dezernat Augen und Ohren offenhalten könntest. Als Botschafter bist du ja jeden Tag in der Höhle des Löwen.“ Thaler grinste.

„Ich ruf ihn an.“

„Mach das!“

„Haltet ihr mich auf dem Laufenden?“

„Ehrensache!“, sagte Thaler und kam damit einem bissigen Kommentar von Krause zuvor, der sich aber doch nicht ganz zurückhalten konnte.

„Ich weiß zwar nicht, was da im Hintergrund läuft, aber ich mache mir so meine Gedanken.“

„Kann nicht schaden“, beendete Rauscher das Gespräch, drehte sich um und war in der nächsten Sekunde aus dem Haus verschwunden.


Spät am Abend, Rauscher war längst wieder zu Hause eingetroffen und hatte Jana über den Mord informiert, verzog er sich in sein Büro, griff zum Handy und wählte Markowskys Privatnummer.

„Herr Rauscher, was kann ich für Sie tun?“, meldete sich der Chef nach ein paar Sekunden. Seiner Stimme war anzumerken, dass er zwiegespalten war. Ein Anruf um diese Uhrzeit, und auch noch von seinem einstmals besten Mann, der mittlerweile bei vielen im Präsidium in Ungnade gefallen war.

„Ich nehme an, Sie haben es schon gehört“, begann Rauscher.

„In der Tat. Tragisch.“

„Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen?“

„Was wollen Sie hören, Rauscher? Dass wir genau das hätten verhindern müssen? Klar! Ja! Sicher! Aber nun ist es passiert. Unsere Operation hat offensichtlich zu spät begonnen.“

„Und wie soll es jetzt weitergehen?“

„Die Kollegen ermitteln. Und Sie bleiben auf Ihrem Posten. Was haben Sie denn rausgefunden in Ihrer ersten Woche?“

„In meiner …? Nichts!“

„Was soll das heißen? Wofür habe ich Sie denn im Dezernat undercover eingesetzt?“

„Adlhof hatte tausend Termine, Kollmann, sein Stellvertreter, war nie greifbar, Frau Bodenstock hat mir immer nur zwischen Tür und Angel zugehört. Es ist alles noch so frisch. Keiner kennt sich aus. Ehrlich gesagt, es war …“

„Nicht jammern, Rauscher, handeln!“

„Wie meinen Sie das?“

„Sie bleiben vor Ort.“

„Ich soll aus dem Dezernat …?“

„Warum nicht? Genau deshalb habe ich Sie vor Ort platziert. Sie können sich dort umhören, ohne dass es auffällt. Mehr so hinten herum … Sie wissen, was ich sagen will?“

„Seit Wochen gibt es Drohungen gegen das Dezernat. Bis hin zu offenen Morddrohungen! Und wir konnten nicht verhindern, dass jemand getötet worden ist. Das ist doch ein riesiges Schlamassel!“

„Mitnichten! Es wäre erst ein Debakel, wenn herauskäme, dass Sie dort undercover … Und genau deshalb darf es niemals, ich betone: NIEMALS jemand erfahren! Haben Sie das verstanden?“

„Wie könnte ich nicht? Aber soll ich nicht wenigstens Thaler und Krause einweihen?“

„Auf keinen Fall. Je weniger darüber Bescheid wissen, desto besser.“

Rauscher wollte die Gunst der Stunde nutzen. Er hatte Markowsky nicht sehr oft an der Strippe. „Was ist eigentlich mit meinem Sabbatical?“

„Sind Sie noch bei Trost? Mich in dieser Situation so etwas zu fragen! Ergebnisse, Rauscher, ich brauche erst Ergebnisse! Dann können wir über alles reden.“ Markowsky setzte kurz ab. „Ich vertraue Ihrem Instinkt, Rauscher. Und wenn wir den Mörder haben, unterhalten wir uns über Ihre Hirngespinste.“ Rauscher wollte noch etwas fragen, kam aber nicht dazu, denn der Chef schloss das Telefonat mit einer Art Appell: „Geben Sie Ihr Bestes! Sie schaffen das! Schönen Abend noch.“

Markowsky! Irgendwie war der Chef so etwas wie sein Yin und Yang. Er mochte ihn, er hasste ihn. Markowsky hatte Rauscher in seinen jungen Jahren bei der Frankfurter Mordkommission protegiert und aufgebaut, als den Hoffnungsträger der gesamten Frankfurter Kripo bezeichnet. Rauscher war damals überall angesehen gewesen, die Kollegen hatten Achtung und Respekt vor ihm gehabt. Die Lösung einiger spektakulärer Fälle ging tatsächlich auf sein Konto. Das wurde ihm hoch angerechnet. Gleichzeitig führte dies aber auch zu Überheblichkeit, sogar Übermut. Immer häufiger hatte er Alleingänge gewagt, die sein Leben – und das Leben anderer – gefährdet hatten. Zudem waren seine Ausraster legendär. Hin und wieder war er zu forsch vorgeprescht und hatte sich nicht im Griff gehabt. Trotzdem war alles gut gegangen, bis zu jenem Tag, an dem sein Leben eine entscheidende Wendung genommen hatte und seine Karriereaussichten einen herben Dämpfer erlitten hatten.

Es war während des Fluglärm-Falles geschehen. Rauscher hatte seine damalige Braut Elke vor dem Altar stehen lassen und war aus der Kirche geeilt, um eine potenzielle Selbstmörderin zu retten.

Das hatte gleich mehrere Hebel in Bewegung gesetzt und sowohl Elke als auch seine eigene Familie gegen ihn aufgebracht. Und nicht nur das: Seitdem war Rauscher Markowsky ein Dorn im Auge. Ausgerechnet Elkes Vater, der ehemalige Polizeipräsident von Hamburg, war ein Gönner und Vertrauter seines Chefs. Seitdem stand Rauscher unter besonderer Beobachtung und durfte sich nichts mehr leisten. Hinzu kamen die quälenden Momente, nachdem Elke mitsamt seinem Sohn Mäxchen nach Hamburg zurückgegangen war.

Wie konntest du mir das antun?, hatte Elke ihm vorgeworfen. Der Streit, die langen Monate, in denen er Mäxchen nicht einmal zu Gesicht bekommen hatte. Das zehrte. Mäxchen fehlte ihm so sehr. Und keine Hoffnung auf Besserung.

Wie konntest du mir das antun?

All das hatte sein Nervenkostüm strapaziert. Er war angeknackst. Wurde immer impulsiver. Einige Unbeherrschtheiten hatte Markowsky noch billigen können, aber als es nicht besser, sogar noch schlimmer geworden war, konnte das niemand mehr verschmerzen. Auch nicht Rauschers engste Mitarbeiter Krause und Thaler, die sich mehr und mehr von ihm distanzierten. Es folgte die Suspendierung nach einem schlimmen Aussetzer, als er Kollege Krause tätlich angegangen war, zugegebenermaßen in einer psychischen Ausnahmesituation. Dies konnte und wollte Markowsky nicht länger dulden.

In Rauschers Kopfkino lief alles noch einmal ab. Elke. Mäxchen. Seine Eltern. Markowsky. Immer wieder Markowsky. Die Suspendierung war absehbar gewesen. Und folgerichtig. Alles war aus dem Ruder gelaufen, aber zwischendurch hatte er Jana kennengelernt und nun saß er mit ihr im selben Boot. Er würde darauf achten, dass es nicht die Titanic werden würde. Im Gegenteil. Jana war Rauschers Glück. Seit dem Abgerippt-Fall, und ganz besonders in der letzten Phase, stand sie eisern zu ihm. Als Einzige hatte sie vorbehaltlos zu ihm gehalten, ohne Wenn und Aber. In etlichen Situationen hatte sie ihm nicht nur den Rücken freigehalten, sondern auch entscheidend dazu beigetragen, dass er die Fälle – trotz aller auftretenden Schwierigkeiten – schließlich lösen konnte. Das würde er ihr nie vergessen.

Natürlich vermisste er Mäxchen sehr, aber Jana gab ihm Trost und Halt. War Geliebte und Freundin. Mit ihr konnte er sich austauschen wie mit niemandem sonst auf der Welt.

Jahrelang hatte Rauscher geglaubt, dass er es vereinbaren könnte, Fälle zu lösen, pflichtbewusst zu sein und dabei trotzdem seinen eigenen Weg zu gehen und auch noch sein Privatleben auf die Reihe zu kriegen. Heute wusste er, dass es nicht unter einen Hut zu bringen war. Seine Maxime: ‚Sei ein guter Polizist und das Leben wird dir den Platz zuweisen, der für dich vorgesehen ist’, war ihm abhandengekommen. Zerbröselt vor seinen Augen. Das Leben hatte einen unvorhersehbaren Schlenker genommen. Er hatte zwischenzeitlich seinen Job verloren, aber dadurch Jana gewonnen. Er hatte geerbt, denn seine Tante Adelheid war gestorben. Und seine Familie stammte von der Frau Rauscher aus der Klappergasse ab, wie ein Ahnenforscher zweifelsfrei recherchiert hatte. Das alles musste er erst einmal verdauen.

Hinzu kam Janas derzeitige Situation bei der Wasserschutzpolizei im Osthafen. Vor einigen Wochen hatte sie dort ihren Dienst angetreten. Je-doch hatte sie immer nur sehr wortkarg geantwortet, wenn Rauscher sich erkundigt hatte, wie ihr der neue Posten gefiel. Das war sonst ganz und gar nicht ihre Art. Rauscher ahnte, dass nicht alles im grünen Bereich war. Sie biss sich durch, das spürte er. Aber gefallen schien ihr der neue Job nicht. Jedenfalls gab es dafür keinerlei Anzeichen. Um sicher zu gehen, musste er Klarheit gewinnen.

Doch nun gab es erst einmal eine neue Aufgabe, oder sogar zwei: Apfelwein-Botschafter der Stadt Frankfurt und Undercover-Ermittler. Er musste schmunzeln. Das Leben wäre wohl in ruhigeren Bahnen verlaufen, hätte es nicht kurz darauf eine Leiche gegeben. Ausgerechnet Joachim Adlhof, sein neuer Chef, den die Kripo eigentlich schützen wollte, indem sie Rauscher im Dezernat untergebracht hatte.

Rauscher schüttelte den Kopf. Er musste sich schleunigst um die Lösung des Falles kümmern. Dann erst war wieder Land in Sicht.

Der Apfelwein-Botschafter: Kommissar Rauscher 11

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