Читать книгу Der Apfelwein-Botschafter: Kommissar Rauscher 11 - Gerd Fischer - Страница 21
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ОглавлениеRauscher hatte auf dem Rückweg in die Innenstadt Magengrummeln und eine Idee. Er war vom Riedberg zielstrebig in die Schweizer Straße gefahren und kurvte mittlerweile seit zehn Minuten im Karree auf der Suche nach einem Parkplatz. Kurz vorm Aufgeben siegte die Aussicht auf einen Schoppen im Gemalten Haus, der Institution unter den traditionsreichen Apfelweinwirtschaften Frankfurts. Die Aussicht auf einen Mittagstisch und einen guten Schoppen war zu verlockend. Zudem konnte es als Apfelwein-Botschafter nicht schaden, vor Ort, quasi an der Front, Präsenz zu zeigen und ein Ohr am Puls der Zeit zu haben. Er erweiterte seinen Suchradius und schnappte sich kess eine gerade freigewordene Parklücke kurz vorm Südbahnhof. Von hier aus waren es nur knapp 400 Meter bis zur Wirtschaft.
Kaum hatte er die ersten Schritte hinter sich gebracht, zeigte ihm ein Ton seines Handys eine neue WhatsApp an. Er kramte es hervor. Sie kam von Jana. Er blieb stehen. Es war ein Foto. Blick aufs Meer, links war ein ellenlanger weißer Sandstrand zu erkennen. Am Horizont nichts als himmelblaue Weite. Jana hatte ihm das Bild kommentarlos gesandt, aber es war klar, worauf sie hinauswollte. Eine Art Wink mit dem Zaunpfahl. Ihm kam in den Sinn, dass er sich eigentlich um den gemeinsamen Urlaub kümmern wollte. Aber Jana musste doch wissen, dass er derzeit unmöglich einen Kopf dafür hatte. Was sollte er antworten? Rauscher überlegte. Er wusste, dass er in dieser heiklen Angelegenheit diplomatisch vorgehen musste. Die Kunst der Diplomatie zählte allerdings nicht zu seinen Stärken. Doch eines war ihm klar: Entweder Markowsky oder Jana würde er vor den Kopf stoßen müssen, egal, was er unternehmen würde. Deshalb schrieb er eine WhatsApp zurück, in der er vage blieb, die er aber trotzdem ansprechend fand: Ebbelwoi in der Sonne – ich glaub, ich bin urlaubsreif. Allerdings hinterließ seine Antwort auch ein merkwürdiges Gefühl in seinem ohnehin schon angegriffenen Magen.
Nichtsdestotrotz kam er gut gelaunt im Lokal an und erspähte einen freien Platz im großen Schankraum. Eine Frau im beigen, taillierten Businessdress und mit hochgesteckten Haaren saß am Nebentisch, hatte ihren Laptop vor sich stehen und tippte auf der Tastatur herum. Gebräunter Teint, strenge Gesichtszüge.
Muss sich verlaufen haben, dachte Rauscher und setzte sich.
Kaum hatte er Platz genommen, stand auch schon ein Schoppen vor ihm. Susanne, die Kellnerin, zwinkerte ihm zu.
Als sie sich an die Lady wandte, hörte Rauscher mit einem Ohr in hochgestochenem Deutsch: „Ich nehme einen alkoholfreien Süßgespritzten, bitte sehr.“
Rauscher zuckte unwillkürlich zusammen. Die Worte alkoholfrei und süßgespritzt allein waren schon kaum erträglich, in einem Satz klangen sie wie eine üble Kampfansage aus Gefilden, die der Hesse nicht kannte und nicht kennen wollte: apfelweinfreie Zonen jenseits der Landesgrenzen.
Alkoholfreier Apfelwein war für Rauscher wie Spaghetti Pesto ohne Basilikum, Handkäs ohne Musik, Frankfurt ohne die Eintracht. Es schüttelte ihn. Er ging vorsichtshalber etwas in Deckung, in Erwartung einer orkanartigen Erwiderung der Kellnerin. Die blieb aber aus, weil Susanne ein einmalig sonniges Gemüt hatte.
„Hammer ned!“ Die Stimme war geradezu sanft.
„Wie bitte?“
„Haben wir nicht.“ Susanne betonte nun jedes einzelne Wort. „Wer trinkt denn so ein Zeuch?“ Die Nachfrage hingegen klang schon etwas zackiger.
„Äh, ja, dann nehme ich ein … äh … Wasser.“ Die Ladystimme verlor ihr selbstbewusstes Timbre, zirkulierte zwischen Verunsicherung und Erbostheit.
Die Kellnerin drehte sich auf dem Absatz um und verschwand.
Rauscher nahm sich vor, ruhig zu bleiben und die Szene kommentarlos vorübergehen zu lassen. Sein Gesichtsausdruck musste jedoch ziemlich säuerlich gewesen sein, denn die Frau sprach ihn postwendend an.
„Geht’s Ihnen nicht gut?“
„Mir?“ Er wandte sich ihr zu.
„Ja, Sie wirken so …“
„Im Gemalten geht’s mir immer gut. Danke der Nachfrage.“
„Sind die hier immer so unfreundlich?“ Sie schaute in Richtung Theke, ihr Blick suchte die Kellnerin.
„Ein Hort der Freundlichkeit. Seien Sie froh, dass Sie Axel, einen ehemaligen Kellner, nicht kennengelernt haben. Die Freundlichkeit in Person.“
„Sie kennen sich hier aus?“
„War schon zwei-, dreimal hier.“
„Dann können Sie mir sicher was empfehlen?“
„Gerne. Einen Schoppen und ein Rippchen mit Kraut.“
„Ich bin Vegetarierin.“ Sie verzog den roten Lippenstiftmund.
„Dann Grüne Soße mit Eiern und Bratkartoffeln.“
„Ich esse seit einiger Zeit nur noch vegan.“
„Äh, ja! Dann könnte es kompliziert werden, fürchte ich. Mal sehen. Eine Portion Sauerkraut, einmal Püree und vorneweg einen Handkäs mit Musi…“
„Käse ist aus Kuhmilch …“
„Stimmt ja!“ Er fasste sich an den Kopf. „Dann nehmen Sie einfach eine doppelte Portion Sauerkraut und Püree. Da kann man nichts falsch machen. Und vergessen Sie auf keinen Fall den Schoppen, gell!“ Wie gerne hätte er jetzt mit einem Ebbelwoi-Experten ein wenig gefachsimpelt.
Die Business-Lady bedankte sich und gab kurz darauf, nach einem nochmaligen Blick in die Karte, ihre Bestellung auf.
Rauscher nahm einen weiteren Schluck und orderte sicherheitshalber gleich ein neues Glas. Gerade wollte er es sich gemütlich machen und sich endgültig zwischen einer Rindswurst und/oder einem Handkäs entscheiden, als er eine Geste hinter der Theke wahrnahm. Der Schankmeister winkte ihn zu sich.
Rauscher entschuldigte sich für einen Moment bei der Dame, erhob sich und ging die paar Schritte bis zum Tresen.
„Neulich, da hat einer hier an der Theke randaliert“, empfing ihn der Schankmeister.
„Einer?“
„Na so’n Bessergestellde halt.“
„Soll vorkommen mit besoffenem Kopf. Aber warum erzählst du mir das?“ Rauscher konnte sich keinen Reim auf die Offenbarung machen.
„Na ja, du bist doch in dem neue Dezernat …“
„Scheint sich ja rumzusprechen.“
„Und bist du auch zuständisch für die Ermittlungen im Fall Adlho…?“
„Das nicht“, unterbrach Rauscher ihn unsanft. „Aber meine Kollegen halten mich auf dem Laufenden. Wieso?“
Der Mann hinterm Tresen schaute sich verlegen um, als fühle er sich beobachtet, bevor er sich wieder an Rauscher wandte und sich konspirativ über den Tresen beugte, um ihm hinter vorgehaltener Hand etwas ins Ohr zu flüstern. „Isch will ja nix gesacht habbe. Aber der Typ neulisch, der hat sisch mächtig uffgerescht …“
„Uffgerescht?“, wiederholte Rauscher ungläubig.
„Bevor isch misch uffresch, is mers ja liewer egal. Aber der Typ, isch sach dir, immer wenn der am lauteste gebrüllt hat, is der Name ADLHOF gefalle.“ Wieder schaute sich der Schankmeister um, als habe er gerade etwas Verbotenes ausgesprochen.
Rauschers Aufmerksamkeit war mit einem Schlag geweckt. „Der Dezernent?“
„Richdisch, der Dode. Isch dacht, des interessiert disch.“
„Und ob.“ Rauscher schaute sich ebenfalls um und flüsterte über den Tresen: „Was ist an dem Tag noch passiert?“
„Der Gast saß die ganze Zeit da hinne.“ Er deutete zum allerletzten Tisch kurz vorm Durchgang zum Klo. „Und hat aan Schoppe nach em annere gepetzt. Als es dann Zeit für ihn worn is, isser ned heimgange, sonnern hat sisch hier, direkt vor misch, an die Thek gestellt. Und dann fing der Zinnober an. Adlhof dies, Adlhof das, Adlhof jenes. Der hat sisch ned mehr eigekriescht un nur noch auf den Adlhof gescholle! Und als isch dann in de Zeitung gelese hab, dass der Adlhof … du weißt schon … dann hab isch aans un aans zusammegezählt. Und jetzt kommst du!“
Rauschers Gesichtsausdruck zollte ihm Anerkennung. „Gut beobachtet“, kommentierte er. „Du weißt nicht zufällig, wie der Typ hieß?“
„Unn ob! Der ist hier bekannt wie en bunde Hund. Des war de Tino.“
„Tino, und wie weiter?“
„Fleißner.“ Der Schankmeister schaute Rauscher eindringlich an.
„Du tust so, als müsste ich den kennen?“
„Ei sischer doch.“
„Und woher?“
Der Schankmeister schnaubte in seinen Bart. „Frag doch am beste ma diese … diese Frau Bodenstock, oder wie die heiße dut.“