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DER PRIVATIER
ОглавлениеDer Habermeier Lorenz, von seinen Freunden nur Lenz genannt, hatte seine Schäfchen ins Trockene gebracht: Erfolgreiche Grundstücksspekulationen in jungen Jahren erlaubten ihm nun das Leben eines Privatiers. Und er ließ keine Gelegenheit aus, dies überall und jedem zu erzählen.
„Wir haben ein zweistöckiges Haus, ein paar übrige Euro und wenn wir morgens aufstehen, brauchen wir auch nicht zu fragen, wo das Geld für heute herkommen soll!“, sagte er meistens. „Wir fahren in den Urlaub und geben unsere alten Sachen weg, übrig bleiben uns noch etwa zwanzig Jahre auf dieser Welt, und da müssen wir auch nicht Hunger leiden. Aber glauben Sie nicht, dass wir uns darauf was einbilden! Ich nicht und meine Frau auch nicht! So, glaube ich, muss es um einen Privatier bestellt sein!
Was aber gibt es heutzutage für Privatiers? Eine Kellnerin, die während des Sommers in Tegernsee Fünfzig-Cent-Trinkgelder gesammelt hat, tut im Winter ihre Ersparnisse verprivatisieren, gewöhnlich reicht’s ihr bis zum ersten Faschingsball. Ein arbeitsloser Metzgergeselle kommt zum ersten Mal in den Donisl und pumpt seinen Freund um ein Bier und eine Brotzeit an und wenn der Andere fragt: ‚Wie geht’s dir, Kamerad?‘ Dann sagt derselbe: ‚Schlecht, Franz! Ich tu privatisieren.‘ So was Dummes! So einen Titel, wie den des Privatiers, kann man doch nicht so verschandeln! Glauben Sie, dass wir Rad fahren, mit der Trambahn fahren, bergsteigen, Pilze suchen oder Blumen pflücken? Wenn wir wo hingehen, dann fahren wir entweder selbst oder im Taxi, die Berge schauen wir uns von unten an, die Pilze werden im ewigen Licht gegessen und die Blumen holen wir aus dem Geschäft. So lebt ein Privatier und so kommt was unter die Leute.“
An diesem Tag erzählte er aber etwas ganz Anderes. Er berichtete am Stammtisch vom letzten Wochenende, das er in Garmisch verbracht, wo er eine Wirtschaft besucht hatte. „Gut war’s, teuer war’s, schön war’s!“, schwärmte er. „Unsereiner schaut sich seine Leute an und da hab ich gemerkt, dass die Frau Regierungsrat Sprudel getrunken hat, weil das Bier nicht nobel genug, der Wein aber zu teuer war! Eine Frau Doktor hat wegen ihrem schlechten Magen nur eine Suppe bestellt und zwei Stunden später in der Klamm, da hat ihr Magen ein Stück Bauernbrot und einen Underberg vertragen. Das hat mich verdrossen und schließlich hab ich mich sehr gefreut, wie ich im ‚Husaren‘ meinen Freund, den Franz, getroffen hab. Der hat schon weitem geschrien: ‚Ja, der Schorschi! Da, setz‘ dich her zu mir!‘
So begrüßt man sich auf Münchnerisch! So eine Anrede hat Stil und geht ins Blut. Am Tisch saßen lauter Norddeutsche und die haben die Ohren aufgesperrt, wie ich dann gesagt hab: ‚Der Plamp ist nicht übel!‘ Da fragt einer von denen, ob dies denn Deutsch sei. ‚Freilich‘, sagt der Franz, ‚das heißt gradsoviel, wie wenn Sie gesagt hätten, das Bier schmeckt gut!‘
Hier machte der ‚Privatier‘ eine Kunstpause und trank einen kräftigen Schluck. Dann wischte er sich mit der Hand den Schaum vom Mund und fuhr fort: „Ein einziger Mann hat die ganze Zeit über kein Wort gesagt und weil er so still war und einen halben Vollbart getragen hat, da hab ich gedacht, es müsste ein Engländer sein. Später, wie das Abendrot die ganze Zugspitze vergoldet hat, schläft der Engländer wie ein Pferd und die Anderen waren außer sich vor Freude.
Sowas kann ich nicht sehen und ich stoße meinen Engländer an und sag: ‚Uell, Meilord! Da schauen Sie mal!‘ Der Engländer macht die Augen auf und sagt: ‚Eichja! Nee, nee, meen Herzensgind, das is gestern Abend geradeso gewäsen. Ich bin nich so sähre eengenommen fier die Fälsensteene, denn letztes Jahr im Harz hab ich mir’n Stockschnupfen geholt, weil die Füße nass und een paar Stiebl total zerrissen worden sind. Wäre meene eenzige Carola nich eben als höhere Tochter in den Ferien, so säße ich weicher auf der Brühlschen Tärrasse, weeß Kneppchen. Den Engländer können Sie sich an een Bein schmieren!‘
Ich versteh‘ grad so viel von der sächsischen Sprache, dass ich mich ausgekannt hab, da bist halt ins Fettnäpfchen getreten und der Meilord hat dich grausam abfahren lassen. ‚Sie‘, sag ich, ‚wenn Sie kein Engländer, sondern ein Sachse sind, dann rücken Sie doch gefälligst ein paar Plätze weiter, sonst lass ich Sie in Papier einwickeln und vierzehn Tage im Panoptikum als Rarität ausstellen, Sie Malefizfretter und reisender Handwerksbursch! Maskiert sich der Typ wie ein Engländer, dabei lebt er vom Flicken von Regendächern, der Hungerleider! Dagegen haben die Anderen nun lautstark protestiert und mich darüber aufgeklärt, dass der imitierte Engländer in Wirklichkeit so was wie ein Privatier sei. Meinetwegen darf es sein, wie es will, ich hab Ihnen schon erzählt, wie dieses Wort neuerdings abgewertet wird. Jedenfalls glaub ich nicht auf’s erste Mal, dass ein jeder ein Priviater ist, nur weil er sich so nennt.“
Wieder unterbrach er sich, um zu trinken. Jetzt erst stellte er fest, dass ihn die meisten seiner Zuhörer allein gelassen hatten. Nur noch zwei seiner engsten Freunde hatten bei ihm ausgeharrt.
„Was muss sich der Mensch auch so verstellen?“, murrte er starrköpfig. „Was hat so einer in den Bergen zu suchen, wenn es ihm zu Hause besser gefällt und warum spricht er nicht deutsch, so dass man ihn versteht? Ich hätte ihn keinen Handwerksburschen genannt, wenn ich gewusst hätte, dass er dasselbe Handwerk hat wie ich. Wer sagt denn unserem Dresdener, dass ich ihn beleidigt hab? Da müsste unsereiner ja das ganze Jahr über beleidigt sein.“
Da nun auch die beiden letzten Freunde gegangen waren, ohne sich auch nur zu verabschieden, lohnte es sich für den Lenz nicht mehr, weiterzureden. Also zahlte er und torkelte hinaus.
„Fährt man mal wohin mit dem Taxi, dann heißt es gleich: der Angeber! Trinkst du ein Gläschen Schampus statt Bier, dann heißt es: der Protzer!“, brummelte er vor sich hin. „Es ist schon ein Kreuz auf dieser Welt. ‚s wird Zeit, dass das wieder mal anders wird.“