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DER ZIMMERHERR
Оглавление„Wer sich heutzutage recht plagen und für’s eigene Geld sogar zum Dienstboten abwerten lassen will, der braucht von seiner Wohnung bloß ein Zimmer weiterzuvermieten. Dann hat er einen feinen Herrn in und außer der Wohnung. Der Hausherr denkt nur ans Steigern, weil man einen Zimmerherrn hat, der sowieso die ganze Wohnung zahlt. Der Zimmerherr glaubt, dass unsereiner nur wegen seiner auf der Welt ist und stellt Ansprüche, dass man aus der Haut fahren könnt‘. Für fünfzig Euro pro Woche verlangt so ein unverschämter Mensch ein Extrazimmer mit allen Bequemlichkeiten: ein Bett mit Sprungfedermatratze, ein Sofa, auf das er sich mit frischgeschmierten Stiefeln legt, eine Glocke aufs Nachtkästchen, dass er nur zu bimmeln braucht, wenn er am Sonntag um Zehne noch nicht aufstehen will und eine Maß mit drei Weißwürsten möcht‘ er, die unsereiner selbstverständlich holen muss.
Einen Euro möcht‘ er für eine Tasse Kaffee samt Brötchen zahlen und wenn man ihm das Zimmer heizt, dann fragt er ganz unschuldig, ob denn ein paar Euro pro Tag für die Heizung langen täten. Für die Bedienung zahlt er monatlich einen Zwanzger extra und dafür feuert er einem in der Frühe die Stiefel in den Gang heraus, die man ihm putzen soll. Seine Kleider lässt er überall herumliegen, denn so ein großer Herr kann sich ja nicht auf den Gang stellen und sie klopfen und bürsten, seine Zeit wird nach Stunden bezahlt – er ist ein Schlosser oder Schreiner, aber kein Hausknecht. Wenn er nachts um Eins nach Haus‘ kommt, dann stiefelt er herein wie ein Korporal von den Schweren Reitern und schmettert die Tür zu, dass die Fenster klirren. Das ganze Zimmer rutscht er durch, bis er die Stiefel herunterbringt und hat er nicht einen Affen mitgebracht, dann singt oder pfeift er: ‚Die Müllerin‘ oder ‚Trara-bum-dio‘.
Klopft man dann oder sagt man: „Sie, Herr Lorenz! Denken Sie doch, jetzt ist es gleich Zwei, um diese Zeit können Sie doch keinen solchen Lärm machen!“ Dann sagt er: „Was haben Sie denn? Meinen Sie vielleicht, ich wohne in einem Kloster? Mir wär’s genug! Für fünfzig Euro die Woche soll einer gewiss um Sieben auf Reue und Leid umschalten und ins Bett gehen. Wenn Ihnen was nicht passt, nur sagen! Die Frau Maier über zwei Stiegen im gleichen Haus verlangt nur vier Euro für’s Zimmer und der Einjährige über drei Stiegen hat für sechzig Euro noch ein Klavier dabei und altdeutsche Möbel. Ich bin so ein ganz einfacher Mensch, der sich mit allem begnügt, sonst hätte ich Ihnen neulich schon was erzählt, wie Sie mein Zimmer bloß gewischt, statt auf den Knien geputzt haben.“
So sind heutzutag die Leute und wo man hinschaut, lauter möblierte Zimmer für solide Herren mit freier Bedienung. Und wenn es noch ein bisschen dauert, kriegen die soliden Herren und die alleinstehenden Damen für fünfundzwanzig Euro sogar noch die Wäsche geliefert und am Sonntag eine Karte für’s Konzert – wenn Sie überhaupt noch wo wohnen mögen.“
So ereiferte sich der Mauerer Girgl, als er am Stammtisch gefragt wurde, was es denn bei ihm Neues gäbe. „Na ja“, räumte sein bester Freund hier ein, „das mag wohl sein, dass man sich mit derlei Leuten hart tun mag, aber deswegen kann man unbequem gewordene Untermieter auch nicht beleidigen oder gar schlagen, wie’s auch schon vorgekommen ist.“
„Nur langsam, Seppe!“, wehrte der Mauerer ab. „Gleich wirst du erfahren, wie es bei uns zugegangen ist. Also, am Sylvesterbend kommt der Mensch schon um Viere aus dem Geschäft nach Haus‘. Eine alte Bauhütte hinten im Hof nennt er ‚Geschäft‘, die Kinder haben sie ‚Baustelle‘ getauft. Meine Alte war grad beim Einkaufen und ich geb mich für gewöhnlich mit den Zimmerherrn nicht ab. Da höre ich, wie der Bursche drüben brummt und schimpft und alles hin- und herwirft, und denk darüber nach, was nur jetzt wieder los sein könnte. Auf einmal fliegen ein paar Stiefel aus seinem Zimmer heraus und direkt an meine Tür. Ich sag gar nichts und rühr‘ mich nicht. Eine Viertelstunde später kommt der Bursch, reißt die Türe auf und schreit: „Meinen Sie Vielleicht, heute ist der Ausnahmetag und da putze ich mir die Stiefel selbst, weil alles Feierabend hat und die Neujahrsnacht im Wirtshaus verbringt?“
Ich schau groß und klein über den frechen Ton und sag: „Meinen Sie vielleicht mich, Herr Nachbar?“ – „Natürlich, nicht den Erdbeertoni! Eigentlich in erster Linie Ihre Frau und wenn die verhindert ist, dann Sie! Oder glauben Sie, ich putz meine Stiefel selbst und zahl mein Geld für nichts? Sie sind sich gewiss auch nicht zu gut dazu, Sie tun sowieso nichts die ganze Zeit und lassen sich vom Staat ernähren, damit Sie unserm Herrgott die Zeit stehlen können.“
Das war die Antwort von dem Kameraden! Was sagst jetzt da, Seppe? Ich bin 62 Jahre alt, war 40 Jahre lang Kaufmann und hab nun ein kleines Vermögen beisammen. Da ist ein pensionierter Hüter im Vergleich zu mir ein Privatier, aber so geht es halt! Gottseidank hat meine Alte ein bisschen was geerbt, sonst wäre der Hungertyphus fertig! Also, dass ich zum Stiefelputzen nicht zu gut wär‘, so was kann sich auch nur ein ganz gemeiner Mensch zu sagen erlauben. „Was“, sag ich, „Sie Malefizlauskerl, Sie elendiger! Ich Ihnen die Stiefel putzen? Lieber geh ich zum Steinetragen auf meine alten Tage. Ausziehen müssen Sie auf der Stelle! Lernen Sie erstmal Manieren, Sie Frosch! Augenblicklich die Stiefel zusammenpacken, sag ich, sonst wird geschossen. So ein Mensch will auch noch aufdrehen! Heißt sich Techniker und kann grad noch einen Strich machen. Von einem Bauplan versteht er so viel wie ein Kalb von den Propyläen!“
Jetzt hat sich der Bursche verzogen, denn wenn mir einmal das Maul geht, dann gibt es nix mehr dagegen. Gleich eine halbe Studne später schellt es und ich mache auf. Steht ein Prachtmädchen draußen und fragt: „Ist der Herr Architekt Lorenz da?“ – „Ja“, sag ich, „Herzerl, da geradeaus wohnt er und Architekt lässt er sich von Freunden nennen, gebaut hat er zwar noch nix, so viel ich weiß, also is ihm auch noch nix zusammengekracht. Aber Einfälle hätte er schon wie der größte Baumeister! Gehen Sie vieleicht mit diesem Schmutzian in eine Sylvesterfeier? Dann nehmen Sie nur viel Geld mit, damit Sie auch wechseln können, denn der schindet die Laus um den Balg und möchte für ein paar Euro aus anderen Leuten Stiefelputzer machen!“
„Ja! Aber Herr Mauerer, dann ist ja der Herr Lorenz am Ende gar kein Architekt, wenn er so schoflig ist!“, schmollte das Mädchen. „Ein Schwammerling ist er und da hinten in der Bretterbude lernt er das Zeichnen. Verstehen Sie mich?“ – „Dank schön! Der soll allein auf die Sylvesterfeier gehen!“, rief sie und weg war sie.“
„Donnerwetter!“, staunte sein Freund. „Da bist du aber ganz schön hantig geworden, Girgl, so kenn ich dich noch gar nicht!“
„Stimmt!“, gab der Mauerer Girgl zu. „Aber diesmal hab ich mich halt wirklich geärgert. Was zuviel ist, ist zuviel! Es geht übrigens noch weiter: Ich mache abends meinen Punsch, das gehört sich ja so am Sylvesterabend. Um halb Eins gehen wir ins Bett und gegen Viere kommt der Herr Lorenz mit einem Mordsrausch heim und singt: ‚Muss i‘ denn, muss i‘ denn zum Städtele hinaus...‘ Ich hätte nichts gesagt, aber er hat an meiner Tür angeklopft und gebrüllt: „Ein gutes Neujahr! Morgen ziehe ich aus! Nicht eine Stunde möchte ich länger in einem Haus wohnen, wo der Hausherr einem das Mädchen vertreibt, so ein Bazi, ein alter!“
„Was?“, sagt meine Frau, „in solche Sachen mischt du dich auch noch ein? Jetzt wird es ja allweil schöner, schämst du dich nicht mit deiner Platte?“ Ich springe aus dem Bett und karbatsch meinen Zimmerherrn so aus der Wohnung, dass er selber gesagt hat, das neue Jahr geht schön an.
In der Frühe hat ein Gepäckträger dann seine sieben Zwetschgen abgeholt und da hat mich der Mensch wegen Beleidigung und Körperverletzung angezeigt. Den Gift und Ärger möcht ich nicht mehr für hundert Euro erleben, den ich da empfunden hab...“
Gut hatte er geredet, der Mauerer Girgl, jetzt waren auch alle anderen am Tisch überzeugt, ihre Sympathien gehörten ihm. Auf so einen Zimmerherrn konnte man wirklich verzichten und selbst, wenn er ein Millionär wäre. „Kreuzsaxendi!“, sagte der Sepp, „da wär‘ ja der der Herr und du der Stiefelputzer. Nein, so was geht wirklich zu weit! Ich sag’s ja: Die Welt heutzutage ist auch nicht mehr das, was sie einmal war!“