Читать книгу DER GRANTLHAUER - Gerd Frank - Страница 7
EIN MÜNCHNER MIT HERZ
ОглавлениеAm Stammtisch saß eine fröhliche Runde, als ein magerer, ältlicher Mann, den man hier noch nie gesehen hatte, hereinkam. Unaufgefordert begann er zu reden und machte dabei eine theatralische Gebärde: „Meine Herren! Sagen Sie selbst, wo in der Welt trifft man so viele Menschen mit Gemüt wie hier in München? Schließlich heißt es überall, das ist die Weltstadt mit Herz! Da sitzt man im Wirtshaus und redet und deutet nix, da kommen nach und nach drei oder vier Blinde und man ärgert sich vielleicht ein bisschen darüber, dass man pausenlos das Portmonnäh ziehen muss – doch ein jeder kriegt ein paar Zehnerl. Dann kommt ein Mädel, hebt die Hände auf und sagt: ‚Bittgarschön!‘ Vielleicht warten draußen die Eltern auf die Kleine und das, was sie so zusammenbettelt, macht auch nix – ich schieb ihm ein Hausbrot hin und lass‘ es von meinem Bier trinken, schon hab ich mein Vergeltsgott.“
Er machte eine kleine Verschnaufpause, kümmerte sich nicht im geringsten um die erstaunten und fragenden Blicke seiner Tischnachbarn und fuhr eifrig fort: „So geht das weiter mit ‚Zigarren-Zigaretten‘, Feuerzeugen, ‚Heiße Maroni!‘, ‚Nüsse, meine Herren, Nüsse!‘, Radieschen, Lotterielosen, Kalendern, Socken und Taschenmessern, Zuckerbrezeln, Bürsten, Zeitungen und so weiter. Haus und Hof könnte man kaufen und sogar heiraten im Wirtshaus. So schaut es in München aus!
Würde man nichts geben und keiner was kaufen, dann könnten die Händler kein Geschäft machen und wohl gar nicht existieren. Aber tausend Mal sagt man: Ich geb nix! Meine Ruhe wil ich haben! Fahr ab, Kundschaft! Am Ende hat man halt doch ein weiches Herz und fasst ins Portmonnäh, weil man nicht so sein kann.“
„Warum erzählen Sie uns das eigentlich alles?“, fragte schließlich einer der drei Zuhörer und man merkte, dass er unwillig geworden war. „Damit haben doch wir nichts zu tun!“
„Nur Geduld, mein Herr!“, antwortete der Münchner mit Herz. „Was mir passiert ist, könnte auch Ihnen passieren. Darum hören Sie zu: Eines Abends kommt ein Bettler in meine Stammwirtschaft und möchte ein bisschen was, damit er sich ein Nachtquartier leisten kann, wie er sagt. Ich war selbt einmal auf Wanderschaft und weiß, wie einem da zumute ist. Ich richte einen Fünfer her, da kommt der Wirt, verlangt die Papiere von dem Mann, schaut sie sich an und sagt: ‚Bei mir wird nicht gebettelt, schau, dass du eine Fliege machst.‘ So etwas ärgert mich. Wenn der nix hergeben will, braucht er sich auch nicht die Papiere anzuschauen. Ich ruf gleich: ‚Da her, Mann‘, und geb ihm jetzt extra das Geld. Jetzt sagt der Wirt, dass er das nicht leiden will und ich tät die Lumperei noch unterstützen.“
Die Erinnerung an diesen Vorfall schien ihn in Rage zu versetzen, denn plötzlich schlug er mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser tanzten.
„Ich hab ein weiches Herz und Gemüt, aber wenn man mir so kommt, werde ich sauer. ‚Was?‘, sag ich, ‚wie meinst du? Recht hast du, die Lumperei unterstütze ich schon, seit ich in deine Wirtschaft komm und dein Bier trinke, du Dreckspatz.“
Nun mussten die Männer der Stammtsichrunde doch lachen. Die Erzählung war zu komisch, der Zorn des Mannes schien mittlerweilen auch wieder verraucht zu sein.
„Wissen Sie, ich bin ein Münchner und hab ein Gemüt. Vor allem aber will ich meine Ruhe haben.“
Sprach’s, zahlte und verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war.
Er hatte offensichtlich nur das Bedürfnis gehabt, sich irgendwo den Ärger von der Seele zu reden.