Читать книгу Radpilgern Extrem - Gerd Lange - Страница 3

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Vorwort

So, was passiert denn noch so spannendes Ü 50. Das tagelange Durchfeiern geht schon lange nicht mehr. Selbst die noch so kleinsten Blessuren und Prellungen dauern immer länger, bis sie abklingen. Die Ohren zu bügeln, wird mir immer wichtiger. Meine letzte Fratzenfackel habe ich vor Jahren ausgemacht und jetzt lebe ich in totaler Zigarettenabstinenz, was sich auf dem Kilomessgerät bemerkbar macht. Die Hosen, die noch vor vielen Monden passten, reißen auf einmal im Schritt. Meine Frau wäscht die Hemden im Bauchbereich viel zu heiß und mein Bauchnabel entfernt sich unaufhaltsam immer weiter von meiner Wirbelsäule.

Ich hetze von einer Place To Be Veranstaltung zur nächsten, um vor allem mit denen, die da sind und sein müssen, im Vordergrund zu stehen und die Veranstaltung eher zweitrangig ist. Beim Feiern mit guten Freunden allerdings ist letzteres unberechtigt.

Wie hieß es doch so oft: >> So jung wie heute kommen wir doch nie mehr zusammen. <<

Lecker Bierchen, lecker Essen und noch mehr leckere Bierchen. Dazu Chips und Flips und noch ein- zwei - drei Schnäpschen runtergekippt. >>Herrlich! <<

>>Was geht es uns gut und wieder greift das Motto: Lieber zu viel trinken, als zu wenig schlafen. <<

Ich fahre doch mindestens zwei Mal pro Woche mit dem Rad 50 – 100 Kilometer und doch werde ich immer runder.

Der Arzt hat erhöhte Cholesterinwerte, Bluthochdruck und vor kurzem noch ein Barett - Syndrom diagnostiziert. Mein Kreuz ist vom vielen Schleppen der Heizungskessel und der Gussbadewannen nicht mehr belastbar. Von daher kann ich meinen erlernten Beruf schon lange nicht mehr ausüben. Der Lungenarzt teilt mir mit, dass meine Werte so schlecht seien und dass ich ohne Sport längst nur mit dem Rollator unterwegs wäre.

Menschen, die mir ständig komisch kommen und immer wieder mit negativer Energie die gute Atmosphäre kontaminieren, möchte ich am liebsten von meiner geistigen Festplatte formatieren. Aber zu meinem Glück kann ich diesen unumgänglichen Restbestand an einer Hand abzählen. Alle anderen wurden schon über die Jahre, wegen Mangel an Wichtigkeit, von der großen Liste gestrichen.

>>Less is more<< Das klingt nur scheinbar paradox. Denn heute wende ich das Prinzip an, um in allen Aspekten des Lebens Unnötiges zu entsorgen und tatsächlich nur das Wichtige zu behalten.

Seit vielen Jahren bin ich mit einer liebenswerten Powerfrau, die mir sehr viel Raum für meine diversen Exkursionen lässt, glücklich verheiratet. Das Leben mit all seinen Facetten, den Höhen aber auch den Tiefen hat diese Ehe reifen lassen. Diese Liebesbeziehung ist für mich das Fundament meiner kleinen Familie. Alles ist eingespielt, funktioniert und somit können neue Inspirationen wachsen und Formen annehmen.

Ich habe zwei gesunde und fantastische Kinder, die weder Alkohol noch Drogen konsumieren. Diese >>MEINE<< Familie ist mir das Wichtigste und bildet meinen Lebensmittelpunkt. Im erzieherischen Umgang mit meinen Kindern achtete ich stets darauf, sie eher “antiautoritär“ zu erziehen.

Der tägliche Drill, das bedingungslose Ausführen von Befehlen, die immer mit den Worten:

>> „Ja Sir, Papa Sir“<<,

lautstark beantwortet werden müssen, habe ich gut vermeiden können und sie hatten bei meinen Kindern keinen Stellenwert. Meiner Meinung nach entwickeln sich Persönlichkeiten nicht durch blinden Gehorsam. Auf diese Art macht man sie allenfalls funktionstüchtig, aber sie werden dann fast immer nur mit dem Strom schwimmen.

>>Ich denke, nur ein freier Geist, der sich durch eine gute wertschätzende Erziehung entwickelt und ausbildet, wird die Quelle erreichen<<

Mein guter und weltoffener Freundeskreis, der bis auf wenige Ausnahmen am Puls der Zeit lebt, ist eine Bereicherung für mich und mein Leben. Und eins sei gesagt:

>> „Jeder darf mich gerne dafür beneiden!“<<

Ursprünglich wollte ich schon vor einigen Jahren, nach dem Lesen des Buches eines bekannten deutschen Entertainers, den Spanischen Jakobsweg mit dem Rad erleben. Die Suche nach geeigneten Mitstreitern aus meiner Selbstfindungsgruppe „Up se Kumme“ scheiterte bereits nach einer kurzen 50 Kilometer Teststrecke aus gesundheitlichen oder später aus zeitlichen Gründen.

Angeregt von Radfahrern, die ich ein Jahr zuvor am Nordkap traf die auch mit dem Fahrrad zum Nördlichsten Teil von Europa gestrampelt sind, fasste ich den Entschluss, die Strecke von zu Hause aus zu starten.

Vom schönen Hilden, entlang des Rheins und der Mosel, über Frankreich mit sehr vielen Bergstrecken nach Spanien, bis hin nach „Santiago de Compostela“.

Hierbei sollte aber nicht das Pilgern im Fokus stehen. Mich reizten vielmehr der sportliche Aspekt und die Frage, wie lange ich für die knapp 2900 km mit meinem zarten Alter von 53 Jahren wohl brauchen würde?

>>Da ich im Hier und Jetzt lebe, möchte ich meine Wünsche und Träume jetzt leben und realisieren, nicht erst später, denn später kann es zu spät dafür sein. <<

Nach jahrelanger Vorbereitung sollte es dann im Jahre 2013 losgehen. Ich wollte meinem Körper und meinem Geist das zurückgeben, was ich ihnen über Jahrzehnte abverlangte. Also lautete meine Devise: Kein exzessiver Alkoholkonsum mehr, nur noch Wasser. Keine fetten Nahrungsmittel mehr und ausschließlich gute Kohlenhydrate sowie viele sekundäre Pflanzenstoffe.

>>Dürfte ja wohl nicht so schwer sein! Denke ich. Na ja mal schauen<<.

Ich werde eine fantastische Landschaft entlang der Rheinschiene und der Mosel erleben. Die Täler und Berge in Frankreich und Spanien sauge ich geradezu auf. Sie werden sich dauerhaft in mein Langzeitgedächtnis einbrennen.

Auf der Tour sollte ich viele interessante Menschen treffen. Wir werden wundervolle Gespräche mit viel Inhalt und Emotionen führen und wir werden gemeinsam singen, lachen und sogar ab und zu beten.

Meine anfangs rein sportlichen Beweggründe waren schnell hinfällig, da ich durch meine Übernachtungen in vielen Klöstern und anderen kirchlichen Refugien doch tiefer von der Christliche Religion berührt wurde, als ich es vermutet hätte.

Ich suchte imposante Gotteshäuser auf, die mir intensive Ruhe und Stille gaben. In ihnen konnte ich die teils hohen heißen Außentemperaturen vergessen und immer wieder in angenehm kühler Atmosphäre meditieren. Eine wahrhafte Quelle der Entspannung und des Kräftetankens.

Am Ende waren es 31 abwechslungsreiche Tage mit vielen Höhen aber auch mit einigen Tiefen. Teilweise verlangte ich mir Leistungen ab, die an meine physischen Grenzen und leider auch darüber hinausgingen. Ich hatte viele grenzwertige Situationen und Herausforderungen, bedingt durch Wettereinflüsse aber leider auch durch menschliches Unvermögen, zu bewältigen.

In dieser Zeit dachte ich, viel mehr als sonst, über meine Gegenwart und Vergangenheit nach. Gerade meine Vergangenheit brachte Erlebnisse von Unterdrückung und Erniedrigung in Erinnerung. Ich hatte auf der Tour den Kopf frei und konnte mir endlich mal die Zeit nehmen, um diese Übergriffe für mich zu bedenken und sie möglicherweise ein Stück „aufzuarbeiten“.

Denn schreckliche Geschehnisse haben in meinem Kopf immer noch einen kleinen Bereich belegt und diese geistige Müll-Ecke will ich für ein letztes Mal sortieren.

Die geraubte Kindheit und vor allem die offene Gewalt meines Erzeugers, der ein kranker, brutaler Psychopath war und mir und meinen vier Brüdern aufs schändliche einbläute, dass wir nichts sind, gehört für mich noch Mal verarbeitet und danach für alle „Ewigkeit“ aus dem Gehirn verbannt.

In meinen Erinnerungen taucht meine Jugend in den Holzbungalows auf, die Kräftigung und Steigerung meines Selbstwertgefühls durch den jahrelangen Kampfsport, aber auch, und dies ist mir besonders wichtig, die tausend schönen Stunden mit vielen Freunden und den mit ihnen durchfeierten Nächten werden sich wiederholt und mit Freude vor meinem inneren Auge auftun.

>>Wichtig ist es mir, dass ich es mit mir aushalte und immer wieder aufstehe, egal, „was war - was ist- und was kommt“. <<

Ich werde bemerken, dass ich mich zurückzunehmen bzw. mich nicht immer so wichtig nehmen muss bzw. brauche. Diese Einsicht half ungemein und das nicht nur in kritischen Situationen.

Alles in allem machte ich eine fast überirdische Erfahrung, die ich jedem empfehlen kann. Wobei weniger die Dauer wichtig war, als mehr das Umsetzten des Vorhabens, seinen Körper noch mal so intensiv zu spüren und sich zu fordern. Den inneren Schweinehund, und das nicht nur für zwei Stunden, „Paroli“ zu bieten war für mich entscheidend.

Mir war es vor allem auch wichtig, nicht alles zu planen und straff durchzuorganisieren, sondern auf gegebene Situationen und Herausforderungen zu reagieren, wenn sie sich stellen.

Nach dem sich das anfängliche Teilnehmerfeld ja auf null reduzierte, wollte ich dann auch unbedingt alleine fahren und das nicht nur wegen meines eigenen Biorhythmus‘.

Soziale Kontakte hatte ich auf meiner gewählten Route ohnehin genug. Unbekannte sprachen mich schon nach kurzer Zeit an und fuhren eine Zeitlang mit mir. Wir tauschten uns aus und brachten uns jeder auf seine Art mit seinen ganz eigenen Erfahrungen ein. Und wenn nötig, ließen die Menschen mich auch schnell wieder in Ruhe.

Schon bald als ich mich in Frankreich und Spanien auf dem Pilgerweg befand, sollte ich einige wenige Radfahrer auch wieder treffen.

Auch die Fußpilger waren sehr interessante Gesprächspartner, denen ich mich nach kurzer Zeit auch nicht mehr entziehen wollte und wie ich empfand, entziehen musste.

Mir begegnete immer mal einiges an interessanter Historie. So tauche ich z.B. ein wenig ein in die Geschichte der Reconquista und die Vertreibung der Mauren. Dies hätte ich gerne auch intensiver gemacht, aber ich hatte ja ein Ziel vor Augen und nicht unbegrenzt Zeit.

Alles das hat Suchtpotenzial. Und nicht nur jeder Adrenalin Junkie kommt voll auf seine Kosten. Auch für Breitensportler, die schon immer den Kick gesucht haben, bleibt nach einer Tagesetappe kein Wunsch nach „ja-da-geht-doch-noch-was“ offen.

Aber eines kann nicht verschwiegen werden, denn manchmal hing ich wirklich knietief im emotionalen „Analkuchen“ und das ein oder andere Mal drohte die geistige Umnachtung. Dann schimpfte ich viel und fragte mich: >>Eigentlich bist du dumm wie ein Stück Toast. Nein schlimmer noch, das Teil kann schimmeln und was kannst du? <<

Schlussendlich bleibt die Einschätzung, dass ich diese Tour nie missen möchte!

Für meine Tour habe ich mir folgendes Motto ausgedacht.

LIEBER ARM DRAN ALS RAD AB“

Radpilgern Extrem

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