Читать книгу Oktoberstürme - Gerd-Rainer Prothmann - Страница 11
Оглавление9.
Isabela war erst zwei Tage verschwunden. Und er vermisste sie schon.
Die kurzen Zeit ihrer Beziehung war nie etwas anderes als ein vergnügliches und entspanntes, vor allem sexuell reizvolles Verhältnis gewesen. Er war einfach gern mit ihr zusammen. So ordnete er für sich seine Beziehung zu Isabela ein. Aber es gelang ihm nicht vollkommen. In einer tief vergrabenen Schicht seines Bewusstseins protestierte ein dünnes Stimmchen gegen den üblichen Mechanismus seiner Beziehungsangst. Aber er stellte sich taub.
Er fuhr zu der kleinen Bucht. Ging durch das Kiefernwäldchen hinunter zum Strand und setzte sich auf einen Felsen. Der Strand war fast leer. Ein ganz gewöhnlicher Wochentag. Und es wehte ein frischer Wind, der die Temperatur auf maximal 12 Grad drückte. Er stopfte sich seine Pfeife. Zündete sie an und rauchte.
Er musste sich eingestehen, dass er für seine Pläne auf der Insel noch immer keinen Schritt weitergekommen war. Natürlich auch, weil er dazu noch gar keinen Schritt getan hatte. Das lag nicht an Isabela. Es gab nichts, wovon sie ihn hätte abhalten können.
Wie hatte ihn etwas, was er nicht einmal wirklich liebte, so viele Jahre so komplett definieren können? Plötzlich war nichts mehr da. Dabei hatte ihn die Arbeit im Therapiezentrum mit den drogensüchtigen Jugendlichen mehr und mehr genervt. Ihre Unzuverlässigkeit. Die sehr überschaubare Quote der Nichtrückfälligen. Ihre Wehleidigkeit.
Es wäre eigentlich schon reizvoll, mal mit anderen Leuten zu arbeiten. Mit Erwachsenen. Aber er wusste auch, wie leicht es für ihn gewesen war, bei der Klientel ohne große Anstrengung Autorität zu haben. Bei der künftigen würde das wahrscheinlich nicht mehr so einfach sein.
Wie hatte ihn eine lockere Beziehung so binden können?
»Sie wird wohl nicht wiederkommen.«
Wie ertappt, weil es der Gedanke war, den er auch gerade hatte, drehte er sich um. Hinter ihm stand der Kommissar.
»Schleichen Sie hinter mir her?«, fragte er missmutig.
»Ich muss nicht schleichen«, lächelte der. »Sie scheinen mir nur gar nichts mehr wahrzunehmen.«
»Manche Leute kann man schon mal übersehen. Ist das strafbar?«, konterte Jan etwas humorlos.
»Nein, das nicht. Zigarette?« Er hielt Jan eine Schachtel Gauloises Rubio Rojo hin.
»Danke, ich rauche Pfeife«, wehrte der ab und hielt seine Pfeife hoch.
Und er meinte damit auch deutlich gemacht zu haben, dass er das gern alleine tue. Der kleine Kommissar war ihm von Anfang an auf die Nerven gegangen.
Es entstand eine längere Pause, in der beide rauchend in die Ferne schauten.
Es war tatsächlich reiner Zufall gewesen, dass Vargas ihm gefolgt war. Er hatte bei der Guardia Civil in Felanitx eine Besprechung darüber gehabt, ob das Paar Isabela und Bernd Balke bei der Polizei schon negativ aufgefallen wäre. Aber dort gab es keine Erkenntnisse oder Anzeigen. Die Anzeige von Jan Borsum war die erste gewesen.
Vargas hatte noch keine Lust gehabt, gleich nach Hause zu fahren. Seine Frau würde erst spät wiederkommen. Sie war zu einem Treffen mit anderen Kinderpsychologen nach Palma gefahren.
Statt der direkten Strecke nach Manacor hatte er die Caretera Felanitx-Porto Colom genommen. Er wollte im Waldrestaurant El Castillo Del Bosque etwas essen. Draußen. Unter Pinien.
Er war gerade fertig gewesen, als er beim Einsteigen den gerade auf die Straße Richtung Manacor einbiegenden Jan Borsum bemerkte. Ohne besondere Absicht war er ihm dann hinterher gefahren.
»Schön hier«, unterbrach Vargas schließlich die Pause.
»Hm«, murmelte Jan nur. Ohne die geringste Neigung zu einem Gespräch.
»Wie lange sind Sie jetzt auf Mallorca?«
»Knapp drei Wochen. Aber das wissen Sie doch längst!«
»Alles wissen wir leider nicht. Drei Wochen«, brummelte Vargas wie zu sich selbst.
»Die Bucht hier kennen, glaube ich, nur Eingeweihte.« Jan schwieg. »Wahrscheinlich kennen Sie Isabela Balke genauso lange. Oder sogar noch länger?« Jetzt reichte es Jan.
»Hören Sie, Herr Kommissar, ich habe keine Lust auf diese alberne Nummer! Noch mal zum Mitschreiben. Ganz langsam, damit Sie mich auch verstehen. Ich habe Isabela erst hier kennengelernt und es ist eine Art Verhältnis daraus geworden. Ich habe das größte Interesse daran, dass sie wiedergefunden wird. Und es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen!«
»Aber genau daran arbeite ich doch gerade«, lächelte Vargas geduldig.
»Dann müssen Sie ihrem Mann hinterherschleichen und nicht mir!«, schnauzte Jan ihn an.
»Warum meinen Sie das?«, fragte Vargas nach einer unerwartet langen Pause.
»Bernd Balke hat geschrien wie ein Verrückter. Bernd Balke hat sie beschimpft.
Bernd Balke hat sie vielleicht geschlagen. Und er glaubte vielleicht, einen Grund zu haben.«
»Welchen?«, hakte Vargas nach.
»Ich könnte ja auch einer gewesen sein.« Vargas sog an seinen Lippen, als schmeckte er diesen Gedanken zum ersten Mal ab:
»Da ist was dran. Aber er hat ganz offen zugegeben, dass sie sich gestritten haben. Wo haben Sie sich denn kennengelernt?«
»Bernd Balke und Isabela?«, fragte Jan irritiert.
»Nein, Sie.«
»Im Haus eines Freundes, das sie betreut.«
Als hätte er genau diese Antwort erwartet, bemerkte Vargas knapp: »Ja. Und seit sie verschwunden ist, haben Sie kein Lebenszeichen mehr von ihr erhalten?«
»Haben andere das denn?«
»Absolut nicht.« Vargas‘ Handy klingelte.
Er ging ein paar Schritte abseits und sprach sehr schnell und gedämpft. Jan schnappte davon nur das Wort »Capdepera« auf.
»Wenn Sie etwas hören, melden Sie sich bitte bei mir«, sagte er zu Jan, als er zurückkam. »Ich muss los.« Er drückte seinen Zigarettenstummel an dem Felsen aus, auf dem Jan saß steckte ihn in die Zigarettenschachtel, drehte sich um und ging. Im Weggehen sagte er über die Schulter zu Jan: »Nos vemos!«
* * *