Читать книгу Oktoberstürme - Gerd-Rainer Prothmann - Страница 8
Оглавление6.
»Oh Verzeihung«, klang es eher belustigt als bestürzt aus dem Wohnzimmer und ging in ein schallendes Gelächter über. Weil Jan sich etwas hektisch darum bemühte, seine Blöße mit einem Handtuch zu verdecken.
Er hatte mit niemand gerechnet.
Hatte sie bei ihrer ersten Begegnung nicht erzählt, sie kümmere sich nur jeden Monat um die Finca?
Für sein Alter hatte er eine gute Figur.
Er war über eins neunzig groß, joggte regelmäßig und war Träger des schwarzen Gürtels. Aber hinter seiner etwas großspurigen Fassade versteckte sich eine ausgeprägte Neigung zur Schamhaftigkeit.
Was seine Studienkollegen früher spotten ließ, er hätte nur deshalb Psychologie studiert, um diese Schamhaftigkeit zu überwinden.
»Tut mir wirklich leid«, traute sich Isabela wieder näher.
»Ich dachte, Sie rechnen ab und an mit mir.«
Für eine Spanierin war sie wirklich erstaunlich unbefangen, so wie sie seine Figur taxierte.
»Kann ich irgendetwas für Sie tun?«
Die Frage war in einem so deutlich unverfänglichen Tonfall gestellt, dass Jan nicht umhin konnte, sie als besonders doppeldeutig und frech zu interpretieren.
Dabei war er es gewohnt, dass Frauen ihn attraktiv fanden. Die hellblauen Augen. Das männlich kantige Gesicht mit der hohen, breiten Stirn. Das leicht gewellte dunkelblonde Haar mit den ersten grauen Strähnen über den Ohren. Selbst die etwas zu schmalen Lippen, auf denen immer ein leicht spöttisches Lächeln zu liegen schien.
Aber Isabela hatte seine Gedankenpause als Verneinung verstanden und war in die Küchenecke gegangen. Sie schraubte die leere Butangasflasche unter dem Gasherd ab. Ging mit der Flasche zu ihrem Wagen, kam mit einer vollen wieder rein und schloss sie an. Dann wusch sie das von ihm noch nicht weggeräumte Frühstücksgeschirr ab und stellte es weg. Danach begann sie, die Zimmer und Terrassen zu fegen. Jan nutzte die Gelegenheit, um sich Shorts und Poloshirt anzuziehen. Als sie fertig war, kam sie auf die Terrasse, setzte sich ohne Umstände zu ihm, drehte sich eine Zigarette und ließ sich Feuer geben. Um ihrem linken Arm schlängelte sich ein breiter silberner Armreif, auf dem gut lesbar der Name Isabela eingraviert war.
Eine einfache spanische Hausangestellte war das sicher nicht. Dafür sprach sie auch zu gut deutsch. Aber bevor Jan das erfragen konnte, stellte sie ihm Fragen.
»Machen Sie Urlaub hier?«
»Nein, ich bin dabei, hier neue berufliche Möglichkeiten auszuloten«, begann Jan etwas umständlich die Wahrheit zu umkurven. Er wunderte sich über den starken Rechtfertigungsdrang, den er dabei empfand. Sie beendete das aber knapp und treffend mit:
»Sie haben also keinen Job.«
»Stimmt«, bestätigte er lächelnd.
»Und was haben Sie vor?«
»Eine Praxis. In einem Gesundheitszentrum.«
»Zahnarzt und keinen Job?«, wunderte sie sich.
»Nein, Psychologe«, korrigierte er sie.
Einen kleinen Moment schaute sie ihn mit jenem etwas mitleidigen Blick an, der Karl Kraus' Pointe auszudrücken schien: »Die Psychoanalyse ist die Krankheit, für deren Therapie sie sich hält.«
»Ein Seelendoktor also.« Und es klang so, als müsste sie von jetzt an etwas vorsichtiger sein mit dem, was sie sagte.
»Nur Psychologe«, verbesserte Jan sie. »Kein Psychoanalytiker.«
Aber er war sich nicht sicher, ob sie den Unterschied für angenehmer halten würde.
»Was wollen Sie denn damit machen?«
»Psychologische Beratung. So was wie Lebensberatung.«
»Für wen?«
»Für Leute, die das brauchen. Und die sich das leisten können«, lachte Jan.
»Aha«, bemerkte sie nicht sehr überzeugt.
Seine mühsam antrainierte Sicherheit in Bezug auf diese Pläne fing jetzt schon an zu bröckeln.
»Ich muss noch ein paar Fincas machen«, sagte sie wie zur Entschuldigung und stand auf. Als wollte sie den Eindruck verwischen, sie hätte das Kartenhaus seiner Existenzgrüdungsfantasien zum Schwanken gebracht. Höflich erhob er sich mit ihr.
»Lassen Sie nur«, wehrte sie fröhlich ab »Ich kenne mich bestens aus.«
Sie winkte ihm noch zu und war schon verschwunden.
* * *