Читать книгу Greystone Manor - Gerda M. Neumann - Страница 14

Kapitel 7

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Lady Gaynesford war zurück. Im Augenblick sah sie ihre Post durch, anschließend würde sie sich mit Olivia zur heißen Schokolade zusammensetzen. Das hatte sie ausrichten lassen.

Olivia stand am Fenster der Bibliothek und ordnete ihre Gedanken auf dem Hintergrund der leeren Rasenfläche. Einerseits war sie erleichtert, die alte Dame wohlbehalten zurück zu wissen, auch wenn sie nicht ernsthaft daran gezweifelt hatte. Beim Einkaufen und im Konzert gab es für einen Giftmörder nicht allzu viele Gelegenheiten, über sein Opfer zu kommen. Andererseits war sie ratlos, wusste sie doch nach wie vor sehr wenig über die Menschen, die den Weg der Victoria Gaynesford begleitet oder gekreuzt haben mochten. Sie konnte die Werkentwicklung zunehmend nachvollziehen, auch etliche künstlerischen Einflüsse. Aber welche Menschen für ihr Schaffen von Bedeutung gewesen waren, welche Beziehungen zu Kollegen bestanden hatten oder noch bestanden, blieb ihr weiterhin verborgen. Über die fünf Jahrzehnte in England gab es viel Material, das von Ausstellungseröffnungen in Galerien und Museen berichtete, also Gelegenheiten, bei denen Kollegen sich getroffen hatten; sie wusste von zahlreichen offiziellen Besuchen in den verschiedenen Kunstakademien in England, auch von Auslandsbesuchen in diesen Zusammenhängen und konnte eine eindrucksvolle Liste von Künstlern zusammenstellen, denen Victoria Gaynesford begegnet war. Aber davon, welche privaten Beziehungen zu dem ein oder anderen bestehen mochten, hatte sie nicht die leiseste Ahnung. Sie wusste nichts über die Kindheit und Jugend in Belize und äußerst wenig über die Jahre in Mexiko bei Onetti. Das öffentliche und das private Leben waren mit einer Radikalität getrennt gehalten worden, dass Olivia sich versucht fühlte, darin den Gestaltungswillen der Künstlerin wiederzuerkennen. Für ihr inoffizielles Anliegen war Olivia dadurch allerdings nicht den kleinsten Schritt weitergekommen. Und somit stand sogar ihre Annahme, dass die alte Dame in London leidlich sicher ihren Unternehmungen nachgehen konnte, auf tönernen Füßen.

Mit einem kurzen Klopfen öffnete sich die Tür und Lady Gaynesford stand in der Bibliothek: »Liebe Miss Lawrence, ich hoffe, Sie haben den gestrigen Tag angenehm und zufriedenstellend verbracht?«

Die Unmittelbarkeit ihres Umgangs war sogleich wieder hergestellt. Sie tauschten sich über die letzten anderthalb Tage aus und gingen redend hinüber in den grünen Salon, jenen Raum, in dem die Bücher zur Kunstgeschichte standen. Hier wie in der Bibliothek liefen die Regale alle vier Wände entlang, soweit das möglich war. Doch außer an der Wand, in der sich der Kamin befand, waren sie nur halb hoch. Figuren standen auf den Regalen und an den hellgrauen Wänden hingen Bilder. Die Sitzmöbel waren einheitlich mit einem Efeumuster auf silbergrauem Grund bezogen und standen auf einem großen Teppich in jenem tiefen Grün, das Olivia in Lady Gaynesfords Schlafzimmer schon bewundert hatte.

»Ich nenne diese Farbe Wintergrün. Sie ist die Farbe des dunklen Taxus und der Himalayastechpalmen, die hier in England so wundervoll wachsen. Es war Ende Februar, als ich mit meinem Mann aus Mexiko nach England kam, und es war die Farbe dieser Pflanzen, völlig neu und wunderschön, die mir in jenen nebligen Spätwintertagen die Zuversicht gab, mich auf die unbekannte nördliche Welt einzulassen. Der wintergrüne Taxus erleichterte mir die Umstellung aus der Farbenpracht der immergrünen Tropen in die Abfolge der wechselnden Jahreszeiten mit den wechselnden Farben, die die Stimmungen im Garten und in der Landschaft so nachhaltig verändern. Und wiewohl die Menschen in ihren Stimmungen natürlich nicht von den Jahreszeiten abhängen, bleiben sie auch nicht völlig unabhängig von ihnen.« Sie lächelte. »Der unbeeinflussbare Ablauf der Jahreszeiten mit der bedingungslosen Sicherheit, dass im nächsten Frühjahr das Licht zurückkommen wird, hat in dem halben Jahrhundert, das ich nun in England lebe, seine Faszination behalten, gemeinsam mit der ewig offenen Frage, welchen Einfluss dieser Kreislauf auf die Menschen nimmt – aber bitte, setzen Sie sich, wo es Ihnen bequem ist.«

Wieder verteilte Dorothy kleine Tischchen, auch hier aus dunklem Holz, und brachte die heiße Schokolade. Olivia hatte das vorbereitete Geschirr im Esszimmer stehen sehen und sich im Vorbeigehen an den blauen Geistern erfreut. Jetzt hielt sie einen in der Hand und sah dem aufsteigenden Dampf zu. Während sie überlegte, ob sich aus dem eben Gesagten ein Anknüpfungspunkt für ihre Fragen ergab, ergriff Lady Gaynesford wieder das Wort.

»Miss Lawrence, unter meiner Samstagspost befand sich ein Brief des mexikanischen Kultusministeriums. Ein Angehöriger des Nationalmuseums für Anthropologie ist auf dem Weg nach London, um mit mir über Kunstgegenstände aus dem ehemaligen Besitz von Onetti zu sprechen. Es ist wahrscheinlich, dass er sich am Montag hier melden wird.« Sie saß sehr aufrecht auf ihrem Platz am Kamin. »Ich finde diese überstürzte und lapidare Vorgehensweise etwas befremdlich und gedenke, das die betreffenden Stellen auch wissen zu lassen. Davon abgesehen, ist dieser Señor Ramos für die diplomatische Seite wahrscheinlich nicht zuständig, also soll er es auch nicht büßen müssen.«

Sie trank vorsichtig einige Schlucke heißer Schokolade. »Da Sie für Ihren Artikel – ich bin wirklich dankbar, dass Sie diese Arbeit übernommen haben – das Werk Onettis, soweit es in meinem Besitz ist, ohnehin sehen sollten, schließlich war er mein Lehrer, der einzige in des Wortes voller Bedeutung und ganz sicher der wichtigste, also, weil das so ist, wage ich die Frage, ob Sie Dorothy und mir behilflich sein und den heutigen Nachmittag im Speicher verbringen würden. Ich gebe es ungern zu, aber Kisten auszupacken strengt mich in meinem Alter außerordentlich an und jeder Beistand wäre mir eine große Entlastung.«

Natürlich war Olivia einverstanden. Und so holte sie nach dem Lunch gemeinsam mit der Wirtschafterin eine fremdartige Figur nach der anderen aus Mengen von Papier und Holzwolle ans Licht. David kam vorbei und verschwand gleich wieder. Er wäre wohl auch keine Hilfe gewesen. Der Bereich, in dem man hier oben aufrecht stehen konnte, war zwar lang, aber doch ziemlich schmal und für mehrere Leute wenig geeignet.

Es vergingen etliche Stunden. Als Dorothy schließlich hinunterging, um ein kleines Abendessen herzurichten, stellte Olivia nach Lady Gaynesfords Anordnungen Onettis Figuren zu Gruppen zusammen, Schaffensperiode für Schaffensperiode. Seine Menschendarstellungen waren den altamerikanischen Vorbildern sehr nahe. Olivia stellte überrascht fest, wie außerordentlich schwer es ihr fiel, eine halbwegs sichere Vorstellung davon zu gewinnen, was die Figuren bewegte. Bei den Tierskulpturen schien es leichter, das war seltsam und am Ende eher eine Hoffnung als eine Erleichterung, wusste sie doch über die Mythologie des Alten Amerika sehr wenig.

Die alte Dame prüfte die Gruppierungen gewissenhaft und war mit dem Ergebnis zufrieden. Einige kleine olmekische und toltekische Figuren blieben noch zuzuordnen. Lange stand sie vor ihnen, ließ sich die eine oder andere heraufreichen und betrachtete sie mit einem Blick großer Konzentration, der gleichzeitig auf irgendetwas weit Entferntes gerichtet zu sein schien. Nach langem Schweigen wandte sie sich ab. »Wir können das so stehen lassen. Ich schließe jetzt für eine halbe Stunde die Augen, sonst bin ich Ihnen beim Abendessen keine gute Gesellschaft.« Sie neigte leicht den Kopf und stieg vorsichtig die Speichertreppe hinunter.

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