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II. Entwicklung des Konkurs-/Insolvenzstrafrechts auf europäischer Ebene[51]

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Der zusammenwachsende europäische Rechtsraum, die Globalisierung der Wirtschaft, gepaart mit dem Vordringen neuer Technologien in den Bereichen Computer- und Biotechnologie sowie auf dem Telekommunikationssektor, wirken sich auch auf den Deliktsbereich der Wirtschaftskriminalität aus.[52] Davon bleibt der Sektor der Insolvenzstraftaten nicht verschont. Die Europäische Union reagiert hierauf kompetenzbedingt infolge des Sondercharakters des Strafrechts als dem Inbegriff nationaler Souveränität insbesondere mit Maßnahmen außerstrafrechtlicher Art, deren Nichteinhaltung durch Sanktionsvorschriften – in der Regel Geldbußen der Mitgliedstaaten – geahndet wird. Dies soll der Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen in den sich entwickelnden Wirtschaftsbereichen und damit letztendlich dem Verbraucherschutz dienen. Daneben existieren aber auch Vorgaben gemeinschaftsrechtlicher Art auf dem Gebiet des Strafrechts, welche die einzelnen Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen und die Gerichte bei der Anwendung und europarechtskonformen Auslegung nationalen Rechts[53] zu beachten haben.

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Neben dem Verwaltungsrecht wirken sich die europarechtlichen Vorgaben somit auch auf das nationale Wirtschafts- und Verwaltungsstraf- bzw. Bußgeldrecht der einzelnen EU-Mitgliedstaaten aus.[54] So wird auch der Rechtsschutz innerhalb der Europäischen Union maßgeblich von den Auswirkungen der europarechtlichen Vorgaben auf das nationale Straf- und Strafverfahrensrecht geprägt.[55]

Insgesamt lässt sich im Bereich des Wirtschafts- und Verwaltungsstrafrechts auf dem Gebiet der Europäischen Union mit Blick auf die Ziele der Rechtssicherheit, -klarheit und -bestimmtheit ein bereits aus der Entwicklung der europäischen Integration bekanntes Streben nach Harmonisierung erkennen. Dieses zeigt die Notwendigkeit einer Annäherung der nationalen Strafrechtsordnungen auf und offenbart gerade innerhalb des Wirtschaftsstrafrechts das Bedürfnis nach einer Vereinheitlichung.[56] Gemeinsamkeiten zeigen sich bisher insbesondere in der Zusammenarbeit[57] der einzelnen Mitgliedstaaten bei der Kriminalitätsbekämpfung innerhalb der Europäischen Union. Dennoch ist die bereits erfolgte Angleichung des Wirtschaftsstrafrechts konsequent fortzuführen, um der wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen.

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Schließlich hat die Europäische Insolvenzverordnung[58] Bedeutung für das nationale Insolvenzstrafrecht. Der sachliche Geltungsbereich der EuInsVO umfasst alle „Gesamtverfahren“, die eine Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner und die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben. Welche Verfahren der Mitgliedstaaten diesen Anforderungen gerecht werden, regelt Anhang A der EuInsVO abschließend. In Deutschland sind das Insolvenz- und das gerichtliche Vergleichsverfahren sowie das Gesamtvollstreckungsverfahren betroffen. Was den persönlichen Anwendungsbereich anbetrifft, so sind die Insolvenzverfahren aller natürlichen und juristischen Personen erfasst. Nach Art. 4 EuInsVO ist das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung für die Bestimmung des Personenkreises maßgebend, über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren durchgeführt werden kann. Deshalb ist in Deutschland grds. auch die Verbraucherinsolvenz betroffen. Weitere Voraussetzung ist, dass dem Schuldner Unternehmensteile in mehr als einem Mitgliedstaat der EU gehören. Allerdings sind gem. Art. 1 Abs. 2 EuInsVO Versicherungsunternehmen, Kreditinstitute, Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Organisationen für gemeinsame Anlagen, für die Sonderregelungen gelten, ausgenommen.

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Zentraler Inhalt der Europäischen Insolvenzverordnung ist die Anerkennung fremder Insolvenzverfahren, wobei zwischen Hauptinsolvenzverfahren und Partikularinsolvenzverfahren unterschieden wird. Zwar sieht die EuInsVO ein einheitliches Hauptinsolvenzverfahren vor, dem das gesamte schuldnerische Vermögen in allen Mitgliedstaaten unterfällt. Es handelt sich um das Insolvenzverfahren, das dort, wo der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners liegt („center of main interest“, COMI),[59] eröffnet wird. Daneben lässt die EuInsVO jedoch die Eröffnung von räumlich auf das Gebiet einzelner Mitgliedstaaten beschränkter Partikularinsolvenzen zu, um besondere Interessen von Gläubigern in diesen Staaten verfolgen zu können. Dies ist dann der Fall, wenn der Schuldner in diesem Staat eine Niederlassung hat und ein in diesem Staat ansässiger Gläubiger gegen ihn oder die Niederlassung eine Forderung geltend macht. Eine vor Einleitung der Hauptinsolvenz eröffnete Niederlassungsinsolvenz wird Partikularinsolvenz genannt; sie wird, wenn die Hauptinsolvenz eröffnet wird, zur Sekundärinsolvenz.

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Die Haupt- und Niederlassungsinsolvenzen werden jeweils nach dem nationalen Recht des Eröffnungsstaates abgewickelt. Bei der Eröffnung einer Hauptinsolvenz in einem der Mitgliedstaaten entfaltet diese gem. Art. 17 Abs. 1 EuInsVO regelmäßig die von dem Recht des Staates der Eröffnung beigemessene Wirkung auch in den übrigen Mitgliedstaaten. Obwohl die Wirkung der Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens grds. territorial begrenzt ist, wird sie auch in den anderen Mitgliedstaaten gem. § 17 Abs. 2 EuInsVO anerkannt.[60] Daraus können sich mit Blick auf die objektive Bedingung der Strafbarkeit in § 283 Abs. 6 StGB[61] Bindungswirkungen ergeben. Die Erstreckung eines deutschen Hauptinsolvenzverfahrens auf das ausländische Vermögen des Schuldners hat auch dessen strafrechtlichen Gläubigerschutz für dieses Vermögen zur Folge. Verschiebungen ausländischer Vermögensteile und sonstige unmittelbar das Schuldnervermögen schmälernde und damit Gläubiger gefährdende Bankrotthandlungen im Vorfeld oder während eines Hauptinsolvenzverfahrens sind daher in Deutschland strafbare Tathandlungen, soweit die Voraussetzungen der strafanwendungsrechtlichen Regelung des § 7 StGB vorliegen.[62] Ob auch Buchführungs- und Bilanzdelikte, die im Ausland begangen worden sind, dem deutschen Strafrecht unterliegen, ist hingegen zweifelhaft. Grundsätzlich wird dem Hauptinsolvenzverfahren Vorrang eingeräumt, in dem nicht nur die Eröffnungsentscheidung nach Art. 16 EuInsVO automatisch gilt, sondern nach Art. 25 Abs. 1 EuInsVO auch für alle zur Durchführung und Beendigung des Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen des zuständigen Gerichts einschließlich eines Vergleichs gelten. Entsprechend kann auch der im Hauptinsolvenzverfahren bestellte Insolvenzverwalter in den anderen Mitgliedstaaten alle Befugnisse ausüben, die ihm nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung zustehen.

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Weiterhin kann das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen[63], das am 21.4.2017 in Kraft getreten ist und die Konzerninsolvenz neu regelt, Bedeutung für das Insolvenzstrafrecht erlangen.[64] Der Anwendungsbereich dieser neuen Regelung ist auf rein nationale Sachverhalte begrenzt, bei denen alle gruppenangehörigen Schuldner ihren Sitz in Deutschland haben. Ansonsten greift der Anwendungsvorrang der Art. 56 ff. EUInsVO ein, so dass die Europäische Insolvenzverordnung anwendbar ist. In der Praxis wird das deutsche Konzerninsolvenzrecht bei der kapitalistischen Personengesellschaft anwendbar sein, da diese nach § 3 Abs. 2 InsO ausdrücklich als Unternehmensgruppe erfasst ist und in der Regel keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweist. Die Vorschriften der §§ 3 ff. InsO ermöglichen die Koordination der Insolvenzen, indem die Trennung der Insolvenzverfahren über die einzelnen, zu einer Unternehmensgruppe gehörenden Schuldner eingeschränkt wird. Dadurch soll den Verflechtungen der einzelnen Unternehmen in der werbend tätigen Unternehmensgruppe auch im Insolvenzverfahren entsprochen werden. Rechtlich selbstständige Unternehmen bilden nach § 3a ff. InsO eine Unternehmensgruppe, wenn der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Inland liegt und sie durch die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses oder durch die Zusammenfassung unter eine einheitliche Leitung miteinander verbunden sind. Für die Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale ist im Wesentlichen § 290 HGB maßgeblich, einschließlich der unwiderleglichen Vermutung des § 290 Abs. 2 HGB. Liegt eine Unternehmensgruppe vor, so kann auf Antrag eines Schuldners ein Gruppen-Gerichtsstand beantragt werden, wenn der Schuldner für die gesamte Unternehmensgruppe nicht von untergeordneter Bedeutung ist. Voraussetzung hierfür ist, dass der Schuldner im Jahresdurchschnitt mehr als 15 % der Arbeitnehmer der Unternehmensgruppe beschäftigt und seine Bilanz mehr als 15 % der zusammengefassten Bilanzsumme oder mehr als 15 % der Umsatzerlöse der Gruppe beträgt (§ 3 Abs. 1 S. 2 InsO). Haben mehrere Schuldner den Antrag gestellt, so ist nur der Antrag des Schuldners zulässig, bei dem die meisten Arbeitnehmer beschäftigt sind (§ 3 Abs. 1 S. 3 Hs. 2). Folgen der Begründung eines Gruppen-Gerichtsstands sind eine Konzentration aller Gruppenverfahren bei einem Insolvenzgericht und das Erfordernis der Bestellung eines Insolvenzverwalters für alle gruppenangehörigen Schuldner (§ 56b InsO).

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