Читать книгу Insolvenzstrafrecht - Gerhard Dannecker - Страница 44
1. Krise als Oberbegriff
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Die Insolvenzdelikte im engeren Sinn[1] weisen die charakteristische Gemeinsamkeit auf, dass ein strafbares Verhalten stets das Handeln im Kontext einer wirtschaftlichen Krise des Schuldners voraussetzt.[2] Die Rede ist von krisenbezogenen Delikten[3]. So knüpft die Strafbarkeit in diesem Deliktsfeld – mit Ausnahme der Verletzung der Buchführungspflicht in § 283b StGB – stets an ein wirtschaftlich verantwortungsloses oder insolvenzträchtiges und in diesem Sinne pflichtwidriges Verhalten in einer Krisensituation des Unternehmens oder an die pflichtwidrige Herbeiführung einer solchen Schieflage an.[4] Aus der Kombination einer wirtschaftlichen Krise mit dem nicht mehr ordnungsgemäßen Wirtschaften ergibt sich das tatbestandliche Unrecht.[5] Unter dem Begriff der Krise versteht man die (drohende) Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung.[6] Im Bereich der §§ 283 ff. StGB setzt die Strafbarkeit zudem die Zahlungseinstellung, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder die Abweisung des Eröffnungsantrages mangels Masse nach § 283 Abs. 6 StGB als objektive Bedingung der Strafbarkeit voraus.[7]
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Die Krisenmerkmale der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) und der Überschuldung (§ 19 InsO) sind Insolvenzeröffnungsgründe. Ihre Funktion liegt darin, einen Ausgleich zwischen den Gläubigerinteressen und den Gesellschaftsinteressen zu schaffen: Die Antragspflicht soll nicht zu weit nach vorne verlegt werden, damit Erfolg versprechende Sanierungschancen wahrgenommen werden können. Sie darf aber auch nicht zu weit nach hinten verlagert werden, weil dann Gläubiger auf Kosten der übrigen Gläubiger befriedigt werden können, so dass eine geringere Insolvenzmasse verbleibt.[8] Diese Interessen sind bei der Auslegung der einzelnen Insolvenzantragsgründe zu berücksichtigen.[9]
Die Krisenmerkmale bezeichnen einen Zustand für die geschützten Rechtsgüter, der als besonders bedrohlich einzuschätzen ist.[10] In der Praxis können sich Schwierigkeiten hinsichtlich der Beantwortung der Frage ergeben, ob eine Krise im insolvenzstrafrechtlichen Sinne vorliegt.[11] Zunächst ist oftmals die Aufarbeitung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens in tatsächlicher Hinsicht nicht unproblematisch, wobei diese Analyse unumgänglich für die daran anschließende rechtliche Bewertung ist. Zudem ist der Einfluss der insolvenzrechtlichen Legaldefinitionen der §§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 2, 19 Abs. 2 InsO auf die Auslegung der §§ 283 ff. StGB streitig.[12] Eine vollständige Übertragung der dort geregelten Legaldefinitionen wird oftmals unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung befürwortet.[13] Insgesamt gestaltet sich die Handhabung der Krisenbegriffe schwierig, da zum einen bereits ihre insolvenzrechtliche Auslegung Probleme bereitet und zum anderen darüber hinaus die Möglichkeit einer Übertragbarkeit der insolvenzrechtlichen Krisenbegriffe der §§ 17 ff. InsO auf § 283 StGB nicht unumstritten ist.[14]