Читать книгу Insolvenzstrafrecht - Gerhard Dannecker - Страница 54

5. Keine strikte Insolvenzrechtsakzessorietät der Krisenbegriffe des § 283 StGB

Оглавление

87

Im Ergebnis wird klar, dass eine einheitliche straf- und insolvenzrechtliche Interpretation der Krisenmerkmale, zumindest im Sinne einer strikten Insolvenzrechtsakzessorietät,[153] zu verneinen ist.[154] Hierfür sprechen Erwägungen, die sich aus der Struktur sowie aus den Zielen des Insolvenzverfahrens im Vergleich mit dem Strafrecht ergeben.[155] So schützt das Strafrecht weder das gesamte Insolvenzverfahren mit allen Regelungseffekten, noch sind die jeweiligen Funktionen der Rechtsbegriffe identisch.[156] Schließlich darf nach § 16 InsO nur in den Fällen ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, in denen einer der in den §§ 17–19 InsO beschriebenen Eröffnungsgründe gegeben ist. Zwar knüpfen abgestuft auch die §§ 283 ff. StGB an diese Begriffe an, jedoch offenbaren sich bei genauerer Betrachtung Unterschiede: Während die §§ 283, 283c StGB bezüglich des Schuldners nicht differenzieren, unterscheiden die §§ 17–19 InsO sowohl bezüglich des persönlichen Anwendungsbereichs als auch hinsichtlich der Antragsbefugnis. Zudem soll die zivilrechtliche Eröffnung des Insolvenzverfahrens – anders als die Bewertung im Strafrecht – nicht als Makel, sondern als Chance für das Unternehmen verstanden werden. Eine strikt zivilrechtsakzessorische Interpretation der strafrechtlichen Krisenmerkmale liefe Gefahr, die aufgezeigten strukturellen und zielgebundenen Unterschiede zu vernachlässigen. Deshalb haben die §§ 17–19 InsO nur eine indizielle und keine bindende Wirkung für die strafrechtliche Auslegung und das Verständnis der §§ 283 ff. StGB.[157] Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber trotz oder gerade wegen der unterschiedlichen Ziele der Insolvenzreform eine Anschlusserneuerung der §§ 283 ff. StGB nicht für erforderlich gehalten hat.[158] Schließlich ist den spezifisch strafrechtlichen Anforderungen Rechnung zu tragen, so dass von einer funktionalen Akzessorietät gesprochen werden kann.[159] Dies hat den Vorteil, dass differenzierende, strafrechtsbezogene Lösungen gefunden werden können.[160]

88

Das ermittelte Ergebnis lässt sich am Beispiel der Überschuldung verdeutlichen. Trotz der in § 19 Abs. 2 InsO ausdrücklich normierten insolvenzrechtlichen Definition des Begriffs war mit Einführung der InsO für die strafrechtliche Anwendung ungeklärt, ob die Bewertung der Vermögenspositionen anhand einer Fortführungs- oder einer Zerschlagungshypothese zu erfolgen hatte.[161] Vor dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 1.1.1999 wurden teilweise die Fortführungswerte berücksichtigt. Argumentiert wurde, das reine „Going-concern-Prinzip“ ergebe sich zwingend aus dem In-dubio-Grundsatz. Von den Vertretern der gegenläufigen Ansicht wurde Realitätsferne moniert. So entspreche es in der Praxis eher der Ausnahme, dass ein insolvenzreifes Unternehmen weitergeführt werden könne. Daher schlug die Gegenansicht ein dynamisch-zweistufiges Modell, bei dem die vermögensrechtliche Bewertung entweder auf der Basis von Fortführungs- oder von Liquidationswerten vorgenommen werden sollte,[162] alternativ ein modifiziertes zweistufiges Prüfungsmodell vor.[163] Die bis zum 17.10.2008 geltende Fassung des § 19 InsO zielte auf eine frühzeitige Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab, wohingegen § 283 StGB eine Situation beschreibt, in der sich ein Schuldner durch bestimmte Handlungen strafbar macht, die entweder wirtschaftlich sinnlos oder zumindest gefährlich sind. Dieser Unterschied ist durch heute geltende Fassung des § 19 Abs. 2 InsO nivelliert, da durch den möglichen Ausschluss einer Überschuldung allein durch die positive Fortführungsprognose der Antragsgrund der Überschuldung durch das FMStG in seinem Anwendungsbereich sehr eingeschränkt wurde.[164] Letztlich geht es um die Abgrenzung von strafwürdigem zu solchem Verhalten, das gar kein strafwürdiges Unrecht darstellt.[165] Da es methodologisch um einen Fall der Relativität der Rechtsbegriffe geht[166], steht diesem Ansatz auch das Postulat der Einheit der Rechtsordnung nicht entgegen.[167]

Teil 1 Grundfragen des Insolvenz- und InsolvenzstrafrechtsD. Grundbegriffe der Insolvenz › II. Umfeldbedingungen

Insolvenzstrafrecht

Подняться наверх