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4.Kapitel

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Nach der Übernahme des Kopfberghofes blieb für Besitzerromantik wenig Zeit. Während der Hochzeit und auch Tage danach hatten alle Bauern dem frisch vermählten Ehepaar Hans und Maria Geyer jovial ihre Hilfe angeboten. „Fragt uns nur, wir helfen euch gerne“, hörten sie allenthalben. Doch als die erste Furche in den Boden gepflügt, die Saat ausgebracht war, kam nach der alles lähmenden Winterpause ein handfester Schub Feldarbeit auf alle zu. Keiner nahm sich mehr Zeit, einem anderen zu helfen. Jeder wollte als erster die eigenen Felder bestellen.

Auch Fritz der Stallknecht konnte nicht mit zusätzlicher Arbeit betraut werden. Die Last der jahrelangen Knochenarbeit hatte sichtbare Spuren hinterlassen.

Und zunehmend fiel Maria aus. Die Schwangerschaft mit den Zwillingen zehrte am fragilen Körper und forderte immer wieder längere Ruhepausen.

„Wir schaffen das alleine“, sagte Hans immer, wenn Maria ihn fragte, ob er nicht eine Hilfe nehmen wolle, für sie oder ihn.

Hans Geyer, der zum stolzen Bauern aufgestiegene Knecht, arbeitete täglich vom ersten Sonnenstrahl bis weit in die Nacht hinein. Dabei traf er zunehmend Entscheidungen, die er mit Maria nicht besprach und die ihr auch nicht gefielen. So, als er zehn neue Weizensäcke kaufte und mittels Schablone und Tusche in auffallend großen Lettern beschriftete:

Johannes Geyer

Landwirt und Soldat

„Dass du die alten, teilweise mit groben Flicken gestopften Säcke der Seifensiederin geschenkt hast um darin Tannenzapfen zu sammeln, finde ich richtig gut. Aber, dass du auf die neuen Säcke zu Landwirt auch noch ’Soldat’ schreibst, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, so verletzt wie du innen und außen nach dem Weltkrieg hier angekommen bist“, sagte Maria Geyer ruhig aber bestimmt.

„Das lass mal Männersache sein“, entgegnete Hans und ging wortlos in den aus einfachen Holzlatten gezimmerten Geräteunterstand. Dort stand ein kleiner Amboss auf einem Holzstock. Hier konnte er alleine werkeln.

Mittig über dem Amboss hing von der Decke eine Lederschlaufe. Da hinein hing er waagerecht den Stiel seiner Mähsense. Die Schneide konnte somit leicht auf dem kleinen Amboss aufliegen. Hans Geyer dengelte mit einem rund geschliffenen Hammer in gleichmäßigem Takt die Schneide flach.

In jeder Ecke des Hofes, im Stall, im Wohnhaus und darüber hinaus erklangen die Schallwellen. Allein der helle aber unterschiedliche Ambossklang ließ die unebenen Stellen im Sensenblatt verschieden erklingen, hörbare Materialstärke also, weit übertragen im ruhigen Dorf. Nach dem Dengeln holte er einen Schleifstein aus dem Köcher und wetzte die Sense so scharf wie ein Fleischermesser. Mit Daumen und Zeigefinger fuhr er vorsichtig über die Schneidefläche und begann wieder zu dengeln.

Diese Prozedur dauerte mehrere Durchgänge und Maria empfand, dass sich Hans vermutlich wegen ihrer Kritik an der Beschriftung der Weizensäcke, heute besonders lang mit dem Schärfen der Sense beschäftigte.

Abends nahm Maria ein neues Thema auf:

„Vielleicht bekommen wir zwei Christkindlein, ich würd mir es von Herzen wünschen, Hans. Babette meint, es könnte zu Weihnachten geschehen“, schwärmte Maria.

„Wegen mir gerne auch vor den Feiertagen, Hauptsache gesund“, entgegnete Hans rational.

Am nächsten Tag kürzte Maria Geyer ihren geliebten Haarzopf um die Hälfte damit sie ihn als Wöchnerin weniger pflegen musste. „Liebst du mich auch mit kürzeren Haaren, Hans?“ fragte Maria nach der Tagesarbeit.

„Warum denn nicht?“ kam die enttäuschende Gegenfrage.

Und Hans Geyer sollte auch zum Geburtstermin, ohne romantische Wunsch, das sachlich richtige Gefühl entwickelt haben: Vor den Feiertagen, am zwanzigsten Dezember, gebar Maria Geyer ein gesundes, hübsches Mädchen und eine Minute später einen prächtigen Jungen.

„Herzlichen Glückwunsch zu diesem seltenen Ereignis“, sagte Doktor Sengler, den die Hebamme aus Sorgfalt vor der seltenen Zwillingsgeburt eilig hatte kommen lassen.

„Schau her Hans, er hat bereits die gleich schwarzen Haare wie du. Und erst das Mädchen, ist sie nicht wunderschön?“

„Ja, Maria, stimmt. Doch nun ruh dich erst mal aus, schlaf ein wenig. Babette und ich halten Wache an deinem Wochenbett. Fritz wird heute die Tiere alleine versorgen.“

„Nein Hans. Bevor ich wegschlummere möchte ich noch gerne die Namen klären. Sollen wir dabeibleiben, wie wir uns besprochen hatten?“

„Ja, Maria, wir nennen sie Jakob und Anna, dann haben sie dieselben Anfangsbuchstaben wie Johannes und Maria.“

Zwei, drei Minuten später schlief Maria Geyer, der die schwere Geburt der Zwillinge viel Kraft abverlangt hatte, ruhig atmend und glücklich ein.

Hans Geyer ging am selben Nachmittag zum Schneidermeister Langer in der Bleichwiesengasse und bestellte neue Kleider:

„Hör her, Schneider, ich bin nun Bauer und Vater. Ich will nicht mehr Tag für Tag in den groben Leinenklamotten der Knechte rumlaufen. Nähe mir bitte für Sonn- und feiertags eine Weste aus glänzendem Samt, auf der Vorderseite mit zwei aufgesetzten Uhrentaschen. Dazu eine dunkelgraue Reiterhose aus feinstem Zwirn, mit seitwärts weit ausgestellten Oberbeinen und Verengung an Knien und Stiefelschaft.“

Bereits in der nächsten Woche ging Hans wieder zum Treffen des Kyffhäuser Bundes. Selbst die fast doppelte Arbeit ohne die Wöchnerin Maria hielt ihn nicht davon ab. Und ohne Gewissensbisse nahm er den frühen Feierabend wegen der langen Wegstrecke in kauf.

Am darauffolgenden Tag berichtete er merklich aufgewühlt, in einer ungewohnt kurzen Stakkatosprache seiner Frau:

„Ich hab mir einen Reservistenkrug bestellt. Ein Andenken an den Krieg gegen die Franzosen. Auf dem Zinndeckel steht aufrecht ein stolzer Grenadier. Der wirft gerade mit weitem Schwung eine Stielhandgranate. Derselbe Soldat ist in den halb transparenten Relief-Boden eingegossen. Die Namen all meiner Kameraden werden neben dem Griff einlasiert. Und oben, als Bordüre, läuft um den ganzen Krug der Spruch: Wer Frankreichs Grenzen hat bewacht, hat als Soldat was mitgemacht!“

Maria Geyer, die gerade leichtes Geschirr wegspülte, schaute entgeistert. „Hans, meinst du nicht, wir sollten das Geld sinnvoller ausgeben. Müssten wir nicht darüber nachdenken, wie wir uns die Arbeit durch Geräte oder Maschinen erleichtern können?“

„Die haben uns alles weggenommen! Alle Kolonien. Posen und Westpreußen an die Polen gegeben, Eupen-Malmedy an Belgien und Elsass-Lothringen an die Franzosen. Kohle und Eisen von Saar und Ruhr müssen in kilometerlangen Güterzügen an Frankreich geliefert werden. Damit kann und will ich mich nicht abfinden.“

Maria Geyer zuckte mit den Achseln. „Aber Hans, du weißt doch selbst besser als viele andere, dass unsere kaiserlichen Soldaten, dass du mit deinen Kameraden, auf belgischen und französischen Boden einmarschiert seid. Wir haben halt verloren, das sollten wir akzeptieren. Es muss auch mal Ruhe sein, mit den wechselseitigen Metzeleien über den Rhein hinweg.

Und noch mal, Hans, viel wichtiger für uns als Weltpolitik“, Maria Geyer trocknete die Hände am Küchenschurz und wackelte leicht mit dem Kopf, „ist unser eigener Bauernhof und Hans, wir sind glückliche Eltern. Wir müssen zwei sich wunderbar entwickelnden Menschen aus unserem Fleisch und Blut eine hoffnungsvolle Zukunft gewährleisten. Lass uns doch bitte darauf konzentrieren. Ja, ausschließlich darauf. Auf uns beide, unsere Kinder und unseren Hof. “

Die politische Welt der Zwanziger Jahre blieb unruhig. In den großen Städten Europas und Amerikas herrschte Massenarbeitslosigkeit und schnell um sich greifende Verarmung. Geduldig Schlange stehen wurde zum Synonym. Schlange stehen vor Kaufläden und stundenlang anstehen um Arbeit. Die weltweite Wirtschaftskrise verschlimmerte die Situation im besiegten Deutschland noch mehr und heizte Inflation und Lohndeflation an.

Ehrbare Demokraten gerieten in die Mühlen provokant verunglimpfender Schreihälse. Die Not wurde zum Geburtshelfer eingängiger Parolen und heizte den Siedekessel extremer Splitterparteien an.

„Alle mal herhören! Wir geben bekannt, dass heute Abend um Zwanzig Uhr eine wichtige Versammlung stattfindet!“ drang allenthalben durch Gassen und Straßen.

Paramilitärische Verbände, wie die SA der Nationalsozialisten, erhielten regen Zulauf.

Hans Geyer engagierte sich immer mehr politisch, Maria versuchte sonntags im Gottesdienst zu sich selbst zu finden und den Schutz für ihre Familie zu erbeten.

Vom nächsten Treffen des Kyffhäuser Bundes brachte Hans einen Zigarrenascher aus Steingut und eine Kaffeetasse samt Untertasse mit nach Hause. Auf allen drei Teilen war des Kaisers wehende Kriegsflagge in schwarz-weiß-rot gemalt, ein Eisernes Kreuz mit Lorbeerkranz in Gold und zierende Eichenzweige. Mittig, in markanter Runenschrift, ragte übergroß der Spruch heraus: In Treue Fest!

Maria, die heimlich und unverzagt daran glaubte, ihren immer noch geliebten Mann ändern zu können, kommentierte: „Hans, du bist doch gerne Bauer. Uns gehört ein Hof mit pflegeintensiven Äckern und Tieren. Dieser benötigt, das weißt du selbst, unser beider ganze Kraft. Unsere Themen heißen Saat, Ernte und Tierpflege und schlussendlich müssen wir uns um die Zahlungen an die Bank kümmern. Wir haben zwei liebe Kinder. Die Zukunft für unsere noch junge Familie liegt direkt vor uns. Hör bitte auf, den Soldaten zu spielen. Werde ein zufriedener und glücklicher Bauer!“

Hans Geyer schaute, ohne eine Antwort zu geben, unwirsch zu Boden und ging dann aus dem Zimmer.

Bereits die dritte Ernte der neuen Kopfbergbauern Hans und Maria Geyer überstieg alle Erwartungen.

„Ich wusste nicht, dass eine ertragreiche Ernte einfahren mehr Kräfte zehrt als nur pflügen und eggen,“ stellten die glücklichen Jungbauern fest, „unzählige Säcke mit Weizen und Gerste haben wir mit dem Hanfseil, über die Rolle am Giebel, in den Speicher im Dachgeschoss gehievt. Dazu den Bretterverschlag im Keller bis zum oberen Rand mit Erdäpfeln gefüllt.“ Das Schuldenkonto wurde schneller als vereinbart reduziert, Fritz erhielt zum Martinstag eine Extrazahlung und Maria konnte mit Hans nach Ulm fahren um eine Nähmaschine zu erstehen. „Unsere beiden Kleinen brauchen ständig neue Kleider, die wachsen und gedeihen wie unsere diesjährige Ernte“, begründete sie.

Anna und Jakob konnten bereits laufen und wurden für diesen Tag von Nachbarin Elfriede in Obhut genommen. „Mach ich gerne“, sagte diese, „die sind ja beide so lieb, das geht bei mir nebenbei.“

„Es ist schön Hans, mit dir in der Stadt zu sein“, sagte Maria in Ulm, „dies ist eine wunderbare Abwechslung. Solch einen Ausflug sollten wir uns jeden Herbst gönnen.“

„Aber um Fünf will ich wieder zu Hause sein, bin kein Stadtmensch und es wird bald dunkel“, entgegnete Hans Geyer und trat von einem Bein aufs andere.

Kurz nach Fünf waren sie tatsächlich wieder in Hattelfingen und zwei Wochen später wurde die Nähmaschine vom Händler angeliefert, auf einem laut knatternden, grün gestrichenen Lastwagen mit Holzspeichen und Vollgummireifen.

Alle Kinder in Hattelfingen liefen zusammen, um mit offenstehenden Mündern das selten im Dorf auftauchende Lieferfahrzeug und die fremden Leute aus Ulm zu bestaunen. Mit gebührendem Abstand beobachteten Buben und in der Reihe dahinter Mädchen, wie die gusseiserne Nähmaschine in den Kopfberghof getragen wurde.

Fahrer und Beifahrer erklärten in der sonst nur sonntags bewohnten Stube die neue Errungenschaft. „Kommen sie bitte her, wir wollen sie nun einweisen“, sagten einer der beiden Männer in grauer Arbeitsjacke und zeigte wie das Garn eingefädelt wurde, der Nähfuß angehoben und Vorwärts- und Rückwärtslauf des Stoffes eingestellt werden musste. „Weißes und schwarzes Garn haben wir mitgebracht, buntes müssen Sie beim Händler kaufen.“

„Umsonst mitgebracht?“

„Ja, umsonst, ist durch Vorführungen bereits etwas davon abgerollt.“

„Vielen, vielen Dank!“ Hans Geyer strich sich stolz seinen Zwirbelbart nach oben.

Alle standen sie staunend um die neue Nähmaschine. Fritz hatte die Heugabel zur Seite gelegt und zog die Schuhe aus um ins Wohnzimmer zu drängen. Hans und Maria Geyer schauten angespannt und erwartungsvoll, sogar Anna und Jakob hatten die aus Holz gezimmerte Eisenbahn in einen Tunnel aus alten Säcken geschoben.

„Ein technisches Wunderwerk“, staunte Fritz mit offenem Mund.

Maria zog einen Stuhl heran und setzte sich. Sie begann vorsichtig mit beiden Füßen das große Wipppedal zu betätigen, der runde Lederriemen setzte die gusseiserne Maschine auf dem Nähtisch in Gang und das eingelegte Perlmutt auf Gestell und Maschinenkopf schimmerte in vielerlei Farben.

Spät am Abend streichelte Maria über das dunkle Muttermal auf seiner Wange und flüsterte: „Hans, ich lieb dich.“

Am nächsten Tag ging Maria auf den Friedhof an der Kirche und sagte am Doppelgrab der ehemaligen Kopfbergbauern: „Ich danke euch für euer Vertrauen. Euch und Friederike, von der ich schon lange nichts mehr gehört habe.“

Maria Geyer blieb kaum Muse. Ein Knecht nur und Zwillinge, die begannen zu reden und zu fragen und einen Mann der sich zunehmend von der Familie weg, einer rechten Partei zu wand. Hin und wieder dachte sie an Zeiten zurück, als Mägde und Knechte in den ruhigen Wintermonaten im Kreis zusammensaßen, Instrumente erklingen ließen und gemeinsam Lieder sangen:

„Am Brunnen vor dem Tore,

da steht ein Lindenbaum…“

Hab keine Zeit mehr für Lieder und Tänze. Als Bäuerin und zweifacher Mutter bleibt keine Zeit für Müßiggang, dachte sie, und Hans wird durch die hohe körperliche Belastung in seiner Seele immer härter. Oder ist es der Einfluss der Uniformierten?

Ja! Das ist es. Eindeutig, dachte Maria. Früher sangen wir eng aneinandergeschmiegt, gemeinsam Volkslieder und heute kommt er nachhause und singt das Horst-Wessel-Lied vor sich hin:

„Die Fahnen hoch

die Reihen fest geschlossen,

SA marschiert

mit ruhig festem Schritt…“

Jakob und Anna, die fast unzertrennlichen Zwillinge, strahlten bald in alle Winkel des Kopfberghofs helle Freude ab und entwickelten sich so prächtig, dass von Zeit zu Zeit alle ernsthaften Fragen der Erwachsenen in den Hintergrund rückten. „Nun darf ich erleben, dass Kinder glücklich machen können“, freute sich Maria Geyer.

In den ersten warmen Tagen des folgenden Frühjahrs spürte Maria dann immer wieder Übelkeit. Sie besuchte Babette, die Hebamme. Diese sagte in ihrer direkten Art:

„Freu dich, Maria. Anna und Jakob waren damals die Folge einer ungewollten Schwangerschaft. Nun bekommt ihr zu diesem aufgeweckten Paar noch ein Wunschkind.“

„Ja, ich freue mich“, antwortete Maria knapp. Auf dem Nachhauseweg überlegte sie lange, wie sie diese erneute Schwangerschaft ihrem Mann beibringen sollte. In einer Zeit jedoch, in der Kinderzahlen weit über einem halben Dutzend als üblich angesehen wurden, akzeptierte Hans den Ausfall der Frau als Arbeitskraft bald.

Ohne Vorankündigung besuchte wenig später der Ortspfarrer die Familie Geyer. Zu Hans Geyer sagte er: „Glückwunsch, Hans. Bauernhöfe brauchen Nachwuchs. Wenn’s ein Bub wird, kann er kräftig hinlangen und dir mithelfen.“

Dann fragte der Pfarrer in würdevollem Unterton ohne eine Antwort zu erwarten: „Du wirst doch auch dein nächstes Kind im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes erziehen? Ich segne dich Maria Geyer, und das Ungeborene.“

„Ich bedanke mich bei ihm, geehrter Herr Pfarrer“, antwortete Maria gerührt.

Im Türrahmen der Haustüre bedankte sich auch Hans Geyer beim Pfarrer, mit dem üblichen Geschenk aus der letzten Hausschlachtung: „Für ihre werte Familie Herr Pfarrer, einen Ring Leberwurst, ein Stück Kesselfleisch und eine Blutwurst.“

Die Hausentbindung, Hebamme Babette war kurz nach Mitternacht gerufen worden, verlief reibungslos, fast schon routiniert. Wäre ein Mädchen zur Welt gekommen, hätte sie sich Emilia nennen dürfen. Maria wünschte sich heimlich ein Mädchen. Sie dachte über die ganzen Wehen hinweg immer wieder: „Emilia Geyer, Emilia Geyer, Emilia Geyer.“

Doch Wünsche gehen auch in den eindrucksvollsten Stunden einer Frau nicht immer in Erfüllung. Ein Junge blinzelte ängstlich in den Tag, vorsichtig ins Ehebett auf heiß gebügelte Laken gelegt. Er schaut als wäre er vor uns erschrocken, dachte Maria Geyer.

Einen Buben geboren, dachte Maria Geyer weiter, auch gut, dann habe ich meinem Mann Hans einen sehnlichen Wunsch erfüllt.

„Babette“, Maria Geyer sprach leise als könne ihr gerade geborenes Kind mithören und bereits verstehen, „irgendwie waren meine Zwillinge Anna und Jakob, mir fällt kein passendes Wort ein, irgendwie eindrucksvoller zur Welt gekommen. Oder täusche ich mich?“

„Mach dir keine Sorgen, Maria. Dich quält vielleicht die hormonelle Umstellung. Kinder verändern sich alle Wochen“, antwortete die Hebamme, „er wird sich bei euch auf dem Kopfberghof prächtig entwickeln. Schlaf nun ruhig ein paar Stunden. Ich bleib bei dir.“

Die ganze Familie ergötzte sich noch am Vormittag am gesunden, pausbäckigem, etwas zaghaft in die Welt schreienden Sohn und Bruder, der den Namen Georg erhielt, von allen jedoch, von der ersten Stunde an, „Schorsch“ genannt wurde.

Viele Jahre später, angestachelt von seiner Frau, sollte er sagen: „Bitte, darauf bestehe ich, nennt mich nicht dauernd Schorsch. Ich wurde auf den Namen Georg getauft.“

Rotes Moor

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