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1350–1500
Spätmittelalterliche Agrarkrise und Wüstungen

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Die hochmittelalterliche Blütezeit des Landlebens nahm in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein jähes Ende. Mehrere negative Ereignisse führten auf dem Land in Deutschland und europaweit zu einer Depressionsphase, die allgemein als »Agrarkrise« bezeichnet wird. Die wesentliche Konsequenz dieser Krise war die massenhafte Aufgabe von Dörfern und landwirtschaftlicher Nutzfläche.

Die spätmittelalterliche Agrarkrise hatte verschiedene Ursachen – eine der wichtigsten war ein starker Bevölkerungsrückgang. Nach dem kräftigen Anstieg im Hochmittelalter ging die Bevölkerung nun um mindestens ein Drittel zurück. Hierfür verantwortlich waren Hungersnöte und Pestepidemien, die Deutschland wie Europa in mehreren Wellen heimsuchten. Auf dem Land lagen die Bevölkerungsverluste über dem Durchschnitt, da viele Dorfbewohner in die neu gegründeten Städte abwanderten.

Der Bevölkerungsrückgang führte zu einer geringeren Nachfrage nach Getreide und anderen Agrarprodukten und damit zu einem Rückgang der Agrarpreise und -einkommen. Der ökonomische Niedergang entfaltete sich ebenfalls zu einer Krise des Adels und des Feudalsystems: Durch die Vermehrung gehobener Dienststellen (z.B. an den Fürstenhöfen) kam es zu einem starken Anwachsen der Adelsschicht und damit auch zu einer Aufsplitterung und Schwächung der Grundherrschaften.14 Die Folge war, dass viele Grundherren verarmten und ihre wirtschaftliche Basis verloren. Ein Teil des (niederen) Adels versuchte, sein Einkommen durch Raubzüge und Fehden zu verbessern: Es war die Zeit der Raubritter, die in allen Regionen Deutschlands hordenweise die weitgehend ungeschützten Landsiedlungen und Klöster überfielen, mordeten, plünderten und in Brand setzten. Des Weiteren erhöhten die adligen Grundherren den Druck auf die Bauern, indem sie erhöhte Abgaben und vermehrte Dienstleistungen verlangten. Manche Bauern schlossen sich den Verlockungen der Raubritterzüge an (wie es im »Meier Helmbrecht« von Wernher dem Gärtner aus den späten 13. Jahrhundert eindrucksvoll beschrieben wird), viele andere entzogen sich dem steigenden Lehnsdruck durch Abwanderung in die Städte. Die ökonomische und soziale Lage der Bauern verschlechterte sich dramatisch – vor allem in dieser Zeitphase waren sie »das verachtetste Glied der Gesellschaft«.15


Ein Dorf wird durch Raubritter geplündert und verwüstet. Die Federzeichnung um 1475–1490 vermittelt uns einen »Normalvorgang« des Spätmittelalters.

Äußerer und bleibender Ausdruck der spätmittelalterlichen Agrarkrise war schließlich das Massenphänomen der Wüstungen. Dieser Begriff für verlassene und aufgegebene Siedlungen findet sich bereits in den zeitgenössischen Quellen. Dort ist ebenfalls Genaues über den Zustand der damaligen Kulturlandschaft zu erfahren. Es wird berichtet von wüsten Gehöften, leer stehenden Siedlungen oder Siedlungsteilen, zerstörten und verlassenen Burgen, Kirchen und Klöstern. Auf ehemaligen Äckern wuchsen Gebüsch, Strauchwerk und schließlich Waldbäume; Gleiches galt für die aufgegebenen Ortsstellen. In der Beschreibung einer schon jahrzehntelang aufgegebenen Ortswüstung aus dem Jahr 1451 heißt es: »Locus iste K. jam desolatus est plenus arbustum habitaculum ursorum« – Nun ist auch jener Ort K. verödet, voll von Gebüsch und eine Lagerstätte für Bären.16 Die Wüstungsvorgänge trafen nicht nur die ungeschützten Agrarsiedlungen, sondern auch manche (oft gerade erst neu gegründete) Städte. Wissenschaftler schätzen die Gesamtzahl der spätmittelalterlichen Wüstungen in Deutschland auf 40.000. Damit wäre knapp ein Viertel der insgesamt 170.000 Siedlungen des Hochmittelalters aufgegeben worden. In manchen Regionen wie im Bereich der Schwäbischen Alb oder der Paderborner Hochfläche betrugen die Siedlungsverluste sogar 75 %! Nur in wenigen Regionen Deutschlands sind bisher keine Wüstungen bekannt. Die meisten der aufgegebenen Orte haben sich im Flurnamengut niedergeschlagen, z.B. lebt das untergegangene Dorf Aspe im Flurnamen »Aspergrund« weiter.17 Von verlassenen Kirchdörfern sind vielfach Ruinen oder Grundmauerreste bis heute erhalten geblieben.


Dieses Dreiständebild von 1492 zeigt die drei Stände des Mittelalters mit ihren vorrangigen Aufgaben: die Geistlichkeit (links: Gebet), Fürsten und Ritter (rechts: Schutzgewährung), Bauern (vorn: Arbeit).

Die spätmittelalterliche Wüstungsperiode hat die deutsche Kulturlandschaft in gravierender Weise verändert. Die Aufgabe eines Viertels aller Siedlungen führte zu einem Konzentrationsprozess: Sie war die Basis für die Bildung von großen Dörfern mit großen Gemarkungen auf den verbliebenen und in der Frühen Neuzeit wiederbesiedelten Siedlungsplätzen. So startete das Dorf Fürstenberg auf der Paderborner Hochfläche im Jahr 1449 auf der Basis von sechs Wüstungsgemarkungen mit einer Gesamtfläche von 59 km2 und wurde schon bald zu einem Großdorf mit weit über 1000 Einwohnern. Generell ist die nach der Wüstungsperiode bis etwa 1500 gebildete neue Siedlungslandschaft bis heute weitgehend konstant erhalten geblieben. Eine weitere Folge der Wüstungsvorgänge und der Vergrößerung der Gemarkungen war eine Zunahme der Waldflächen. Viele Grenzertragsböden, die man noch im Hochmittelalter für die Landwirtschaft gerodet hatte, wurden nun wieder der extensiveren Waldwirtschaft überlassen. Die heutige Feld-Wald-Verteilung bildete sich weitgehend bereits im 15. und 16. Jahrhundert heraus. In Ostdeutschland begann im Spätmittelalter die Bildung von landwirtschaftlichen Großbetrieben: Bäuerliche Siedlerstellen wurden mehr und mehr von den Grundherren eingezogen oder nicht wieder besetzt und zu adligen Gutsbetrieben ausgebaut.

Das Dorf

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