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1500–1650
Frühneuzeitlicher Landesausbau, Bauernaufstände und Dreißigjähriger Krieg
ОглавлениеNach dem starken Bevölkerungs- und Siedlungsrückgang des Spätmittelalters folgte in der Frühen Neuzeit erneut eine Aufbruchphase, die aber immer wieder von Bauernaufständen und Kriegen unterbrochen wurde. Man spricht von Landesausbau, weil in verschiedenen Bereichen Erweiterungen und Verbesserungen für die Agrarwirtschaft vorgenommen wurden. Zunächst ging es vielerorts darum, die wüstgefallenen Flächen (besonders der besseren Böden) zu rekultivieren. Darüber hinaus wurden Sumpf- und Moorgebiete trockengelegt sowie Küstenland und Flussauen eingedeicht und für die Landwirtschaft gewonnen. Im 16. Jahrhundert begann eine zweite Welle der Erschließung und Siedlungstätigkeit östlich der Oder. Der Landesausbau wurde getragen von einem starken Bevölkerungsanstieg. Die Einwohnerzahl in Deutschland verdoppelte sich nach dem Tiefstand um 1400 mit 6,5 Mio. Einwohnern bis zum frühen 17. Jahrhundert auf 13 Mio. Einwohner. Eine Intensivierung der Agrarwirtschaft wurde u.a. auch durch den zunehmenden Verzicht auf die Dreifelderwirtschaft zugunsten einer Fruchtwechselwirtschaft erreicht, wobei das Brachejahr ganz wegfiel.18 Die Marktorientierung der Landwirtschaft nahm bereits im 16. Jahrhundert deutlich zu, da die nun wieder wachsenden Städte mit Nahrungsmitteln versorgt werden mussten. Dies kam nicht nur den Bauern zugute, sondern hatte in den Dörfern auch eine Zunahme des verarbeitenden Gewerbes (wie Müller oder Metzger) und des Handels zur Folge. Die Fortschritte in der Agrarwirtschaft wurden ab dem späten 16. Jahrhundert von einer zunehmenden Fachliteratur festgehalten und verbreitet.
Dieses Bild Albrecht Dürers von 1494 zeigt eine Dorflandschaft in der Region Nürnberg. Im Vordergrund ist die Drahtziehermühle Großweidenmühle zu sehen. Sie kann als frühindustrieller Betrieb bezeichnet werden.
In der Frühen Neuzeit kam es im Nordosten Deutschlands zu einer verstärkten Gutsbildung. Eine grobe Trennlinie hierfür stellte die Elbe dar.19 Westlich der Elbe – im deutschen Altsiedelland – blieb das Lehnssystem zwischen Grundherrschaft und Bauern weitgehend erhalten. Östlich der Elbe hingegen wurden die Bauern nach und nach von den Grundherren aus ihren alten Nutzungsrechten herausgedrängt. So entstanden die in Eigenwirtschaft betriebenen Rittergüter, während die ehemaligen Bauern zu Landarbeitern wurden. Der mit dem Begriff »Bauernlegen« umschriebene Prozess begann im 16. Jahrhundert und endete erst im späten 18. Jahrhundert.
Die innere Dorfentwicklung der Frühen Neuzeit ist gekennzeichnet durch ein starkes Anwachsen der unterbäuerlichen Schichten.20 Dazu gehörten einmal die sog. »Kleinstellenbesitzer«, deren Land meist am Dorfrand lag und die nach heutigem Sprachgebrauch eine Nebenerwerbslandwirtschaft betrieben. Danach kamen die Hausbesitzer ohne Land und zuletzt die Landbewohner ohne Haus- und Landbesitz. Letztere Gruppe wohnte meist bei den Bauern zur Miete. Hierzu ein Beispiel: Im Kirchspiel Belm bei Osnabrück besaßen im Jahr 1601 neben 173 groß- und kleinbäuerlichen Betrieben 79 Haushaltungen weder Haus noch Land, das sind 32 % aller Haushalte!21 Wie kam es zu diesem Anwachsen der dörflichen Unterschichten? In Realteilungsgebieten wurden die Betriebsgrößen durch die fortgesetzten Teilungen des Besitzes immer kleiner, sodass sie nicht mehr zur Ernährung eines Hausstandes ausreichten. So war man zum Nebenerwerb gezwungen. In Anerbengebieten mit geschlossener Hofübergabe blieben den nicht erbenden Kindern meist nur geringe Einkommensmöglichkeiten. Sie verdingten sich meist als Tagelöhner in der Landwirtschaft oder im Transportgewerbe. Andere wichtige Arbeitsmöglichkeiten bestanden im Dorfhandwerk, das sich nun mehr und mehr auf dem Land entwickelte und schließlich zur zweiten ökonomischen Basis des Dorfes entfaltete.
Eine der ältesten Dorfzeichnungen besitzen wir von Heudorf bei Konstanz aus dem Jahre 1576.
Gut zu erkennen sind neben Kirche, Friedhof, Mühle, Backhaus und Bauernhäusern auch der das Dorf abschließende Dorfzaun.
Immer wieder kämpften Bauern um ihre Rechte gegen ihre Grundherren, hier eine Bauernkriegsszene von 1524: Bauern aus den Dörfern Rappertsweil, Weissenau, Obereschbach und Untereschbach rotten sich zu einem Heer zusammen.
Ab der Frühen Neuzeit haben wir auch genauere Vorstellungen vom Aussehen des Dorfes, was wir u.a. zahlreichen überlieferten Zeichnungen verdanken.22 Diese enthalten sowohl konkrete als auch stilisierte Dorfansichten. Wichtige, in den Bildern wiederkehrende Dorfbereiche sind Kirche mit Kirchhof, Wirtshaus, Backhaus, Schmiede, Badehaus, Dorfplatz mit Linde und der Dorfzaun (Etter) mit Tor. Ab etwa 1500 kamen zunehmend Rathäuser hinzu – sie verkörperten den wirtschaftlichen Aufschwung und das wachsende Selbstbewusstsein der gemeindlichen Selbstverwaltung. Ein Dorf in Rheinhessen dürfte um 1550 etwa so ausgesehen haben: »Den Mittelpunkt bildete der Dorfplatz, über den die Durchgangsstraßen führten. Auf der einen Seite wurde er durch die Friedhofsmauer abgeschlossen. Inmitten dieses Friedhofes, der leicht erhöht lag, befand sich die Kirche. In unmittelbarer Nähe der Mauer, von allen Seiten zugänglich, stand das Rathaus mit einer besonders dekorativen Front zum Platz hin. Am Dorfbrunnen schöpfte man seinen Wasserbedarf und schliff seine Schneidewerkzeuge. Die alte Dorflinde beherrscht die Mitte des Platzes, unter ihr fanden vor der Erbauung des Rathauses die Gemeindeversammlungen und Gerichtssitzungen statt, und hier traf man sich zum geselligen Beisammensein. Um den Dorfplatz gruppierten sich ferner das Dorfwirtshaus, in dem Reisende übernachten konnten, die Dorfschmiede und das Gemeindebackhaus, etwas abseits war der Löschweiher angelegt. Am Ortsrand, am Bach, lag die Mühle und das Badhaus und außerhalb das Siechenhaus. Als Gegensatz stand am anderen Ortsende ein vornehmes Anwesen des Ortsherren.«23
Bauernaufstände und Unruhen gegen die adligen und kirchlichen Grundherren hatte es seit dem Frühmittelalter immer wieder gegeben. Im Spätmittelalter nahmen sie jedoch stark zu, auch in der Radikalität ihrer Forderungen. Zum Höhepunkt des bäuerlichen Widerstands gegen die Feudalherren wurde der Deutsche Bauernkrieg von 1524/25. Angeregt durch die Schweizer Eidgenossenschaft und die deutsche Reformation mit dem zündenden Wort von der »Freiheit der Christenmenschen« begannen die Aufstände 1524 am Südostrand des Schwarzwaldes.24 Der Aufruhr wurde zu einem Flächenbrand und verbreitete sich schnell in ganz Südwestdeutschland und von dort nach Franken, Thüringen, Tirol und ins Salzburger Land. Auch Adlige und Städter schlugen sich auf die Seite des bäuerlichen Widerstands. Die bekanntesten unter ihnen waren Götz von Berlichingen aus der Region Neckartal-Odenwald und Florian Geyer aus Franken. Insgesamt 300.000 Bauern schlossen sich den regional gegliederten Heeren an. Die Forderungen der Bauern zielten vor allem auf eine Wiederherstellung des »guten alten Rechts« auf freie Waldnutzung, Jagd und Fischfang, das ihnen nach und nach von den Grundherren entzogen worden war. 1525 wurde ein Forderungskatalog von »Zwölf Artikeln« aufgestellt, der zum Manifest des Bauernkrieges wurde. Darin heißt es u.a.: Aufhebung der Leibeigenschaft und Mäßigung der Frondienste. Der Widerstand der Bauernheere wurde in mehreren großen Schlachten gebrochen und die Zahl der Opfer wird auf 100.000 Personen geschätzt. Letztlich verloren die aufbegehrenden Bauern. Gründe hierfür waren, dass die Bauernheere zu isoliert voneinander auftraten, außerdem blieb der breite gesellschaftliche Rückhalt für die Anliegen der Bauern aus. Selbst Martin Luther distanzierte sich mit seiner Schrift »Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern« von der Bewegung. Im Ergebnis wurden durch den Ausgang des Bauernkrieges die Rechte der Feudalherrschaft gestärkt. Allerdings sind einige Historiker der Auffassung, dass die Aufstände in Westdeutschland die Durchsetzung einer intensiveren Leibeigenschaft wie in Ostdeutschland verhindert haben.
Der Dreißigjährige Krieg von 1618 bis 1648 unterbrach die Epoche des frühneuzeitlichen Landesausbaus und führte weite Teile Deutschlands erneut in eine schwere Krise, die mit der spätmittelalterlichen Wüstungsphase zu vergleichen ist. Nur wenige Regionen wie Schleswig-Holstein, größere Gebiete Niedersachsens und das Rheinland westlich der Linie Neuss – Köln – Trier wurden von den marodierenden Kriegstruppen verschont. Die meisten Landstriche hingegen sind von den Heereszügen mehrfach heimgesucht worden. Die Gesamtzahl der damals durch Deutschland ziehenden Soldaten wird auf eine Million geschätzt, das waren 6–10 % der Bevölkerung. Städte und Dörfer wurden immer wieder Opfer von räuberischen Gewalttaten und Zerstörungen. Vor allem die Landbevölkerung in den wenig geschützten Dörfern und kleineren Städten waren sämtlichen Soldatengruppen nahezu wehrlos ausgeliefert. Mittelbare Kriegsfolgen waren Hungersnöte durch Ernteausfälle und Plünderungen sowie Pestepidemien wie im Späten Mittelalter. Der lange Krieg bedeutete einen erheblichen Rückschritt für das ganze Land. An erster Stelle standen millionenfache Bevölkerungsverluste: Zu Beginn des Krieges zählte das Deutsche Reich 16 Mio. Einwohner, am Ende des Krieges nur noch 10 Mio.25 Es dauerte danach ungefähr ein Jahrhundert, bis die Bevölkerungsverluste wieder ausgeglichen waren. Regional waren die Verluste noch extremer – so soll die Bevölkerungszahl im Herzogtum Württemberg von 1618 bis 1648 von etwa 400.000 auf nur noch 50.000 Einwohner abgesunken sein.26 Zahlreiche Städte und Dörfer waren durch den Krieg völlig zerstört und menschenleer, die Felder verödet. Die Viehbestände auf dem Land waren durch den Krieg bis auf unter 10 % des Vorkriegsniveaus abgesunken. Der Dreißigjährige Krieg hinterließ somit ein verwüstetes Land und eine völlig heruntergekommene Wirtschaft. Er schob, gerade im Vergleich zu England und Frankreich, die längst notwendige wirtschaftliche und politische Modernisierung Deutschlands und gerade auch des ländlichen Raumes um mehr als ein Jahrhundert hinaus.