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Vorwort zur 1. Auflage

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Das Dorf wird geliebt – von Alt und Jung, von Städtern und Landbewohnern. Was fasziniert die Menschen am Dorf? Ist es die Naturnähe und das Leben mit den Jahreszeiten? Ist es die Schönheit der in Jahrhunderten gewachsenen Kulturlandschaft? Die Überschaubarkeit, die Ruhe und das scheinbar einfache Leben? Ist es die Dichte der sozialen Beziehungen oder das Festhalten an Traditionen und alten Werten?

Offenbar ist das Dorf für viele ein Gegenprogramm zur immer schneller ablaufenden Modernisierung, Virtualisierung und Globalisierung in Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Ein Lebensraum, der verstanden wird und der Sicherheit gibt. Ein Traditionsspeicher für Kultur, Religion, Werte und »normales Leben«. Ein Rückzugsraum, der die gewachsenen Strukturen wie Familie, Nachbarschaft, soziales Engagement und Gartenkultur bewahrt und an die nächste Generation weitergibt.

Ist das Dorf also ein Garten Eden, das Paradies vor dem Sündenfall? Keineswegs! Das Dorf hatte und hat seine Stärken und seine Schwächen. Manches, was gut war, ist heute nicht mehr da. Manche Nachteile aus früheren Zeiten sind verschwunden. Viele Neuerungen haben Fortschritte gebracht, manche jedoch gleichzeitig auch Nebenwirkungen. Dieses Buch will das Dorf nicht verklären, sondern zeigen, wie vielfältig das Landleben und die ländliche Kulturlandschaft war und ist.

Für viele Menschen – gerade in den großen Städten – ist das Dorf zunehmend ein unbekanntes Wesen. Im öffentlichen Bewusstsein spielt der ländliche Raum generell eine geringere Rolle, als ihm eigentlich zusteht. Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien haben ihre Zentralen in den großen Städten und dominieren die Meinungsbildung von dort aus. Somit ist die Perspektive auf das Dorf in der Regel eine Fernsicht, die politische, wissenschaftliche und mediale Behandlung des Landes oft eine Fremdsteuerung.

Dieses Buch beschreibt und erklärt das heutige Dorf. Um die Gegenwart besser zu verstehen, werden darüber hinaus in knapper Form die gravierenden Veränderungen seit etwa 1800 skizziert. Der Zeitpunkt um 1800 wurde gewählt, weil er in mehrfacher Hinsicht eine Zeitenwende darstellt, die allgemein als Übergang von der klassischen Agrargesellschaft zur modernen Industriegesellschaft bezeichnet wird. Bei der historischen Betrachtung steht der von mir und vielen Lesern noch erlebte Wandel des Dorfes von 1950 bis heute im Mittelpunkt. Insgesamt soll die Vielfalt des Landlebens dargestellt werden: seine Wirtschaft und Bevölkerung, seine kulturellen, sozialen und ökologischen Werte – und nicht zuletzt geht es um die politische Behandlung des Dorfes durch die große und kleine Politik. Als Einleitung zu verstehen ist die stark geraffte Übersicht über das Dorf vom Frühen Mittelalter bis zur Zeitenwende um 1800, sozusagen der »geschichtliche Vorlauf« des modernen Dorfes.

Wer über das Dorf schreibt, versucht die Quadratur des Kreises. Es gibt über 35.000 deutsche Dörfer: Keines ist dem anderen gleich. Erheblich sind die Unterschiede nach Größe, topographischer und regionaler Lage, historischer Entwicklung, Wirtschaftsschwerpunkten, Urbanisierungsgrad oder aktuellen Dynamiken und Sorgen. Dennoch haben die unterschiedlichen Dorf-Individuen viele Gemeinsamkeiten. Diese typischen Eigenschaften des Dorfes stehen hier im Vordergrund. Damit jedoch nicht nur das typische, sondern auch das individuelle Dorf zur Geltung kommt, sind mehrere Hundert konkrete Dorfbeispiele aus allen Teilen des Landes angeführt und beschrieben. In über hundert Originalzitaten kommen darüber hinaus Bauern, Bürgermeister, Vereinsvorsitzende, Minister, Schriftsteller, Dorfplaner, Wissenschaftler und zahlreiche Dorfbewohner zu Wort. So entsteht ein Gesamtbild aus typischen und individuellen Merkmalen des deutschen Dorfes.

Angesichts seiner inhaltlichen Breite kann dieses Buch nicht alle Themen erschöpfend behandeln, es muss sich stets auf wichtige Merkmale und Prozesse beschränken. So war es während des Schreibens immer wieder schmerzhaft, Sätze wegzulassen, die noch genauer erklären oder andere Facetten aufzeigen. Daher wird es Leser geben, denen die Texte zu wenig ausführlich sind (tatsächlich könnte über jedes der 60 Kapitel ein dickes Buch geschrieben werden). Andere hingegen werden sich über die knappen Ausführungen freuen, die verkürzen und das Wesentliche darzustellen versuchen. Mein großes Anliegen ist es, dem Leser das Dorf auch optisch gut zu präsentieren. Über 300 aussagekräftige Fotos, Grafiken und Karten veranschaulichen den jeweiligen Text. Das Buch kann somit auch über diese Abbildungen »gelesen« werden. Die hier versuchte Annäherung an das Dorf wird in 60 überschaubare »Kurzgeschichten« gefasst.

Mit dem Motiv, ein für jedermann verständliches und doch wissenschaftlich fundiertes Dorfbuch zu schreiben, verbindet sich ein zweites Anliegen dieses Buches. Es möchte die große und unterschätzte Bedeutung der Wirtschafts- und Lebensform Dorf für den Staat und die Gesellschaft herausstellen und um Respekt und Anerkennung dafür werben. Nicht nur die Stadt, auch das Dorf ist ein Erfolgsmodell der europäischen Kulturgeschichte.

Grundlage dieses Buches ist die jahrzehntelange Beschäftigung mit dem ländlichen Raum in Mitteleuropa und einigen Nachbarländern. Forschungs- und Informationsreisen haben mich in alle Regionen Deutschlands und sicherlich mehrere Tausend Dörfer geführt. Eine Hauptquelle meiner Kenntnisse ist jedoch mein eigenes Leben auf dem Land, das mir von Geburt an bis heute täglich neue Erfahrungen bringt. So liegt es auf der Hand, dass sich in diesem Buch die »objektive« Sichtweise der Wissenschaft mit der »subjektiven« des Dorfbewohners mischt. Bei wichtigen Fragen der ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Dorfentwicklung habe ich mich deshalb nicht gescheut, Stellung zu beziehen.

Abschließend möchte ich allen danken, die zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben. Dem Theiss Verlag und seinen Mitarbeitern für die Annahme meines Konzeptes und die gute Betreuung und Gestaltung. Meiner ganzen Familie für ihr Interesse und die ständige Unterstützung während der dreijährigen Arbeit am Manuskript. Danken möchte ich auch allen Fachleuten und Engagierten des ländlichen Raumes, deren Kenntnisse und Erfahrungen mir durch zahllose Briefe und Gespräche zugutekamen. Nicht zuletzt danke ich den zahllosen Dorfbewohnern aus allen Teilen Deutschlands, die mir begegnet sind, für unzählige Informationen und Antworten auf meine Fragen. Viele dieser Gespräche haben ihren unmittelbaren Niederschlag in diesem Buch gefunden.

Ich hoffe, mit diesem Buch möglichst viele Leser zu erreichen und auch zu erfreuen. Naturgemäß sind in einem thematisch so weit gefassten Buch wie diesem Unzulänglichkeiten kaum zu vermeiden. Wenn dem aufmerksamen Leser Mängel auffallen sollten, bin ich ihm für eine Mitteilung sehr dankbar.

Gerhard Henkel,

Fürstenberg/Westfalen im Sommer 2011

Das Dorf

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