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Ich sehe eine Rotkappe

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Ich war mit meiner Familie zum Pilzesuchen hinausgefahren. Als ich den Wagen auf »unserem Parkplatz« am Birkenwäldchen bei Potthagen abgestellt hatte, quoll die Kinderschar lärmend ins Freie. Es war Sonntag, nicht nur dem Kalender nach: eine warme, atmende Erde, eingehüllt von würziger und klingender Luft, über allem ein herrlich blauer Himmel mit reinweißen Schäfchenwolken und Sonnenstrahlen wie gleißendes Gold – ein wahres Paradies. Kein Wunder, dass uns der Übermut packte. Auch mir saß der Schalk im Nacken, als ich rief: »Ich sehe ein Rotkappe!«

Da hörten sie auf, sich und die Grashüpfer zu haschen und starrten mich an. Ich wies auf einen etwa fünfzehn Schritt entfernten Baum am Rande des Wäldchens und beteuerte: »Da, unter dieser Birke!«

Während die anderen hinübersahen und, weil sie nichts entdecken konnten, unschlüssig verharrten, stürmte mein Ältester mit ein paar Sprüngen auf die Birke zu. Wir sahen ihn im Erdreich herumfingern. Was genau geschah, war nicht auszumachen, doch schon bald erkannten wir in der erhobenen Rechten des Jungen ein Prachtexemplar von einer Rotkappe. Als ich nach Sekunden der Sprachlosigkeit erklärte, dass ich nur geblufft hatte, wollte mir niemand glauben. Vor allem der glückliche Finder, der im blinden Vertrauen auf »Vaters Pilzauge« losgerannt war und sich darin bestätigt fühlte, war nicht leicht zu überzeugen. Ich musste hoch und heilig schwören, die Rotkappe vorher nicht gesehen und gleich gar nicht vorher dort unter dieser Birke eingegraben zu haben.


Wenig später sollte sich ein ähnliches Geschehen abspielen. Ich hatte einen pilzunkundigen Bekannten und dessen Sohn Steffen mit in den Wald genommen. Der Vater wollte unbedingt selbst ein paar Steinpilze finden, um sie anschließend zu trocknen und zum Würzen von Saucen zu verwenden.

Steffen, damals fünf oder sechs Jahre alt, folgte mir in der Dickung auf Schritt und Tritt, fand wohl auch hin und wieder einen Pilz, den er mir zur Prüfung vorzeigte, doch die ersehnten Steinpilze blieben aus, und der Junge wurde missmutig. Vielleicht wollte ich ihn nur aufmuntern, vielleicht erfüllte mich auch ein hoffnungsfrohes Ahnen, als ich vorschlug: »Legen wir uns doch einmal hin, hier müssen doch welche stehen!« Wer zuerst unten war, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur, dass wir, auf dem Boden liegend, ein Bild gewahrten, das uns für eine Weile die Sprache verschlug: Unter einer nahen Baumgruppe präsentierte sich uns eine reichliche Handvoll wunderschöner Steinpilze. Der schallende Kommentar von Steffen: »Papa, hinlegen musst du dich!«

In diesem Moment war der Junge wohl ernstlich davon überzeugt, dass man Steinpilze im Liegen sucht. Wir zwängten uns durch dichte Baumzeilen zum Standort und ernteten unseren Fund, alles kräftige, gesunde Pilze. Glücklicherweise verlief unsere Suche fortan auch im aufrechten Gang so erfolgreich, dass ich nicht noch einmal mit Steffen zu Boden gehen musste.

Der Vater hatte seine Pilze zum Trocknen. Der Sohn hatte eine interessantes Erlebnis, ich konnte helfen. Alle waren zufrieden.

Es war das einzige Mal, dass uns mein Bekannter in den Wald begleitete. Er kaufte sich, wenn er nicht von uns ein paar abbekam, seine Trockenpilze wieder im Laden. Steffen hat die Episode sicher schnell vergessen. Er ist, soviel ich weiß, kein Pilzfreund geworden.

Ein Pilzfreund erzählt

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