Читать книгу Ein Pilzfreund erzählt - Gerhard Kurenz - Страница 9

Kommen und Gehen

Оглавление

Der Wald ist in unseren Breiten überwiegend Wirtschaftsobjekt. Planmäßige Holzeinschläge, Aus- und Aufforstungen haben großen Einfluss auf die Pilzflora, vor allem, weil viele einheimische Bodenpilze in Symbiose mit bestimmten Waldbäumen leben.

Bei einer Pilzwanderung mit meinem ältesten Sohn durch ein Waldstück bei Potthagen erregte ein Baumriese, eine uralte Rotbuche, unsere Bewunderung. Wir schätzten seine Höhe und konnten uns auf dreißig Meter einigen. Was sein Alter betraf, wichen unsere Schätzwerte weit voneinander ab. Kein Wunder, denn das Alter eines Baumes zu schätzen fällt dem forstlichen Laien immer schwer, besonders wenn es sich um einen solchen Riesen handelt, bei dem ein Menschenalter mehr oder weniger kaum ins Gewicht fällt.

Als wir näher traten, fielen uns zunächst die sichtbaren Großwurzeln auf, die selbst Baumstämmen ähnelten. Dann erst bemerkten wir das Pfifferlingsvölkchen, das sich im Schatten des Giganten ausgebreitet hatte.

Wir schätzten diese kleinen Kerle unter der Rotbuche sehr. Sie waren von hellgelber Farbe, in den Stielen fast weiß, erreichten eine stattliche Größe, hatten festes, doch zartes Fleisch und dufteten besonders aromatisch. Es kam vor, dass eine Ernte einen großen Korb füllte. Doch unsere Entdeckung war uns nur einen Sommer und einen Herbst von Nutzen. Im folgenden Frühjahr fiel der Riese einer Motorsäge zum Opfer. Mit einem Schlag blieben die begehrten kleinen Leistlinge weg.

Leider, doch kein Grund zu langer Trauer, man verliert hier ein paar Rotkappen oder Pfifferlinge und gewinnt andernorts neue Fundstellen hinzu: Im Lärchenforst lohnt es sich auf einmal, nach Goldröhrlingen zu suchen, und in einer bisher pilzarmen Kiefernschonung zeigen sich zum erstenmal Grüppchen von Echten Reizkern. Die Kahlschläge bieten uns auf und an den Stubben bald neue Erntemöglichkeiten, die nicht zu verachten sind.

Es ist gut, etwas über die Symbiose von Pilzen und Bäumen zu wissen. Man kann seine Aufmerksamkeit besser auf das zu erwartende Pilzangebot ausrichten, also gezielter suchen. Übertriebene Hoffnungen sollte man an seine Kenntnisse aber nicht knüpfen. Neulinge unter Pilzfreunden neigen dazu und sind fassungslos, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Sie können einfach nicht verstehen, weshalb »in einem so schönen Kiefernwald« kein einziger Maronenröhrling steht oder »unter so herrlichen Birken« keine Birkenpilze wachsen, obwohl ihre Zeit da ist.

Auch mir fallen beim Anblick von Birken unwillkürlich Birkenpilze ein; auch ich hoffe jedes Mal, ein paar davon zu finden, muss mich umsehen und schlau machen. Die Bilanz meiner Suchaktionen ist ausgeglichen. Ich bin ins Leere gelaufen, habe aber mitunter auch Glück gehabt.

Als ein Haupttreffer erwies sich ein Wildwuchs junger Birken bei Potthagen, nahe einer Müllkippe in einer Graslandschaft gelegen, die junge Leute mit ihren Motorrädern zu Geländefahrten benutzten und deshalb von uns »Moto-Cross-Bahn« genannt wurde. Ich will anfügen, dass sich dieser Wildwuchs mit der Zeit zu jenem kleinen Birkenwäldchen mauserte, von dem im ersten Beitrag die Rede ist. Besagter Wildwuchs garantierte einige Jahre hindurch gute Ernten an Birkenpilzen. Die Pilze verteilten sich gleichmäßig auf das ganze Terrain; wenn wir auf einem Randstück, unserer »Teststelle«, fündig wurden, war auch drin gewiss etwas zu holen. Daher bezog ich die Sicherheit, mit der ich hin und wieder einer oder einem Bekannten ankündigte: »Heute hole ich dir einen Korb Birkenpilze.« Blamiert habe ich mich dabei nie. An eine außergewöhnlich reiche Ernte in diesem Birkenwäldchen erinnere ich mich besonders gut und gern. Meiner damals sechsjährigen jüngsten Tochter oblag es, die Pilze zu putzen, die mein jüngster Sohn und ich ihr zu Füßen legten. Wir brauchten nur ein paar Schritte in die eine oder andere Richtung zu gehen, um gleich darauf mit vollen Händen zurückzukehren. Die Kleine bemühte sich sehr und schaffte auch eine ganze Menge, doch der Berg Pilze wuchs und wuchs; am Ende hatten wir alle drei noch lange zu säubern und zu verstauen. Schon im folgenden Jahr machte das Suchen größere Mühe; je mehr sich dieser Wildwuchs in ein Birkenwäldchen verwandelte, desto geringer wurde der Ertrag.

Solche »Lehrvorführungen« der Natur indizieren, dass Vorkommen, Wachstum und Fruchtbildung von Symbionten, ihr unsichtbares und sichtbares Kommen und Gehen, auch mit dem Alter der Baumbestände zusammenhängen.

Ebenso wie unsere pragmatischen Vorstellungen über die Symbiose sollten auch unsere Erwartungen an begünstigende Witterungseinflüsse, an das »Pilzwetter«, angemessen sein. Das Wetter fördert oder hemmt zweifellos insbesondere die Fruchtkörperbildung. Doch so prompt, wie oft angenommen, reagieren Pilze auf meteorologische Faktoren nicht. Nicht nach jedem warmen Regen müssen Pilze aus dem Boden schießen. Für die Fruchtkörperbildung sind vielmehr ganze Wetterabläufe mit zeitlichen Ausdehnungen von Wochen, Monaten und vielleicht sogar Jahren verantwortlich. In Mitteleuropa ist, statistisch belegt, nur jedes dritte oder vierte Jahr ein ergiebiges Pilzjahr. Außerdem folgen Großpilze einer unterschiedlichen, artspezifischen Fruktuations-Rhythmik, die selbst unter günstigsten Witterungsbedingungen bei bekannten Speisepilzen lange Phasen zwischen den Schüben bewirken kann. Der Pilzfreund muss also sowohl Enttäuschungen über »Missernten« verkraften, aber auch auf überraschende Schübe und sich daraus ergebende Probleme reagieren können.

Was tun, wenn wir bei einem Spaziergang durch Wald und Flur unerwartet auf Pilze stoßen? Nicht immer führt man Gefäße zum Sammeln und Transportieren von Pilzen mit sich. Ist der Fund umfangreich, muss aus der Situation heraus eine Lösung gefunden werden. Ich war mehrfach dazu gezwungen. Manchmal konnte ich mir nur damit helfen, ein Kleidungsstück abzulegen, zu verknoten und als Transportmittel zu benutzen.

Ein Pilzfreund erzählt

Подняться наверх